Was würdet Ihr von einem Sportreporter halten, der erkennen lässt, dass er nicht über die Spielregeln von Fußball Bescheid weiß? Das wäre doch irgendwie irritierend oder?

So ähnlich geht es mir teilweise bei Texten von Wissenschaftsjournalisten. Da stolpere ich über Sätze und Formulierungen und frage mich ernsthaft, ob der eigentlich einen blassen Schimmer davon hat, wie Wissenschaft eigentlich funktioniert.

Das können durchaus ganz unschuldig wirkende Details sein. Aber ich finde gerade in den Details in gedankenlos dahin gesprochenen Sätzen offenbart sich der wahre Kenner oder eben auch profunde Unwissenheit.

1) Da stolperte ich in einem Text zur Zeitumstellung über den Ausruck “unser Alleswisser Albert Einstein“. Schöne Alliteration. Aber ich erwarte von Wissenschaftsjournalisten, dass sie nicht einer unkritischen Autoritätsgläubigkeit anhängen und schon gar nicht möchte ich, dass sie diese verbreiten bzw. weiter zementieren. Mich nervt diese Glorifizierung Einsteins zum Wissenschaftsgott oder -heiligen, dessen Zitate als Dogmen verwendet werden. Kann das bitte einer mal abstellen?

2) Ein ganz harmloser und an sich informativer Text über die Farbstoffe im Herbstlaub berichtete über verschiedene wissenschaftliche Ideen zu den möglichen Vorteile dieser Stoffe für die Pflanze: Schutz vor Parasiten oder vor starker Herbstsonne? Dann hieß es auf einmal: “Das ist noch nicht abschließend beweisen”

WTF? Abschließend bewiesen? Wie stellt sich die Autorin das denn vor vor? Kommen da Wissenschaftler jedes Jahr mit einer Checkliste zusammen, haken die Liste ab und packen danach die Idee nie wieder an? Das ist doch völliger Blödsinn.

Man kann nie etwas in der Naturwissenschaft “abschließend” beweisen. Aber irgendwann ist eine Idee so gut, dass sie alle anderen Ideen aussticht und oft sogar praktische Anwendungen im Alltag findet. Das ist eher ein selbstregulierender Prozess. Gute Ideen entwickeln sich weiter und die falschen erweisen sich als Sackgassen. Schon gar nicht ruht man sich auf den Lorbeeren aus und überprüft niemals wieder bewährte Ideen oder beschließt von oben herab, dass etwas ab jetzt “bewiesen” und damit “abgeschlossen” ist.

3) Vor kurzem auf WDR5-Leonardo habe ich dann in Zusammenhang mit Gentests für erbliche Kankheiten folgenden Satz gehört: “Die wenigsten Tests bieten 100%ige Sicherheit.” Die wenigsten Tests? Kein Test kann 100%ige Sicherheit garantieren! Ich kann noch nicht mal 100%ig garantieren, dass morgen nicht alle Äpfel eher nach oben schweben als zu Boden zu fallen. Es ist extrem unwahrscheinlich, aber 100%ig ausschließen? So denken Wissenschaftler nicht. Wir reden in Wahrscheinlichkeiten und sowohl 0% wie 100% sind Extreme einer Skala, denen wir sehr nahe kommen können, die wir aber nie endgültig erreichen werden. Es ist ein allzu verbreiteter Trugschluss, dass so etwas wie eine perfekte Lösung oder 100%ige Sicherheit überhaupt existiert.

Damit hab ich mich bei der LHC-Diskussion schon rumgeplagt und versucht diese Vorstellung aus der Welt zu schaffen.Tja und hier wird sie in einer an sich sehr guten Wissenschaftssendung mal eben im Vorbeigehen zementiert.

Manchmal habe ich den Eindruck, dass viele Leute ganz genau zu wissen meinen, was “Wissenschaft” ist, wie sie funktioniert und was Wissenschaftler den ganzen Tag so treiben. Dummerweise stimmen diese Vorstellungen oft nicht mit dem überein, was wir – die Wissenschaftler – darunter verstehen und wirklich treiben. Wir arbeiten nur tagtäglich damit und betreiben es als Beruf. Was wissen wir schon?

