Böcke als Gärtner und die fraktale Topologie der Zeit.

Nicht sehr überraschend finden sich im Zuge der aktuellen Plagiatsaffäre allerlei Trittbrettfahrer, die die Gelegenheit nutzen, um von einem Imageschaden für die Wissenschaft, über “Seilschaften, tendenziöse, interessengetriebene Interpretationen von Daten, in Einzelfällen handfeste Fälschungen” auch in den “harten” Naturwisenschaften, einem notwendigen Selbstreinigungsprozeß der Hochschulen etc zu fabulieren.

Ist es wirklich so schlimm? Einzelne Beispiele für Fälschungen wird man natürlich immer mal finden, aber im allgemeinen tragen die sogenannten “harten” Wissenschaften dieses Attribut, auch was die Ansprüche bei Dissertationen angeht, doch wohl durchaus zurecht – gerade auch, wenn man thematisch ähnliche Arbeiten in unterschiedlichen Fächern vergleicht.

Wer mit Allgemeinplätzen promovieren will, wird damit eher in den Erziehungswissenschaften als in einem naturwissenschaftlichen Fach Erfolg haben, wer als Physiker neue Ideen zur Enstehung der Relativitätstheorie hat, wird eher bei den Kulturwissenschaften als im Fachbereich Physik promovieren wollen (manchmal erfolgreich), wer originelle Ideen zu Hirnforschung und/oder Evolution hat, wird es damit nicht gerade beim Fachbereich Biologie versuchen, und wer sich als Mathematiker (oder Physiker,…) für hippe Anwendungen der Chaostheorie in irgendeinem angesagten Feld interessiert, wird dann wohl auch eher den Dr.phil. als den Dr.rer.nat. anstreben.

Mir sind auch nach einigem Nachdenken eigentlich nur zwei Beispiele von Doktorarbeiten über Mathematik oder Physik eingefallen, die ich als wirklich offensichtlichen Unsinn bezeichnen würde: zum einen die abstruse Einstein-Interpretation, die in den Kommentarspalten dieses Blogs ja schon mehrmals erörtert wurde und zum anderen eine Dissertation über die fraktale Topologie der Zeit, die neulich bei jason hasten verrissen wurde und die vielleicht ein recht prägnantes Beispiel dafür ist, was eben in einer Dissertation in (statt über) Mathematik wohl kaum durchgehen würde.

Eine Doktorarbeit über “Die fraktale Topologie der Zeit” – worum es dabei geht, erfährt man erst auf Seite 104:

What is a fractal model of time? Fractals seem to offer a promising mathematical model for time, because many of their properties parallel properties of time. For example, both fractals and time have unpredictable rates of change. The way we experience time as progressing slower, faster, or as standing still is similar to the unpredictable rate of change, or non-differentiability, of a fractal function. The nested reiteration of cycles builds both fractals and time. For time it is the cycles of the clock, the earth’s spinning, the earth’s cycles around the sun, and the moons phases, for example. Fractals and time both contain complex relationships between infinity and finiteness. Similar to a fractal’s paradox of infinite length and finite surface area, a moment is eternal in that it is always the container for experience and is at the same time finite, bounded by the past and future. These, among other properties, make fractals well suited for describing our temporal experience.

Das Video unten zeigt die ‘Dissertation defense’ am ‘California Institute of Integral Studies’ (Integrale kommen im Vortrag aber wohl nicht vor), ein Institut, das offenbar (so verstehe ich jedenfalls die Webseite) staatlich anerkannte Doktortitel vergibt – allerdings nicht in Mathematik, sondern in Psychologie und verwandten Fächern.

(Es sind insgesamt 9 Videos, am Ende jedes Videos folgt jeweils der Link zum nächsten. Ich muß zugeben, daß ich nur sehr kurz in das Video hineingeschaut habe, die Dissertation selbst war schon schlimm genug.)

Die Dissertation findet man hier, die Folien der Verteidigung hier. (via jason hasten)

Mein Lieblingssatz ist der:

Gödels theorem shows that there are truths that are unprovable. For Penrose and Nottale, this is fractals and quantum mechanics.

Fraktale sind unbeweisbar? Wegen Gödel? Ah Ha!

Solange man mit solchen Arbeiten nur in Philosophie (und eben nicht in Mathematik) promovieren kann, ist doch noch alles in Ordnung, würde ich sagen.

