Heute stellt der “Bittere Pillen”-Autor Hans Weiss sein neues Buch “Korrupte Medizin” vor, in dem er zeigt, wie bereitwillig sich Ärzte von Pharmafirmen bezahlen und einspannen lassen. Wie sie sich dafür rechtfertigen, habe ich kürzlich selbst am Beispiel der österreichischen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (ÖGAM) erfahren.

“Wie korrupt sind Ärzte?”, fragt das Nachrichtenmagazin profil auf seiner Titelseite und beschreibt den Wallraff-Ansatz des neuen Buches:

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Weiss hatte ungewöhnliche Methoden gewählt, um an brisante Informationen zu kommen. Er absolvierte eine sechsmonatige Ausbildung zum Pharmavertreter und gründete auf dem Papier eine Beratungsfirma für die Arzneimittelindustrie, um sich eine neue Identität zu verschaffen. Mal trat er als Arzt auf, mal als Pharma-Consultant oder als Export-Import-Händler und verwendete außer seinem Autoren- auch seinen Geburtsnamen Johann Alois Weiss, das Pseudonym Peter Merten sowie den erfundenen Firmennamen „Solutions – Pharma-Consulting”.

Weiss zeigte, wie einfach es ist, nahezu jeden Arzt in Kampagnen einzuspannen, die auf die eine oder andere Weise der Promotion von Medikamenten dienen. Zahlreiche Spitzenmediziner ließen sich problemlos bestechen. Große Beraterfirmen sammeln Daten über Ärzte und verkaufen sie Pharma-Konzernen. Die teilen Ärzte in Verschreibungsklassen ein und starten ihr aggressives Marketing, schreibt Hans Weiss. “Jeder Arzt wird von der Firma danach beurteilt, nützt mir der was, wie viel bringt er mir, wenn ich den einkaufe. Ein Drittel aller niedergelassenen Ärzte in Deutschland liefert genaueste Auskünfte über sich selber und liefern damit der Pharmabranche selber den Strick, an dem sie dann wie Marionetten baumeln”, erklärte er im ORF-Morgenjournal.

Die Komplizenschaft zwischen Pharma-Industrie und Ärzten bezahlen die Patienten, führt Hans Weiss aus. Denn, so seine Kritik, Medikamente seien viel zu teuer, die Wirkstoffe kosten einen Bruchteil des Verkaufspreises. “Die 2,6 Milliarden Euro, die die Krankenkassen in Österreich für Medikamente ausgeben, sind in Wirklichkeit nur rund 50 Millionen Euro wert.”

Ein konkretes Beispiel, wie diese “Kooperation” zwischen Ärzten und Industrie in der Praxis abläuft, haben Kurt Langbein und ich in der TV-Sendung “Report Spezial” dokumentiert, die vor zwei Wochen im ORF ausgestrahlt wurde.
Wir drehten dazu am Internisten-Kongress in Graz, wo u. a. heftig für den umstrittenen Cholesterinsenker Inegy geworben wurde. Dazu lag am Firmenstand ein Stapel mit Konsensus Berichten der Österreichischen Gesellschaft für Allgemeinmedizin auf, in der ein Überblick zur Evidenz-basierten Prävention, Diagnostik und Therapie der chronisch koronaren Herzkrankheit gegeben wurde.
ÖGAM-Vorsitzender Erwin Rebhandl beschreibt in einer Kolumne der Zeitschrift “periskop” den Zweck solcher Konsensus-Statements so:

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Das Konsensus-Statement der ÖGAM versteht sich als wissenschaftliche Publikation und stellt einen praxisorientierten Leitfaden dar, der dem Allgemeinmediziner in präziser und klar strukturierter Form als Orientierungshilfe dienen soll, um die Patientenbetreuung zu optimieren und auch die Kooperation und Kommunikation mit den Spezialisten weiter zu verbessern.

Ob das im März 2008 veröffentlichte KHK Papier dazu dient, die Patientenbetreuung zu optimieren, ist zweifelhaft. Denn in erster Linie dient es dazu, den praktischen Ärzten die Verschreibung des Wirkstoffes Ezetimib (enthalten in Inegy) schmackhaft zu machen. Ganze 25 Mal wird der vom US-Konzern Schering-Plough entwickelte Cholesterinsenker im ÖGAM-Bericht erwähnt. Dreimal sogar falsch geschrieben (“Ezitimib”). Und die Botschaft ist klar: Sobald es nicht gelingt, den angestrebten niedrigen LDL-Wert mit der Verschreibung von Statinen zu erreichen, sollte sofort das Statin-Ezetimib Kombi-Präparat Inegy eingesetzt werden.

“Wir können diese Papiere nur dann produzieren, wenn wir finanzielle Unterstützung von der Industrie haben”, erklärte dazu ÖGAM-Chef Erwin Rebhandl im Report-Spezial. “Wir versuchen, wo es geht, mehrere Firmen als Sponsoren zu gewinnen, um eben das zu vermeiden, dass ein Produkt zu stark gepusht wird.”

