Ich geb’s gleich im Vorfeld zu: Von Literaturwissenschaft habe ich nicht so viel Ahnung (abgesehen von zwei Seminaren bei den Anglisten, damals, als ich noch jung war (kurz nach Ende der letzten Eiszeit)). Was Literaturwissenschaftler genau treiben, weiß ich nicht – aber anscheinend haben sie zum einen ein eigenwilliges Verständnis von Vorlesungen und ansonsten eine Vorliebe dafür, Trivialitäten toll zu verpacken oder auch Leute zu zitieren, die das tun.


Dies jedenfalls entnehme ich dem Leitartikel der Zeitschrift “Forschung und Lehre” des DHV. In der aktuellen Ausgabe schreibt Friedmar Apel, Universitätsprofessor für Literaturwissenschaft, über den Wert von Vorlesungen gegenüber schriftlichen Veröffentlichungen. Und da lesen wir wirklich Erstaunliches.

Ich beschränke mich auf den letzten Absatz, denn der führte dazu, dass ich heute schallend lachend in meinem Büro saß. Dort lesen wir

Vorlesungen könnten eine Funktion erfüllen, die Odo Marquard in einer allgemeinen “Kunstregel” formuliert hat: “Informationskomplexität wird reduziert durch Rekurs auf Mündlichkeit.”

Das muss man erst mal sacken lassen. Informationskomplexität wird also reduziert. Hmm, was heißt denn das? Wenn man Komplexität reduziert, dann wird sie weniger – die Information wird also weniger komplex. Sozusagen “einfacher”.

Und wie passiert das? Durch “Rekurs auf Mündlichkeit”. “Mündlichkeit” heißt, dass gesprochen wird, nicht geschrieben. Und “Rekurs” – nun ja, soviel wie “Zurückgehen” oder vielleicht in diesem Zusammenhang besser “Zurückgreifen”.

Erste Übersetzung: “Durch Zurückgreifen aufs Sprechen werden Informationen einfacher.” Wow. Wer hätte das gedacht? Gesprochene Sprache ist meist einfacher formuliert als Schriftsprache! Schon eine umwerfende Erkenntnis – für die man sich deswegen auch besser Unterstützung in Form einer Autorität (obwohl ich ja ehrlich zugebe, Odo Marquardt nicht zu kennen) holt; nicht, dass noch jemand denkt, diese bahnbrechende Neuigkeit hätte sich Prof. Apel ganz allein ausgedacht.

Beim nochmaligen Lesen macht mich dann die Einleitung des Satzes stutzig: “Vorlesungen könnten” diese Funktion erfüllen? Heißt das, sie tun das gar nicht? Wird in literaturwissenschaftlichen Vorlesungen der Rekurs aufs Mündliche nur insofern realisiert, als dass im Vorfeld fixierte Verbalkonstrukte mündlich reproduziert werden?1 Lesen Literaturprofs ihre Vorlesungen wirklich vor? Und jetzt, im 21. Jahrhundert, merkt einer, dass das vielleicht das Verstehen schwieriger macht, als wenn man frei sprechen würde?

1

Macht irgendwie Spaß, solche Sätze zu schreiben, da kommt man sich ein bisschen vor wie Sir Humphrey Appleby, mit seinem unsterblichen Satz: “The identity of the official whose alleged responsibility for this hypothetical oversight has been the subject of recent discussion is not shrouded in quite such impenetrable obscurity as certain previous disclosures may have led you to assume, but, not to put too fine a point on it, the individual in question is, it may surprise you to learn, one whom your present interlocutor is in the habit of defining by means of the perpendicular pronoun. ”

Möglicherweise ist das so, denn wir lesen weiter:

In literaturwissenschaftlichen Vorlesungen sollten dann nicht Aufsätze abgelesen werden, sondern Auslegungen performativ vorgetragen und besprochen werden…

Ich bin etwas baff. Dass man Vorträge möglichst nicht abliest, ist doch so ungefähr “Rhetorik 101” – bei Politikern sehe ich’s ja noch ein bisschen ein, die schreiben ihre Rede nicht selbst und bei denen wird auch jede falsche Formulierung gleich auf die Goldwaage gelegt. Aber in einer Vorlesung? Mit Studis, die man für ein Thema begeistern will? Aber bitte nicht einfach erzählen – nein, da muss man schon “performativ vortragen”. (Und dank Wikipedia lerne ich gerade, dass eine Sprechhandlung “performativ” ist, wenn sie ausgeführt oder konkretisiert wird. Bei weiterem Lesen des Artikels muss ich aber zugeben, das ich mir nicht recht vorstelen kann, wie man eine literaturwissenschaftliche Vorlesung “performativ” vorträgt – wie trage ich denn eine Auslegung so vor, dass ich beim Vortragen das Gesagte gleich konkretisiere?)

Aber der Artikel bietet noch weitere geradezu unglaubliche Erkenntnisse, die der Reduktion der Informationskomplexität in Nichts nachstehen. Ich zitiere das Ende des Meisterwerks:

Mündliche Darlegungen von Forschungsergebnissen zu Shakespeare, Goethe oder Flaubert in einer zugewandten Sprache dienten schließlich im Sinne Marquardts auch der “Kompensation von Vertrautheitsdefiziten” in der beschleunigten Bologna-Welt.

Auch hier erstmal der Blick auf das Zitat: “Kompensation von Vertrautheitsdefiziten”. Hmmm – “Vertrautheitsdefizit”, da mangelt es also an Vertrautheit, beispielsweise mit Shakespeare. Und das wird “kompensiert”. Mit anderen Worten, es wird etwas (Trommelwirbel bitte) “gelernt”! Und zwar durch “mündliche Darlegung… in zugewandter Sprache.” Sapperlot. Wenn ich in einer Vorlesung so rede, dass mich jemand versteht, dann könnte der etwas lernen. Das ist ja geradezu unglaublich.

Und gerade in der “beschleunigten Bologna-Welt” (ein Seitenhieb gegen die ist in jeder DHV-Veröffentlichung Pflicht) wäre das natürlich wichtig. Wahrscheinlich deshalb, weil all die beschleunigten Bologna-Studis keine Lust haben, Wortkonstrukte wie “Informationskomplexität wird reduziert durch Rekurs auf Mündlichkeit” zu analysieren um zu sehen, dass dahinter absolute Trivialitäten stehen.

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Kommentare (81)

  1. #1 JK
    3. April 2012

    So kurz nach dem 1. April fällt es schwer, sich mit so etwas wieder ernsthaft zu beschäftigen. Offensichtlich gilt in manchen Milieus auch folgender Satz: “Informationsbanalität wird potenziert durch Rekurs auf das angestrengt Geschriebene.”

  2. #2 Theres
    3. April 2012

    Der Ursprungsartikel hätte auch sehr gut zum ersten April gepasst – die Metaebene eines Aprilscherzes, sozusagen … Aber göttlich, einfach genial, diese Zusammenfassung des so umwerfend wichtigen Gedankenguts *verneig* 🙂

  3. #3 Roland
    4. April 2012

    Vielleicht geht es um Vorlesungen mit exotentypisch geringen Hörerzahlen? Wo man als Prof eben nicht “liest”, sondern mit den Anwesenden spricht, auf Fragen eingeht?
    Vorlesung ist nicht gleich Vorlesung – die Massenfachvorlesungen in Physik und Chemie habe ich schnell fallengelassen und mir lieber Bücher “reingezogen” (spart frühes Aufstehen, lange Bahnfahrt und dann doch einen Sitzplatz an der Tür, wo man kaum was hört) – in Geologie, Geophysik, Hydrologie und ähnlichen Fächern mit überschaubaren Teilnehmerzahlen waren die Vorlesungen wunderbar, aktueller als es jedes Lehrbuch hätte sein können, auch lebendiger, weil man natürlich jederzeit Fragen stellen konnte, lebendiger, weil der Prof auch mal auf die Jahreszeit (z.B. aber nicht nur: Fasching) oder die Müdigkeit der Hörer/innen einging.
    In Massenfächern mag das natürlich anders sein. (Aber da kopiert man ja anscheinend auch gerne Texte in Diplom- und Doktorarbeiten, um den Prüfern merhfaches Lesen zu ersparen.)
    Wobei kleine Gruppen natürlich nicht vor wissenschaftlichem Betrug hindern – in Paläoanthropologie hab ich damals begeistert dem Protsch zugehört – er konnte begeistern – , der sich dann später bös in die Nesseln setzte.

  4. #4 MartinB
    4. April 2012

    @Roland
    Aber da steht ja, es sollen Aufsätze nicht “abgelesen” werden. Wer tut denn sowas in einer Vorlesung? Das habe ich auch bei Massenvorlesungen nie erlebt.

  5. #5 MK
    4. April 2012

    Eine Vorlesung ist in manchen Fachbereichen genau das: ein Text wird vorgelesen. Selbst erlebt z.B. bei Soziologiekongressen, wo sich junge Profs hinstellen und jetzt “mal wieder eine Vorlesung im klassischen Stil” halten.
    Schon während des Studiums hat mich das derart genervt, dass ich zum Popper-Fan wurde: “Wer’s nicht einfach und klar sagen kann, der soll schweigen und weiterarbeiten, bis er’s klar sagen kann”. Leider war damals Habermas allgemein populärer…

  6. #6 CM
    4. April 2012

    Habe gerade mal den zitieren Artikel angeschaut. Martin, Chapeau! Mir gelingt es nie solche Texte überhaupt zu lesen. Erst durch den Blog weiß ich wieder was ich verpasse! 😉

    Aber solche Vorlesungen kenne ich auch. Wir hatten einen Prof. der tatsächlich hin ging und in sauberster(!) Handschrift ein Buch, Kapitel für Kapitel, auf eine Endlosfolie abgeschrieben hat, während der Vorlesung projizierte und … vorgelesen hat! (Ok, das war ein eigentlich schon pensioniertes Urgestein, das noch mal aus der Versenkung geholt wurde – und die absolute Ausnahme, sonst wäre ich auch kaum bei der Stange geblieben.)

    Doch derlei Unwesen feierte fröhliche Urständ, als im Promotionskolleg Geistes- und Naturwissenschaftler zusammengewürfelt wurden. Ich erinnere mich an einen Buchwissenschaftlerprofessor, der die Promotionsordnungen in Ausschnitten vorgelesen hat zum Thema Publikation der Dissertation: Die Geisteswissenschaftler schrieben überwiegend mit, der Rest war überwiegend höflich genug sich nicht laut polternd durch die engen Sitzreihen zu quälen und kämpfte heroisch gegen das Schlafbedürfnis an (das Zeug steht a) im Internet und die Publikation der Diss gibt es b) für Naturwissenschaftler eh nicht in der Form, man bemüht sich halt um “Paper”).

    Oder der Pädagoge, der eine halbe Stunde lang das Ergebnis einer 10minütigen Gruppenarbeit, in diesem Promotionskolleg zu dem wir verdonnert wurden, vortrug, gefolgt von einem Jungen, der schüchtern kokettierte: “SO kann ich unser Ergebnis nicht vortragen.” Warum nicht? “Ich bin nur Naturwissenschaftler.” 😉

    Also: Zum Glück reicht das Erlebte bei mir nur zu mehr oder weniger guten Anekdoten. Aber Studis die das tagtäglich erdulden müssen tun mir echt leid. Ich bin mir nicht sicher, ob Generationswechsel, die alle Jahrzehnte mal wieder anstehen, wirklich Abhilfe schaffen …

    Gruß,
    Christian

  7. #7 Kasaba
    4. April 2012

    Zwar bin ich in meinem aktuellen Leben Informationswissenschaftlerin, habe aber einen M.A. in Germanistik und Politikwissenschaft, weshalb ich vielleicht aus meinem Erfahrungsschatz etwas zum Mysterium der literaturwissenschaftlichen Vorlesung beitragen kann. Zum Glück habe ich nie eine Vorlesung im wahrsten Wortsinn erlebt, aber durchaus sehr monotone, frontale Veranstaltungen. Ich vermute mal, das gibt es in allen Disziplinen. Was das Dilemma literaturwissenschaftlicher Vorlesungen ausmacht, hat meiner Meinung nach mit dem Kerngeschäft der Literaturwissenschaft zu tun: mit der Interpretation. Diese ist vor allem auf zwei Dinge angewiesen: (Lebens-)Erfahrung und Hintergrundwissen zum Autor, zum (geistes-)geschichtlichen Hintergrund und zu anderen Aspekten (z.B. kann das auch Technik, Biologie oder was auch immer sein). Meiner Erfahrung nach verfügen natürlich große, altgediente Professoren über ganz viel von diesem Wissen und können deshalb sehr wertvolle Einsichten in das Werk eines Schriftstellers geben. Aber wirklich durchdringen können die Studierenden die angebotenen Interpretationsmöglichkeiten nur, wenn sie sich das ganze Drumherum selbst erschließen. Auf eine Vorlesung angewendet würde das natürlich bedeuten, dass diese sehr diskursiv ablaufen muss. Solche Vorlesungen gibt es auch in der Literaturwissenschaft, und in diesen Veranstaltungen kommt es schon mal zu sehr beeindruckenden Aha-Effekten, die genau daraus resultieren, dass man durch die Äußerungen anderer zu eigenen Gedanken angeregt wird, von denen man gar nicht wusste, dass man sie hat. Viel häufiger passiert sowas natürlich in anderen Veranstaltungsformen, in Seminaren oder Übungen. Vorlesungen sind manchmal so riesig, dass ein konzentrierter Diskurs schwierig ist. Möglicherweise sind sie deshalb eher für literaturgeschichtliche oder literaturtheoretische Inhalte geeignet, als dafür, endlich mal Shakespeare zu verstehen.