Gerade die, deren Beruf es eigentlich sein sollte, es besser zu wissen, tragen zu dieser Diskrepanz mit bei und haben keine Ahnung, was für einen Schaden sie damit anrichten. Als Wissenschaftler steht man da auf ziemlich verlorenem Posten.

Kommentare (16)

  1. #1 Ulrich
    November 8, 2008

    Zustimmung. Aber was den “Alleswisser Albert Einstein” betrifft: Guntram Müller-Jänsch vom Kölner Stadt-Anzeiger ist kein Wissenschaftsjournalist, da würde ich noch einmal ein Auge zudrücken.

  2. #2 Stefan
    November 8, 2008

    Hallo Ludmila, um in Deinem Bild zu bleiben: die wenigsten Sportreporter sind Fußballer, deswegen holt man sich ja auch gerne Experten als Studiogäste dazu. Ich finde Deine Aufregung ein bißchen übertrieben, denn sieh es mal so: ein Wissenschaftsjournalist ist wie ein Auslandskorrespondent, der aus einem fremden Land berichtet. Er schaut zwar, was die Menschen in diesem fremden Land so machen, selber bleibt er aber immer Ausländer und berichtet immer in der Sprache seines Herkunftslands. Daraus resultierende Übersetzungsfehlern und Klischees wird es immer geben. Eine Aussage wie “Die wenigsten Tests bieten 100%ige Sicherheit” soll doch nur sagen, dass man sich auf das Ergebnis solch eines Tests nicht verlassen kann. Dass etwas nicht “abließend bewiesen” ist heißt im Nichtwissenschaftlerland nur, dass man es nicht wirklich weiß und Einstein ist halt nunmal der Popstar der Wissenschaft, das ist nervig, aber kaum zu ändern. Ich erwarte von einem Wissenschaftsjournalisten in erster Linie journalistische Kompetenz, für die Wissenschaft ist dann der Experte da, wie bei Netzer und Delling (hier ist angeblich Netzer der Experte, nur so als Hinweis ;-)).

  3. #3 Ludmila
    November 9, 2008

    @Stefan: Ja, der Journalist als Auslandskorrespondent 😉 Da ist viel Wahres. Nur manchmal frage ich mich, ob all die Leute wissen, die über Wissenschaft berichten, dass sie im Grunde über eine fremde Sprache und Kultur berichten? Es hört sich an wie Deutsch, aber Wissenschaftlerdeutsch hat so seine Fallstricke. So wie Behörden- und Juristendeutsch. Wissen das Journalisten? Und wissen das auch die Wissenschaftler?

    Ich merke erst jetzt, wie sich meine Sprache und die Art zu denken durch mein Studium und die Arbeit verändert hat und wie Missverständnisse fast zwangsläufig entstehen. Wenn man das nicht weiß, dann wundert man sich warum das Gegenüber einen nicht versteht. So etwas führt nur zu Frust – auf beiden Seiten.

    Und erst recht zur Verwirrung bei dem Leser, der im schlimmsten Fall das Ergebnis eines “Stille Post”-Spiels zu Gesicht bekommt.

  4. #4 jge
    November 10, 2008

    Sie sind ein bisschen streng, finde ich — der Satz vom Alleswisser-Einstein ist zwar denkbar blöd und unmotiviert, aber der Zusammenhang, in dem er gebracht wird, zeigt ja deutlich, dass es nicht ganz ernst gemeint ist: denn die abschließende “Definition” ist ja nicht der Weisheit letzter Schluss, sondern eine Banalisierung.
    Das mit der 100%-Sicherheit ist auch nicht richtig. Natürlich kann man 100%ge Sicherheit haben, z.B. darüber, dass, wenn etwas nicht vorhanden ist, man auch nicht daran sterben wird. Beispiel: Der Test hat gezeigt, dass Sie nicht rauchen, also: Sie werden mit 100%iger Sicherheit nicht an einem Lungenkrebs sterben, der durch Rauchen verursacht wurde. (Dies ist nur ein Beispiel.)
    Und das mit dem “abschließend beweisen” müssen Sie ja wohl nur in ihre Wissenschaftsfachsprache übersetzen: dass die fragliche Theorie noch nicht den Grad der allgemeinen Akzeptanz erreicht hat und noch nicht in hinreichendem Maße gestützt ist.

