Nebenan auf den SciLogs geht bei Anatol Stefanowitsch gerade die (und der) Post ab: AS, wortstark wie stets, hatte in einem alles andere als emotionslosen Offenen Brief an die Contentindustrie für die “Schreiberinnen und Schreiber offener Briefe, liebe an der Nadel des Staates hängende Subventionsjunkies, liebe Leibeigene der Contentindustrie, liebe schlipstragende Verwalter und Verkäufer kultureller ‘Güter'” wenig gute Worte gefunden, ihnen aber dafür vorgehalten, “durchgeknallt … wahnsinnig …(und) verwirrt” zu sein. Worum es ihm geht und wie er das begründet, bitte bei ihm selbst lesen – es ist in jedem Fall unterhaltsam und enthält genug, was zum Nachdenken anregt.


Und obwohl ich mich aus der politischen Diskussion mangels ausreichender emotionaler Beteiligung (ich lebe zu weit weg, um mein Gemüt daran erhitzen zu können) heraushalte – was übrigens auch als Hinweis für eventuelle Kommentatoren zu verstehen ist: Ich kenne die Standpunkte der einzelnen deutschen Parteien und Politiker zu diesem Thema nicht gut genug (Begründung siehe oben), um in deren Sinn parteiisch zu sein – sind mir bei der Lektüre dieses Offenen Briefes ein paar auf Erfahrung beruhende Gedanken durch den Kopf gegangen, die ich hier einfach mal niederschreiben muss. Sozusagen als Entrümpelungsaktion im geistigen Inventar.

Ja, dank dieser “eleganten” Überleitung bin ich schon beim ersten Stichwort: dem viel bemühten “geistigen Eigentum”. Darüber, ob dies tatsächlich ein juristisch relevanter oder justiziabler Begriff ist, haben vermutlich schon ein paar Generationen von Rechtswissenschaftlern promoviert – aber darum geht es mir hier gar nicht. Sondern (ha! Mein Blog! Meine Meinung!) darum, wie ich aus meiner langjährigen Erfahrung als jemand, der beruflich schon ein paar Tausende von solchen geistigen Eigentumsobjekten produziert hat, diesen Begriff einschätze. Und ich finde, dass es in der Tat so etwas wie geistiges Eigentum gibt – aber das hat so gut wie nichts mit dem zu tun, worüber in den politischen Diskussionen (und nicht selten sogar vor Gerichten) gestritten wird.

Worin dieses geistige Eigentum besteht, wird am ehesten erklärbar dadurch, womit man dafür bezahlt: nämlich mit einem Quellennachweis (im Englischen, wie ich mir diesen Satz in meinem Kopf zurecht gelegt hatte, klang’s eleganter: Citation). Wenn ich als Wissenschaftler die Ideen anderer in meinen Arbeiten verwende, dann bediene ich mich bei deren geistigem Eigentum. Wenn ich die Zeilen aus einem Heinrich-Heine-Gedicht rezitiere, dann leihe ich mir dessen geistiges Eigentum. Wenn ich ein creative-commons-Foto, das ich auf Flickr gefunden habe, in mein Blog stelle, dann nehme ich mir ein Stück fremden geistigen Eigentums. Und bezahle dafür mit dem Hinweis, wessen Forschungsbericht, wessen Gedicht, wessen fotografisches Werk ich hier verwende. Und umgekehrt verpflichte ich mich, dieses Eigentum dahin gehend zu respektieren, dass ich es schonend und korrekt behandle: dass ich die Fakten und Erkenntnisse des Wissenschaftlers nicht verfälsche (und beispielsweise behaupte, Darwin habe die Existenz eines intelligenten Designers postuliert), oder ein Heine-Gedicht nicht für antisemitische Propaganda verwende und das Foto nicht in einem verfälschenden und verzerrenden Zusammenhang verwende. Genau so wenig wie ich beispielsweise eine private, aber öffentlich zugängliche Wiese für ein Picknick benutzen würde, und als “Dank” dafür den Boden aufreiße und meinen Müll hinterlasse.

Und dieses Eigentumsrecht ist unveräußerlich: Selbst wenn ich das Buch, aus dem ich das Heine-Gedicht abschreibe, für teures Geld antiquarisch erstanden habe, wird sein Werk immer noch nicht mein Gedicht, und es also solches auszugeben, ist in der Tat Diebstahl geistigen Eigentums. Und egal, ob das wissenschaftliche Paper aus einer open-access-Datenbank stammt oder aus einem zu saftigen Preisen abonnierten Fachjournal – die Verpflichtung zum Zitat bleibt davon unberührt.