  8. #8 Andrea N.D.
    4. April 2012

    @Martin B:
    Du zitierst einen Professor/Artikel und schließt daraus “haben sie” (die/alle Literaturwissenschaftler im Allgemeinen)? Reicht ein Professor/Artikel wirklich für das ganze “Bild”?
    Das Beispiel kann durchaus lächerlich gemacht werden, dafür gibt es viel her. Daraus aber allgemein auf die Disziplin (“haben sie”) zu schließen ist nicht nur nicht “fair” sondern unseriös.

  9. #9 MartinB
    4. April 2012

    @Andrea
    Warum du nach wie vor auf meinem Blog kommentierst, erschließt sich mir nicht, aber bitte sehr:
    Ein Professor allein reicht vielleicht nicht – dieser zitiert aber ja Weitere (die Dinge in Anführungszeichen sind sogenannte Zitate, die nicht vom Autor stammen, sondern von jemand anderem, darauf deutet auch die Tatsache hin, dass Prof. Apel Namen nennt, mit denen andere Personen gekennzeichnet werden und die mit diesen Zitaten verbunden sind, und es wird bei Anwendung verstehenden Lesens vielleicht deutlich, dass meine Polemik sich auch gegen diese Zitate wendet).
    Darüber hinaus argumentiert der Autor ja gegen eine gängige Praxis – das wiederum lässt sich aus der Verwendung des Konjunktivs schließen (“könnten”, “sollten”), der darauf hindeutet, dass zur Zeit literaturwissenschaftliche Vorlesungen allgemein nicht die Eigenschaft haben, die anschließend genannt werden, sondern diese Eigenschaft nur hypothetischerweise haben könnten.

  10. #10 Andrea N.D.
    4. April 2012

    @MartinB:
    “Was Literaturwissenschaftler genau treiben, weiß ich nicht – aber anscheinend haben sie zum einen ein eigenwilliges Verständnis von Vorlesungen und ansonsten eine Vorliebe dafür, Trivialitäten toll zu verpacken oder auch Leute zu zitieren, die das tun.”

    Eigentlich weißt Du es nicht so genau, aber “anscheinend” schon – und zwar alle Literaturwissenschaftler, nicht nur Professor Apel und die von ihm Zitierten. Und so richtig positiv würde ich “treiben” auch nicht interpretieren, sonst hättest Du ein anderes Verb gewählt. Ich habe bei Cornelius nachgelesen, wie Du normalerweise auf solche Behauptungen reagierst:

    „Übersetzung: “Du hast das Verbrechen zwar nicht begangen, aber ich traue es dir zu, deswegen bist du trotzdem schuldig.” Aus: „Die Kraft zum Bösen“, Juni 2011
    Heißt: Du unterstellst hier allen Literaturwissenschaftlern im Allgemeinen, dass sie sich so verhalten wie Prof. Apel („eigenwilliges Verständnis von Vorlesungen“ etc.). Dass diese “Schuld” nicht so einfach auf alle Literaturwissenschaftler ausgeweitet werden kann, darauf wollte ich hinweisen, mehr nicht.

  11. #11 MartinB
    4. April 2012

    @Andrea
    und deswegen schrieb ich ja auch im PS:
    “Falls ihr Literaturwissenschaftler seid und euch auf den Schlips getreten fühlt, seid ihr herzlich eingeladen, das Bild in den Kommentaren wieder geradezurücken”
    damit implizierend, dass mein Bild der Literaturwissenschaften, dass ich in dieser Polemik (wohlgemerkt, nicht wissenschaftlichen Abhandlung) zeichne, schief ist.

    Aber danke für’s mitspielen – oder auch nicht.

  12. #12 Andrea N.D.
    4. April 2012

    @MartinB.
    Ja klar, mir ging es aber um die (verborgene bzw. hier nicht dargestellte) Genese des Bildes und der Bezug auf den Einzelfall. Meines Erachtens impliziert der Artikel aber etwas ganz anderes: die Sinn- und oder Nutzlosigkeit von geisteswissenschaftlichen Disziplinen gegenüber naturwissenschaftlichen Disziplinen; und der Versuch, den Nutzen durch “Geschwurbel ” zu “beweisen” (im Falle Prof. Apels) bzw. auf Dich bezogen, das Lächerlichmachen des “Geschwurbels” und der Disziplin überhaupt. Aber das ist mir ein zu weites Feld – und in Zeiten der (angeblichen) Geldknappheit sind mir Investitionen in naturwissenschaftliche Forschung persönlich auch lieber.

  13. #13 MartinB
    4. April 2012

    “Meines Erachtens impliziert der Artikel aber etwas ganz anderes: die Sinn- und oder Nutzlosigkeit von geisteswissenschaftlichen Disziplinen gegenüber naturwissenschaftlichen Disziplinen”
    Um das aus dem Artikel angesichts der einschränkenden Einleitung (in der ja explizit steht, dass ich nicht weiß, was Literaturwissenschaftler genau tun) und Nachbemerkung herauslesen zu wollen, muss man sicher schon ein gewisses Talent zum Gezielt-Falsch-Verstehen mitbringen.

  14. #14 koi
    4. April 2012

    Aber dafür war doch diesmal das Zitat formal schon sehr gut
    SCNR
    Duck und wech

  15. #15 Andrea N.D.
    4. April 2012

    @Martin B:
    “Um das aus dem Artikel angesichts der einschränkenden Einleitung (in der ja explizit steht, dass ich nicht weiß, was Literaturwissenschaftler genau tun) und Nachbemerkung herauslesen zu wollen, muss man sicher schon ein gewisses Talent zum Gezielt-Falsch-Verstehen mitbringen.”

    Ich teile Deine Unterstellung mit einem angeblichenTalent des Gezielt-Falsch-Verstehens nicht. Du äußerst Dich abfällig (“treiben”) darüber, was die/alle Literaturwissenschaftler eigentlich so “treiben” (arbeiten? forschen? verfassen? lehren?). Und obwohl Du angeblich keine Ahnung hast, was sie so genau “treiben”, weißt Du doch sehr genau, was sie “anscheinend” alle so in Vorlesungen machen. Das Ganze relativierst Du dann noch alibimäßig in einem Minitext darunter: Es kann ja jeder jederzeit Dein “Bild” korrigieren – aber zunächst einmal ist es ein Bild, das Du – angeblich gewonnen aus den Äußerungen eines Professors und dessen Zitaten – hinstellst und verallgemeinerst.

    Habe ich das tatsächlich falsch verstanden, dass Du nicht alle/die Literaturwissenschaftler meintest? Warum schreibst Du es dann und scherst sie alle über den Kamm eines Professors? Woher weißt Du eigentlich, dass sie alle gleich agieren? Und wenn Deine Aussagen nicht implizieren, dass Du von Literaturwissenschaft im Allgemeinen (nicht nur von den Aussagen eines Professors) nichts hälst, warum verallgemeinerst Du dann?

    In jedem Thread, in dem Du irgendeine unzulässige Verallgemeinerung vermutest hast, warst Du nicht gerade geizig mit Deiner Kritik. Für Dich jedoch scheint dieses Prinzip nicht zu gelten – dann unterstellst Du den anderen lieber gezieltes falsch verstehen.

  16. #16 roel
    4. April 2012

    @Andrea N.D. “Du äußerst Dich abfällig (“treiben”) darüber, was die/alle Literaturwissenschaftler eigentlich so “treiben” (arbeiten? forschen? verfassen? lehren?).”

    Wo erkennen Sie, dass treiben abfällig gemeint ist?

    Das treiben in “Was Literaturwissenschaftler genau treiben, weiß ich nicht” ist doch offensichtlich, wie “(≈ betreiben) jmd. treibt etwas, machen, Sport treiben, ein Handwerk treiben, Was treibst du so?, Treibt es nicht zu toll!” gemeint (aus https://de.thefreedictionary.com/treiben Kommata vor und nach machen von mir eingefügt). Das ist nicht negativ belegt.

    Ausserdem wird der Beitrag durch die Polemik (“Eine kleine Polemik”), das anscheinend (“aber anscheinend haben sie”) und das PS doch relativiert.

    Sie stören sich doch auch nicht an der falschen Zeitangabe (“kurz nach Ende der letzten Eiszeit”), was denn nicht vor ca. 24 Jahren sondern vor ca. 11700 Jahren war. Obwohl, wenn ich mir das Bild so anschaue, ist das vielleicht doch nicht so lange her. Oder hatten Sie das überlesen?

  17. #17 Andrea N.D.
    5. April 2012

    @MartinB.
    Vielleicht hilft Dir ein Beispiel, um zu verdeutlichen, dass in einem anderen Kontext auch Du Deine Sätze anders interpretieren würdest.

    Was Priester genau treiben, weiß ich nicht – aber anscheinend haben sie zum einen ein eigenwilliges Verständnis von Kindererziehung,-betreuung und ansonsten eine Vorliebe dafür, mit nackten Kindern Zeit zu verbringen.

    “…es sei ihm nie in den Sinn gekommen, dass die Jungen leiden könnten.” (Hyptohese)

    https://www.focus.de/panorama/welt/prozess-in-braunschweig-priester-gesteht-hundertfachen-missbrauch_aid_702136.html

    Nachdem jetzt das abfällige Bild positioniert wurde, füge ich im kaum zu entziffernden PS noch an:
    Falls ihr Priester seid und euch auf den Schlips getreten fühlt, seid ihr herzlich eingeladen, das Bild in den Kommentaren wieder geradezurücken. Oder vielleicht mal in einem Gastbeitrag erklären, was Priester so treiben?

    Das Beispiel hinkt, wie jedes Beispiel, aber Deine Aussage analog verwendet, gibt ein ziemlich abfälliges Bild – und Du wärst der Erste, der sich darüber aufregen würde und dem Autor unterstellen würde, dass er etwas im Allgemeinen gegen Priester habe, wenn er solche Verallgemeinerungen vornehme.

    Anstatt Deinem pauschalen Rundumschlag gegen die Literaturwissenschaftler hättest Du schreiben können:
    “Was Literaturwissenschaftler genau für Inhalte lehren, Forschung betreiben, etc., weiß ich nicht – aber anscheinend haben EINIGE zum einen ein eigenwilliges Verständnis von Vorlesungen und ansonsten eine Vorliebe dafür, Trivialitäten toll zu verpacken oder auch Leute zu zitieren, die das tun.”

  18. #18 MartinB
    5. April 2012

    @AndreaND
    Lustig. Das problem mit deinem Priestersatz steckt ja wahrlich nicht in dem Wort “treiben”. Sollte ich mal Ratschläge im korrekten und wertneutralen Schreiben brauchen, werde ich mich bestimmt an dich wenden, denn dafür bist du ja hier auf den Scienceblogs bekannt (Achtung: Das war jetzt Polemik und Ironie).

    Übrigens kann dich ein bedienen der Suchmaschine davon überzeugen, dass ich das Wort ganz wertneutral zu benutzen pflege, z.B. hier (aus dem Biomechanik-Text)
    “dass ich jemals echte Forschung auf dem Gebiet treiben würde”

    Aber letztlich egal – du willst mich missverstehen, du suchst was zum bekritteln, viel Spaß noch damit. Da mir deine Meinung über mich absolut egal ist, tob dich hier ruhig aus.

  19. #19 Andrea N.D.
    5. April 2012

    @MartinB.
    Ich kann Deine persönlichen und sachfremden Bemerkungen nicht nachvollziehen. Auch habe ich keine Meinung über Dich, sondern kritisiere explizit, dass Du anhand eines Beispieles eine ganze Disziplin lächerlich machst bzw. das Verhalten in diesem Beispiel auf sämtliche Vertreter dieser Disziplin beziehst.