Kommentare (35)

  1. #1 Horatiorama
    4. März 2011

    Hmmm… Was meinst du genau mit deinem letzten Satz?

    Solange man mit solchen Arbeiten nur in Philosophie (und eben nicht in Mathematik) promovieren kann, ist doch noch alles in Ordnung, würde ich sagen.

  2. #2 Amiga-Freak
    4. März 2011

    Der Frage schließ ich mich an…

  3. #3 dasuxullebt
    5. März 2011

    Der Physiker braucht für seine Arbeit große Apparate. Der Mathematiker nur Stift, Papier und Papierkorb. Der Philosoph noch nicht mal Letzteren.

  4. #4 G.J.
    5. März 2011

    Yo! Immer feste druff auf die Geisteswissenschaften! Die produzieren sowieso nur Hirngespinste, die sie im Hohlraum zwischen ihren Ohren entwickeln…. NICHT!

  5. #5 -jFk-
    5. März 2011

    Der Kritik an dieser etwas überheblichen Einstellung schließe ich mich an.

  6. #6 Lichtecho
    5. März 2011

    Die Pauschalkritik an der Philosophie ist nicht das einzige Überhebliche an diesem eitlen Blogpost. Dass man auch in der Physik mit groben Unfug promovieren kann, beweisen die Märchen der Gebrüder Bogdanov https://www.zeit.de/2002/46/Die_Maerchen_der_Gebrueder_Bogdanov

  7. #7 Henry
    5. März 2011

    Ist es nicht so, dass ein Doktor-TITEL, ganz gleich in welcher Disziplin oder Wissenschaft, etwas ist, was einen Menschen auszeichnet?

    Meiner Meinung nach bleidigt jeder, der sich so eine Auszeichnung auf nicht ehrliche Weise – nämlich durch harte Arbeit – selbst verdient hat diejenigen, die es taten.

  8. #8 Marc
    5. März 2011

    schade, dass es immer wieder diesen streit gibt. und leider sind in diesem post NUR seltsame allgemeinplätze zu lesen, die sicherlich nicht haltbar sind.

    schade, aber das macht dieses blog einfach wenig ernst zu nehmend.

    mir sind jede menge andere vorurteile gegenüber den sog. “harten wissenschaften” eingefallen, aber es macht wenig sinn, auf diesem niveau zu diskutieren.

    lieber thilo, tu dir selbst einen gefallen und verändere deinen post.

    viele grüße

  9. #9 Jason
    5. März 2011

    I can’t believe people are attacking you as arrogant, Thilo. I thought your criticism of the thesis was extremely gentle.

  10. #10 Horatiorama
    5. März 2011

    @Jason: As far as I understood the criticism, it is not at all against the bitch slapping of a seemingly idiotic thesis. Rather agains the condescending way of the last remark (I might be mistaken–this is why I’ve asked for clarification). If you have a look at the conditions for the acceptance and the progress of scientific research, you will notice that communication, mutual respect and acceptance across the fields seems often to be beneficial if not even a bare necessity…

  11. #11 ob
    5. März 2011

    Not just the last remark is condescending, from “Allgemeinplätze” (platitudes) onwards, the post is just that wee bit too dismissive (is the opinion of a rer.-nat.)

  12. #12 Xenia
    6. März 2011

    @Lichtecho: Danke für den Link.

    Ich muss mich der Kritik hier anschließen.

  13. #13 Hel
    6. März 2011

    @Thilo

    Ich lese deinen Blog sonst immer gerne, aber hiermit hast du dich mE doch vergriffen:

    Solange man mit solchen Arbeiten nur in Philosophie (und eben nicht in Mathematik) promovieren kann, ist doch noch alles in Ordnung, würde ich sagen.

    Nee, nee… Nix, gar nix ist in Ordnung, solange man mit Schwachsinn, Fälschung und/oder gegen Bezahlung in egal welchem Fach promovieren kann.

    Findet Hel *zwar nicht promoviert, sich aber aus geistes-/sozialwissenschaftlicher Perspektive schon etwas beleidigt fühlend*

  14. #14 Thilo
    7. März 2011

    lichtecho: Dass man auch in der Physik mit groben Unfug promovieren kann, beweisen die Märchen der Gebrüder Bogdanov

    Der Vollständigkeit halber sollte man doch erwähnen, daß die beiden nicht “summa cum laude” promoviert haben, sondern die niedrigst-mögliche Note erhielten, die normalerweise nie vergeben wird.

