Doktor weg, Brille weg – was sind die Insignien des wahren Akademikers?

i-24624bfe0d9cf0c2a54f2092755b8f7a-ripley.jpgi-b29c043bce3b71a3a93d403d5c525b66-postel-235x256.jpgi-9e1aac07e4531ba04d0fbcc53d34efbb-0,1020,127779,00.jpgi-73b53cc176b190640765d5b9b5fd0856-guttenberg_DW_Baye_1329714p.jpg

Eine der bekannteren Figuren des DDR-Kinderfernsehens war “Frau Doktor Pille mit der großen runden Brille”. Ursprünglich hieß sie “Frau Doktor Pille mit der großen klugen Brille”, doch nach Protesten empörter Eltern änderte man den Titel: schließlich könne eine Brille nicht klug sein, nur rund.

Trotz aller Proteste – nach wie vor und immer wieder gilt die Brille als Beleg für Klugheit. Auch unser ehemals oberster Feldherr legte sich, wenn man Berichten in FAZ und Spiegel Glauben schenken mag, seine Brille erst zu, als er um 2002 damit begann, seine Dokorarbeit zusammenzuschreiben – und er entließ die Brille, nachdem er seinen Doktor(titel) entlassen hatte, denn er brauchte sie ja nun nicht mehr.

Man kann das ja alles sehr lustig finden. (Salvino degli Armati fällt einem ein, der 236 Jahre lang als Erfinder der Brille galt, bevor 1920 bekannt wurde, daß er selbst eine Erfindung ist.) Aber jedenfalls bin ich in letzter Zeit auch öfter mal gefragt worden, ob ich eigentlich Kontaktlinsen trüge – Akademiker ohne Brille scheinen nicht mehr ins Bild zu passen.

Wie ist das also: gibt es eine wissenschaftlich belegbare Korrelation zwischen Brille und akademischem Grad? Material für empirische Untersuchungen darüber gäbe es durchaus – das Mathematische Forschungsinstitut Oberwolfach zum Beispiel hat eine mehr als 50 Jahre zurückreichende Sammlung von Mathematikerfotos. Und wie man hört soll Felicitas Krull beim Sonderforschungsbereich “Philosophie und Geschichte der Mathematik” bereits an einer Dissertation zum Thema “Mathematisches Sehen und Ästhetische Wahrnehmung? – Brille kontra Klarsicht.” arbeiten (betreut von Prof.Schimmelpreester im Projekt B3 Ethik und Ästhetik, übrigens Brillenträger) ….

Während die Korrelation zwischen Brille und akademischem Grad also noch einer empirischen Analyse harrt, wurde der Zusammenhang zwischen Brille und Außenwirkung durchaus schon untersucht, zuerst wohl 1943 bei Thornton und auch später immer wieder mal:

Die Intelligenz von Brillenträgern wird bei Vorlage ihrer Fotos zu hoch eingeschätzt. In einer Studie von Manz und Lueck bewerteten 36 Studenten der Sozialpsychologie Passfotos von Männern, die entweder eine Brille trugen oder keine Brille trugen. Brillenträger wurden signifikant höher bewertet bezüglich Intelligenz, Fleiß, Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit in Geldangelegenheiten. Keine Differenz gab es bezüglich der eingeschätzten Freundlichkeit. Hinsichtlich des Humors wurden die Brillenträger signifikant niedriger eingestuft als die Männer ohne Brille. Diese Ergebnisse bestätigen frühere amerikanische Untersuchungen.

In einer Studie von Boshier schätzten 18 kanadische Studenten (12w, 6m) anhand von 8 Bildern (3 Frauen, 5 Männer, Durchschnittsalter 35 Jahre) die Intelligenz der Zielpersonen, wobei diese einmal eine Brille trugen und einmal nicht. Die Bilder wurden jeweils 5 Sekunden lang präsentiert. Die Versuchspersonen schätzten in 7 der 8 Fälle die Intelligenz der präsentierten Zielpersonen höher ein, wenn diese eine Brille trugen. In vier Fällen waren die Differenzen signifikant (p<.05).