    Du hast den Unterschied richtig erkannt: “Forschung betreiben”, etc. ist etwas ganz anderes als “treiben” – das Substantiv “Forschung” und das Präfix “be-” verändern doch so Einiges. Ich nehme aber zur Kenntnis, dass Du “treiben” wertneutral im Sinne von “sich beschäftigen mit” verwendest.

    Wie ich bereits schrieb, ist es Dein Ausdruck zusammen mit der generalisierenden Unterstellung, dass alle Literaturwissenschaftler so seien wie der zitierte Professor und seine Zitate, zusammen mit dem kleingedruckt hinterhergeschobenen Alibi, dass ja alles korrigiert werden könne, die das ganze “Bild” ergeben.

    Mit missverstehen hat das kaum etwas zu tun, eher damit, dass Du es nicht schaffst, in Deinen Text ein “Einige” einzufügen, um Deine unsägliche Pauschalisierung zu relativieren. Mag sein, dass Du das als bekritteln empfindest; Du hast jedoch in der Vergangenheit gezeigt, dass Du genau diesen Punkt zu gerne bei anderen kritisierst, also sollte es auch für Dich gelten.

  20. #20 roel
    5. April 2012

    @Andrea N.D. Das Verb treiben wird von jedem sofort anders verstanden, wenn es im Zusammenhang mit nackten Kindern genannt wird. Wenn so es wie von MartinB benutzt wird, hat es nicht diese negative Bedeutung. Ähnlich können Sie andere Verben auch einen anderen Sinn geben z.B. spielen. Ich treibe z.B. Sport und finde da nichts schlimmes dran. Aber Sie reiten hier auf einem Text herum, der ganz offensichtlich nicht ganz ernst gemeint ist und vergleichen den mit Beispielen, die ganz offensichtlich ganz ernst gemeint waren.

  21. #21 MartinB
    5. April 2012

    @Andrea
    Weil’s so lustig ist, halte ich mal folgendes fest:
    Erst steigst du hier ein, weil du es als unfair erachtest, dass ich *einen* Literaturprof als Stellvertreter für die ganze disziplin nehme.
    Nachdem ich das Argument widerlegt habe (weil es ja nicht *einer* ist, wenn er eine gängige Praxis bespricht etc.), war die Kritik plötzlich, dass ich das Wort “treiben” gewählt habe, das du nicht schön findest. (Aber es geht dir hier gar nicht ums herumkritteln…) Jetzt hast du eingesehen, dass auch das eine falsche kritik war, aber man kann ja die Ziellinie nochmal verschieben und wieder was anderes kritisieren. Da allerdings wird’s ironisch:
    Als CC seinerzeit eine absolute katholische Splittergruppe uneingeschränkt als Muster für alle Katholiken nahm, fandest du das o.k.
    Wenn ich dagegen einen Literaturprofessor, der eine anscheinend gängige Praxis kritisiert und dies durch Zitate belegt, als stellvertretend für die Literaturwissenschaft nehme, dies aber sowohl in der Einleitung als auch im PS deutlich in Frage stelle und mir der Unzulässigkeit dieser verallgemeinerung also offensichtlich bewusst bin, dann ist das ganz ganz verkehrt.
    Aber gut, dass du mit zweierlei Maß misst, weiß jeder, der mehr als drei Kommentare von dir gelesen hat.

  22. #22 Andrea N.D.
    5. April 2012

    @Martin B.
    “Nachdem ich das Argument widerlegt habe (weil es ja nicht *einer* ist, wenn er eine gängige Praxis bespricht etc.) …”

    Du behauptest jetzt anhand dem Beispiel eines Professors und dem von ihm Zitierten, dass das was er schreibt “gängige Praxis” in der gesamten Literaturwissenschaft sei? Und dass Du deshalb meine Kritik der unzulässigen Verallgemeinerung widerlegt habest?
    Also weil Du alleinig das Wissen über die allumfassende Praxis aller Literaturwissenschaftler besitzt, hast Du meine Kritik an Deiner Pauschalisierung widerlegt?

    Ich habe nicht gesehen, dass das mit dem “treiben” eine falsche Kritik war. Würdest Du diesen Satz wirklich als positiv für die gesamte Literaturwissenschaft (um einmal bei Deinem Absolutheitsanspruch zu bleiben) auffassen:
    “Was Literaturwissenschaftler genau treiben, weiß ich nicht – aber anscheinend haben sie zum einen ein eigenwilliges Verständnis von Vorlesungen und ansonsten eine Vorliebe dafür, Trivialitäten toll zu verpacken oder auch Leute zu zitieren, die das tun.”
    Positiv oder wertfrei klingt definitiv anders. Ich habe aber zur Kenntnis genommen, dass Du in anderen Zusammenhängen das Wort “treiben” wertfrei verwendet hast.

    “Als CC seinerzeit eine absolute katholische Splittergruppe uneingeschränkt als Muster für alle Katholiken nahm, fandest du das o.k.”
    Du hast erfolglos versucht Cornelius genau den Fehler nachzuweisen, den Du hier begehst. Die letzten Kommentare von raddichio machen dies noch einmal deutlich.
    Mit mir hat das nichts zu tun und mit zweierlei Maß auch nicht. Deine persönlichen Unterstellungen mit Bezug auf die Allgemeinheit (“denn dafür bist du ja hier auf den Scienceblogs bekannt” oder “weiß jeder, der mehr als drei Kommentare von dir gelesen hat”) sind überflüssig. Oder welches Argument genau stellen sie dar?

    Der Literaturprofessor kritisiert jetzt eine gängige Praxis? Welcher? Ich dachte, Du hättest den Literaturprofessor kritisiert?

    Du hast Deine Pauschalisierung weder in der Einleitung (ich weiß zwar nichts, aber …) noch im PS (korrigiert doch mein Bild, wenn ihr könnt) “deutlich” in Frage gestellt. Das habe ich versucht, Dir anhand des Priesterbeispiels klarzumachen. Deutlich wäre das Einfügen von “einige” gewesen.

    “mir der Unzulässigkeit dieser verallgemeinerung also offensichtlich bewusst bin”

    “Erst steigst du hier ein, weil du es als unfair erachtest, dass ich *einen* Literaturprof als Stellvertreter für die ganze disziplin nehme.
    Nachdem ich das Argument widerlegt habe (weil es ja nicht *einer* ist, wenn er eine gängige Praxis bespricht etc.), ”

    Dieses “offensichtliche Bewusst-sein” scheint doch erheblich eingeschränkt zu sein, wo Du doch behauptest, genau meine Kritik an dieser Verallgemeinerung widerlegt zu haben? Wenn Du etwas widerlegst, es also im Text gar nicht vorkommt, wie kannst Du Dir dessen dann bewusst sein?

    Wo ist das Problem, “Einige” einzufügen und Deinen Alleinvertretungsanspruch, für alle Literaturwissenschaftler, zu sprechen aufzugeben?

  23. #23 Nele
    5. April 2012

    Interessanter Artikel – etwas seltsame Diskussion.

    Was macht eigentlich ein Literaturwissenschaftler?

    Ich hole mal ein bisschen aus, weil ich das Gewerbe mal gelernt und betrieben habe, verspreche aber – anders als der wackere Gelehrte aus dem zitierten Artikel -, mich um ein elegantes und klares Deutsch zu bemühen. Was ich hier schreibe, ist als rein deskriptiv zu verstehen. Es geht nicht darum, einen Wert von Natur- und Geisteswissenschaften gegeneinander abzuwägen, bzw. eine Kritik der einen oder anderen Seite anzubringen.

    Die Literaturwissenschaft gehört zu den Geisteswissenschaften. Die Geisteswissenschaften bemühen sich nicht um das Verständnis der physischen Welt um uns herum; sie betrachten stattdessen den Menschen als historisches, sozial-politisches und kulturelles Wesen. Im weitesten Sinne sind die Geisteswissenschaften nach meinem Verständnis eine Selbstbetrachtung des Menschen, die den Anspruch erhebt, nicht ideologisch oder mythologisch sondern rational-kritisch geleitet und evidenzbasiert zu sein. Damit steht sie gemeinsam mit der Naturwissenschaft in der Tradition der Aufklärung und letzlich der klassischen Rationalität der griechischen Philosophie. Gleichzeitig impliziert diese Definition, dass das Ziel der Geisteswissenschaften nicht eine langfristige Vermehrung von Wissen ist, sondern eine perpetuierte Neubetrachtung gleicher und ähnlicher Inhalte nach sich historisch verändernden Bedürfnissen – einen Geisteswissenschaftler der 50er Jahre haben andere Fragestellungen bewegt als einen Geisteswissenschaftler der beginnenden 2000er Jahre. Ein Teil der prepetuierten Neubetrachtung ist natürlich auch die Theoretisierung der Geisteswissenschaften selbst.

    Die Literaturwissenschaft ist die Geisteswissenschaft, die Literaturen als primären Untersuchungsgegenstand zur Hand nimmt. Anders als kasaba das andeutet, ist nicht die Literaturinterpretation (zumindest im klassischen Sinne, wie man das aus der Schule kennt) Kerngeschäft der Literaturwissenschaft. Die Literaturwissenschaft arbeitet an einem ganzen Spektrum von Untersuchungsbereichen – ich zähle einfach mal ohne besondere Ordnung oder Anspruch auf Vollständigkeit auf: Literaturtheorie wird betrieben, d.h. Frage, was Literatur eigentlich ist und wie sie als kultureller Ausdruck zu verstehen ist, die Frage, wie literarische Bedeutung entsteht und sich verändert; Wissenschaftstheorie, d.h. die Frage, wie sich ein wissenschaftlicher Zugriff auf Literatur darstellt, welche Implikationen aus anderen Wissenschaftsbereichen, wie z.B. der Philosophie, der Psychologie etc. pp. oder wie er sich historisch verändert, aber auch die Auseinandersetzung zwischen verschiedenen literaturwissenschaftlichen Auseinandersetzungen; die Betrachtung der Literatur selbst in Hinblick auf die Frage, welche kulturelle Rolle sie gegenwärtig oder historisch einnimmt, welche Diskurse sie aufnimmt, in welcher Form diese Diskurse erzählerisch gestaltet werden etc.; klassische philologische Inhalte, z.B. welche Genres es gibt und wie sich diese verändern, welche Form literarische Sprache annimmt. Gerade die Philologie ermöglich überhaupt erst einen verstehenden Zugang zu älteren Textständen (z.B. das Niebelungenlied, den Gilgamesch-Mythos) und damit die Betrachtung anderer Fragestellungen. Natürlich gehört zur Literaturwissenschaft auch die Recherche nach Fakten und inhaltlichen Erkenntnissen, die Literatur mit einem Kontext versehen – u.a. auch biographisches zum Autor, obwohl in der Literaturwissenschaft die Frage nach der Autorenintention seit Jahrzehnten nahezu vollständig in der Bedeutungslosigkeit versunken ist.

    Summa summarum: die Literaturwissenschaft als Wissenschaft ist, wie in den Wissenschaften üblich, sehr frei. Eine Fragestellung, die sich im wissenschaftlichen Diskurs eröffnet, wird anhand von Textbefunden (im erweiterten Sinne muss das nicht unbedingt nur die klassische erzählende Literatur sein) untersucht, mit anderen literaturwissenschaftlichen Befunden korreliert und der wissenschaftlichen Gemeinde unter Befolgung formaler Regelungen zur kritischen Diskussion gestellt. So, wie der Wissenschaftsapparat eben funktioniert.

    Um das ganze konkret zu machen: in meinem eigenen Dissertationsprojekt hatte ich sogenannten Historienstücke von William Shakespeare darauf untersucht, wie sich in ihnen Diskussionen um Staatsvorstellungen im frühmodernen Europa widerspiegelten. Dazu betrachtete ich einerseits die zeitgenössische politische, sehr vielfältige Situation in Europa, untersuchte vor diesem Hintergrund diverse zeitgenössische staatstheoretische Schriften mit konträren Auffassungen zu Königtum, demokratischer Mitbestimmung, Machtlegitimation etc. In den Stücken Shakespeares zeigte ich dann, wie diese diskursive Vielfalt als Grundlage dramaturgischen Erzählens in den Stücken gesehen werden kann und wie dieser Ausgangspunkt zu einer neuen Lesart der Stücke beitragen kann. Auf literaturtheoretischer Ebenene wendete ich mich damit gegen eine bestimmte Art der Wissenschaftströmung, die sich zwar als historisierend bezeichnet, meiner Meinung aber ahistorisch und anekdotisch vorging. Teil meiner Arbeit war, eine literaturtheoretische Weiterentwicklung dieser Spielart zu entwickelnd.