Aber der Streit, soweit ich ihn einschätzen kann, dreht sich eigentlich gar nicht ums geistige Eigentum. Sondern um ein gänzlich anderes Rechtsgut: das Urheberrecht. Und selbst diese Bezeichnung ist eigentlich irreführend, denn es geht noch viel mehr um das Nutzungs- und Verwertungsrecht – und das hat nur noch in manchen Fällen (und oft auch nur eher zufällig) mit dem Recht am geistigen Eigentum zu tun. Hier geht es lediglich darum, wer kassieren darf.

Denn nach dem, was ich zum Thema geistiges Eigentum gesagt habe, wäre es durchaus akzeptabel, wenn ich ein wissenschaftliches Paper nicht nur im Zitat oder in Auszügen, sondern in vollem Umfang, eventuell sogar gleich im Orginalformat (mit Original-Autorenzeile) vervielfältige und weitergebe. Und oft geschieht dies auch, zum Beispiel, wenn für Lehrveranstaltungen Kopien eines Arbeitstextes an die Studenten ausgeteilt werden. Rein akademisch gesehen ist das kein Probem, denn die Urheberschaft des Papers ist dabei mindestens so klar wie beim Original. Und in den meisten Fällen enststünde für den Urheber = den Wissenschaftler auch kein materieller Vorteil, wenn statt der Fotokopien jede(r) Student(in) ein Exemplar des Papers ausgehändigt bekäme – selbst wenn diese zum vollen Abopreis erstanden wurden. Ich nehme nicht an, dass es bei wissenschaftlichen Journalen anders ist als sonstwo im Zeitschriftenbusiness; von einer Umsatzbeteiligung der Autoren oder Tantiemen für besonders gut verkaufte Hefte habe ich in 25 Berufsjahren noch nie etwas gehört.

Aber das bedeutet eben nicht, dass es laut Urheberrecht auch in Ordnung wäre, wenn ich diese Kopien mit Profit an die Studenten verkaufe. Übrigens selbst dann nicht (in den meisten Fällen, jedenfalls), wenn ich selbst der Verfasser der Artikels/Papers bin.

Denn eines wird in der ganzen Diskussion vor allem von den Verlagen/Verlegern gerne verschwiegen: Ihnen geht es gar nicht darum, dass die Urheber dieser Werke, also die Autoren oder Künstler, ordentlich bezahlt werden. Ihnen geht es um Profite – und wenn ein Verleger/Herausgeber sich etwas wünschen könnte, dann wäre es, seinen Content völlig kostenlos zu bekommen. Das Einkommen der Journalisten ist ihnen nur insofern ein Anliegen, als es ihnen gar nicht niedrig genug sein kann. Und wenn eine Story billiger zu haben ist, dann wird sie auch billiger gemacht. Sicher, es wird viel davon geredet, dass journalistische Qualität Geld kostet, und auch das kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen: Recherchen sind manchmal mit vieltägigen Reisen in entfernte Gegenden verbunden, Fotografen müssen angeheuert und manchmal auch Informanten geschmiert werden. Und gute Journalisten erheben klare Forderungen, was ihre Bezahlung angeht. Aber all das zahlen die Verlage nur, weil sie müssen, weil sonst ein anderer die Story kriegt. Aber wenn sie einen Weg sehen, diese Kosten einzusparen, dann werden sie diesen gehen. Egal, ob dabei ein guter freier Journalist dann brotlos bleibt oder ob dem Leser dabei Fakten aus zweiter Hand als Recherche aus erster Hand verkauft werden. Und wenn die Profite des Blattes/Verlages nicht mehr stimmen, dann werden eben Journalisten rausgeschmissen, werden Ressorts und Büros dicht gemacht – und die Qualität ihrer Arbeit spielt bei solchen Entscheidungen nur selten eine Rolle.

Krieg den Verlagspalästen also? (Der Ordnung halber: dies ist eine Abwandelung eines Georg-Büchner-Zitats) Pflichte ich also jenen bei, die den Untergang der bezahlten Content-Anbieter prophezeien oder sogar dringlichst herbei wünschen? Ganz ehrlich: Mein Mitleid mit den Milliardären wäre sehr begrenzt. Aber das heißt nicht, dass ich das System der Verlage und der bezahlten Publikationen für unnütz halte. Ein Übel, gewiss – aber ein notwendiges Übel.