In der Studie von Argyle und McHenry schätzten insgesamt 30 angehende britische Lehrer die Intelligenz von vier Frauen. Zwei Frauen (jeweils einmal mit und einmal ohne Brille) wurden still sitzend 15 Sekunden lang in einem Videofilm präsentiert, zwei weitere Frauen (jeweils einmal mit und einmal ohne Brille) wurden im Film fünf Minuten lang interviewt. Bei der kurzen Präsentation wurden die Frauen, wenn sie eine Brille trugen, um rund zwölf Punkte in ihrer Intelligenz höher eingeschätzt als bei ihrer Präsentation ohne Brille. Dieser Effekt trat bei der fünfminütigen Präsentation nicht auf. Man kann demnach annehmen, daß der Brilleneffekt bezüglich der Intelligenz nur bei kurz betrachteten Fotos, also evtl. bei der Vorauswahl, nicht aber bei einem längeren Kontakt im Vorstellungsgespräch auftritt.

Quelle

Kommentare (25)

  1. #1 Mark
    28. November 2011

    Interessante Sache. Was ich mich beim Brillenthema auch immer wieder frage ist folgendes: Heutzutage tritt Fehlsichtigkeit oft ja schon in jungen Jahren in Erscheinung. Wie war das denn früher? Gab es das dort auch schon in dem “Ausmaß”? Es hatte dann ja auch nicht jeder Zugang zu Brillen oder ähnlichem. Ich meine, war das nicht ein eklatanter Nachteil, wenn man bspw. mit 20 schon stark fehlsichtig war?

  2. #2 Stefan W.
    28. November 2011

    Wie war das denn früher?

    Ja früher, in den 90ern, war das noch ein hartes Brot mit den Brillen.

  3. #3 Georg Hoffmann
    28. November 2011

    Es gibt doch diesen Zusammenhang von mathematischer Hochbegabung und Kurzsichtigkeit.

    Benbow’s interpretation is open to debate, but there is clearly a high incidence of left-handedness, allergies and myopia among mathematically and verbally talented children says Robert N. Sawyer, director of a program at duke University in Durham, N.C.

    https://findarticles.com/p/articles/mi_m1200/is_v127/ai_3743623/

    Ich war immer stolz auf meine -5 Dioptrin und meine Pfirsichhaut-Allergie. Bin allerdings auch Rechtshaender.

  4. #4 MartinB
    28. November 2011

    @Georg
    -5 dioptrien? Als ich die hatte, war ich ja quasi noch Adlerauge…

    Aber es gibt ja eine – anekdotische – einfache Erklärung für mehr Brillenträger unter Akademikern: Kurzsichtige Kinder sind beim Sport massiv gehandicapt, wenn die Fehlsichtigkeit nicht bemerkt wird, und immer noch leicht gehandicapt, wenn sie eine Brille tragen, weil sie mehr darauf aufpassen. Das könnte eine Verlagerung der Interessen bewirken. Wie gesagt, nur anekdotische Küchenpsychologie ohne echte jede Datenbasis.

  5. #5 Nele
    28. November 2011

    @MartinB
    Woah! Der war jetzt aber aus der Hüfte geschossen – Donnerknispel! 🙂 Über die Implikationen darf man ja gar nicht nachzudenken anfangen.

  6. #6 weit-sicht
    28. November 2011

    man ?! mann ?! auweija

    analog hier z.b.
    https://twitpic.com/40w9ai

  7. #7 ali
    28. November 2011

    Nochmals eine These aus dem Ohrensessel: Wer vor allem lesen muss, dem fallen auch eher kleinere Sehschwächen auf. Zumindest früher als Alphabetismus bei uns noch nicht Allgemeingut war (also Ante-90er @Stefan W.!) hatten Akademiker wohl auch eher eine Brille (wie wohl auch kleinere Gruppen wie Buchhalter oder Sekretäre). Das reicht doch für ein Klischee und anschliessender Bestätigung durch Confirmation-Bias.