    So. Das treibt man so in der Literaturwissenschaft. Ich hoffe, die Sache etwas klarer gemacht zu haben. 🙂

  24. #24 Bjoern
    5. April 2012

    @Nele: Danke für die ausführliche und klare Erklärung! 🙂 Nur ein Fremdwort kam vor, das mir nicht ganz klar war: “perpetuiert”. Erinnert an “Perpetuum mobile”, und der Wiki-Artikel geht auch in die Richtung:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Perpetuierung
    Kann man das in dem Zusammenhang hier einfach als “fortdauernd” übersetzen, oder ist doch etwas anderes gemeint?

    Ach ja, und das hier scheint irgendwie auch nicht so viel Sinn zu ergeben…?

    die Auseinandersetzung zwischen verschiedenen literaturwissenschaftlichen Auseinandersetzungen

  25. #25 Nele
    5. April 2012

    Zum besprochenen Text von F. Apel
    (https://www.forschung-und-lehre.de/wordpress/?page_id=298)

    Eigentlich ist die Forderung, die Apel vorträgt, gar nicht mal so schrecklich abwegig. Die Literaturwissenschaft sei auf einen bloßen Wissenschaftsbetrieb reduziert, literaturwissenschaftliche Forschung diene de facto nur noch der Drittmitteleinwerbung. Der individuelle Gelehrte sei nur noch ein Rädchen in einem mechanistischen Getriebe, das letztlich sinnentleert vor sich hin drehe.

    Dem stellt Apel die universitäre Vorlesung als Möglichkeit gegenüber, die dem gelehrten Wissenschaftler erlaubt, die Literaturwissenschaft den Studenten gegenüber wieder mit Leben und Sinn zu erfüllen; dadurch, dass der Mensch, der hinter Forschung steht, sein Streben, sein Suchen aber auch seine Erkenntnisse nicht in verödeter Wissenschaftssprache in Bleiwüsten gießt, sondern anderen Menschen in wirklicher, lebendiger Sprache schildert und sie an diesen Dingen teilhaben lässt, erhofft sich Apel eine Rückkehr zu dem, worum es in seinem Fachgebiet eigentlich geht. Deshalb auch der Rekurs auf Schlegels Literaturvorlesungen, die tatsächlich etwas ganz anderes als heutige Universitätsvorlesungen waren.

    Tja, warum sagt Apel diese Dinge nicht in klarer Sprache? Warum der mäandernde Gedankengang von Hermann Hesse bis hin zu Marquard? Nun, es ist leider ein Stilmittel der deutschen Geisteswissenschaften, Gelehrsamkeit durch möglichst opaque Ausdrucksweise zu inszenieren. Finde ich auch nicht so sonderlich gut. Ich halte es mehr mit dem “Ce qui n’est pas clair, n’est pas Français” unserer Nachbarn westlich des Rheins.

  26. #26 Nele
    5. April 2012

    @Bjoern

    Mit “perpetuiert” meine ich tatsächlich “fortdauernd”, allerdings im Sinne von “fortdauernd ohne definiertes Ende”.

    Mein unklarer Satz ist murksig formuliert, das kommt davon, wenn man einen Text einfach so in den Computer hackt. 🙂

    Es soll heißen: “die Auseinandersetzung zwischen verschiedenen literaturwissenschaftlichen Theorierichtungen”

  27. #27 Andrea N.D.
    5. April 2012

    Danke Nele, ich hätte mich das nach diesem Artikel nicht getraut. Das mit dem “mäandern” wirst Du noch erklären müssen :-).

  28. #28 Nele
    5. April 2012

    @Andrea

    “Mäandern” heißt “sich in verschlungenen Bögen hin- und herschlängeln”. Der Begriff kommt vom Fluss Maiandros in Kleinasien und bezeichnet ursprünglich eine griechische Ornamentform, genauer gesagt, die Folge von eckigen Spiralen, die in einer durchgehenden Linie gezeichnet sind.

  29. #29 WolfgangK
    5. April 2012

    Beim Durchlesen des Artikels und der Kommentare wundert es mich immer wieder, wieviel man über das Zelebrieren lauwarmer Luftblasen schreiben kann. Dass Geisteswissenschaftler hier und da zu ebensolchem Zelebrieren neigen, ist ja keine neue Erkenntnis. Witzig finde ich jedoch, wieviele sich mit den bullshitgeneratorverdächtigen Auswürfen ernsthaft beschäftigen.

  30. #30 roel
    5. April 2012

    @Nele Schön, wir sind wieder beim Thema. Ich habe jetzt von Dir den schönen Begriff “opaque Ausdrucksweise” gelernt. Werde ich gelegentlich sicher anzubringen wissen. Auch danke für das verwendete elegante und klare Deutsch. Ich denke jedes Thema kann interessant und einfach erklärt werden oder mit Hilfe einer barrierebildenden Sprache den ZuhörerInnen/LeserInnen verleidet werden.

    und

    @MartinB hier denn auch ein Lob an dich, du bringst hier Themen mit einer transparenten Ausdrucksweise rüber, von denen ich vorher gedacht habe, ich verstünde die nie. Aber genauso, wie es bei den Literaturwissenschaftlern Personen gibt, die durch eine opaque Ausdrucksweise glänzen, gibt es solche Wissenschaftler auch innerhalb der Naturwissenschaften. Es gab sogar auf scienceblogs einen Beitrag darüber, nur ich habe in noch nicht wiedergefunden.

    @WolfgangK oh super. Jetzt habe ich eine Seite auf der ich Doktorarbeiten generieren kann, eine auf der ich Bullshit-Sätze bilden kann, die hochtrabend aussehen und ich weiß wo ich Doctor of Immortality werden kann. Vielleicht kombiniere ich das mal.

  31. #31 Carlo
    5. April 2012

    Als allgemeine Grundlage zur Beurteilung der Literaturwissenschaft gesehen synthetisiert die Infrastruktur des Universitätsbetriebes eine fachlich bodenständige Globalisierung der Qualitätskontrolle und derogiert im Idealfall ein monolinguistisch fingiertes Zufallsprinzip in Einklang mit der Spekulation der Detailanalyse.

  32. #32 roel
    5. April 2012

    @Carlo da ist der Zufallsgenerator aber nicht sehr erfindungsreich. Hat wohl recht wenige Bausteine.

  33. #33 WolfgangK
    5. April 2012

    @roel

    Wenn man im englishen Wiki nach einer Erklärung für ‘Opaque context’ sucht, dann liest man völlig passend als erstes den Satz: “This article may be confusing or unclear to readers.”…

  34. #34 MartinB
    5. April 2012

    @Nele
    Super, danke. Jetzt verstehe ich etwas mehr. Was mir noch nicht so richtig klar ist, ist die Methodik, mit der man als Literaturwissenschaftler vorgeht. Wenn du beispielsweise in deiner Dissertation unterschiedliche Staatsbilder und ihre Darstellung bei Shakespeare untersuchst (um das mal verkürzt auszudrücken) und z.B. eine bestimmte Stelle bei Henry IV,1 in einer bestimmten Weise interpretierst – gibt es dann prinzipiell die Möglichkeit, diese Interpretation zu widerlegen/anzugreifen oder müsste ich, wenn ich das anders sehe, einfach schreiben: nele sieht das so, ich sehe es anders, und die Frage bleibt unentscheidbar? (Du schreibst ja, dass Ergebnisse zur kritischen Diskussion gestellt werden.)
    Oder anders gefragt: Kann es in der Literaturwissenschaft in diesem Sinne “sicheres Wissen” geben (von historischen Dingen abgesehen)?

    Zum text selbst schreibst du
    “dadurch, dass der Mensch, der hinter Forschung steht, sein Streben, sein Suchen aber auch seine Erkenntnisse nicht in verödeter Wissenschaftssprache in Bleiwüsten gießt, sondern anderen Menschen in wirklicher, lebendiger Sprache schildert und sie an diesen Dingen teilhaben lässt, erhofft sich Apel eine Rückkehr zu dem, worum es in seinem Fachgebiet eigentlich geht.”
    Ja, das hatte ich ja auch so verstanden und das war ja auch der Grund, warum ich meinen text als polemik gegen Literaturwissenschaft betitelt habe und nicht als Polemik gegen Professor Apel: Macht man das denn nicht schon so? Sollte nicht jede Vorlesung so sein, dass ich versuche, den Studis klarzumachen, dass und warum irgendein Thema interessant und faszinierend ist? Mir ist schon klar, dass das nicht unbedingt faktisch immer so ist (weil es viele auch einfach nicht interessiert, ob sie gute Vorlesungen halten), aber ich hätte nie gedacht, dass die Tatsache, dass das das anzustrebende Ziel einer Vorlesung ist, irgendjemandem nicht klar sein oder diskussionsbedürftig sein könnte.

    Und danke auch für dieses Statement
    “Nun, es ist leider ein Stilmittel der deutschen Geisteswissenschaften, Gelehrsamkeit durch möglichst opaque Ausdrucksweise zu inszenieren”
    mein Eindruck war also nicht so ganz falsch.

  35. #35 Nele
    6. April 2012

    @MartinB
    Ich referiere erstmal ganz neutral weiter:

    Die Grundmethode aller Textwissenschaften ist einerseits die kritische Hermeneutik (dazu gleich mehr), andererseits die durch Nachweise gestützte Kontexttualisierung des untersuchten Textes, z.B. mit historischen Sachverhalten, anderen Texten, auf die sich der untersuchte Text bezieht oder neben die er sich stellt etc. pp.

    Die kritische Hermeneutik ist im Grunde nichts weiter als sehr genaues Lesen. Betrachtet werden einerseits formale Textmerkmale – z.B. die Sprache und die Wortwahl eines Textes, bei nichttranskribierten Quellen (d.h. z.B. mittelalterlichen Pergamenten im Originalzustand) Schrift, Schriftfehler, Textsatz, Illuminationen (d.h. Bebilderung), Verbreitung, Öffentlichkeit etc. pp. Andererseits werden innere Textmerkmale betrachtet: Aussagen, die gemacht werden, Ungesagtes (manchmal äußerst interessant!), Begründungen, Argumentationslinien, die durchscheinende Ideologie und potentielle Intention, Abhängigkeiten von anderen Texten, Einflüsse von außen, Ausrichtung an Zielgruppen, kulturelle Hintergründe etc. pp. Die Diskussion der inneren Textmerkmale ist generell wichtiger, um zu Schlussfolgerungen bezüglich der Fragestellung zu kommen.

    Im Gegensatz zu Naturwissenschaften kann es – gegebenerweise, bei dem, was ich im ersten Beitrag geschrieben habe – keine Suche nach klar als zutreffend oder unzutreffend definierbaren Modellen einer literarischen Wirklichkeit geben. Der literaturwissenschaftliche Diskurs ist tentativ (d.h. suchend) darum bemüht, mögliche Lesarten zu erkennen. Weil aus literaturtheoretischen Gründen schon seit längerer Zeit nicht mehr von einer, als richtig anzuerkennenden Textbedeutung ausgegangen wird, ist der wissenschaftliche Maßstab dabei nicht, zwischen richtig und falsch zu unterscheiden, sondern zwischen plausibel und implausibel. (Das ist übrigens auch der Grund, warum die Deutschlehrerfrage “Was will uns der Autor damit sagen?” aus fachwissenschaftlicher Sicht sinnlos ist.) Welche Lesarten sich dann durchsetzen, bzw. ob überhaupt eine bestimmte Lesart Dominanz gewinnt, bestimmt der allgemeine literaturwissenschaftliche Diskurs.

    So, jetzt referiere ich nicht mehr neutral, sondern gebe meine eigene Meinung zu der Sache ab:

    Du legst natürlich den Finger genau auf die wunde Stelle, wenn du nach der Verbindlichkeit literaturwissenschaftlicher Kenntnisse anbetrachts dieses wissenschaftlichen Selbstverständnisses legst. In der Tat sehe ich eine sehr ungute Entwicklung in der Literaturwissenschaft seit dem “linguistic turn” der 80er Jahre, die mehr und mehr dazu führt, dass literaturwissenschaftliche Untersuchungen zu im Grunde essayistischen Kleinerzählungen individueller Lesarten werden, die anekdotisch begründet und entlang ideologischer Zeitströmungen angelegt werden. (starke Tendenz zu “Modethemen” in den Literaturwissenschaften) Verbunden ist das leider zunehmend mit dem Phänomen, dass praktizierenden Literaturwissenschaften das “gelehrte Wissen” abhanden zu kommen scheint. Das hängt sicherlich auch mit der Entwicklung eines mehr und mehr gehetzten Wissenschaftsprinzips in den letzten drei Jahrzehnten zusammen und lässt mit größter Sorge auf die zukünftige Entwicklung in den BA/MA-Studiengängen sehen, die den Studenten fast überhaupt keine Gelegenheit mehr lassen, sich in aller Ruhe ein sowohl breites als auch tiefes Wissen anzulesen – was für Textwissenschaften eigentlich vollkommen unverzichtbar ist!