  5. #5 Ludmila
    November 10, 2008

    @jge: Beispiel: Der Test hat gezeigt, dass Sie nicht rauchen, also: Sie werden mit 100%iger Sicherheit nicht an einem Lungenkrebs sterben, der durch Rauchen verursacht wurde.

    Sie kennen Menschen in der westliche Welt, die niemals passiv geraucht haben? Jeder Mensch in der westlichen Welt atmet irgendwann im Laufe seines Lebens Zigarettenrauch ein und deswegen kann natürlich auch ein Nichtraucher an Lungenkrebs sterben, das durch Rauchen verursacht wurde. Und schon ist Ihr Beispiel von der 100%igen Sicherheit dahin. Kaum ein Wissenschaftler wird sich dazu hinreißen lassen, von 100%iger Sicherheit zu sprechen.

    Und das, was sie meinen: Die Nichtexistenz von etwas, hat bei uns einen Namen. Die Nullhypothese. Und es ist ein grundlegender naturwissenschaftlicher Sachverhalt, dass sich die Nullhypothese, also die Nichtexistenz von etwas, eigentlich nicht wirklich beweisen lässt.

    Wie soll das gehen?
    Sind Sie in der Lage jedes einzelne Atom im Universum zu inspizieren und abzuklopfen und zu garantieren, dass Ihnen nichts entgangen ist? Man kann etwas mit hinreichender Genauigkeit ausschließen. Aber 100% Sicherheit wird man da nie erhalten.

    Sehen Sie! Und schon haben wir eine grundsätzliche Diskrepanz in der Weltsicht.

  6. #6 knorke
    November 10, 2008

    Das Thema Wissenschaftstheorie ist schon etwas eingerostet bei mir (+ ich bin, mit Verlaub, kein Naturwissenschaftler, wo ggf. die Missverständnisse schon anfangen könnten, aber weiter im Text:), aber ich meine mich dunkel zu erinnern, dass hypothesentestende Verfahren nur dann Anwendung finden dürfen, wenn die Wahrscheinlichkeit, dass ein Ereignis eintritt, weder 0 noch 1 ist. Falls ich mich da richtig erinnere und nicht was durcheinander bringe, dann hat es:
    1) keinen Sinn, etwas 100%ig beweisen zu wollen oder dies zu behaupten (also hat Ludmila Recht)
    2) dann schließt das aber (jedenfalls nach meinem Verständnis) auch nicht aus, dass man nicht doch auch ein Ereignis definieren kann, dessen Eintrittswahrscheinlichkeit 0 oder 1 ist (also hat jge Recht)
    3) Frage ich mich, ob Beweise in der Mathematik von obiger Logik nicht ausgenommen werden können. Wobei – da gibt’s ja wieder Axiome…
    4) glaube ich, dass eine Wissenschaftsphilospoph – wahrscheinlich sogar ein Philosoph mit anderem Schwerpunktgebiet – bei dieser Thematik einiges Interessantes beitragen könnte