  15. #15 Thilo
    7. März 2011

    lichtecho: Die Pauschalkritik an der Philosophie ist nicht das einzige Überhebliche an diesem eitlen Blogpost.

    Ich hoffte eigentlich mit der Überschrift “Böcke als Gärtner” klasrgemacht zu haben, worum es hier geht: daß (in den oben verlinkten Artikeln) die Wissenschaft ausgerechnet von solchen Leuten kritisiert wird, die ihre “Theorien” eben nicht der wissenschaftlichen Kritik aussetzen:

    der verlinkte Artikel “Lehren aus der Guttenberg-Affäre” stammt von Dr.Carsten Könneker, einem studierten Physiker, der über den Zusammenhang von Relativitätstheorie und Nationalsozialismus promoviert hat. Diese Dissertation hat er freilich nicht in der Physik und auch nicht (wo es wohl hingehören würde) in den Geschichtswissenschaften, sondern in den Kulturwissenschaften eingereicht. Warum wohl?

    unterstützt wird der spektrum.direkt-Artikel in einem Artikel von Dr.Michael Blume. Dieser ist bekannt für recht eigenwillige Thesen darüber, wie die Evolution unsere heutige Kultur (speziell die Religion) beeinflußt hat. Das ist ein Thema, das ganz eindeutig in die Biologie gehört. Seine Doktorarbeit hat er freilich nicht in der Biologie, sondern in der Religionswissenschaft eingereicht. Warum wohl?

    Und wenn man sich in den Kommentarspalten (nicht nur der aktuellen, sondern auch früherer Diskussionen) umschaut, von wem die Thesen zur Verdorbenheit der Wissenschaft unterstützt werden, dann sind das eben genau die Leute, die auch sonst immer dabei sind, wenn es um Klimawandel, “Auschwitzlüge”, Evolutionstheorie oder Einstein geht.

    Und da drängt sich dann doch der Verdacht auf, daß es nicht um die “Selbstreinigung der Wissenschaft” geht, sondern daß man sich einfach nur daran stört. daß “harte” naturwissenschaftliche oder historische Fakten eben immer noch einen anderen Stellenwert haben als “philosophische” Thesen von Leuten, die über Physik, Biologie, Mathematik schreiben.

  16. #16 Michael K
    7. März 2011

    @Thilo,

    Ich kann dir bei deinem Post nur zustimmen. Ich hab mir die Youtube videos mal angschaut… Abgesehen wie qualvoll es ist wie Sie mit Mathematik umgeht und die deutlichen Fehler die dabei auftauchen, finde ich auch die Präsentation an sich für sehr schlecht. Die ersten 5 Minuten kamen mir vor als hätte sie die Vorstellung erst am selben Tag vorbereitet.

    @Die ersten Poster
    Ich sehe Thilos Post nicht als Kritik an der Philosophie, ganz im Gegenteil. Jeder Mathematiker weiß spätestens seit Gödel dass Metamathematik, welche eine doch eher philosophische Ausrichtung hat, ein integraler Bestandteil geworden ist.

    Meiner Meinung nach geht es hier darum dass Mathematik völlig aus dem Zusammenhang gerissen von Leuten die einfach nicht genug verstanden haben um zu wissen “was man darf”. Und dann wird probiert damit eine Theorie zu beweisen.

    Ich muss leider sagen dass ich sowas auch schon in der Physik und Ingenieurwesen gesehen habe. Dort besteht jedoch zumindest eine mathematische Ausbildung so dass die Fehler die dort gemacht werden oft trotzdem zum “richtigen” Ergebnis führen (Bsp: “wir teilen durch dt”).

    So leid es mir tut, philosophen haben eben nicht eine solche Ausbildung und ich bezweifle stark dass sich ein Philosoph für seine Dissertation ein halbes Mathestudium reinzieht.

  17. #17 Marc
    7. März 2011

    @Thilo und Michael K.: wenn es darum geht, dass aus dem “zusammenhang gerissen” wird, dann kann man darüber reden. allerdings klingt der post deutlich danach, dass es nur eine richtige form der wissenschaft gibt. und das sind die harten naturwissenschaften. und das sollte man so nicht stehen lassen.

    zu den beiden angeführten themen von könneker und blume: ich verstehe nicht, warum diese themen in anderen, als den angegebenen disziplinen hätte geschrieben werden sollen.

    es geht dabei eben eher um die frage, wie sich bestimmte kulturelle phänomene entwicklen und wie diese, im ersten fall durch bestimmte wissenschaften und deren rezeption geprägt werden und im zweiten falle ist es doch eine interdisziplinäre arbeit.