Hier komme ich endlich auf die Walderdbeeren zu sprechen, die ich so kryptisch im Titel untergebracht habe. Was die hier zu suchen haben? Nein, umgekehrt: ich hatte sie gesucht, und zwar mit meinen Eltern, als ich noch ein Kind war. Denn in meinen Heimatwäldern (eigentlich eher an den Rändern derselben) wuchsen diese wild, und alles was wir tun mussten, war rechtzeitig aufstehen, denn damals waren die Sommer noch heiß und das Beerenpflücken in der Mittagshitze keine Freude. Aber in, sagen wir mal, ein oder zwei Stunden eifriger Sammelarbeit kamen schon ein paar Kilo dieser kleinen, aromatischen – aber nicht sehr saftigen – wilden Walderdbeeren zusammen. Bitte Geduld, die Metapher wird sich noch offenbaren. Der Zugang zu diesen wilden Erdbeeren war frei, lediglich Mühe musste man investieren. Und wir hätten, rein theoretisch, sogar einen Teil dieser Erdbeeren an Bekannte und Verwandte verkaufen können (statt dessen haben wir sie einfach umsonst abgegeben) – was immer noch niemanden daran gehindert hätte, selbst Beeren pflücken zu gehen. Blogs sind gewissermaßen die Walderdbeeren der Medienlandschaft: Es kostet ein bisschen Mühe, die richtigen Stellen zu finden und dort zu “ernten”, und sie sind auch nicht jedermanns Geschmack, aber dafür sind sie frei zugänglich.

Doch was wäre gewesen, wenn wir statt dessen mit der gleichen Selbstverständlichkeit und Freizügigkeit auf den bäuerlichen Erdbeerbeeten der Umgebung gepflückt hätten? Unser Arbeitsaufwand wäre etwa der gleiche gewesen, die Felder waren weder eingezäunt noch bewacht, also frei zugänglich – und die paar Erdbeeren hätten dem Bauern doch nichtg geschadet. Hätten die doch gar nicht gemerkt, dass da ein paar fehlen. Wäre das korrekt? Natürlich nicht. Aber die wachsen doch auch so, warum sollen wir dem Bauern dafür Geld bezahlen? Und überhaupt, wir haben ja gar nichts gegen die Bauern, sondern vor allem gegen die gierigen Supermärkte, die diese Erdbeeren dann, in Kiloportionen abgewogen und verpackt, für teures Geld an die Verbraucher weitergeben. Warum überhaupt muss ich für Zuchterdbeeren bezahlen, wo doch wilde Beeren gratis im Wald wachsen?

Ich denke, dass die meisten meiner Mitmenschen zustimmen werden (ich kenne einige, die gundsätzlich nie zustimmen), dass es Erdbeeren – allen Walderdbeeren zum Trotz – nie gratis geben kann: Der Bauer verlangt einen Lohn für seine Mühe und dafür, dass er seine Felder und Beete bearbeitet, anstatt sie als Bauland oder Gewerbeflächen zu verpachten, für deren Erlöse er dann keinen Finger krumm machen muss. Und der Supermarkt, der die Ware an die VerbraucherInnen bringt, muss schließlich auch seine Kosten erwirtschaften.

Und genau so wenig wird es möglich sein, Journalismus (das mediale Äquivalent zu den kommerziellen Erdbeeren in diesem Vergleidch) umsonst zu produzieren. Selbst wenn wir die Verleger abschaffen und damit eine Art Selbstpflückplantage für Content aufmachen würden – das, was wir Journalismus nennen, kostet in der Herstellung Geld; und die Erzeuger müssen davon leben (auch wenn’s manchmal nicht so scheint: Selbst kleinere Geschichten brauchen manchmal mehrere Tage der Recherche – Tage, für deren Einsatz der Journalist entlohnt werden will). Ohne das gibt’s eben nur mehlige Walderdbeeren, und auch die nicht immer, wenn man sie haben will. Wie eben diesen Blogeintrag (in den ich übrigens einen Gutteil meines Abends gesteckt habe, ohne Bezahlung dafür zu erwarten).

Es gibt einen großen Unterschied zwischen dem rückenschmerzenden Beerenklau und der “Selbstbedienung” auf den Feldern des Nutzungsrechts: Es ist, im Vergleich zum Erdbeerpflücken, extrem leicht, sich an den schöpferischen Leistungen anderer zu bedienen und die dann auch noch weiter zu geben. Download – upload – fertig! Freundliche Seiten, die einem das Sich-selbst-Bedienen sogar leicht machen (erinnert sich noch jemand an Napster?), gibt es reichlich – auf die Erdbeeren übertragen wären das dann Leute, die einen Carpool zum nächsten Beerenbeet organisieren und sogar noch die Eimer zum Pflücken auftreiben. Am besten noch im Namen der Freiheit, um das Beerenmonopol der Bauern und Supermärkte zu brechen.

Natürlich hinkt mein Beispiel. Beeren kann man schließlich nur einmal essen, aber Musik kann man immer wieder hören, und Texte immer wieder lesen; sie werden beim Konsum eben nicht verbraucht – was das verfielfältigte Weitergeben letztlich ja erst möglich macht. So schlimmt hinkt es übrigens dann auch wieder nicht: Auch Nachrichten sind eine verderbliche Ware; Texte (und die dahinter stehenden Themen) haben keine unbegrenzte Haltbarkeit, wenn es darum geht, sie bei einem Medium unterzubringen. Denn es gibt so etwas wie “Aktualität”. Die Nachricht von gestern kann ich übermorgen keinem Verleger mehr andrehen.