  7. #7 jge
    November 11, 2008

    Danke knorke. Wofür? Komm ich gleich drauf.
    @Ludmila. Das Beispiel ist so gemeint, dass der Nichtraucher als einer zu verstehen ist, der keinen Rauch eingeatmet hat. Vielleicht ist es kein so gutes Beispiel, da Sie gleich mit der Empirie gekommen sind, aber es ging mir darum, einen Satz zu bilden, der empirisch klingt, aber aus logischen Gründen wahr ist. Und für den dann die Rede von 100%iger Sicherheit auch wahr ist. Und dasselbe gilt natürlich für die von Ihnen genannte Nullhypothese. Ich stell jetzt mal eine auf: “Es gibt keine Einhörner”. Natürlich kann ich das beweisen, 100prozentig. Indem ich Einhörner als “fiktive pferdeähnliche Wesen mit einem Horn auf der Stirn” definiere. Sie werden in der Welt kein Einhorn finden, da meine Definition das Wort “fiktiv” enthält. Sie könnten einwenden, dass dann Diskussionen wie “Gibt es Einhörner?” sinnlos seien, denn dort ginge es ja gerade um die Frage, ob fiktiv oder nicht. Ich würde darauf antworten, dass meine Definition von Einhorn eine beschreibende Definition wie in einem Wörterbuch ist, d.h. sie entspricht unserer tatsächlichen Verwendung des Wortes.

    Ja, der Kern meines Einwandes ist, dass in der gewöhnlichen Sprache eine Rede wie “100%ige Sicherheit” 1. durchaus wahr sein kann auch für Wissenschaftler, 2. in einem Sinne gemeint sein kann, der eben nicht wissenschaftlich ist. Natürlich sind Sie nicht 100%ig sicher, das morgen die Sonne aufgeht — aber trotzdem würden Sie darum wohl um 10 Mio € wetten, oder?

  8. #8 florian
    November 11, 2008

    @jge: “Ich stell jetzt mal eine auf: “Es gibt keine Einhörner”. Natürlich kann ich das beweisen, 100prozentig. Indem ich Einhörner als “fiktive pferdeähnliche Wesen mit einem Horn auf der Stirn” definiere.”

    Also diese Art der Argumentation läuft auf den Satz “Was es nicht gibt, das gibt es nicht” raus. Und der ist völlig sinnfrei…

  9. #9 Ludmila
    November 11, 2008

    @jge: “Es gibt keine Einhörner”. Natürlich kann ich das beweisen, 100prozentig. Indem ich Einhörner als “fiktive pferdeähnliche Wesen mit einem Horn auf der Stirn” definiere.

    Tja und da stehe ich nun als Naturwissenschaftler, der sich an die Empirie hält, und denke mir: Häh? Ich beweise etwas, in dem ich etwas definiere? So etwas würde uns im Traum nicht einfallen und man würde uns Argumentationen dieser Art um die Ohren hauen.

    Jetzt will ich aber auf den konkreten Gegenstand eingehen, zu dem diese Bemerkung mit der 100%igen Sicherheit fiel. Es ging um Gentests bei Krankheiten und es gibt keinen und wird wahrscheinlich nie einen Gentest geben, der sagen wird: Sie werden im Alter von 40 Jahren an Brustkrebs erkranken. Die Gentests können noch nicht mal sagen, ob Sie überhaupt an Brustkrebs erkranken werden. Man wird nur eine Wahrscheinlichkeit angeben können. Z.B. 80% bei starker erblicher Belastung.

    In diesem Zusammenhang von 100%iger Sicherheit zu reden, erscheint mir etwas seltsam. Weil man so etwas als Ideal angibt, was es in diesem konkreten Fall nie geben kann.

    Natürlich bin ich hier mäkelig. Aber ist doch interessant, was sich daraus für Diskussionen ergeben.

    Natürlich sind Sie nicht 100%ig sicher, das morgen die Sonne aufgeht — aber trotzdem würden Sie darum wohl um 10 Mio € wetten, oder?