    Aber die Erklärung warum Guttenberg die Brille abgelegt hat finde ich interessant. Ich hatte schon über die Absichten des neuen Images gerätselt. Bisher schien es mir vor allem auf Privatmann/Zivil hinzudeuten (keine Krawatte, Kragenknopf offen, weniger streng gegelt, etc.). Signal wäre: Ich habe mich vorerst zurückgezogen, denke nach (darum auch Think Tank, erster Auftritt an Konferenz mit akademischem Anspruch, etc), durchlaufe eine Zeit der Läuterung und werde milder und weiser. Die Akademiker-sind-Brillenträger Verbindung habe ich nie gemacht. Passt aber gut.

    Ich hatte immer relative gute Augen. Jetzt habe ich das Gefühl, ich müsste mich dafür rechtfertigen (ich habe Allergien, mehrere!). Gelten Zahnspangen zumindest für die Nerd-Creds?

  8. #8 Muddi & theBlowfish
    28. November 2011

    ….gab das nicht auch mal das Märchen, dass man vom vielen Lesen “schlechte Augen” bekommt resp. kurzsichtig wird_ Also: der/die hat schon als Kind viel gelesen,weil der/die eine Brille trägt und wer viel liest ist auch automatisch klüger.
    Es wird ja inzwischen sogar schon von Image-beratern angeraten, sich eine Brille zuzulegen…
    @ali: Leg Dir einen lustigen Fantasie Singsang Akzent zu und trag Karohemden, Rautenpullis oder farblich unangenehm auffallende Strickpullis,, dann passt das schon.
    Auch ohne Brille…

  9. #9 KommentarAbo
    28. November 2011

  10. #10 Georg Hoffmann
    28. November 2011

    Vielleicht noch zwei wichtige Anmerkungen. 1) Ich habe mich gerade nach langer Ueberlegung und alleine (!) zu einer neuen Brille durchgerungen. Wirklich viel Ueberlegung jetzt, zumindest fuer jemand der fuer Klamottenaussuchen pro Jahr nicht bereit ist mehr als 20 Minuten zu investieren. Gestern kam ich dann stolz nach Hause mit dem neuen Modell und meine Frau meinte nur beilaeufig: Sieht genau so aus wie die Alte. Sigh. 2) Sehr Schoener Artikel mit wertvollen Links und sehr schoener Collage.

  11. #11 Sigmund
    28. November 2011

    Was ich an der Brillen-Geschichte einfach nicht verstehe ist:
    “Es bedurfte einer reizenden indischen Ärztin”.
    Warum eine reizende Inderin. Hätte die Diagnose ein schwedisches Trampel gestellt, würde er das Nasenfahrrad noch tragen oder wie?

    Und überhaupt, warum merkt er es nicht selbst? Wenn ich meine Brille abnehme (und ich habe nur -3), merke ich den Unterschied sofort? Aber er merkt ja auch viele andere Dinge nicht….

    P.S. Schön finde ich auch die Art der Fehlsicht: links kurzsichtig und rechts weitsichtig. Das ist ja beim Verfassungsschutz genau umgekehrt…

  12. #12 ali
    29. November 2011

    @Muddi & theBlowfish

    Fantasie Singsang Akzent

    Mit meinem muttersprachlichen Allemanisch musst du dir um den Singsang mal keine Sorgen machen. Singsang wurde mir in die Wiege gelegt. Ich habe mir aber sagen lassen, dass Schweizer ch-Kratzen, a-dehnen und r-rollen in Deutschland nicht unbedingt gebildet wirken.

  13. #13 Jeeves
    29. November 2011

    Das Foto oben links würde auch etwas mehr wissenschaftliche Würde ausstrahlen, trüge Herr Kuessner nicht dieses armeefarbene, leicht verwaschene (?) Unterhemd, sondern eine Brille (aber bloß keine Sonnenbrille auf die Haare geschoben), dazu einen “klassisch-modischen” Anzug, weißes Hemd mit dezentem Schlips und dazu auch noch ‘ne Weste. Auch dies Grinsen sollte er vermeiden. Dazu noch: Kinn hoch, dass verschwindet das zweite.

    Dann kann er der neue Gutti werden. Doch … wer will das schon?

