Was geschah in der Nacht vom 1. auf den 2. Mai 2011 in Abbottabad? Die meisten Details zur Erstürmung wird man vermutlich erst kennen, wenn die entsprechenden Dokumente einmal freigegeben sind (also in wohl etwa 50 Jahren). Bis dahin muss man sich aus diversen Medienberichten zusammenbasteln, was in der besagten Nacht vor sich ging. Das New Yorker Magazin hilft uns dabei mit einem detaillierten Bericht (The Mission to Get Osama Bin Laden) den ich nun endlich gelesen habe.

Zuerst aber eine allgemeine Einschätzung der Glaubwürdigkeit der Information. Kurz nach dem Sturm sickerte einiges an Informationen durch. Anscheinend versuchten alle die auch nur peripher etwas damit zu tun hatten, sich ein wenig im Erfolg zu sonnen. Das Problem, dass es sich häufig um nicht genannte Quellen handelt, in der Regel nur eine Person, zwingt uns bei einer solche Aktion die Bewertung zu einem grossen Teil von der Glaubwürdigkeit des Schreibenden abhängig zu machen. Eine gute Portion Skepsis sollte also auf jeden Fall bleiben. Der New Yorker rühmt sich seines Fact Checkings doch ich nehme an, dass in einem solchen Fall auch für die Überprüferinnen und Überprüfer vom Dienst nur beschränkt etwas zu machen ist (ausserdem sind auch sie nicht über alle Zweifel erhaben). Der Artikel warnt auch davor, dass die Aussagen der beteiligten Soldaten von der Aufregung wegen der speziellen Aktion gefärbt sein könnten.

Ich wollte hier nur kurz auflisten, was ich als neu aus dem Artikel gezogen habe und ein paar Gedanken dazu niederschreiben, da er unter anderem mehrere Diskussionen von früheren Blogbeiträgen wieder aufnimmt und teilweise klärt (sie sind jeweils verlinkt). Vielleicht fällt jemandem nach der Lektüre noch anderes auf.

  1. Der Verdacht, dass man es gezielt auf die Tötung Bin Ladens abgesehen hat, wird im Artikel bestätigt. Ein Offizier wird zitiert mit

    There was never any question of detaining or capturing him–it wasn’t a split-second decision. No one wanted detainees

    Gemäss der selben Quelle war Bin Laden unbewaffnet (diesbezüglich krebste die Obama Administration schon früher zurück). Offiziell wird an der Behauptung festgehalten, dass man bereit war, Bin Laden lebend gefangen zu nehmen (ein Grund für diese Position könnte juristischer Natur sein).

  2. Gemäss dem Artikel war die vorgetäuschte Impfaktion nutzlos um DNA Samples zu erhalten. Keines der Kinder aus dem Hause Bin Laden nahm daran teil.
  3. Das stille Seebegräbnis, welches diversen Verschwörungsthorien auftrieb verleihen wird, hatte sogar einen Präzedenzfall. Als Saleh Ali Saleh Nabhan in Somalia von SEALs erwischt wurde, ist man anscheinend gleich vorgegangen: Bestattung gemäss islamischen Riten aber dann die Leiche im Meer versenkt. Dies lässt die Aktion noch plausibler erscheinen. Anscheinend hatte man aber grosszügige Samples genommen: Zwei Knochenmark Proben und Abstriche. Interne Belege hat man also sichergestellt ohne, dass dies natürlich etwas an Verschwörungstheorien ändern könnte.
  4. Im Zusammenhang mit der Seebestattung ist interessant, dass man gemäss dem Artikel bei den Saudis nachgefragt habe da Bin Laden aus einer wichtigen saudischen Familie stammt. Diese hätten grünes Licht für eine Seebstattung gegeben. Es ist schwer diese Information einzustufen. Einerseits zweifle ich, dass die USA die Leiche wirklich abgegeben hätten. Es erstaunt auch ein wenig, dass bei dem Zeitdruck noch bei den Saudis nachgefragt wurde. Es ist natürlich im Interesse der USA ein legitimierendes OK von saudischer Seite zu reklamieren. Anderseits ist man in Saudi Arabien kaum unglücklich über diese Art der Entsorgung, nur wird man sich hüten, dies laut zu sagen.
  5. Geronimo war der Codename für die letzte Stufe der Aktion (das Auffinden von Bin Laden) und nicht für Bin Laden selber wie manchmal behauptet. Jede Stufe folgte einem indianischen Thema. Ich dachte es sei ein Zeichen mangelnder Sensibilität, wäre Geronimo tatsächlich der Codenamen für Bin Laden gewesen, ein Widerstand leistender Apatschenhäuptling, der gefangen genommen wurde und danach zum Christentum konvertierte. Seltsamerweise schien sich aber kaum jemand daran zu stossen.
  6. Die Soldaten trugen keine Helmkameras wie fälschlicherweise von CBS berichtet. Das erscheint mir einleuchtender, da ich mir die Frage stellte, ob das Militär für solche Aktionen tatsächlich Aufzeichnungen möchte. Bildmaterial, dass raussickern kann, Taktiken verraten oder gar einmal juristisch gegen sie verwendet werden könnte.