    Klar würde ich das. Alleine schon deswegen, weil ich weiß, dass selbst wenn ich mal verliere, mein Gläubiger und ich ganz andere Sorgen haben werden als die 10 Millionen Euro einzutreiben. Von wegen Weltuntergang und so 😉

  10. #10 Anhaltiner
    November 11, 2008

    Aus meiner Sicht liegt das Problem darin das Journalisten auch für Nichtwissenschaftler schreiben und da sind 99,6% schonmal rund 100%, sonst wären z.B. Vaterschaftstests unmöglich. Ähnlich verhält es sich wohl mit der Beschreibung “nicht abschließend bewiesen” – das soll wohl zum Ausdruck das es zwar Beweise gibt die auf eine Richtigkeit der Hypothese hindeuten – aber diese Beweise werden (noch) angezweifelt oder konnten noch nicht reproduziert werden. Aus sicht eines Laien ist ja auch die Ampel rot – obwohl Lichtzeichenanlage mit rotem Dauerlicht sicher korrekter wäre.

  11. #11 Tark.V
    November 11, 2008

    100%….

    100% von was?
    Natürlich kann ich innerhalb eines Modells, Systems Aussagen mit 100%iger Sicherheit treffen. Als Beispiel z.B. mathematische Sätze: Das Quadrat einer ungeraden natürlichen Zahl ist ungerade. Das stimmt zu 100%!
    Und das Beispiel mit den “Krebsgenen”. Wenn ich eine bestimmte Sequenz nicht habe, kann sie mit 100%iger Sicherheit nicht diese bestimmte Krankheit bei mir hervorrufen. Wenn ich auch noch nachweise, das diese Mutation die einzige Ursache für diese Krankheit ist (Aufklärung des Wirkmechanismus, notwendige Veränderungen bestimmter Rezeptoren…) kann ich zusätzlich noch diese bestimmte Krankheit zu 100% ausschließen. Bei Vorhandensein der Mutation kann ich auch mit Sicherheit eine bestimmte Eintrittswahrscheinlichkeit vorhersagen.

    Als zweiten Aspekt möchte ich noch anfügen, dass sich “100%ige” Aussagen natürlich nicht auf einzelne Messwerte stützen, sondern auch eine 100%ige Aussage – sollte sie sich auf einen Wert beziehen (oder auf einen aufgebaut sein) – natürlich ihr Fehlerintervall hat. Aber auch dass ist streng determiniert und wiss. berechnet.

  12. #12 Joerg
    November 11, 2008

    “Das Quadrat einer ungeraden natürlichen Zahl ist ungerade. Das stimmt zu 100%!”

    Das ist doch keine Wahrscheinlichkeitsaussage, sondern ein Axiom bzw eine Definition. Das kann man überhaupt nicht Wahrscheinlichkeiten belegen.

    “Wenn ich eine bestimmte Sequenz nicht habe, kann sie mit 100%iger Sicherheit nicht diese bestimmte Krankheit bei mir hervorrufen.”

    Hmm, vielleicht existiert ja ein Mechanismus über den diese Sequenz wenn sie bei einem anderen Menschen vorliegt durch Händeschütteln und böse Angucken Krebs hervorrufen kann. Unwahrscheinlich? Ja. Endliche Wahrscheinlichkeit? Ja.

  13. #13 Ludmila
    November 12, 2008

    @Tark V:
    “Wenn ich eine bestimmte Sequenz nicht habe, kann sie mit 100%iger Sicherheit nicht diese bestimmte Krankheit bei mir hervorrufen.”

    Du gehst hier bereits von einer falschen 100%-Annahme aus. Du setzt vorraus, dass es einen realen Test gibt, der zu 100% ausschließen kann, dass Du diese Gensequenz nhast. Willkommen in der Signaltheorie, die Dir da dummerweise einen Strich durch die Rechnung macht. Zufälligerweise arbeite ich gerade ganz heftig damit.

    Jeder real existierende experimentelle Test liefert einen bestimmten Prozentsatz falsch positive und falsch negative Ergebnisse. Deswegen hat jeder Test eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass man Menschen eine Gensequenz zuordnet, obwohl sie die sie nicht haben und eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass man eine Gensequenz nicht findet, obwohl sie vorhanden ist.