    Ich will nun nicht, das literaturtheoretische Verständnis, wie ich das bis hierhin gezeichnet habe, irgendwie verdammen. Meiner Meinung nach beschreibt es recht gut die Interaktion zwischen Text, Leser und dessen Umgebung und kann ein kulturelles Verständnis über die Literaturrezeption befruchten. Aber ich denke auch, dass hiermit, im Gegensatz zur philologisch dominierten Literaturwissenschaft vor dem linguistic turn, letztlich der Bereich verbindlicher Wissenschaftlichkeit verlassen worden ist. Ich halte die Literaturwissenschaften in der Form, wie sie jetzt stattfinden, für feuilletonistisch, was ich allerdings nicht als abwertend verstanden möchte. Wenn man dann allerdings zur Kenntnis nimmt, dass der literaturwissenschaftliche Apparat ganz erhebliche Bildungsmittel verschlingt und die praktische Hauptaufgabe der Institute heutzutage ganz klar die Sprachlehrerbildung ist, dann frage ich mich, ob man nicht vielleicht doch nach alternativen Organisationsformen suchen sollte.

    Für meine eigene intellektuelle Entwicklung bedeutete dieser Standpunkt, den ich größtenteils während meiner Dissertation entwickelt habe, dass ich mich von geistig von der Literaturwissenschaft abgesetzt habe. Das bedeutet nicht, dass ich die Geisteswissenschaften per se verworfen hätte, sondern dass ich mich heutzutage intellektuell nur noch als Historiker (ich habe Magisterabschlüsse in beiden Fächern) sehe, eine Geisteswissenschaft, die traditionell einen Anspruch auf große methodische Strenge in ihrem Selbstverständnis hat.

  36. #36 MartinB
    6. April 2012

    @Nele
    Ganz großartig. Jetzt verstehe ich’s deutlich besser. Es gibt also schon eine Methodik, beispielsweise bei der Textanalyse, aber entscheidbare (oder falsifizierbare) Aussagen gibt es letztlich so nicht. Das ist jetzt von mir nicht abwertend gemeint – als Naturwissenschaftler hat man eben andere Fragestellungen, und Literaturwissenschaft ist ja auch zwangsläufig immer zumindest teilweise subjektiv, weil Literatur nun mal von Menschen gemacht wird.

    “Das ist übrigens auch der Grund, warum die Deutschlehrerfrage “Was will uns der Autor damit sagen?” aus fachwissenschaftlicher Sicht sinnlos ist.”
    Sehr schön. Ich sag ja immer (und meine das durchaus ernst) “Wer ist schon der Autor, dass er glaubt, sein Werk zu verstehen”?

  37. #37 MartinB
    6. April 2012

    @Nele
    Willst du nicht doch mal einen Blog-Text schreiben? Über deine Doktorarbeit oder ein anderes literaturwissenschaftliches Thema? Ich fände das ziemlich interessant, einige andere sicher auch.

  38. #38 WolfgangK
    6. April 2012

    @MartinB
    “Es gibt also schon eine Methodik, beispielsweise bei der Textanalyse, aber entscheidbare (oder falsifizierbare) Aussagen gibt es letztlich so nicht”

    Das heisst dann aber auch, dass es nichts weiter ist als eine Auslegung, und die bewegt sich methodisch auf gleicher Ebene wie Religionen, Ethik, Philosophie oder die von Dir in einem früheren Blogartikel lanzengebrochene Spiritualität. Welche Methodik dann letztendlich “gültig” ist, wird von “höherer Stelle” oder dem Mainstream entschieden und entwickelt sich nicht aus falsifizierbaren Erkenntnissen.
    Also bleibt es aus Sicht des aufs Nachprüfbare reduzierten Menschen ein vielleicht interessantes, aber letztendlich eher individuelles Spiel mit vielen gedanklichen Möglichkeiten ohne echten Fixpunkt. Ist das “Wissenschaft”?

  39. #39 MartinB
    6. April 2012

    @Wolfgang
    Ich verstehe es so, dass es zum Beispiel eine historische Methodik gibt, mit der man – um Neles beispiel zu nehmen – belegen oder auch widerlegen kann, ob Shakespeare ein bestimmtes Staatskonzept kennen konnte. Dieses Wissen kann dann die basis für eine Interpretation bilden. Die Interpretation selbst bleibt natürlich letztlich unbeweisbar – ich kann aus Shakespeares Kenntnis oder Unkenntnis ableiten, ob es plausibel oder möglich ist, dass er (möglicherweise auch unbewusst) dieses Staatskonzept in seinem Stück verwendet hat. Mehr geht nicht, aber mehr kann vermutlich auch nicht gehen, solange wir keine Zeitmaschine + Hirnscanner haben.
    Das erfüllt natürlich nicht dieselben Ansprüche wie wir sie an Naturwissenachften stellen, das ist aber auch nicht möglich und kann deswegen in meinen Augen auch kein gültiger Vorwurf sein. (Vielleicht haben es die Engländer einfacher, die “science” von “humanities” begrifflich anders trennen als wird, das zu akzeptieren.) Literaturwissenschaft hat ja notwendig etwas mit Deutung zu tun und ist deswegen zweifach subjektiv – zum einen ist der behandelte text ein Produkt einer bestimmten Person, zum anderen die Deutung das einer anderen.
    In dieser abstrakten Weise kann ich das gut nachvollziehen – aber ein für Laien ausformuliertes konkretes Beispiel für literaturwissenschaftliches Arbeiten fände ich trotzdem sehr interessant.

  40. #40 WolfgangK
    6. April 2012

    @MartinB
    “Ich verstehe es so, dass es zum Beispiel eine historische Methodik gibt, mit der man – um Neles beispiel zu nehmen – belegen oder auch widerlegen kann, ob Shakespeare ein bestimmtes Staatskonzept kennen konnte.”

    Um mein Anliegen deutlich zu machen, nehme ich das Reizthema Religion als Beispiel: In der Bibelexegese lassen sich ja durchaus Rückschlüsse auf die damalige Lebensweise ziehen. So gab es eine schriftliche Auslegung zu dem Thema, ob Jesus von Nazareth beim letzten Abendmahl tatsächlich von seinem (symbolischen) Blut bzw. Leib gesprochen hat. Wissenschaftler hatten sich des Themas angenommen (ich finde leider die Quelle nicht mehr und weiss daher nicht, ob diese Auslegung von Literaturwissenschaftlern gefertigt wurde) und waren der Überzeugung, dass JvN niemals vom seinem Blut gesprochen haben kann, da Blut nach der jüdischen Tradition etwas Unreines ist. Die Jünger hätten sich bei einer solchen Aussage geekelt. Mir kam damals beim Lesen der Gedanke, dass die Möglichkeit gar nicht berücksichtigt wurde, dass JvN durchaus bewusst auf jüdischen Traditionen gepfiffen haben könnte um seine eigene angedachte Besonderheit herauszustellen. Immerhin wurde er ja dann angeblich wegen diverser Tabubrüche den Römern überstellt und letztendlich gekreuzigt.

    Hier findet man ein schönes Beispiel für eine vage Auslegung, die niemals wissenschaftlich sein kann. Und auch Shakespeare gestehe ich Gedankengänge zu, die durchaus mit den Gedanken anderer konform hätten sein können, ohne das ein bewusster Austausch stattfand. Und ist damit auch nur eine vage Vermutung. (Ok, ich gestehe auch zu, dass es hier und da Eindeutigkeiten geben kann)

    “Das erfüllt natürlich nicht dieselben Ansprüche wie wir sie an Naturwissenachften stellen, das ist aber auch nicht möglich und kann deswegen in meinen Augen auch kein gültiger Vorwurf sein.”

    Um beim Reizthema zu bleiben: bei Religionen, welche die Anspruchsstellung ja ebenso nicht erfüllen (und auch gar nicht erfüllen wollen), ist man aber “im Mainstream” mit Vorwürfen zu fehlender Falsifizierbarkeit keineswegs zimperlich.

    “Literaturwissenschaft hat ja notwendig etwas mit Deutung zu tun und ist deswegen zweifach subjektiv – zum einen ist der behandelte text ein Produkt einer bestimmten Person, zum anderen die Deutung das einer anderen.”

    Das ist bei Religionen nicht anders, die sind ja noch stärker auf Deutungen angewiesen. Beweisbar bleibt nichts. Dennoch hat die Literaturwissenschaft das Prädikat des Wissenschaftlichen.

    Für mich heisst das eher, dass das Theologiestudium dem Studium der Literaturwissenschaften gleichgestellt wäre und genauso wie Ethik oder Philosophie nur Methodik, aber keine fundamentalen Wissensgebäude wie in den Naturwissenschaften erstellt. Ich kann das durchaus so stehen lassen, aber als Wissenschaft im Sinne des Wortes “Wissen” empfinde ich das nicht.

    “…aber ein für Laien ausformuliertes konkretes Beispiel für literaturwissenschaftliches Arbeiten fände ich trotzdem sehr interessant.”

    Ich fürchte, dass es wie bei der Spiritualiät in der Individualität endet, die zwar durchaus ihre Berechtigung hat, aber letztendlich ebenso nur auf individuelle Interpretationen (oder Erfahrungen) gründet.

  41. #41 MartinB
    6. April 2012

    @Wolfgang
    “Hier findet man ein schönes Beispiel für eine vage Auslegung, die niemals wissenschaftlich sein kann.”
    Man könnte zumindest andere Bibelstellen darauf untersuchen in wie weit JvN Ekel sozusagen als Demonstrationsmittel verwendet hat (Umgang mit Leprakranken z.B.). Anderes schönes beispiel: In der Offenbarung steht
    “Und es wird deinen Bauch bitter machen, aber in deinem Mund wird es süß sein wie Honig. ”
    In der kommentierten Bibel, die ich hier habe, wird ruminterpretiert, dass das Büchlein eben nur anfänglich süß ist, in Wahrheit aber das gegenteil. Während es mir viel plausibler scheint, dass auch “bitter im Bauch” etwas Positives ist – immerhin trinkt man ja auch genau deswegen einen Magenbitter. Das könnte man jetzt auch wieder zu stützen versuchen, indem man historisch rausknobelt, ob man damals auch Magenbitter oder bittere Kräuter oder so verwendet hat. Letztliche ntscheiden kann man das natürlich nicht.

    “Für mich heisst das eher, dass das Theologiestudium dem Studium der Literaturwissenschaften gleichgestellt wäre”
    Ich denke, man muss gerade bei dem Beispiel Religion ganz deutlich zwischen Theologie (die den Glauben als “wahr” voraussetzt) und Religionswissenschaft (die das nicht tut) trennen (ist das eigentliche ine “offizielle” Begriffstrennung oder existiert die nur in meinem Kopf?), das macht das Beispiel etwas problematisch – die eine wäre mit Literaturwissenschaft vergleichbar, die andere erfüllt weniger Ansprüche.

    “Ich kann das durchaus so stehen lassen, aber als Wissenschaft im Sinne des Wortes “Wissen” empfinde ich das nicht.”
    Eine Interpretation von Shakespeare ist meiner Ansicht nach schon “Wissen” – nur eben kein “objektives Wissen”. Sie ist immerhin eine mögliche Sichtweise, vielleicht eine, die mir neue Aspekte eröffnet “Aha, man *kann* das auch so sehen.” Fundamentale Wissensgebäude kann es in dem Sinne nicht geben, das hat Nele oben ja erläutert – man ist immer in seiner zeit und Denkwelt gefangen. Das macht die gewonnenen Erkenntnisse aber nicht wertlos.

    “Ich fürchte, dass es wie bei der Spiritualiät in der Individualität endet”
    Ja, aber das ist doch letztlich nicht anders möglich, wenn es um Literatur geht, oder? Dafür sind Menschen einfach zu komplex.

  42. #42 WolfgangK
    6. April 2012

    @MartinB
    “Man könnte zumindest andere Bibelstellen darauf untersuchen in wie weit JvN Ekel sozusagen als Demonstrationsmittel verwendet hat (Umgang mit Leprakranken z.B.)”