Eine andere Sache ist mir auch noch aufgefallen. Sie erstaunt mich zwar nicht, ich finde es aber trotzdem bedenklich. Im Aritkel wird zweimal der Satz For God and country (der Titel eines Dolly Parton Albums) erwähnt. So wurde angeblich durchgegeben, dass man Bin Laden getötet hätte und dieser Satz steht auf einem Souvenir (eine Flagge die im Helikopter war), die dem Präsdenten übergeben wurde. Zuerst einmal habe ich ein grosses grundsätzliches Problem wenn im Namen Gottes getötet wird auch wenn es sich um Bin Laden handelt. Nicht weil ich Gottes Wille zu glauben kenne, sondern gerade weil ich nicht an dessen Existenz glaube. Aus Patriotismus finde ich es vielleicht ebenso deplatziert aber es steht in der Regel doch ein weltliches Rechtssystem dahinter. Wem ist man aber verantwortlich wenn man im Namen Gottes tötet? Jedem moderaten Gläubigen egal welchen Glaubens, sollte dies eigentlich einen kalten Schauer über den Rücken jagen. Das zweite Problem mit diesem Satz ist, dass es genau das tut, was Bin Laden versucht hat: Einen Religionskrieg anzetteln. Wir gegen die anderen. Wenn man nun Bin Laden im Namen Gottes umgebracht hat, gibt man ihm Recht und handelt aus der gleichen Selbstgerechtigkeit. Für mich neben den rechtlichen Aspekten ein weiterer Grund, dass gezielte Tötungen ohne Verfahren falsch sind. Aber vermutlich stört sich kaum jemand daran, weil es eben Bin Laden war. Ding Dong the Witch is dead.

Update: In diesem Post von C. Christine Fair werden berechtigte Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Artikels geäussert. Siehe dazu auch den ersten Kommentar und meine darauf folgende Antwort. Dank an Andreas Breitbach für den Hinweis.

Kommentare (2)

  1. #1 Andreas Breitbach
    August 17, 2011

    Den Artikel würd ich nicht übermäßig ernst nehmen. C. Christine Fair, die etwas (viel) Ahnung von der Region hat, zerrupft Schmidle ziemlich gut: https://www.registan.net/index.php/2011/08/04/the-schmidle-muddle-of-the-osama-bin-laden-take-down/

  2. #2 ali
    August 18, 2011

    @Andreas Breitbach

    Danke für den Link. Ich werde ihn zum Post hinzufügen. Ich kannte den Artikel nicht (dabei folge ich Christine Fair doch auf Twitter…). Die direkte Rede und die Details zu Kleidung etc. sind mir auch aufgefallen. Ich habe es unter unnötiger Dramatisierung abgebucht (erinnerte mich irgendwie an Bob Woodward’s Schreibe). Es ist aber tatsächlich so, dass der Eindruck entsteht, Schmidle hätte mit Mitgliedern des Team 6 der SEALs gesprochen und irgendwie, obwohl unwahrscheinlich, habe ich das, vielleicht deswegen in meinem Kopf nie ganz ausgeschlossen.

    Das wirft natürlich ein schiefes Licht auf den ganzen Artikel. Keiner meiner Punkte macht es notwendig, dass Schmidle solchen direkten Kontakt hatte und können deshalb trotzdem korrekt recherchiert sein, die Vorsicht in Bezug auf die Aussagen ist jedenfalls noch etwas grösser geworden. Ich glaube nicht, dass man deswegen den ganzen Artikel über Bord werfen muss, aber sein nutzen erscheint doch noch etwas zweifelhafter. Ich hoffe der New Yorker hat wenigstens einige Quellen nachgeprüft.

    Ausserdem sollte er tatsächlich keine Interviews mit beteiligten Soldaten geführt haben, dann ist vor allem diese Passage nahe an einer Irreführung oder gar Lüge. Nur mit viel Gutmütigkeit kann man das uminterpretieren als “ich habe mit Leuten gesprochen, die das Debriefing gehört haben”. Dem Ruf des New Yorkers wird es sicher nicht gerecht:

    None of them had any previous knowledge of the house’s floor plan, and they were further jostled by the awareness that they were possibly minutes away from ending the costliest manhunt in American history; as a result, some of their recollections—on which this account is based—may be imprecise and, thus, subject to dispute.