Ein Stamm aus Papua Neuguinea, der im Zentrum eines Artikels im renommierten Wochenmagazin The New Yorker stand, verklagt den Verlag, weil sie sich im Artikel ungerechtfertigterweise mit Mord und anderen ‘schweren Verbrechen’ in Verbindung gebracht sehen.

In einem Artikel im New Yorker vom 21 April 2008 schrieb ein Autor namens Jared Diamond einen Artikel über ein Stammesmtiglied, dessen Onkel umgebracht wurde und der diesen Rächen möchte. Vengeance is ours, so der Titel des Artikels, beschreibt das ritualisierte kämpfen zwischen verschiedenen Stämmen in dieser Region. Diese Kriege finden gemäss Diamond auf Distanz statt, so das häufig nicht klar ist, wer wen in einem Kampf trifft. Trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen, folgt häufig eine Spirale von Rache. Anscheinend sieht sich der Stamm durch diesen Artikel falsch dargestellt.

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Bild: Jialiang Gao (peace-on-earth.org)

Den Artikel habe ich zufällig damals gelesen (ich lese den New Yorker nur sehr sporadisch, eigentlich fast nur wenn ich auf Reisen bin) und fand ihn aus einer Internationalen Beziehungen Perspektive interessant. Im Grunde dreht er sich um die ewige Frage, warum Menschen andere Menschen töten und ob dies schlicht unserer Natur entspricht (oder um bei den Internationalen Beziehungen zu bleiben: Warum gibt es überhaupt Krieg).

Dies Klage, sollte sie denn fundiert sein, entbehrt auch nicht einer gewissen Ironie. Ein anderer Artikel im New Yorker vom 6. November 2000, der inzwischen als Klassiker gilt, beschäftigte sich mit den Forschungsergebnissen eines Anthropologen namens Napoleon A. Chagnon. Dieser schrieb ein Buch mit dem Titel “The Fierce People” welches angeblich als Klassiker in der Anthropologie galt und von seinen Beobachtungen über den Stamm der Yanomamö handelte. Der New Yorker Artikel war eine gut recherchierte Kritik an der Arbeit von Chagnon. Dieser wurde darin beschuldigt, die Yanomamö als viel ‘grimmiger’ (fierce) dargestellt zu haben, als dass sie in Wirklichkeit waren. Der Artikel stellte auch einen Zusammenhang zwischen einer Masernepidemie bei den Yanomamö und Chagnons Reisen her. Sollte nun der New Yorker ebenfalls einer Geschichte auf den Leim gegangen sein, die mehr Projektion auf einen ‘wilden Stamm’ als Realität ist?

Wie auch immer, der Artikel über Chagnon ist auch interessant für alle, die selber mit qualitativen Methoden arbeiten und forschen. Er illustriert vermutlich ein Extrem eines klassisches Anthropologen Dilemmas, jenes zwischen aussenstehendem Beobachter und dem Eintauchen in eine Kultur. Chagnon beeinflusst durch sein Auftreten sein Forschungsobjekt. Er manipuliert es durch sein blosses Auftauchen, aber auch durch Geschenke die er bringt und durch Einmischung in Stammesangelegenheiten. Begegnungen mit tödlichen Folgen. Der Artikel sei hier jedem wärmstens zur Lektüre empfohlen.

Man darf über das Gerichtsurteil gespannt sein. Der New Yorker gilt als vorbildlich was das Fact-Checking anbelangt. Ich frage mich auch, wie dieser Stamm vom Artikel Wind bekommen hat und wer ihnen die Klage empfohlen hat. Ich vermute ein Anwalt möchte da etwas verdienen. Den New Yorker findet man in Genf mit seiner relativen grossen englischsprachigen Gemeinschaft kaum. Ich habe Zweifel, dass der in Papua Neuginea in jedem Dorf aufliegt (und auch gelesen wird).

Kommentare (11)

  1. #1 Christian Reinboth
    April 24, 2009

    Jared Diamond ist ein exzellenter Autor, der unter anderem das großartige Buch “Kollaps” verfasst hat, dass ich schon seit zwei Monaten für ScienceBlogs rezensieren will. Gelesen habe ich es mittlerweile schon zweimal, es stecken jedoch so viele faszinierende Einzelbeispiele drin, dass mir eine vernünftige Zusammenfassung schon unheimlich schwerfällt. Ich bezweifle stark, dass man Diamond vor Gericht irgendwie falsche Recherchen oder schlampige Arbeit wird nachweisen können.

    https://en.wikipedia.org/wiki/Collapse_(book)
    https://video.google.com/videoplay?docid=4271982381147720351