    Ja kann man, aber ob man richtig liegt, werden wir nie erfahren. Man kann allerdings daran glauben – oder besser: in diese Richtung interpretieren.

    “Ich denke, man muss gerade bei dem Beispiel Religion ganz deutlich zwischen Theologie (die den Glauben als “wahr” voraussetzt) und Religionswissenschaft (die das nicht tut) trennen”

    Ohne nachzulesen würde ich ebenso davon ausgehen, dass die Theologie (u.a.) die Glaubenslehre einer Religion ist und die Religionswissenschaft die Lehre bzw. Erforschung der Religionen (bspw. die angebliche Notwendigkeit von Religionen in Bezug auf die evolutionäre Entwicklung), aber vielleicht liege ich daneben. Ich hatte deshalb die Theologie angeführt, da hier aufgrund von Deutungen nicht beweisbare Rückschlüsse gezogen und gelehrt werden. Im Prinzip hast Du aber recht: die Theologie erachtet im Gegensatz zur Literaturwissenschaft a priori ihre Grundlagen als wahr, insofern hinkt der Vergleich. In Sachen Interpretation und Auslegung scheinen sie sich aber ähnlich.

    “Eine Interpretation von Shakespeare ist meiner Ansicht nach schon “Wissen” – nur eben kein “objektives Wissen”.”

    Naja, mir erschliesst sich da der Unterschied nicht so ganz. Wenn man das nichtobjektive Wissen mit “vorläufige Annahme” oder “meine/seine Interpretation” gleichsetzt wäre ich einverstanden. Das ist aber nicht wirklich “Wissen” im Sinne des Wortes; vielleicht persönliche Erkenntnis, auch in Form von Aha-Erlebnissen, individuell begrenzt und nicht wissenschaftlich weitergabefähig. Aber vielleicht lasse ich irgendeinen Aspekt noch ausser acht.

    “Ja, aber das ist doch letztlich nicht anders möglich, wenn es um Literatur geht, oder?”

    Hm, vielleicht fasse ich den Begriff “Wissenschaft” einfach zu eng. Nachdem man in seiner homöopathie- und weltuntergangsverseuchten Umgebung jeden damit genervt hat, dass Wissenschaft grundsätzlich auf falsifizierbaren Grundlagen fusst, muss man (Geistes-)Wissenschaften eingestehen, die keine falsifizierbaren Ergebnisse liefern. Also sozusagen Homöopathie für gehobene Ansprüche. Um einen schnöden Vergleich zu bringen: da könnte man doch auch einen Lehrstuhl für Spritualität installieren…

  43. #43 MartinB
    7. April 2012

    @Wolfgang
    Ich glaube, der Vergleich mit der Homöopathie macht deutlich, wo das Problem steckt: Die Homöopathie macht Aussagen über Bereiche, in denen Naturwissenschaftliche Methoden greifen, und erhebt den Anspruch, dass ihre Aussagen denen der Naturwissenschaft mindestens gleichwertig sind.
    Die Literaturwissenschaft dagegen macht Aussagen über Bereiche, in denen naturwissenschaftliche Methoden nicht greifen (oder noch nicht – Zeitmaschine + Hirnscanner?) und ist sich – zumindest nach dem, was Nele schreibt – der grundsätzlichen subjektivität ihrer Erkenntnisse bewusst.

    “vielleicht persönliche Erkenntnis, auch in Form von Aha-Erlebnissen, individuell begrenzt und nicht wissenschaftlich weitergabefähig”
    Hmm, also für mich ist zum Beispiel die Idee, dass “bitter im Magen” etwas positives sein könnte, nicht nur ein persönliches, sondern auch wissenschaftlich weitergabefähiges Wissen: “Es *könnte* so gemeint sein” (und es gibt Evidenz dafür, dass Menschen bitter im Magen als etwas Positives sehen), und das habe ich vorher nicht gewusst, jetzt weiß ich es und kann es hier weitergeben.

    Vielleicht kann man es auch so ausdrücken: In den Geisteswissenschaften kommt man meist über das Stadium der Hypothese nicht hinaus, es gibt keine Theorien (im naturwissenschaftlichen Sinne). Aber Hypothesen sind ja auch schon mehr als absolut haltlose Spekulationen.

  44. #44 WolfgangK
    7. April 2012

    @MartinB

    “Die Homöopathie macht Aussagen über Bereiche, in denen Naturwissenschaftliche Methoden greifen,..”

    Ok, das hatte ich nicht bedacht, da hinkt der Vergleich natürlich. Es gibt ja zur Literaturwissenschaft keine vergleichbare effizientere Wissenschaft. Aber immerhin weiss ich nun so ungefähr, wie Geisteswissenschaften arbeiten, auch im Hinblick auf folgende Anmerkung:

    “Vielleicht kann man es auch so ausdrücken: In den Geisteswissenschaften kommt man meist über das Stadium der Hypothese nicht hinaus, es gibt keine Theorien (im naturwissenschaftlichen Sinne). Aber Hypothesen sind ja auch schon mehr als absolut haltlose Spekulationen.”

    Und wenn die entsprechenden Wisenschaftler das unverständliche Zelebrieren lauwarmer Luftblasen unterlassen und ähnlich wie Harald Lesch und Willi Vossenkuhl in der Sendung “Denker des Abendlandes” das Ganze für Laien verständlich aufbereiten, dann könnte man sogar einige mehr dafür begeistern.

  45. #45 Joseph Kuhn
    7. April 2012

    @ MartinB, @ WolfgangK:

    Eine Interpretation von Shakespeare ist meiner Ansicht nach schon “Wissen” – nur eben kein “objektives Wissen”. Sie ist immerhin eine mögliche Sichtweise

    Trägt diese Unterscheidung? Eine “mögliche Sichtweise” muss sich gegenüber einer “unmöglichen Sichtweise” (bzw. einer unsinnigen) rechtfertigen können. Das kann sie nur, wenn die dafür angeführten Begründungen nachvollziehbar sind, keine logischen Fehler enthalten, nicht auf falschen Tatsachenbehauptungen beruhen usw. – das ist durchaus eine Form der Objektivierung. Vielleicht findet sich ja doch mal jemand für einen Gastblog, wie er oben vorgeschlagen wurde, und führt in die Methodologie der Literaturwissenschaft ein?

  46. #46 Aasaas
    7. April 2012

    Ich, persönlich würde mich sehr über einen Gastbeitrag, (oder auch eine Beitragsserie) von Nele über die Methoden der Literaturwissenschaft, oder über die Literaturwissenschaft im Allgemeinen, freuen, da ich gerne mal wissen würde, wie Forschung in diesem Bereich genau abläuft, wie dort publiziert wird (in welchen Fachzeitschriften, mit peer-review oder nicht etc.) und wie es beispielsweise mit der Finanzierung ausschaut (muss man einen Antrag irgendwohin schreiben, um Gelder für ein Projekt bewilligt zu bekommen…?).

  47. #47 WolfgangK
    7. April 2012

    @Joseph Kuhn

    “Trägt diese Unterscheidung?”

    Ich kann das nicht beurteilen und verlasse mich derzeit noch auf die immerhin einleuchtenden Ausführungen von MartinB. Für mich als Laien bleiben aber durchaus noch Bauchschmerzen, denn der Unterschied zwischen einer – auch gute begründeten – Hypothese, die niemals bewiesen werden kann und einer Interpretation ist für mich nicht sonderlich gross und bleibt damit irgendwie eine Glaubensangelegenheit.

    “Vielleicht findet sich ja doch mal jemand für einen Gastblog, wie er oben vorgeschlagen wurde, und führt in die Methodologie der Literaturwissenschaft ein?”

    Das würde ich auch sehr befürworten, zumal MartinB bereits schrieb:

    “…aber ein für Laien ausformuliertes konkretes Beispiel für literaturwissenschaftliches Arbeiten fände ich trotzdem sehr interessant.”

    Vielleicht kann ja Nele dafür gewonnen werden…

  48. #48 MartinB
    7. April 2012

    @Joseph
    “Das kann sie nur, wenn die dafür angeführten Begründungen nachvollziehbar sind, keine logischen Fehler enthalten, nicht auf falschen Tatsachenbehauptungen beruhen usw. – das ist durchaus eine Form der Objektivierung.”
    Ich sehe das so: Ich kann eben durch historische Analyse nachweisen, dass z.B. Shakespeare ein gewisses Staatskonzept gekannt haben müsste und dass es deshalb in ein Theaterstück eingeflossen sein kann. Soweit ist das ganze objektivierbar. (Deswegen schrub ich “Dieses Wissen kann dann die basis für eine Interpretation bilden.”)
    Ob dieses Konzept aber diese Szene *tatsächlich* beeinflusst hat, ist unbeantwortbar, weil wir nicht in der Lage sind, die Details unserer Hirnfunktionen so weit nachzuvollziehen und weil dazu zu viele unbekannte Einflussfaktoren existieren.
    Deswegen schrieb ich “Zeitmaschine+Hirnscanner” – damit könnte man das dann objektiv klären: Aha, als Shakespeare diese Szene schrieb, waren gerade die Neuronen aktiv, die die Informationen über diese Staatsform speichern. Dann wäre Literaturwissenschaft zumindest in diesem Aspekt eine Naturwissenschaft geworden.

    @Nele
    Du siehst, hier gäbe es einige Interessenten. Magst du nicht vielleicht?
    https://www.cone-online.com/wp-content/uploads/2011/12/Gestiefelter_Kater1.jpg

  49. #49 JK
    7. April 2012
  50. #50 Dr. Webbaer
    8. April 2012

    Odo Marquard wird auch so zitiert:

    Predigt als Reduktion von Informationskomplexität
    Informationskomplexität wird reduziert durch Rekurs auf Mündlichkeit. Das ist … kein neuer Analphabetismus, sondern die alte Kunst des langsamen Menschen, mit Informationsüberflutung fertig zu werden. … Die gottesdienstliche Zentralisierung der Predigt durch die Reformation war, zumindest auch, die Antwort auf die Informationsüberlastung durch den beginnenden Buchdruck. (Quelle)

    MFG
    Dr. Webbaer (der zwar mitfühlend ist, aber die ‘Informationsüberlastung durch den beginnenden Buchdruck’ nicht als soo tragisch einordnet)

    PS: Guter Artikel, offensichtlich sind in den Literaturwissenschaften Esoteriker unterwegs.

  51. #51 Nele
    11. April 2012

    @MartinB

    Du siehst, hier gäbe es einige Interessenten. Magst du nicht vielleicht?

    Sorry, meinen letzten sorgfältigen literaturwissenschaftlichen Erguss habe ich letztes Jahr geschrieben – die Disziplin habe ich hinter mir gelassen; zu unergiebig.

  52. #52 MartinB
    11. April 2012

    @Nele
    Schade.

  53. #53 WolfgangK
    11. April 2012

    Auch wenn Nele bedauernswerterweise nicht mag: das Thema ist jedoch “angestochen” und das Interesse geweckt. Wäre doch schade, wenn sich niemand finden ließe, der das Thema verständlich aufbereitet und einen tieferen Einblick vermittelt, auch wenn es letztendlich vielleicht unergiebig oder unbefriedigend sein mag. Den Eindruck hinterläßt übrigens auch die Webseite Literaturwissenschaft-online der Universität Kiel:

    “Wenn man will… ist postmoderne Kunst immer eine ironische Kunst…Der Roman ist vielleicht per se postmodern, auch wenn er in der Antike entstanden ist” (aus dem Vorlesungsvideo “XIII. Postmoderne/ Patrick Süskind: Das Parfum”).

    Literaturwissenschaft scheint viel mit “wenn man will” und “vielleicht” zu tun zu haben…

  54. #54 MartinB
    11. April 2012

    @Wolfgang
    Ich habe gerade mal die Einführungsfolien für die Einführungsveranstaltung 2009 angeguckt. Da gab es eine Definition für Literaturwissenschaft, die ich sehr einleuchtend finde:
    Lesen = Beobachten von texten
    Lit-Wissenschaft = Beobachten des Lesens

  55. #55 WolfgangK
    11. April 2012

    @MartinB

    ich hatte mir das Anschauen der Lit-Wissenschaft-Einführungen sowieso vorgenommen. Mit der Definition alleine kann ich nicht allzuviel anfangen, zumal es nichts darüber aussagt, wie man das Beobachten des Lesens für alle gültig definiert (worum es mir ja eigentlich geht) – oder wie von Joseph Kuhn beschrieben – es dabei zu einer Objektivierung kommt. Beim Kurz-Anschauen der im vorhergehenden Kommentar erwähnten Vorlesung hatte ich im Gegensatz dazu ziemlich schnell das Gefühl, den Studis werden beliebig wirkende Interpretationen um die Ohren gehauen. Aber ich nehme natürlich auch die Möglichkeit in Kauf, dass ich einfach zu blöde für diese Thematik bin…

  56. #56 MartinB
    11. April 2012

    @WolfgangK
    Aber sagt nicht diese Kurzdefinition letztlich, dass es eine vollkommen objektive Literaturwissenschaft nicht geben kann? Immerhin ist das Beobachten des Leseprozesses ja doppelt subjektiv.

