Egal ob man die Veröffentlichungspolitik von OPERA nun für blamabel hält wie ich oder nicht – es wird jetzt ein interessantes Stück an öffentlicher Physik daraus. Und demnach greife ich das doch noch einmal auf um zu erklären, was denn eventuell schief gelaufen sein könnte als man mutmaßlich überlichtschnelle Neutrinos maß und wie neue Experimente das prüfen sollen.

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Hier ist die einfache Basis dessen, was passiert: Man sendet ein Bündel von Neutrinos vom CERN aus in Richtung Italien, wo im Gran Sasso-Laboratorium Detektoren wie OPERA stehen und das Bündel auffangen. So weit, so gut. Nur, Neutrinos reagieren sehr selten und sind daher sehr selten zu messen. Man sieht nur einen Bruchteil des Bündels, und was passieren könnte ist dies:

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Wenn aus irgendeinem Grund – Zufall, oder weil Neutrinos mit höherer Energie leicht bevorzugt gemessen wurden oder weil früher eintreffende Neutrinos leicht bevorzugt gemessen werden, dann könnte der Eindruck entstehen, dass der Mittelpunkt des Bündels nach rechts verschoben ist vom tatsächlichen Mittelpunkt des Bündels, und somit natürlich auch eine zu hohe Geschwindigkeit vergetäuscht wird.

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Hier sieht man es nochmal mit den Bündeln: Man nimmt an, dass das gemessene Bündel repräsentativ für das gesamte vorbeirauschende Neutrinobündel ist. Vielleicht aber ist diese Annahme falsch, und so kam die Messung zustande, die Neutrinos schneller als das Licht ankommen sah – wobei man in Wirklichkeit nur Neutrinos, die früher als der Durchschnitt des Neutrinopaketes mit physikalisch möglicher Geschwindigkeit gestartet waren, gemessen hat, und als “mittleres Neutrino” eingestuft daraus eine zu hohe Geschwindigkeit wurde.
Um das zu testen, schießt man jetzt mit sehr viel kompakteren Neutrinobündeln:

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Die neuen Bündel werden statt 10500 Nanosekunden nur noch 1-2 Nanosekunden breit sein. Damit kann man zwei mögliche Fehler prüfen: a) dass der Fehler in der Flugzeitbestimmung doch größer ist als angenommen, was messbar ist weil der Fehler in der Ankunftszeit mit kompakten Bündeln sehr viel sichtbarer wird, b) wird das Zeitfenster in dem das Bündel ankommen darf sehr viel kleiner, daher würde der obige Effekt auch auffallen.
Wenn aber diese beiden Fehler nicht (neu) auffallen, ja dann hat man eine sehr viel bessere Messung des möglichen Effektes, dass Neutrinos schneller als das Licht unterwegs waren.

Bildquellen: Ethan Siegel



Kommentare (12)

  1. #1 roel
    10/28/2011

    @Jörg Warum wird in den Graphen die Entfernung (Distance) angegeben und nicht die Zeit (Time)? Es wird doch nicht die Entfernung, sondern die Zeit gemessen. Die Entfernung bleibt immer gleich.

  2. #2 Jörg
    10/28/2011

    Die Zeit bleibt gleich, weil das Ereignis von irgendeinem Neutrino im Bündel ausgelöst werden kann und man nicht weiß, wo im Bündel es sich befand. Die Annahme ist, dass es im Mittel egal ist. Aber das stimmt, will man jetzt testen.

  3. #3 Bullet
    10/28/2011

    @roel:

    Warum wird in den Graphen die Entfernung (Distance) angegeben und nicht die Zeit (Time)?

    Ich lese das so, daß distance nur ein “Abstand” ist – und der kann räumlich und zeitlich sein. Die Beschriftung der Ereignisse sagt ja auch “x0,t0” “xf,tf” und gibt, so ich das richtig verstehe, den auf eine mir jetzt nicht unmittelbar sofort erklärliche Weise zusammengefaßten Abstand in Raum und Zeit an.