  18. #18 Hel
    7. März 2011

    @Thilo

    Und da drängt sich dann doch der Verdacht auf, daß es nicht um die “Selbstreinigung der Wissenschaft” geht, sondern daß man sich einfach nur daran stört. daß “harte” naturwissenschaftliche oder historische Fakten eben immer noch einen anderen Stellenwert haben als “philosophische” Thesen von Leuten, die über Physik, Biologie, Mathematik schreiben.

    Da kann ich dir nur zustimmen. Doch diese Botschaft kam – so ist mein Eindruck – nicht ganz rüber bzw wurde überlagert von deinem letzten Satz, an dem sich auch vor mir schon einige Kommentatoren gestört hatten. Es ist keinesfalls in Ordnung, auch nicht in der Philosophie, dass so ein Mumpitz als Dissertation zugelassen wird.

    @Michael K.

    So leid es mir tut, Philosophen haben eben nicht eine solche Ausbildung und ich bezweifle stark dass sich ein Philosoph für seine Dissertation ein halbes Mathestudium reinzieht.

    Auch volle Zustimmung – darum sollte es ihnen ohne entsprechende mathematische Kompetenz auch nicht erlaubt sein, ihre Dissertation auf verwursteter Mathematik aufzubauen. Ich denke, da sind wir uns alle einig. Es ist eben nicht in Ordnung, auch wenn es “nur” in der Philosophie geschieht.

  19. #19 Michael K
    7. März 2011

    @Marc,
    Es gibt leider wirklich viele (vor allem Physiker) die ihre Wissenschaft als dass A und O sehen und den Rest nur als “angewande Physik” verstehen (In die Richtung von https://imgs.xkcd.com/comics/purity.png ). Als Mathematiker finde ich sollte sowieso erst mal die Mathematik nicht auf dem Bild sein, da Mathematik in der modernen Form rein gar nichts mit der Realität zu tun hat und nur von anderen Gebieten “missbraucht” wird. Und dass ist genau das Problem hier. Erklärung:

    Solange eine Wissenschaft wirklich eine Wissenschaft ist, also die Ergebnisse falsifizierbar sind, sind die Ergebnisse auch von Bedeutung.
    Deduktive Wissenschaften haben es einfach, dort ist eigentlich sofort klar, wenn der Beweis korrekt ist, dass eine Theorie stimmt (Mathematik, Theologie, Jura…)

    Viele Induktive Wissenschaften (Geisteswissenschaften, Experimental Physik…) haben leider das Problem dass erst mal nicht genau sicher ist ob die Theorien überhaupt sinnvoll sind und oft ist es leider so dass völlig absurde Theorien aufgestellt werden. Wie Thilo in seinem Beitrag bereits geschrieben hat ziehen diese Theorien die gesamte Wissenschaft ins lächerliche. Das Problem ist nämlich, dass man nie von einer “Richtigen” Theorie reden kann, denn dazu müsste man jedes mögliche Szenario durchspielen, ein typisches Problem der Physik.
    Das macht aber keineswegs die Wissenschaft unwichtig! Es macht es nur schwerer sinnvolle Ergebnisse zu liefern.

    Ich habe strikt zwischen deduktiv und induktiv getrennt, WEIL (!): ALLE Ergebnisse in der Mathematik die korrekt bewiesen sind, SIND von Bedeutung! SIND Seriös! Durch die Kombination der Philosophie mit der Mathematik durch die Frau (“Dr.”) ist das obige eingetreten, die Mathematik wird gegen ihren Willen ins lächerliche gezogen. Sowas stinkt mir gewaltig… Es würde mir genauso stinken wenn es durch die Physik passiert (Beispiele dazu hat Thilo ja auch gepostet).

  20. #20 Stefan W.
    7. März 2011

    Dann empfehle ich zum Kontrast diesen Blog https://www.forschungsmafia.de/blog/ in dem es anfangs nur um Informatik ging.