  2. #2 Jürgen Schönstein
    April 24, 2009

    Auf der Website Stinkyjournalism.com kann man die Geschichte der “Fälschung” ausführlich nachlesen. Interessant ist, dass Diamond in seiner Story offenbar Fakten verarbeitet hat, die ihm schon jemand falsch berichtet haben könnte (sie sind nicht erfunden, sondern haben sich in anderem Zusammenhang ereignet). Und da seine Quelle und Hauptperson (sowie einer der Kläger), Daniel Wemp, Diamonds Fahrer im Auftrag des World Wildlife Fund war, würde ich mal die Vermutung äußern, dass er ihm diese Geschichten auf mehr oder weniger langen Fahrten auch in etwa so aufgetischt hat – aber halt als “Entertainment”, nicht als Tatsachenbericht. Ich kenne die Erzählkulturen der Papua nicht, aber ich denke, dass es eher typisch für alle Menschen ist, solche Geschichten, wenn zur Unterhaltung erzählt, kräftig auszuschmücken (vgl. “Jägerlatein”, “Seemannsgarn”). Der Haken ist wohl, dass Diamond dies alles für bare Münze genommen hat. Er wäre wohl besser beraten gewesen, die Namen der Personen (das ist auch in den USA nicht unüblich) ausdrücklich zu verändern. Ich wüsste allerdings nur zu gerne, ob nicht auch die Klage eher eine “Ente” ist: das Papier, das auf der stinkyjournalism-Website verlinkt ist, trägt keine richterliche Unterschrift, in den elektronischen Dateien des Gerichts (da kann man drin suchen) taucht eine solche Klage nicht auf, und die Käger nennen keinen Rechtsvertreter in New York. Das riecht schon ein bisschen komisch und erinnert mich eher an einen Abmahnbrief als an eine echte, Klage. Aber ich bin natürlich kein Jurist …

  3. #3 Ludmila Carone
    April 25, 2009

    Moment. Diamond? Jared Diamond? Von dem hab ich auch ein Buch zu Hause, was ich für Scienceblogs rezensieren will “guns, germs and steel”. Hab ich per Zufall in der Buchhandlung am Amsterdamer Flughafen entdeckt.

    Kann ich auch nur wärmstens empfehlen.

  4. #4 Alexander Knoll
    April 25, 2009

    Tja, die neuen Medien 😉
    “Collapse” höre ich zur Zeit als Audiobook, und von “Guns, Germs and Steel” hab ich ne mehrteilige Doku gesehen – darin geht es übrigens auch immer wieder um Papua Neuguinea.

  5. #5 ali
    April 25, 2009

    Ich wusste, dass Diamond ein mehrfach ausgezeichneter Autor ist, es war mir aber nicht bewusst, dass er Guns, Germs and Steel geschrieben hat. Ich war dem Buch gegenüber immer ein wenig skeptisch eingestellt, da sich viele Kalte-Kriegs-Theoretiker darauf stürzten, ein Strohhalm einer neuen ‘Grossen Gesellschaftstheorie’ nach dem ihr Projekt sich gerade in Luft aufgelöst hatte. Nach all den Empfehlungen muss ich vielleicht trotzdem mal reinschauen (oder warte auf deine Besprechung Ludmila).

    @Jürgen
    AP hat von einer Klage “von einer Seite” gesprochen (ich weiss aber nicht ob sie dies überprüft haben und diese tatsächlich gesehen haben). Aber selbst wenn es Unterhaltungsgeschichten auf einer langen Fahrt waren, würde ich vom New Yorker und wohl auch von einem Professor der UCLA der für diesen schreibt, ein Minimum an Fakten überprüfen erwarten. Es würde mich sehr erstaunen, wenn sie einen solchen ‘Seemansgarn-Bericht’ hätten durchgehen lassen (aber vielleicht bin ich naiv). Sie scheinen auch von der Richtigkeit überzeugt zu sein, haben sie sich doch hinter den Autor gestellt.

    Ich bin zwar auch kein Jurist, aber wenn AP das überprüft hat heisst es wörtlich “filed a $10 million defamation lawsuit”. Das heisst für mich eingereichte Klage.