    Mal ne verwandte Frage: Bist du der Ansicht, dass man in irgendeiner Weise sagen kann, dass z.B. Shakespeare literarisch hochwertiger ist als Courts-Mahler? Falls ja, ist das eine objektivierbare Aussage?
    Falls nein, ist dann alle Literatur gleich wertvoll/-los?

  57. #57 WolfgangK
    11. April 2012

    @MartinB

    “Aber sagt nicht diese Kurzdefinition letztlich, dass es eine vollkommen objektive Literaturwissenschaft nicht geben kann? Immerhin ist das Beobachten des Leseprozesses ja doppelt subjektiv.”

    Ja, das ist mir bewusst. Aber ich habe enorme Schwierigkeiten damit, dass eine Wissenschaft beliebig interpretiert und sich nur auf spekulativer Ebene bewegt. Eine Wissenschaft ohne wirkliche Ergebnisse, weil alle Erkenntnisse nie wirklich abschliessend sein können. So wie der Dozent sagte: “Der Roman ist vielleicht per se postmodern, auch wenn er in der Antike entstanden ist”, was bedeutet – da er “postmodern” in die 80er Jahre verlegt -, dass die Romane der Antike 1970 anders klassifiziert wurden. Andere Zeit, andere Erklärung?

    “Bist du der Ansicht, dass man in irgendeiner Weise sagen kann, dass z.B. Shakespeare literarisch hochwertiger ist als Courts-Mahler? Falls ja, ist das eine objektivierbare Aussage?
    Falls nein, ist dann alle Literatur gleich wertvoll/-los?”

    Hm, was bedeutet wertvoll? Ich würde jegliche Art von Kunst erst einmal als wertneutral erachten. Wertneutral in Verbindung mit Kunst deshalb, weil es immer ein von einem Menschen geschaffenes Werk ist. Ob es “wertvoll” ist hängt dann von vielen verschiedenen Begebenheiten ab, sei es die Einhaltung von Regeln (oder auch deren Missachtung) und deren Interpretation, Anerkennung bzw. historische Anerkennung, und nicht zuletzt Beliebtheit oder Beliebtheit des Künstlers. Das ist alles natürlich nicht objektivierbar.

    Die Frage Shakespeare – Courths-Mahler hatte ich mal in einer anderen Zusammensetzung gestellt, nämlich in Bezug auf Beethoven und Wagner, die ich durchaus gerne als Klassikpopmusiker bezeichne. Sind deren Werke wertvoller als bspw. die von Pink Floyd?

  58. #58 MartinB
    12. April 2012

    @WolfgangK
    “Andere Zeit, andere Erklärung?”
    Ja. Das halte ich sogar für legitim. Ein Mensch des 20. Jahrhunderts kann in einem Werk andere Dinge sehen als einer des 19. Wenn Lit-Wissenschaft das *Lesen* beobachtet, nicht das Werk, dann ist es auch zulässig, Werke zeitabhängig umzuinterpretieren.
    Ich sage immer gern “Wer ist schon der Autor, dass er glaubt, sein eigenes Buch zu verstehen?”

    Ich halte es übrigens für gar nicht so abwegig, den “Wert” eines Buches auch zumindest halb-objektiv zu beurteilen; man könnte z.B. schauen, wie stark sich das Denken eines Lesers durch das Lesen verändert hat, wie bleibend der Einfluss war, ob Einflüsse aus dem Buch die Sprache durchziehen usw.
    Auch das bedeutet allerdings, dass der Wert eines Buches vom Leser abhängt.

  59. #59 WolfgangK
    12. April 2012

    @MartinB

    “Ein Mensch des 20. Jahrhunderts kann in einem Werk andere Dinge sehen als einer des 19.”

    Ich denke, dass ich mich damit abfinden muss, dass die Literaturwissenschaft als nicht-empirische Wissenschaft keine wirklichen Ergebnisse liefert, sondern sie sich ständig neu definiert. Nun ja, das rückt dieselbe aber irgendwie in den Bereich, wo man nach den Sinn und Zweck dieser Wissenschaft fragt.

    “Ich halte es übrigens für gar nicht so abwegig, den “Wert” eines Buches auch zumindest halb-objektiv zu beurteilen;”

    Halb-objektiv erscheint mir (wie auch der Unterschied zwischen “Wissen” und “objektivem Wissen”) ebenso nicht nachvollziehbar wie etwa “halbschwanger”. Entweder ist etwas objektiv, dann ist es für alle nachvollziehbar/nachprüfbar. Oder es ist empirisch, dann ist es zumindest durch viele verifizierbare Erfahrungen einigermaßen erfassbar. Was aber ist es, wenn es weder das eine noch das andere ist?

    Wenn man z.b. viele Menschen Shakespeare lesen läßt, dieselben hinterher nach bestimmten Kriterien befragt und die gemachten Erfahrungen bzw. veränderte Denkweisen festhalten würde, dann wäre es empirisch. Wenn man das fortlaufend alle zehn oder zwanzig Jahre macht, dann hätte man sogar so etwas wie eine nachvollziehbare geschichtliche Leseart-Entwicklung. Das macht aber Li-Wissenschaft nicht, sondern setzt sich spekulativ mit den möglichen Erfahrungen des Lesers auseinander, ja schlimmer noch, das Werk und seine Wirkung wird dann später völlig neu klassifiziert und aus neuer Sicht die alte Leseart interpretiert? Daran ist aber doch nicht wirklich etwas halb-objektiv. Aber bleiben wir doch bei dem Beispiel Shakespeare: kannst Du etwas genauer definieren, warum seine Werke “halb-objektiv” wertvoll sind? Vielleicht verstehe ich das ja an einem Beispiel.

  60. #60 MartinB
    12. April 2012

    @Wolfgang
    Mit “halb-objektiv” meinte ich, dass ich eben die Auswirkungen auf Personen messen könnte – aber es hängt natürlich vom personenkreis ab, was dabei rauskommt. So könnte z.B. “Jane Eyre” 1850 das Denken stark beeinflusst haben; heutzutage, wo ähnliche Geschichten quasi generisch tausendfach existieren, ist der Einfluss des Buches auf Leser vermutlich geringer.

    Umgekehrt war Pippi Langstrumpf zu ihrer zeit vollkommen o.k., heutzutage würde man Ideen wie “König der Neger” sicherlich kritischer sehen.

    Ein anderes schönes Beispiel ist Anthony trollopes wenig bekannter Roman “Nina Balatka”, in der es um eine Beziehung zwischen einer Christin und einem Juden geht. (Gibt’s frei verfügbar als ebook) Einerseits ist es eine klare Kritik am Antisemitismus, andererseits ist es voller Stereotypen bei der Charakterisierung der Juden. Zu seiner Zeit sicherlich eher wegen der Antisemitismus-Kritik schockierend, heutzutage eher, weil einem die Stereotypen sauer aufstoßen. (Wie alle Trollope-romane auf jeden Fall aber ein gut zu lesendes Buch…)

    “sie sich ständig neu definiert.”
    Ich denke, das ist eben zwingend, solange sich das Denken von Menschen mit der zeit ändert.

  61. #61 WolfgangK
    12. April 2012

    @Martin

    “Mit “halb-objektiv” meinte ich, dass ich eben die Auswirkungen auf Personen messen könnte – aber es hängt natürlich vom personenkreis ab, was dabei rauskommt.

    Also jetzt verwirrst Du mich ein wenig. Wenn ich die Auswirkung messen kann, dann ist das Ergebnis, wenn ich das richtig und mit möglichst vielen Personen mache, empirisch und habe damit zumindest statistisch relevante Ergebnisse. Wenn ich mich jedoch nur auf den einen oder anderen kleinen Personenkreis oder einzelne Personen beschränke, dann ist das m. E. reine Beliebigkeit.

    Wenn sich Literaturwissenschaft ständig neu definiert, dann kann sie sich eigentlich nicht weiterentwickeln und kreist nur um sich selbst. Sie liefert keine Ergebnisse und hat demzufolge nichts, auf das sie aufbauen kann. Alte Luftblasen zerplatzen und neue werden auf der Basis des neuen Lesers zelebriert. Nun ja, auch wenn ich den Weg verstehe, verstehe ich den Sinn jedoch immer noch nicht…

  62. #62 MartinB
    12. April 2012

    @Wolfgang
    “Wenn ich die Auswirkung messen kann, dann ist das Ergebnis, wenn ich das richtig und mit möglichst vielen Personen mache, empirisch und habe damit zumindest statistisch relevante Ergebnisse. ”
    Klar. Aber du kannst den versuch halt nicht mit den leuten aus dem 22. jahrhundert machen, und die werden anders reagieren. Deswegen meinte ich halb-objektiv: Du kannst gucken, wie bestimmte Leute reagieren, aber es gibt kein allgemeines “reagieren”, weil es nicht den allgemeinen Menschen gibt und sich das Denken der menschen deshalb zwangsläufig ändert.

    “Wenn sich Literaturwissenschaft ständig neu definiert, dann kann sie sich eigentlich nicht weiterentwickeln”
    Wenn sich die menschen weiterentwickeln und ändern, dann ändert sich auch das, was sie beim Lesen eines Textes wahrnehmen (siehe die beispiele oben), und das muss die Literaturwissenschaft doch mit erfassen. Sie definiert sich insofern neu, als dass sich die Menschen, deren Lesen die literaturwissenschaft untersucht, ändern, aber dass sie das Lesen untersucht, bleibt ja gleich.

    Etwas schiefe Analogie: Wenn wir kurz nach dem Urknall leben würden, würde sich die Astronomie auch ständig neu definieren – hey, eben hieß es noch, zentrales Thema der Astronomie ist das verhalten von heißen Atomen, früher hat man sich mit Quar-Gluon-Plasma beschäftigt und jetzt studiert ihr plötzlich diese Stern-Dinger?

    “Alte Luftblasen zerplatzen”
    Nicht notwendigerweise. Wenn ein LitWis im 19. Jahrhundert festgestellt at, dass ein bestimmter Text (wie Nina Balatka) in bestimmter Weise verstanden wird und aus seiner Zeit heraus auch werden sollte, dann hat das ja auch heute Gültigkeit, selbst wenn wir den text anders verstehen. Das gibt uns gültige Informationen über seine zeit – allerdings nicht universal gültige Informationen über die Wirkung des textes, die ändert sich eben.

    “verstehe ich den Sinn jedoch immer noch nicht”
    Tja, dazu kann ich nichts wirklich kluges beitragen.

  63. #63 WolfgangK
    12. April 2012

    @Martin

    “Klar. Aber du kannst den versuch halt nicht mit den leuten aus dem 22. jahrhundert machen,…”

    Klar nicht, das kann ja keine Wissenschaft. Dennoch kann bspw. die Psychologie empirisch Entwicklungstrends, die Zunahme von psychischen Erkankungen in Bezug auf den Wohlstand oder der gesellschaftlichen Entwicklung usw. anhand von selbstgefertigten Statistiken als Grundlage heranziehen. Und auch Trends können erstellt werden, wie die Psyche des Menschen im 22.Jhdt aussehen könnte, auch wenn das nur eine Annäherung wäre.

    “Du kannst gucken, wie bestimmte Leute reagieren, aber es gibt kein allgemeines “reagieren”, …”

    Jedoch gibt es ein statistisches, ein durchschnittlich erfassbares Reagieren. Über die Aussagekraft solcher Statistiken könnte Joseph Kuhn viel erzählen.

    Aber ich denke, ich komme so langsam drauf: in der Lit-Wissenschaft hat man solche empirischen Studien meiner Kenntnis nach nie gefertigt (also geht es da nicht einmal halb-objektiv zu), obwohl es in der heutigen Zeit nun wirklich kein Problem wäre, damit anzufangen. Die Literaturwissenschaft ist ja per definition keine empirische Wissenschaft, aber vielleicht will sie das ja auch ganz bewusst nicht sein. Vielleicht will sie keine nachprüfbaren Ergebnisse anhand von Studien liefern, auch wenn sie in Teilbereichen dazu durchaus in der Lage wäre. Ich glaube, das ist das, was ich nicht verstehe(n will).