  4. #4 Dagda
    10/29/2011

    @ Bullet
    Bei der Beschriftung geht es schon um den räumlichen Abstand, bzw um die Strecke die das Neutrino/die Neutrinos zurückgelegt habe bis sie zum Zeitpunkt tf registriert werden. Und wenn ich das jetzt richtig verstehe kann es sein dass man vor allem den Teil der Neutrinos registriert der zum Zeitpunkt t0 schon ein kleines Stückchen geflogen sind; Aber das ist schon etwas ausgefuchst und ich musste mir die Graphen zweimal anschauen und mir Jörgs Kommentar genau durchlesen.
    Vielleicht wiederhole ich aber auch nur noch einmal etwas was alle anderen schon wissen 😉

  5. #5 peter
    10/29/2011

    Sosehr ich die ganze Relativitätstheorie für eine Idiotentheorie halte, kann ich diesen Rummel wegen ein paar ppm Abweichung niemals als Beweis für eine Widerlegung anerkennen, geschweige denn, würde ich damit argumentieren.

    Höchstens bestätigt sich damit, daß die Relativitätstheorie für Idioten erfunden wurde, welche nicht wissen, worauf es wirklich ankommt.

  6. #6 Jörg
    10/29/2011

    Höchstens bestätigt sich damit, daß die Relativitätstheorie für Idioten erfunden wurde, welche nicht wissen, worauf es wirklich ankommt.

    Manche Menschen haben halt nicht die Stimmen im Kopf, die es ihnen sagen…aber die Realität ist auch ganz schön.

  7. #7 tschill
    10/29/2011

    Was sich mir nicht erschließt: Es gab ja einen Grund, das Neutrinopaket so breitbasig (auch komisch, wir reden schließlich nur über Mikrosekunden) anzulegen. Wegen der geringen Wahrscheinlichkeit der Interaktion mit dem Detektorsystem muß man viele Neutrinos auf den Weg schicken, um wenigstens ein paar abzufangen. Wenn man jetzt nur noch ein paar Nanosekunden sendet, wie gut sind denn dann die Signale, die man auffängt, vom Hintergrund zu trennen?

  8. #8 Jörg
    10/29/2011

    Auch bei breiten Pulsen sieht man ja nur einzelne Ereignisse, das heißt man muss in jedem Fall einzelne isolierte Neutrinoereignisse vom Hintergrund trennen. Das kennt man ja, da es in den ersten Neutrinoexperimenten, die sich z.B. Sonnenneutrinos angesehen haben, nur ein paar Ereignisse pro Jahr gab.
    Man erwartet für die neue Messperiode nur 10-15 Ereignisse. Was allerdings auch nicht nach supertoller Statistik klingt…aber so eine Gaußkurve einigermaßen annähern sollte man damit können.

  9. #9 Titus
    11/18/2011

    Die Experimente haben die älteren Resultate bestätigt

    https://news.sciencemag.org/scienceinsider/2011/11/faster-than-light-neutrinos-opera.html?ref=hp

    https://www.newscientist.com/article/dn21188-more-data-shows-neutrinos-still-faster-than-light.html

    Jetzt müssen wir wohl auf die unabhängigen Überprüfungen durch Fermilab oder T2K warten.

    PS: Wo man das neue paper runterladen kann (denn die arxiv-Version ist noch nicht aktualisiert), erklärt Tommaso Dorigo hier

    https://www.science20.com/quantum_diaries_survivor/opera_confirms_neutrinos_travel_faster_light-84763

  10. #10 Günter
    11/18/2011

    Das einzig “Blamable” ist die Borniertheit von Jörg, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Unsere neuen Ergebnisse gönne ich ihm.

  11. #11 Jörg
    11/18/2011

    Das einzig “Blamable” ist die Borniertheit von Jörg, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Unsere neuen Ergebnisse gönne ich ihm.

    Wow, ja, wie borniert kann man sein, Einzelexperimentdaten die gleich zwei Säulen der Physik verletzen nicht sofort jubelnd anzuerkennen. Da ist es ja nur angemessen, “weil nicht sein kann, was nicht sein darf”, ein Satz der schon Augenrollen ausgelöst hat als Cäsar noch mit Pirat auf Segeltörns unterwegs war. Und was soll das heißen, “unsere neuen Ergebnisse”?
    Aber das bemerkenswerteste neue Ergebnis finde ich, dass das Zeitfenster für Neutrinodetektion 50 ns war und nicht 10, wie angenommen, und dass das erst jetzt im Nachhinein bekannt wird. Da sind 60 ns Zeitverschiebung voll vertrauenswert…

  12. #12 Titus
    11/18/2011

    Jetzt haben sie die neue Version auch auf arXiv eingespielt

    https://arxiv.org/abs/1109.4897v2