  21. #21 rjb
    10. März 2011

    In Sachen Selbstreinigung der Wissenschaft wäre es möglicherweise angebracht, sich um Näherliegendes zu kümmern als um die Promotionspraxis eines vielleicht (oder auch nicht) esoterisch angehauchten kalifornischen Instituts. Beispielsweise teilt ein Professor Mückenheim, Homepage:
    https://www.hs-augsburg.de/~mueckenh/
    gerade jetzt zum Thema “Merkwürdige Doktorarbeiten” mit::
    “Hilbert, man muss es zusammenfassend leider feststellen, hätte den
    Ansprüchen einer Ethik-Kommission nicht genügt. Er verwendete Ideen
    ohne Angabe der Quellen, er verhalf unqualifizierten Studenten zu
    Doktortiteln (glücklicherweise wurde keiner dieser Promovenden
    prominent – Hilbert wäre sonst in arge Erklärungsnöte geraten)…”
    https://meinews.niuz.biz/das-t638777.html?s=363ff1ac8359c4e0e62dac49f70c5835&

    Wie auch immer das bei Hilbert gewesen sein mag, Herr Professor Mückenheim kann mit noch anderen bemerkenswerten Erkenntnissen aufwarten; siehe seine Elaborate im arXiv, insbesondere “Physical constraints of numbers”; und die Rezensionen seiner Bücher im Zentralblatt:
    https://www.zentralblatt-math.org/zmath/en/search/?q=an:05758432&type=pdf&format=complete
    https://www.zentralblatt-math.org/zmath/en/search/?q=an:05082400&type=pdf&format=complete
    Das dort erwähnte Vorwort des Buches für die ersten Semester ist hier nachzulesen:
    https://www.hs-augsburg.de/~mueckenh/P5%20Zusfass.pdf

    Und natürlich hält er seine Erkenntnisse über den “binären Baum” oder die Mangelhaftigkeit üblicher Definitionen des Stetigkeitsbegriffs nicht vor seinen Studenten geheim (wenn dies alles sein Privatvergnügen wäre, hielte ich es weiteren Aufhebens nicht für wert, Hobbyisten, die etwa das Cantorsche Diagonalargument widerlegen, gibt es ja einige); und er scheint eigenen Angaben zufolge mit großem Erfolg den Teilnehmern seiner Vorlesung über “die Geschichte des Unendlichen” die Absurdität der “Matheologie” zu vermitteln. Ebensowenig mangelt es ihm an missionarischem Eifer gegenüber Mathematikern; er scheint da einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht zu haben.

    Ist das so hinzunehmen? Oder sollten da über reines Zuschauen hinausgehende reinigende Aktivitäten entfaltet werden?

  22. #22 Thilo
    10. März 2011

    Die Theorien des Herrn Mückenheim waren hier im Kommentarstrang von https://www.scienceblogs.de/mathlog/2009/02/was-ist-ein-beweis.php schon mal kurz angesprochen worden. Er ist offenbar mit den üblichen Definitionen von reellen Zahlen, Unendlichkeit, Stetigkeit etc. nicht einverstanden.
    An der FH Augsburg unterrichtet er wohl Elektrotechniker, Promotionen in Mathematik kann er da sicher nicht betreuen. Ärgerlich ist es natürlich trotzdem.

  23. #23 rjb
    14. März 2011

    Ja sicher, mit Promotionen hat Mückenheim nichts zu tun. Wenn es aber die hier in einem Kommentar erwähnten Selbstreinigungskräfte der Wissenschaft tatsächlich gibt, dann, so finde ich jedenfalls, sollte da einmal aus Fachkreisen an entsprechender Stelle nachgehakt werden, statt diese Sache einfach nur ärgerlich zu finden.

    Was Herr Professor Mückenheim für Mathematik hält, sieht beispielhaft so aus:
    “Zusammenfassung aller mir bisher
    bekanntgewordenen Argumente, die Existenz von 0,111… zu beweisen.
    (Denn einen Unterschied zu den endlichen Einserfolgen muss es wohl
    geben, wenn 0,111… existiert.)

    In der folgenden Liste enthält jede Zeile mehr Einsen als alle
    Vorgängerzeilen. Wie zeigt man, das sich die Grenzzeile 0,111… von
    allen Zeilen der Liste unterscheidet?

    0,1
    0,11
    0,111

    Argument 1: Die Grenzzeile 0,111… besitzt eine Anzahl von Einsen, die
    größer als jede natürliche Zahl ist.

