Neugier ist lästig (“Lass mal sehen, was du da hast”), Neugier ist störend (“Was schreibst du gerade?”), Neugier ist indiskret (“Weißt Du, warum der M. neuerdings immer so früh nach Hause geht?”) Kein Wunder also, dass “sei nicht so neugierig” zu den häufigeren erzieherischen Ermahnungen gehört. Pandoras Neugier brachte alles Übel unter die Menschen, und auch in der Bibel wird Neugier generell harsch bestraft, sei es die Neugier Adam und Evas auf die Frucht vom Baum der Erkenntnis, sei es die Neugier von Lots Gemahlin bei der Flucht aus Sodom.

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Doch Neugier ist auch ein wesentlicher Charakterzug der Wissenschaft – und, wie ein Paper in der aktuellen Ausgabe von Perspectives on Psychology noch einmal ausdrücklich nachgewiesen hat, für den akademischen Lernerfolg ebenso essentiell wie Intelligenz und Fleiß. Weshalb der “Hunger des Verstandes” in dieser Studie auch als “die dritte Säule der akademischen Leistungsfähigkeit” bezeichnet wird (The Hungry Mind: Intellectual Curiosity Is the Third Pillar of Academic Performance).

Ich sage bewusst “noch einmal” – erstens, weil es sich hier um eine Meta-Analyse bereits für andere Zwecke erhobener Daten handelt, und zweitens, weil wir’s doch eh’ schon längst gewusst haben: Wissenschaft ist letztlich nichts anderes als institutionalisierte Neugier.

Doch ehe wir uns nun ein Fernglas schnappen, um den Nachbarn durch die Vorhänge beim Abendessen zuzuschauen – diese Form des invasiven Wissen-Wollens ist nicht gemeint. Es geht um die intellektuelle Neugier, die der schottische Philosoph David Hume als love of knowledge, also die Liebe zum Wissen, bezeichnet hat, im Gegensatz zur belauernden Neugier, die einem insatisfiable desire for knowing the actions and circumstances of neighbours entspringe:

A remarkable number of studies on determinants of academic achievement have focused exclusively on ability and effort; the present findings, however, recommend further expanding the “g-nexus” for a better understanding of individual differences in academic performance. The latter requires–beyond intelligence and effort–a hungry mind.
Sophie von Stumm, Benedikt Hell, Thomas Chamorro-Premusic: The Hungry Mind: Intellectual Curiosity Is the Third Pillar of Academic Performance

Abbildung: Eugene de Blaas (1843 – 1932) “Die Lauscherin”, via Wikipedia Commons

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Kommentare (5)

  1. #1 rolak
    28. Oktober 2011

    Abgesehen davon, daß es ‘kein Wunder’ ist, daß in starren Denksystemen wie Religion Neugier als äußerst unangemessen angesehen wird, ist ‘Neugier’ ein viel zu viel umfassender Begriff, als daß er einheitlich bewertet werden könnte – genauso wie der Mit- und Gegenspieler ‘Faulheit’. Ohne Neugier kein Voranschreiten, ohne Faulheit kein Bewahren/Verbessern. Fehlgeleitet kann Neugier zu sozialen Problemen führen, Faulheit zu individueller Lethargie.

    Insofern wäre die ‘ist’-Aufzählung zu Beginn des posts eher mit ‘kann sein’ zu formulieren. In etwa ‘kann zwar dies und jenes Lästiges sein, ist aber auch’…

  2. #2 Lars Fischer
    28. Oktober 2011

    Vor diesem Hintergrund ist es schon einigermaßen bedenklich, wie oft man gerade in Deutschland auf Wissenschaftler trifft, denen jegliche Neugier lange abhanden gekommen ist. Ich will das jetzt nicht nach Disziplinen und/oder Hierarchieebenen aufschlüsseln, aber ich denke, wer ein Bisschen “drin” ist, kann das mühelos selbst.

  3. #3 Nele
    28. Oktober 2011

    Ich bin sehr glücklich darüber, dass ich mit meinen jetzt schon fast Mitte 40 immer noch eine unstillbare Neugierde zu haben, alles immer sofort wissen zu wollen. Und ich liebe das Internet – es ist heutzutage so leicht geworden, immer und überall mal kurz in der Wikipedia oder woanders nachzurecherchieren. Nicht mehr so wie früher, Notizen machen und dann in die Bibliothek zu den einschlägigen Hilfsmitteln zu gehen.

  4. #4 rolak
    28. Oktober 2011

    Oh ja, Nele, den Stapel Bücher, meterweise Kopien und einen Eimer Zettelchen, die jedesmal zu Gruppenarbeiten mitgeschleift werden mußten, vermisse ich überhaupt nicht. Genausowenig wie den Schuhkarton mit Lochkarten…

    Ulkigerweise fehlt mir die zweite Humesche Neugier, die nach Personendaten fast völlig. Nicht selten kenne ich auch nach Jahren lockerer Bekanntschaft nur Vornamen, erlebte Eigenheiten und Erzähltes, jedoch weder Nachnamen, TelNummer, Alter noch das ganze andere übliche Gedöns. Schlecht, wenn ich dann wegen etwas recht Wichtigem anrufen möchte – doch bisher ists immer noch über zwei, drei Ecken glatt gegangen 😉

  5. #5 BreitSide
    28. Oktober 2011

    xxx