Ärzte, die Hormonpräparate verschreiben, um damit die Tumore vorsorglich am Wachstum zu hindern, tun ihren Patienten keinen Gefallen, ergab nun eine große Studie. Es zeigte sich kein Überlebensvorteil, dafür jede Menge Nebenwirkungen.

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Prostatakrebszellen wachsen meist schneller, wenn sie mit männlichen Sexualhormonen versorgt werden. Bei aggressiv fortschreitendem Tumorwachstum ist die antihormonelle Therapie deshalb eine wirksame Maßnahme, die den Patienten – meist in Kombination mit Bestrahlung und Chirurgie – deutliche Überlebensvorteile bringt.

Aus dieser Beobachtung entstammte die Hoffnung, dass eine antihormonelle Therapie auch bei „schlafenden” gut lokalisierten Tumoren Nutzen bringen könnte. Etwa 85 Prozent der Tumoren werden in diesem Stadium diagnostiziert.
Die wissenschaftlichen Meinungen zur Anti-Androgen-Therapie waren bislang geteilt. Ist die chemische Kastration, die mit einer Neutralisierung der männlichen Geschlechtshormone einher geht, doch ein nebenwirkungsreicher Eingriff, der die Lebensqualität der betroffenen Patienten stark beeinträchtigt.
Zudem ist der Altersschnitt der betroffenen Männer meist sehr hoch. Je älter die Patienten, desto unwahrscheinlicher wird das Risiko, dass ein Fortschreiten des Tumors noch zu Lebzeiten relevant würde.

Dennoch zeigten einige Arbeiten deutliche Vorteile für die vorsorgliche Hormontherapie. Und so wurde die Maßnahme – neben dem so genannten „watchful waiting” (regelmäßige Überwachung des Tumors) – in der therapeutischen Praxis häufig angewandt und von Experten heftig empfohlen..

Die Hamburger Prostatakrebs-Selbsthilfegruppe ProMann bietet dazu als Download (PDF) beispielsweise eine Publikation des kanadischen Krebsexperten Fernand Labrie an, der den bisherigen Wissensstand zur Hormontherapie so zusammen fast:

Obwohl in der Behandlung des fortgeschrittenen
Prostatakrebs bedeutende Fortschritte erzielt
worden sind, bleibt es unbestritten, dass
einzig die Therapie des lokalisierten Prostatakrebs
einen wesentlichen Einfluss auf die Überlebenszeit
mit sich bringt. In den letzten
Jahren haben sechs prospektiv-randomisierte
Studien einen wesentlichen Vorteil der Androgenblockade
bei lokalisiertem Prostatakrebs im
Hinblick auf die Überlebenszeit gezeigt. Werden die auf Prostatakrebs
zurückzuführenden Todesfälle im 5-Jahres-
Verlauf nach Beginn der Therapie verfolgt, so
zeigt sich in den verschiedenen Studien eine
Reduktion der Todesfälle zwischen 37 % und
81 %, was auf dem Gebiet der Krebserkrankungen
ein bemerkenswertes Resultat darstellt.
Die erste publizierte Studie, jene von
Bolla et al. im Jahr 1997, weist eine Reduktion
der prostatakrebsbedingten Todesfälle
um 77 % aus.

Labrie zählt noch weitere sensationell klingende Erfolge auf. So scheint seine weitere Empfehlung nur logisch:

Wenn mit der Therapieeinleitung
bis zum Auftreten von Knochenmetastasen
gewartet wird, hat das zur Folge, dass es für
eine angestrebte Heilung zu spät geworden ist
und dass einzig die Hoffnung bleibt, das Leben
um einige Monate zu verlängern, was alles
andere als befriedigend ist. Realistischerweise
muss beim heutigen Wissensstand davon ausgegangen
werden, dass die verfügbaren Hormontherapien
eindrückliche Resultate hinsichtlich
der Überlebensdauer möglich machen und
dass in der Mehrheit der Fälle, die im klinisch
lokalisierten Stadium diagnostiziert und behandelt
werden, sogar eine Heilung möglich
ist.

In der heutigen Ausgabe des Journals der US-Ärztegesellschaft JAMA erschien nun eine umfangreiche Arbeit, die diese Angaben als völlig realitätsfern ausweist.

In der in New Jersey durchgeführten Kohortenstudie wurden fast 20.000 Männer mit lokalisiertem Prostatakarzinom erfasst. Das durchschnittliche Alter lag bei 77 Jahren. 41 Prozent der Patienten erhielten eine vorsorgliche antihormonelle Therapie, der Rest eine konventionelle Therapie, die zumeist „watchful waiting”, seltener auch Chirurgie oder Bestrahlung umfasste.

Aus vielen Arbeiten weiß man, dass die Therapie des Zuwartens – mit den häufigen Kontrollterminen beim Urologen – von den meisten betroffenen Männern als sehr belastend empfunden wird. Viele ziehen, um das Krebsgespenst los zu werden, deshalb einen chirurgischen Eingriff vor. Doch hier besteht wiederum ein hohes Risiko von Folgeschäden wie Inkontinenz und Impotenz.

Die Hormontherapie galt deshalb vielfach als sichere und halbwegs sanfte Alternative. In den USA boomten diese Medikamente in der Folge und stellten mit einem Umsatz von mehr als einer Milliarde US-Dollar pro Jahr den zweit größen Ausgabeposten der Krankenkassen.

Völlig unnütz, wie die aktuelle Studie zeigt. Denn in der Hormongruppe war die Sterblichkeit an Prostatakrebs sogar um statistisch signifikante 17 Prozent höher. Die allgemeine Sterblichkeit unterschied sich nicht.

„Ich hoffe, dass diese Studie Auswirkungen auf die klinische Praxis hat und nun weniger Männer diese primäre Hormontherapie erhalten”, erklärte der Strahlentherapeut Howard M. Sandler als Sprecher der US-Gesellschaft für klinische Onkologie gegenüber der LA-Times.