  14. #14 mattiscb
    29. November 2011

    Felicitas Krull??? darf ich an dem Namen oder der Exisitenz dieser Person mal vorsichtig zweifeln? https://de.wikipedia.org/wiki/Bekenntnisse_des_Hochstaplers_Felix_Krull

    Eben ist noch die Rede von einer historischen Hochstapelei und nur wenige Zeilen später die Frau Krull.

    Vielleicht hat sie auch nur sehr humorvolle Eltern.

  15. #15 rolak
    29. November 2011

    Herzlichen Glückwunsch, mattiscb! Der Name des Institutes ist selbstverständlich auch erfunden, heißt in Wahrheit “B4 ethics and after aesthetics”.

    Selbst der Titel des posts ist nicht weitgehend genug: Bei mir kam bisher aufgrund der Glasbausteine schon des öfteren ‘Professor’ als extern zugewiesener nick, aber noch nie ‘Doktor’…

  16. #16 Stefan W.
    30. November 2011

    Früher haben die Kassen die Brille gezahlt. Ich habe mit Brille Fußball gespielt, und natürlich hat man keine Zeit vor dem Kopfball die Brille auszuziehen.

    Meist kommt man aber mit der passenden Stelle der Stirne an den Ball, so dass ich nur etwa 1x im Jahr eine neue Brille brauchte.

    Verpaßt bekam ich die Brille mit 5, als auffiel, wie oft ich über Steine stolper, aber dann war ich doch weitsichtig. Mit 18 entdeckte dann ein Optiker, dass sich mein Auge verbessert hätte, und ich brauchte keine Brille mehr. Mit 23, als ich das BGB im Studium lesen musste mit der winzigen Schrift, brauchte ich dann wieder eine Brille, und die Brillen lassen auch im Laufe der Jahre nach, so dass ich alle 10 Jahre jetzt, auch ohne Fußball, eine neue brauch – vom vielen Sehen nutzen sich die irgendwie ab. 8)

  17. #17 ZielWasserVermeider
    30. November 2011

    Noch ‘n Einwurf

    So weit ich mich erinnere wurden die meisten Wissenschaftler und Intelektüllen früher zumeist nur in ihren Herbstjahren fotografisch abgebildet.

    Wenn man ein bestimmtes Alter erreicht, ist die Wahrscheinlichkeit einen altersbedingten Sehfehler zu haben, der durch eine Sehhilfe kompensiert wird nicht gerade klein. Und bei einer Zunft, wo das Lesen zur Pflicht gehört, ist dann eine Brille ein notwendiges Werkzeug.

    Da wird sich, so meine Vermutung, das Bild bei den Menschen eingeprägt haben, daß jemand mit einer Brille, klüger ist als der Durchschnitt.

    Das wird aber wohl in den nächsten Generationen verschwinden, da durch die Fortschritte in der (Augen)Medizin die Notwendigkeit eine Brille zu tragen immer mehr schwinden wird.

    Gruß
    Oli

  18. #18 WolfgangK
    13. Dezember 2011

    Prof. Christian Spannagel von der PH Heidelberg hat in einer der von mir sehr geschätzten offenen Video-Vorlesungen (gleich am Anfang) nach dem typischen Mathematiker-Aussehen gefragt und Bilder zeichnen lassen. Es wurden anscheinend alle mit Brille gezeichnet. Fehlsichtigkeit und Wissenschaft scheint wohl auch heute noch in den Köpfen der Menschen immer noch tief verankert einher zu gehen…

  19. #19 Thilo
    13. Dezember 2011

    @ WolfgangK: Sehr lustig, das Video. Vor allem die vielen Fliegen.

  20. #20 Mister Spex
    25. Januar 2012

    Matt Damon steht die Brille einfach wunderbar. Da war er zwar noch etwas jünger, aber naja…

  21. #21 Olga
    27. Januar 2012

    der herr damon ist einfach dazu gemacht die brille zu tragen 😉

  22. #22 Thilo
    27. Januar 2012

    Zu Tom Ripley paßt sie noch viel besser.

  23. #25 Rudolf Charvat
    14. November 2020