    Dieses Argument führt nicht zum Ziel. 0,111… müsste sonst eine 1 an
    einer Stelle enthalten, die einen größeren Index besitzt als jede
    endliche Zahl der obigen Liste. Und dieser Index ist in den
    Einserfolgen der obigen Listezeilen nicht enthalten – weder in einer
    einzigen (das ist offensichtlich), noch irgendwo in der Liste (das
    folgt daraus, dass die Liste keine anderen Indizes enthält als solche,
    die auch in mindestens einer Einserfolge der Liste vorkommen).

    Argument 2: Jede Zeile in der obigen Liste besitzt eine Null nach der
    letzten 1, die Grenzzeile aber nicht.

    Dieses Argument führt nicht zum Ziel….”
    https://www.ureader.de/msg/145622128.aspx

    Es kann doch nicht sein, daß jemand, der auf diesem Kompetenzniveau operiert, an einer Hochschule Lehrveranstaltungen in Mathematik abhält, auch wenn es nur Dienstvorlesungen für zukünftige Ingenieure etc. sind. Daß in der Lehre an FHs nicht schlechterdings alles möglich ist, zeigt ja auch der Fall Meyl, der auch schon nebenan (in den science blogs) diskutiert wurde; cf.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Konstantin_Meyl

  24. #24 Luther Blisset
    14. März 2011

    1. Tatsächlich ist das unterschwellige geätze gegen Geisteswissenschaften nicht nett. Bitte demnächst etwas breiteren Blick, Thilo. Ich kenne Erziehungswissenschaftler_innen, die ihren Job ernst nehmen und, im besten Popper’schen Sinne, wissenschaftliches produzieren. Und ich kenne anderes Zeugs, daß ich am liebsten sofort in die Tonne kloppen würde, u.A. aus der theoretischen Physik, der Tieftemperaturphysik, Neurobiologie (MENGEN!)…

    Übrigens auch aus der der Psychologie. Aber (nota bene), die Psychologie,
    die sich tatsächlich auch als Science und nicht als Humanity versteht, hat zumindest bei der “popularisierung” statistischer Methoden (wenn nicht gar bei ihrer Entwicklung) wichtiges geleistet. Die Biologen, zum Beispiel, haben Pfadanalysen ziemlich lange verpennt.

    Also komm mal bitte vom Roß. Sonst seh ich gleich die Reiter der Apokalypse, den clash of scientific cultures oder sonst was böses heraufdämmern.

    2. Der FB 15 der Uni Frankfurt vergibt einen Dr. phil. nat. – die Einführung des rer. nat. scheitert bislang am Widerstand des Kollegiums. Dennoch würde ich den Dissertationen im FB 15 nun nicht unterstellen würden, sich “philosophisch” im von dir implizierten Sinne mit ihren Gegenständen auseinanderzusetzen.

    Anyway, just my 2cents.

  25. #25 Thilo
    15. März 2011

    Tatsächlich ist das unterschwellige geätze gegen Geisteswissenschaften nicht nett.

    Wie gesagt ging es einfach nur darum, daß Arbeiten über Themen aus Physik, Biologie, Mathematik, die aus Sicht der Physiker, Biologen, Mathematiker offensichtlicher Unsinn sind, dann als Doktorarbeit in Kulturwissenschaft, Religionswissenschaft, Psychologie durchgewunken werden. Und daß es dann oft ausgerechnet die Profiteure dieses Durchwinkens sind, die ihrerseits den Physikern, Biologen, Mathematikern mangelnde Wissenschaftlichkeit vorwerfen. (Ich hatte oben Könneker und Blume verlinkt, ein anderes prägnantes Beispiel wäre Stephan Schleim, der offensichtlich keine Ahnung von Biologie hat, dafür aber alle Welt an seiner Kritik der aktuellen biologischen Forschung teilhaben läßt.) Irgendwie habe ich bei solchen “kritischen” Texten wie denen von Könneker und Schleim immer den Eindruck einer Retourkutsche: da will jemand endlich Revanche dafür nehmen, daß er (und seine tollen “philosophischen” Thesen) von niemandem ernstgenommen werden.

  26. #26 Thilo
    26. März 2011

    Daß auch in den Geschichtswissenschaften eine philosophische Ausbildung fehlende Faktenkenntnisse nicht kompensieren kann zeigt der aktuelle Beitrag in den Wissenslogs.