    Man muss versuchen beide Fehler zu minimieren, dass geht aber nur auf Kosten der jeweils anderen. Es gibt dafür keine ideale Lösung und deswegen kannst Du nie experimetell zu 100% ausschließen, dass Du diese krankmachende Gensequenz nicht hast. Zu 99,998 % vielleicht. Dennoch heißt das, dass auf 10 000 geteste Menschen zweien fälschlicherweise gesagt wird, dass sie diese Gensequenz nicht haben und nicht krank werden können.

    Außerdem stimme ich Jörg zu. Das andere Beispiel ist nicht zutreffend, weil es die Mathematik betrifft. Mathematik ist aber keine experimentelle Naturwissenschaft. Kannst Du einen mathematischen Satz außerhalb der Stochastik bestimmen, der mit 20%iger Wahrscheinlichkeit wahr ist? Wohl kaum. Und es geht hier um experimentelle Wissenschaft und da können wir nur mit Wahrscheinlichkeiten hantieren.

    @alle: Wo wir bereits bei 100%-Sicherheit-Diskussionen sind. Die angebliche hirnrissige Weltuntergangsgescheschichte am LHC ist mir immer noch unangenehm im Gedächtnis.

    Da denkt sich irgendein Spinner was aus, die Physiker sagen: “Das ist extrem unwahrscheinlich” Im Sinne von “Da lernen die Schweine morgen eher fliegen”-unwahrscheinlich. Und auf einmal wird es dann ganz genau genommen. Dann wurde nämlich nicht großzügig aufgerundet.

    Und wer ist es dann schuld? Na klar, wir sollen das dann schuld sein. Obwohl wir an unserer Sprache nichts geändert haben. Und da fühle ich mich dann, ehrlich gesagt, ein bisschen verarscht. Ich habe nichts dagegen, wenn man unsere Wissenschaftlerworte in Laiensprech übersetzt. Aber ich hab was dagegen, wenn man an einem Tag denselben Wortlaut mal so und mal so übersetzt. Je nach Gutdünken. Und dann anschließend den Leuten Morddrohungen schickt, weil man meint, die würden mit der Sicherheit der Welt spielen.

  14. #14 knorke
    November 12, 2008

    @ludmila:
    Trotz allem hin und her halte ich deine Kritik (insbesondere) was die 100% Thematik betrifft) nach wie vor (auch wenn ich’s noch nicht geschrieben habe) für überzogen. Ich habe dafür auch mindestens zwei gute Gründe allein schon hier gelesen (erster Satz von Anhaltiner zur Thematik) – zweitens die Analgoie mit dem Auslanskorrepondenten – trotz deiner Ausführungen dazu erscheint dir dies ja auch als akzeptables Argument. Und ein dritter Punkt, der allerdings damit einhergeht: Was wird denn aus all den Forderungen, die Wissenschaft müsse raus aus Ihrem Elfenbeinturm, und versuchen, andere für sie zu interessieren, wenn man stoisch an wissenschaftlichen Details festhält. Du hast ja selbst schon von der “Wissenschaftssprache” gesprochen, wenn die nicht verstanden wird, warum soll man dann nicht dem Endverbraucher das Große, Ganze leichter verdaulich servieren.
    Ungeachtet dessen verstehe ich was du meinst, mir rollen sich gelegentlich die Zehennägel hoch. Man kann da aber auch gern ein Auge zudrücken, wenn es nicht grade das Amercian Journal of Psychologie ist, sondern eine deutsche Qualitätszeitung.

