Aus, Schluss, vorbei: Die letzten Vorträge sind (schlecht vom Blatt ab)gelesen, die Werbekugelschreiber eingesammelt und die Nerd-Dichte in San Diego ist wieder auf typische südkalifornische Werte gesunken. Zurück bleibt ein zwiespältiges Gefühl und vor allem die Frage: Haben solche Konferenzen noch eine Zukunft?

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Abschied aus San Diego: Die Wissenschaft zieht weiter (Symbolbild) (Foto: Stirn)

Bevor der Eindruck entsteht, dass alles blöd war: Das war es nicht. Ich habe viele Ideen für mögliche Geschichten mitgenommen, habe nette Kollegen kennengelernt oder wieder getroffen, habe einige interessante und inspirierende Vorträge gehört. Trotzdem hat das Jahrestreffen der AAAS ein paar nicht zu übersehende Probleme:

Die Aktualität
Ein Ort, an dem neue, bahnbrechende Erkenntnisse vorgestellt werden, ist die Konferenz schon lange nicht mehr. Das passiert in den Veröffentlichungen, auf Fachkonferenzen oder immer öfters auf eigenen Pressekonferenzen. Vor allem für tagesaktuelle Medien, die von der AAAS Breaking News vermelden wollen, ist das ein Problem. Im Jahr 2001 wurde beim Annual Meeting in San Francisco noch die Sequenzierung des menschlichen Genoms verkündet, dieses Mal ergab sich die aktuellste Geschichte aus einem zeitgleich veröffentlichten PNAS-Paper über die Theorie mathematischer Modelle zur Kriminalitätsentwicklung. Sicherlich ein ganz nettes Thema, aber keines, das dermaßen viel Aufmerksamkeit verdient hätte (ich muss mir da auch an die eigene Nase greifen).

Die Rhetorik
Das wäre nicht mal so schlimm, schließlich will die Konferenz vor allem allgemein verständlich den aktuellen Stand der Forschung vermitteln. Das aber scheitert viel zu oft an langweiligen oder schlechten Vorträgen. Man sollte es kaum glauben: Aber es gibt tatsächlich auch auf so einer Konferenz Redner, die ihren Vortrag ohne visuelle Unterstützung Wort für Wort vom Blatt ablesen.

Dass es auch anders geht, hat zum Beispiel ein Symposium über die Beweiskraft der Hirnforschung vor Gericht gezeigt. Das war (so wurde mit erzählt), wie eine Gerichtsverhandlung aufgezogen. Hier sind die Organisatoren der einzelnen Symposien gefragt, die nicht nur Kreativität beim Aufbau ihres Seminars an den Tag legen sollten, sondern die Vortragenden auch nach deren rhetorischer Qualität auswählen müssen – und nicht danach, wem sie noch einen Gefallen schulden.

Die Themen
Gleich drei Sessions beschäftigten sich in San Diego mit „Geoengineering”. Klar, ein interessantes Thema, aber das Ganze hätte sich auch in drei- statt in siebeneinhalb Stunden packen lassen. Auch wen’s schwer fällt, sollten die Wissenschaftler lernen, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Die AAAS-Organisatoren versuchen diesen Gedanken zu voranzutreiben, indem sie vielen Sessions, die als Drei-Stunden-Veranstaltung vorgeschlagen wurden, nur den kürzeren, eineinhalbstündigen Slot einräumen. Wenn die Forscher dann aber (wie beim Thema “Understanding Climate-Change Skepticism”) einfach sechs Kurzvorträge plus Diskussion in 90 Minuten packen ist niemandem geholfen – außer vielleicht den Lebensläufen der Vortragenden.

Die Prominenz
Sicherlich: Man kann (und sollte) nicht jedes Jahr Al Gore einladen, aber die ganz großen Namen fehlten dieses Jahr. Gut, da waren ein paar Nobelpreisträger, ein paar Chefs von Forschungseinrichtungen oder US-Organisationen. Doch da war niemand Hochkarätiges, der nicht aus der Wissenschaft kam und ein bisschen frischen Wind in die Konferenz bringen konnte. Ohne Impulse von außen kann eine solche Veranstaltung aber nicht überleben.

Die Konferenz
Womit wir endlich beim Thema wären: Solche allgemeinwissenschaftlichen Konferenzen leben entscheidend vom Austausch mit Kollegen, von der Kontaktpflege, von der sozialen Komponente. Wenn die Teilnehmerzahlen (wegen der Krise und der Qualität der Vorträge) aber immer mehr zurückgehen, leidet diese Komponente am meisten. Wer deutlich weniger Kontakte knüpft, fragt sich, ob er das nächste Mal überhaupt noch kommen soll. Der Trend beschleunigt sich dadurch rapide. Gleichzeitig übernehmen Facebook & Co. viele soziale Funktionen, die einst solche Konferenzen hatten.

Verglichen mit früheren Treffen waren die Stuhlreihen in San Diego in der Tat sichtlich leerer – und das, obwohl die Konferenz an einem attraktiven Ort stattfand. Das nächste Jahr – im Winter, in Washington D.C. – dürfte somit zum großen Test für die Zukunft des AAAS-Jahrestreffens werden. Aktuell sind Orte und Termine der Konferenz bis 2013 festgelegt. Viel weiter würde ich – wäre ich die AAAS – erst einmal nicht planen.

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