  27. #27 WM
    8. November 2012

    Vielen erscheint die Bezeichnung “intelligenter Mathematiker” redundant – bezogen auf die Diskutanten hier ist es eher eine contradictio in adjecto.
    https://www.hs-augsburg.de/~mueckenh/Der%20Totentanz%20der%20Mengenlehre.pdf

    Gruß, WM

  28. #28 Thilo
    8. November 2012

    Die Bewerbungsseite fuers Goldene Brett ist nebenan bei Kritisch Gedacht https://scienceblogs.de/kritisch-gedacht/2012/11/05/lobbyisten-des-humbugs/ , nicht hier.

  29. #29 WM
    8. November 2012

    Die verbretterten Köpfe haben ihre ganze dünkelhafte Dämlichkeit aber hier abgeladen.
    Sollte ein Mathematiker nicht verstehen können, dass eine unendliche (Ziffern)-Folge nicht durch unendlich viele Glieder angegeben werden kann, sondenr allein durch einen endliche Definition wie 1/9 oder 0,111… (? Ja auch letzteres ist eine endliche Definition! Und sollte er nicht wissen, dass nur abzählbar viele endliche Definitionen über einem abzählbaren Alphabet existieren? Und sollte er nicht lernen können, dass ein nicht abzählbares Alphabet nur mit Hilfe von nicht abzählbaren Mengen definierbar ist? Wenn man die aber hätte, so bräuchte man aber kein derartiges Alphabet mehr, um ihre Existenz zu “beweisen”.
    Vermutlich alles zu kompliziert, um von jenen Mathematikern verstanden zu werden.
    Gruß, WM

  30. #30 Ulrich Berger
    8. November 2012

    Ein sehr interessanter Forschungsbericht der HS Augsburg! Für diese neue Form der Mathematik schlage ich die Bezeichnung DKM (Dunning-Kruger-Mathematik) vor!

  31. #31 WM
    9. November 2012

    Ist es nicht merkwürdig, dass nicht “mathematisch” vorverbildete Geister den Zusammenhang in der Regel sofort verstehen?
    Gruß, WM

  32. #32 WM
    9. November 2012

    Behauptet ein Klempner, in seiner Werkzeugtasche habe er zwanzigtausend Wasserpumpenzangen, so wird man ihn bei der Arbeit in der eigenen Wohnung wohl streng beaufsichtigen.

    Behauptet ein Bauer, sein Zentnersack enthielte eine Million Kartoffeln, so wird man zugreifen (in der Hoffnung trotzdem besonders dicke Kartoffeln zu ergattern).

    Behauptet ein Mathematiker, sein Modellbaukasten enthielte überabzählbar viele und damit ununterscheidbar viele verschiedene Zahlen, so erregt das kein Aufsehen.

    Ist das nicht aufsehenerregend?

    Gruß, WM

  33. #33 volki
    10. November 2012

    Franz Lemmermeyer findet die passende Worte zu dem Buch “The mathematics of infinity” von Herrn Mückenheim ( hier ).

    One wonders by what the author would like to replace the mathematics created in the last 2500 years; if one takes Prof. Mückenheim seriously, then a fitting picture for the last page of this book would be the Ishango bone.

    Bei dem weiter oben verlinktem Text kann man Herrn Lemmermeyer nur zustimmen.

  34. #34 WM
    10. November 2012

    After a lively discussion Hilbert finally stood up.
    “With your methods,” he said to Brouwer, “most of the results of modern mathematics would have to be abandoned and to me the important thing is not to get fewer results but to get more results.”
    He sat down to the enthusiastic applause.
    [Constance Reid: “Hilbert”, Springer (1970) p. 184f]

    Ich fühle mich an dieser Stelle übrigens immer an “Four legs good, two legs bad” erinnert.

    Aber im Gegensatz zu David Hilbert ist Herr Dr. Lemmermeyer ein Verleumder, der mit Hilfe eines Komplizen in der Readaktion des Zentralblattes dieses für seine üble Nachrede missbrauchen konnte. Seine “Argumente”, soweit sie objektiv nachprüfbare Aussagen enthalten, sind hier
    https://www.hs-augsburg.de/~mueckenh/Kommentar/
    ersichtlich für jeden, der sich der Mühe unterziehen möchte, falsifiziert.

    Und ja, der Ishango-Knochen enthält sicher mehr Mathematik als alle Alephs und Beths zusammen.

    Gruß, WM