  15. #15 Jürgen Schönstein
    November 12, 2008

    @Ludmila und alle
    Als arbeitender Journalist muss ich hier einfach meinen Senf dazu geben. Und der lautet: Was Ludmila bemängelt, ist nicht primär ein Problem des Wissenschaftsjournalismus – es ist ein Problem des Journalismus. Hier geht es nicht um wissenschaftlich korrekte Sprache, sondern es geht einfach nur um Sprache. Klischees wie Albert Einstein, das Genie, sind immer abgedroschen – selbst wenn man sie im Kulturteil oder meinetwegen auch als Metapher im Sportteil verwendet. Und dass “abschließend bewiesen” irgendwie ein Doppelmops ist (wenn etwas nicht “abschließend” bewiesen ist, dann ist es eben nicht bewiesen – ein “bisschen schwanger”, um mal ein anderes Klischee zu gebrauchen, gibts ja auch nicht), den man besser vermeiden sollte, sagt einem vielleicht schon das eigene Sprachgefühl. Das gleiche gilt für “hundertprozentige Sicherheit” (alles, was nicht sicher ist, ist bestenfalls wahrscheinlich).
    Aber selbst Journalisten, die sich Mühe geben, stehen oft vor dem Problem, dass sie einen Weg zwischen wissenschaftlicher “Exaktheit” (die meist eh’ nur eine Exaktheit der Terminologie ist, viel seltener eine Exaktheit der Informationen) und allgemeiner Verständlichkeit finden müssen. Ich habe zum Beispiel gerade einer Kollegin dabei helfen müssen, den beinahe nonchalant in ein Interview eingeworfenen Begriff der “genome-wide association studies” zu übersetzen. Auf die Schnelle konnte ich nur “genom-weite Studien” finden, doch auch deutsche Forscher bevorzugen offenbar den englischen Begriff. Und der hilft einem “normalen” Leser weniger als nichts – er gibt ihm selbst im besten Fall noch das Gefühl, dass hier über seinen Kopf hinweg geredet wird. Auch die deutsche Behelfs-Übersetzung ist da übrigens nicht viel besser.
    Das Problem dabei ist nun: Soll man als Journalist die Aussage so lange umschreiben, dass der Leser sie zwar versteht (zum Beispiel als “breit angelegten Studien schwafeln, in denen die in den menschlichen Genen kodierte Information auf Zusammenhänge mit Krankheiten untersucht wird”), aber am Ende nicht mehr dem entspricht, was der oder die Befragte wirklich sagte? Oder die Aussage – Zitat ist nun mal Zitat, und wer hätte schon das Recht, einem Wissenschaftler andere Worte in den Mund zu legen – so stehen lassen? Mit dem Effekt, dass wahrscheinlich 99,9 Prozent der Leser keine Ahnung haben, worum es überhaupt geht.
    Ohne hier ein abschließendes Urteil zu erwarten, sicher ist doch: Ein Journalist ist dem Leser verpflichtet – wenn der nicht verstehen kann, was ihm verkauft wird, dann hat man ihn um sein Geld geprellt. Dessen sollte sich auch ein Wissenschaftler klar sein, wenn er/sie mit den Medien spricht. Und sich vielleicht votr so einem Gespräch auch ein paar Gedanken machen, wie er seine/ihre Foschung in einer Form erklären kann, dass sie auch für Nicht-Fachleute begreiflich wird. Das nennt man Kommunikation.

  16. #16 derBright
    November 25, 2008

    Wie richtig und nötig Ludmilas Beanstandungen sind, zeigt sich auch an Zahl und Art der Gegenmeinungen hier, die nicht den Kern des gesagten treffen, sondern Randphänomene zu entschuldigen versuchen. Denn wer sagt: “Die wenigsten Tests bieten 100%ige Sicherheit”,
    – hat definitiv keine Ahnung, wovon er spricht,
    – hatte definitiv nicht das Problem um sinnvolle Übertragung englischer Idioms ins Deutsche zu ringen,
    – hatte definitiv nicht das Problem, einen schwierigen wissenschaftlichen Sachverhalt mundgerecht für einen Laien aufzubereiten,
    – verdummt sein Publikum durch eigene Nachlässigkeit, und das hat Folgen, Folgen, Folgen.
    Wir reden hier nicht über einen Einzelfall, sondern über eine Massenerscheinung. Feynman hat immer wieder vorgeführt, dass Wissenschaftlichkeit eben nicht im Widerspruch zur Alltagsverständlichkeit steht.