  6. #6 Jürgen Schönstein
    April 25, 2009

    @ali
    Ich weiß ja auch nicht mehr. Aber es ist schon ein Unterschied, ob man ein Schriftstück an ein US-Gericht geschickt hat (das ist erst mal das “filing”, und das kann erst mal alles sein – sogar eine handschriftliche Notiz auf einem Schmierzettel, solange sie dem Gericht zugestellt wuirde) oder ob es auch wirklich alle formalen und sachlichen Voraussetzungen erfüllt, damit das Gericht die Klage auch annimmt (z.B. muss die Klageschrift formal korrekt sein, der Gegenstand der Klage muss in die Jurisdiktion des Gerichts fallen etc.). Ich sage nicht, dass dies nicht der Fall ist – ich sage nur, dass dies bisher nicht nachvollziehbar ist. Und es wäre nicht das erste Mal in meiner Laufbahn, dass solch ein “filing” eben primär als ein Publicity-Stunt gedacht war, dem nie ein ernsthafter Prozess folgte.
    Ich will und kann den Artikel auch nicht ihnhaltlich oder der Form nach verteidigen, da ich ihn nicht gelesen habe (meine alten New-Yorker-Exemplare sind irgendwo in einem Keller verstaut). Aber ich kenne einige Factchecker des Magazins persönlich und bin mit einem sogar recht gut befreundet und weiß daher, dass sie zu den gründlichsten und qualifiziertesten ihrer Zunft gehören. Aber natürlich stoßen auch sie an Grenzen, aber vor allem kommt es natürlich auf die Form des Artikels an: Wenn Diamond ihn als einen Erlebnisbericht nach dem Motto “mein Fahrer erzählte mir …” aufgebaut hat, dann müssen die Factchecker diese Inhalte mit ihm abklären. Und wie gesagt, vielleicht hat Daniel Wemp das ja auch genau so erzählt … Womit ich nicht sagen will, dass Jared Diamond nicht skeptischer hätte sein müssen, aber die genauen Details der Formulierung (wenn er beispielsweise den Artikel so aufbaut “Dies ist, was mir mein Fahrer erzählte …”, d.h. wenn er sich als Nacherzähler einer Geschichte präsentiert, für deren Details er keine Bürgschaft übernimmt), sieht die Sache zumindest presserechtlich doch ein wenig anders aus als wenn er vorgibt, Fakten zu verbreiten.

  7. #7 ali
    April 25, 2009

    @Jürgen

    Ich konnte die Klage auch nicht finden. Es ging mir im Kommentar vor allem um die Frage, ob es eine ‘Ente’ sei. Ich glaube schon, dass da irgendwas eingereicht wurde. Anscheinend zielt man aber auf eine aussergerichtliche Einigung ab (Artikel raus, eventuell Schadenersatz).

    Ich tendiere im Moment eher dem New Yorker Glauben zu schenken, aber wissen tu ich natürlich gar nüscht.

    Im Artikel kommt übrigens schon raus, dass Diamond mit dem Fahrer diskutiert. Er mischt aber dann blosse Wiedererzählung mit Bericht. Wenn es dich interessiert, kann ich dir den Artikel per Mail zukommen lassen, ich glaube ich hab den noch irgendwo rumliegen.

  8. #8 Jürgen Schönstein
    April 25, 2009

    Hoppla! Ich merke jetzt erst, dass der Link zum Stinkejournalismus in meinem obigen Kommentar nicht funktionieren kann, weil ich ihn falsch eingegeben habe: https://www.stinkyjournalism.org muss er heißen. Und auf dieser Website ist dann auch nachzulesen, dass die “Kläger” ein “summons” abgeschickt haben – das ist keine Klageschrift, sondern in der Tat ein Abmahnbrief. Und dass das Verfahren von Rhonda Shearer – wie ich inzwischen gelesen habe, ist sie die Witwe von Stephen Jay Gould – angestiftet wurde, steht wohl außer Frage (ein ganz guter Blogeintrag dazu findet sich hier:
    https://savageminds.org/2009/04/22/vengeance-is-hers-rhonda-shearer-on-jared-diamonds-factual-collapse/)
    @ali
    Nichts von dem, was ich hier schreibe, ist übrigens als eine Kritik an Deinem Blogposting zu verstehen – ich geb’ nur als jemand, der stellenweise ein paar Millimeter näher an der Sache dran ist, meinen Senf dazu. Dass diese “Klageschrift” (auf der stinkyjournalism-Website verlinkt – auch dieser Link hat oben irgendwie nicht funktioniert, aber man findet ihn dort schnell) eben nicht wie all jene Klageschriften aussah, die ich mir im Lauf meines Journalistenlebens anschauen musste, hat mich gleich stutzig gemacht. Ich glaube, hier geht es gar nicht ums Geld, sondern da wird offenbar eine ältere Fehde zwischen Frau Shearer und Jared Diamond (der ja ebenfalls Evolutionsbiologe ist – ob es hier eine alte Geschichte zwischen Gould und Diamond gab, wissen vielleicht die Biologie-Experten unter den Scienceblogs-Lesern?) ausgetragen.

  9. #9 ali
    April 25, 2009

    Habs auch gar nicht als Kritik aufgefasst (und selbst wenn ich hätte…).

    Ich war mir nur nicht sicher ob ich meine Gedanken klar rübergebracht habe.

    Ich finde die Geschichte und deine Spekulationen übrigens sehr interessant.

  10. #10 Maurifan
    August 9, 2010

    Sehr interessant! Würde mich auch interessieren, wie der Stamm davon Wind bekommen hat.

    Gruß, Karl

  11. #11 Maurifan
    August 9, 2010

    Sehr interessant! Würde mich auch interessieren, wie der Stamm davon Wind bekommen hat.

    Gruß, Karl