    ” “Alte Luftblasen zerplatzen” Nicht notwendigerweise. Wenn ein LitWis im 19. Jahrhundert…(usf)

    Ok, da gebe ich Dir recht. Das ist natürlich etwas, was notwendigerweise historisch festgelegt ist, auch wenn niemand nachprüfen kann, ob die Bewertung richtig war und der allgemeinen (durchschnittlichen) Sichtweise entsprach. Das kann man auch nicht mehr nachholen wie vieles aus der Literatur, z.B. auch aus der Philosophie. Da muss man sich auf die damaligen Interpreten in Verbindung mit den heutigen darauf verlassen, nicht schief zu liegen. Insofern kann das natürlich nie objektiv sein, ist aber dennoch nicht wertlos.

  64. #64 MartinB
    12. April 2012

    “Vielleicht will sie keine nachprüfbaren Ergebnisse anhand von Studien liefern, auch wenn sie in Teilbereichen dazu durchaus in der Lage wäre. Ich glaube, das ist das, was ich nicht verstehe(n will).”
    Ich stelle mal (als Ahnungsloser) eine Vermutung an: Dafür ist das Denken zu elitär. Wenn nämlich Statistik gefragt ist, dann sind es am Ende die DSDS-Gucker, die bestimmen, was die “übliche” Wirkung von Literatur heutzutage ist – wobei die vielleicht diese Literatur außerhalb des Experiments gar nicht lesen würden. Das macht die Sache vielleicht doch schwieriger – für ein kontrolliertes Experiment müsste man entweder Leute zum Lesen zwingen (jeder Deutschunterricht beweist, dass das keine gute Idee ist) oder von vornhereis nur solche Leute nehmen, die das Werk sowieso lesen wollen, was dann wieder einen unkontrollierten Einfluss erzeugt.

    Das ist vielleicht doch komplizierter als dass ein handelsüblicher Physiker mal eben schnell was aus dem Ärmel schütteln könnte.
    Siehe auch
    https://xkcd.com/793/

    “Insofern kann das natürlich nie objektiv sein, ist aber dennoch nicht wertlos.”
    Das denke ich auch.

  65. #65 WolfgangK
    12. April 2012

    @Martin

    “Dafür ist das Denken zu elitär… …für ein kontrolliertes Experiment müsste man entweder Leute zum Lesen zwingen…”

    Ja, das denke ich auch, wobei es ja inzwischen alle möglichen statistischen Erfassungsmöglichkeiten gibt, die Fehlinterpretationen weitmöglichst ausschliessen. Aber die Angst vor DSDS-Guckern als literarischer Durchschnitt ist sicher immens…

    Wie dem auch sei: ich habe mir für die Zeit nach dem Abklingen einer Erkältung vorgenommen, die Einführungsvorlesungen bei Literaturwissenschaft-online anzuschauen. Das wird wohl kommendes Wochenende sein. Vielleicht ergeben sich ja neue Erkenntnisse. Wenn ja, werde ich sie mitteilen, wenn nein, werde ich schweigen. Jedenfalls Danke für diese Diskussion, die mich wieder einmal vorangebracht hat, auch wenn sie für Dich recht zäh war…

  66. #66 MartinB
    12. April 2012

    @Wolfgang
    Zäh geht anders. Und ohne die Diskussion hätte ich auch nicht in der Weise drüber nachgedacht, insofern war es auch für mich ergiebig. Ist ja immer hilfreich, einfach mal bewusst einen bestimmten Standpunkt einzunehmen (hier den, das LitWiss sinnvoll eine eine Form von Wissensgewinn ist), auch wenn man sich gar nicht sicher ist, dass der richtig ist.

  67. #67 WolfgangK
    13. April 2012

    @Martin

    In Wiki fand ich einen Artikel über eine (fast neue) empirische Literaturwissenschaft nach ihrem Begründer Siegfried J. Schmidt. Dort wird der traditionellen Literaturwissenschaft vorgehalten, dass “der überwiegende Teil ihrer Forschungsresultate kein Wissen enthalte, das über den unmittelbaren Zweck der Forschung (Prüfung, Qualifikation, Berufung usw.) hinaus in anderen wissenschaftlichen Disziplinen oder gar außerhalb der Literaturwissenschaft verwendbar wäre oder zur Lösung gesellschaftlicher Probleme taugen könnte.”

    Also im Prinzip genau das, was bei mir das leichte “Bauchgrimmen” ausgelöst hat. Weiter heisst es dort: “Damit die Literaturwissenschaft sich zu einer Normalwissenschaft im Sinne von Thomas S. Kuhn entwickeln könne, müssen nach Auffassung der Vertreter der Empirischen Literaturwissenschaft nicht nur ihre Voraussetzungen, sondern auch ihr Gegenstand neu bestimmt werden.

    Ich liege mit meinem Zweifel also gar nicht so daneben. Es ist wohl tatsächlich vorwiegend eine Wissenschaft, die hauptsächlich nur um sich selbst kreist…

  68. #68 MartinB
    13. April 2012

    @Wolfgang
    Das sagte ja auch Prof. Apel selbst (“Glasperlenspiel”), dass dieser Vorwurf häufig sei, und ich mag gerne glauben, dass das auch stimmt. Unsere Diskussion war aber ja eher, ob das zwangsläufig so sein muss und in wie weit man LW überhaupt zu einer Wissenschaft machen kann, dazu passt Dein Zitat eigentlich ganz gut.

  69. #69 Dr. Webbaer
    14. April 2012

    Unsere Diskussion war aber ja eher, ob das zwangsläufig so sein muss und in wie weit man LW überhaupt zu einer Wissenschaft machen kann (…)

    Wissenschaften, die sich primär mit bestimmten Sichten, mit eigenen Sichten sozusagen, befassen, können in Eigenrotation geraten, das gilt bspw. für die Literaturwissenschaften, für die Politikwissenschaft, für die Theologie, für bestimmte Teile der Wirtschaftswissenschaften wie für bestimmte Teile der Philosophie. Man könnte hier auf die Idee kommen Soziologen die Aufgabe zu übertragen die Außensicht zu pflegen und die erforderliche Distanz hinzuzubauen. Allerdings wäre das ein sehr gewagtes Unterfangen. – Wie man beispielsweise die LWen selbst fitten könnte, weiß der Schreiber dieser Zeilen nicht.

    MFG
    Dr. Webbaer

  70. #70 WolfgangK
    28. April 2012

    @MartinB

    Erst jetzt kam ich dazu, den ersten Teil der Vorlesung über Literaturwissenschaft anzusehen. Und ich muss gestehen, dass alleine schon diese Lehrstunde meinen Blickwinkel auf LitWiss verändert hat, da sie tatsächlich keine “Wahrheiten” lehrt bzw. festlegt (Prof. Albert Meier: “LitWissenschaftler können sich nie einigen, wer recht hat”), sondern das besonders genaue Lesen lehrt inkl. dem reflektierten Zugang zum Gegenstand sowie die genaue und vernünftige Begründung dafür. Das lässt natürlich der individuellen Einstellung viel Raum; es können auch mehrere recht haben. Das Video “Einführung: Was ist Literatur? Was ist Literaturwissenschaft?” ist trotz häufiger Tonstörungen recht empfehlenswert und interessant (ab 19. Minute, da wird LitWiss auch gleich begründet).

    Du lagst also mit Deiner Positionierung bei unsere Diskussion ziemlich richtig.In jedem Falle werde ich mir noch einige der Video-Vorlesungen antun, weil anhand verschiedener Texte und Kunstobjekte sich für mich neue und interessante Sichtweisen ergeben.

    Offtopic: mein Firefox lädt seit V.12 Scienceblogs-Seiten nicht mehr. Hat noch jemand das Problem?

  71. #71 rolak
    28. April 2012

    Nein, WolfgangK, bei mir arbeitet FF12 einwandfrei. Bzw nicht schlechter als seine Vorgänger.

  72. #72 WolfgangK
    28. April 2012

    @rolak

    es geht jetzt wieder. Wahrscheinlich war es nur ein kurzzeitiges Problem.

  73. #73 koi
    29. April 2012

    @WolfgangK, @rolak, @MartinB
    Leider ist es doch nicht vorübergehend.
    Ich habe das Problem auf verschiedenen Windows Rechnern (XP, Windows7) in Firefox, IE und Chrome:
    Es wird nur ein Teil (Werbung) angezeigt, obwohl der gesamte Seitentext geladen wurde.
    Machmal helfen zwei bis drei reloads.
    Unter Linux (Ubuntu) und Firefox geht’s, von hier auch der Kommentar.
    Ein ähnlicher Kommentar vorhin unter Windows scheint verschluckt worden zu sein.

  74. #74 Quacki
    29. April 2012

    Ich häng mich mal dran. Ich hab SB immer in Opera betrachtet, aber seit zwei Tagen tritt das von koi geschilderte Problem auf (in FF12 gehts dafür).

  75. #75 MartinB
    29. April 2012

    @Wolfgang
    “Du lagst also mit Deiner Positionierung bei unsere Diskussion ziemlich richtig”
    🙂
    Immer schön, wenn man bei einem Thema recht hat, von dem man keine Ahnung hat…

    @alle
    Ich habe die Browser-Probleme mal an die höheren Sb-Mächte weitergemeldet.

  76. #76 Niels
    29. April 2012

    @koi
    Ich hab dasselbe Problem, allerdings nur auf meinem Heimrechner.
    Von der Uni aus funktioniert alles.

  77. #77 MartinB
    30. April 2012

    Angeblich hat unsere Technik alles wieder heilgezaubert – könnt ihr das mal prüfen?

  78. #78 WolfgangK
    30. April 2012

    Bei mir funktioniert inzwischen alles wieder einwandfrei. Vielen Dank, auch an Jürgen Schönstein.

  79. #79 koi
    30. April 2012

    Alles wieder OK, Dank an die höheren Mächte

  80. #80 Niels
    1. Mai 2012

    Hier klappts auch wieder. Danke.

  81. #81 Christian Milz
    Frankfurt
    13. Juli 2014

    Hi,
    falls sich jemand für den “Klassiker” Georg Büchner interessiert (oder interessieren muss, weil Pflichtlektüre) habe ich dazu eine Anregung, die freilich von der sozusagen offiziellen Seite des Kulturbetriebs und allem was dazu gehört nicht gerne gesehen wird. Literatur hat, wie jede Gestaltung, eine innere Logik, die sich freilich nur dann erschließt, wenn man auf der selben Höhe ist, es gibt eine oder mehrere Dramaturgien und oder konstitutive Strukturen und letztlich auch so etwas wie Sinn.
    Ich habe eine anspruchsvolle aber lesbare kriminalistische Enthüllung des Mordmotivs im Woyzeck online gestellt: http://www.georg-buechner.net. Woyzeck ersticht nicht im Wahn irgend einen One-night-stand, das macht keinen Sinn und deswegen schlägt sich die Büchner-Forschung immer wieder mit dem ausführlich abgehandelten Lustmord auf der Bühne herum und sucht abseitige Motive und die Schuld bei den Nebenfiguren Doktor etc., die es aber in der ursprünglichen Woyzeck-Handschrift, dort, wo auch der Mord passiert, noch gar nicht gibt. Nein, Büchner bearbeitet, wie viele seiner Kollegen, ein Tabu und die dazugehörigen Übertretungen auf der symbolischen Ebene. Das war und ist häufiger üblich, als man gemeinhin meint, es handelt sich selbstverständlich um sexuelle Tabus, wie Pädophilie, Inzest usw. Soll ja vorkommen, auch real, siehe die Skandale an diversen Internaten, bei der BBC in der Künstlergarderobe, dem übersehenen Geständnis um den Erdbeermund der kleinen Kinski oder die Tochter im Keller des Hauses Fritzl. Weil sich der Kulturbetrieb anscheinend unwiderruflich auf den sozialen Büchner eingeschworen hat, ignoriert sie alle störenden Hinweise, wie sie das tut kann man auf http://www.christianmilz.de nachlesen. Das Büchner-Publikum, konfrontiert mit dem, was Büchner tatsächlich verfasst hat, schäumt vor Wut. Das hätte dem Zyniker Büchner gefallen. Heute stellt man ihn aufs Podest. Da darf er auch bleiben, aber bitte als das, was er war und ist: ein großer Dichter, der ausgesprochen hat, was damals und partiell auch noch heute unaussprechlich ist, und das hat er zudem unnachahmlich gestaltet.