Beim KHK Papier scheint diese Ausgewogenheit etwas gelitten zu haben. Wohl deshalb weil es sich bei den beiden Sponsoren um die Hersteller von Inegy, Schering-Plough und MSD handelte.

“Es ist sicher nicht optimal, dass es nur einen einzigen Sponsor gegeben hat”, gibt sich Rebhandl zerknirscht. “Aber wenn wir nur einen finden, müssen wir schauen, dass wir das trotzdem umsetzen können.”

Was eigentlich genau umsetzen?

Erraten: Es geht um das Image der ÖGAM. Ein Gegengeschäft: Hier ein wenig Pharmawerbung, dafür kann die ÖGAM ihren Mitgliedern gegenüber den Eindruck vermitteln, dass es sich dabei um eine hoch aktive, öffentlich präsente Ärztevereinigung handelt, bei der es sich lohnt Mitgliedsbeitrag zu bezahlen.

Die PR-Vertretung der ÖGAM erfolgt seit vielen Jahren über die Agentur Welldone, bzw. von “peri-consulting”. Zwei Firmen, die in der berühmten Lazarettgasse 19 in Wien logieren und an denen Peter Riedl maßgeblich beteiligt ist. Näheres zu diesem wohl umtriebigsten Pharma-Lobbyisten Österreichs und seinen diversen Firmen findet sich hier oder hier. Erst kürzlich gelang “peri” das Kunststück, eine Kampagne zu fahren, in der sich die Spitzen der Kassen bereitwillig selbst ins Knie schießen.

Im selben Haus befindet sich weiters die Firma “Update Europe”, die sich auf Ärztefortbildung konzentriert. Auch sie gehört den Welldone Besitzern. Auf der Website der ÖGAM wird für die Ärzte-Krone geworben: „ÖGAM-News finden Sie in der Ärzte-Krone”. Auch an diesem Verlag ist der Welldone Geschäftsführer mit 20% beteiligt. 10% hält der Leiter des Gesundheitsressorts der Kronen Zeitung Dr. Wolfgang Exel.
Die Ärzte vertreten aber auch gleich die Patienten mit. „Der Österreichische Patient” heißt eine Initiative der ÖGAM, die ebenfalls in der Lazarettgasse logiert.

Die Vertreter von Welldone bieten die Leistungen der ÖGAM offensiv den Pharmafirmen an. Uns liegt dazu eine Preisliste vor.
Ein “Pharma-Scan” oder “Newsletter” (wird auch auf der ÖGAM-Homepage veröffentlicht) kommt laut Liste auf 10.500 Euro. (exkl. Honorar für Experten) Konsensus-Berichte kosten 20.300 Euro (nur schriftliche Aktualisierung, Modifikation). Wenn ein Meeting vorgesehen ist, steigt der Preis auf 22.450 (excl. Honorare, Spesen der Teilnehmer, Chair, Unterkunft, Catering, Technik).

Die Preise stammen von 2005 und sind seither möglicherweise angehoben worden. ÖGAM-Vorsitzender Erwin Rebhandl betont, dass das Geld jedoch nicht von seiner Gesellschaft kassiert wird, sondern bei “unserer Agentur” bleibt. Schließlich müsse diese ja auch viel Hintergrund-Arbeit leisten. Update Europe, besorge etwa die Literaturrecherchen.

Dabei werden aber scheinbar Rückschläge für das zu bewerbende Medikament nobel zurückgehalten. Bei Erscheinen des ÖGAM-Papiers war beispielsweise seit zwei Monaten die Ergebnisse der ENHANCE-Studie bekannt. Sie sollte eigentlich zeigen, dass Ezetimb das Wachstum der Gefässablagerungen (Plaque) reduzieren kann. Stattdessen wuchsen die Ablagerungen bei Patienten, die Ezetimb zusammen mit Simvastatin als Cholesterinsenker erhalten hatten, sogar stärker als in der Kontrollgruppe mit Simvastatin allein.
Schließlich mussten auf Aufforderung der FDA Depressionen als weitere mögliche Nebenwirkung in den Beipackzettel dieser Medikamente aufgenommen werden. Im Sommer kamen erste Gerüchte auf, dass Inegy weitere schwere Nebenwirkungen hat. Sie hatten ihren Ursprung in Zwischenauswertungen der SEAS-Studie, die dann Anfang September veröffentlich wurde. Seither wird diskutiert, ob Ingey möglicherweise das Krebsrisiko erhöht.

Das ÖGAM Papier ist vollständig frei von derlei unangenehmen Nachrichten.
Rebhandl rechtfertigt das so: “Ein Papier kann immer nur den Stand bei Fertigstellung sozusagen repräsentieren. Manchmal passierts, dass das eben sehr knapp zusammen kommt und eine Information, die rauskommt, nicht mehr hineingegeben werden konnte, weil der Herstellungsprozess schon im laufen war.”

Auf die Idee, dazu einen Newsletter herauszubringen und auf diese beunruhigende Entwicklung hinzuweisen, kam die ÖGAM ebenso wenig, wie einen simplen Hinweis auf der eigenen Homepage zu posten.
Möglicherweise fanden sich dafür keine Sponsoren.