Und es gibt eine Vielzahl von Alternativen, wie die Erdbeeren – und parallel dazu auch die Texte, die Musik – an den Verbraucher gebracht werden können, ohne dass die Mittelsmänner dabei ihre Taschen vollstopfen können, und ohne dass die Erzeuger dabei um den Lohn ihrer Mühe gebracht werden. Selbstpflückplantagen (zum Kilo- oder Pauschalpreis), Tauschgemeinschaften, Einkaufsgenossenschaften – all diese Modelle lassen sich, mit ein bisschen Abstraktionsvermögen, auch bei schöpferischem Kontent finden. Aber man darf nicht vergessen, dass das Wesen dieser Modelle sein muss, dass Erzeuger einen Lohn, einen Nutzen aus ihrer Tätigkeit ziehen können.

Denn hieran scheint die Diskussion um die “Freiheit” im Internet oft zu hapern: Nur weil ich der Meinung bin, dass das bisherige Vertriebssystem – ob nun für Erdbeeren oder für Musik, Literatur, Journalismus oder andere “geistige” Erzeugnisse – endlich abgeschafft werden sollte, darf ich nicht einfach übersehen, dass ich damit auch das Entlohnungsystem der Erzeuger in Frage stelle. Denn das ist nun mal vom bisherigen Vertriebssystem abhängig, ob uns das passt oder nicht. Damit, dass man die Felder plündert, schafft man vielleicht das alte System ab – aber kein neues an.

flattr this!

Kommentare (28)

  1. #1 koi
    7. April 2012

    Guten Morgen aus Franken.

    Danke für diesen dedizierten Meinungsartikel, er klärt er doch einige wichtige Punkte und ich kann ihm weitestgehend zustimmen.
    Nur eines dazu:
    Deine Analogie zu den Erdbeeren ist leider allzu wahr, aber auch schon in der Realität angekommen. So wurde letztes Jahr nicht zum ersten Mal in der Zeitung berichtet, dass in Kalchreuth, einem bekannten Kirschendorf in der Nähe von Nürnberg, es immer häufiger vorkommt, dass Fremde sich ungeniert, eimerweise an den Kirschen der dortigen Bauern bedienen. Auch aus der Fränkischen Schweiz habe ich ähnliches gehört. Da die Bäume auf frei zugänglichen Wiesen stehen, ist das nicht weiter schwer. Das Schlimme daran ist, dass es anscheinend kein Unrechtsbewusstsein mehr gibt und die Leute, wenn sie angesprochen werden ignorant oder teilweise sogar aggressiv reagieren.
    Wenn es hier schon kein Verständnis mehr gibt, wo soll das im Internet herkommen?
    Ich will jetzt nicht bewerten, welches Verhalten (Kirschenklauen bzw. Verwertungsrechtsverletzungen im Internet) welches bedingt oder ein Loblied auf die “Gute alte Zeit” singen.
    Ein Erklärungsansatz ist, denke ich, die Abkopplung von der Lebensrealität der anderen Seite, das nicht Verstehen (Wollen), das andere Menschen auch von etwas leben müssen. Diese Abkopplung ist mMn auch eine Folge einer hoch arbeitsteiligen Gesellschaft, vor allem wenn nur noch ein Teil arbeitet.
    Verstärkt mit der seit ein, zwei Jahrzehnten propagierten Schnäppchenmentalität führt das eben zu diesen Auswüchsen.

    Ich wünsche Dir und allen Lesern noch schöne Frühlingsfeiertage (aka Ostern)

  2. #2 rolak
    7. April 2012

    Bevor jemand auf die Idee kommt, bei der drohenden verschärften Gesetzgebung bzgl www-content ginge es um die Rechte der durch Raubkopien gebeutelten Erzeuger¹, möchte ich schnell noch zwei TEDdies zum Nichtkuscheln in den Ring stellen:

    _____
    ¹ vor kurzem entblödete sich mein Bruder nicht, das in D aktuelle System im Musikbereich (GEMA) dadurch zu verteidigen, daß es hierzulande den Musikern besser ginge als egal wo sonst auf der Welt.
    Klar, hört man ja auch ständig, daß darbende internationale Künstler wegen der goldenen Bedingungen an der Grenze Schlange stehen zwecks Einreise ins Schlaraffenland…

  3. #3 JB
    7. April 2012

    Der Vergleich mit den Erdbeeren hinkt noch auf eine andere Weise: Wenn ich Erdbeeren haben möchte (legal), dann habe ich mehrer Möglichkeiten. Ich kann z.B. zum Edeka gehen und teure Erdbeeren kaufen, oder zum Aldi, wo ich _andere_ Erdbeeren billiger bekomme, oder zu einem Selbstpflückfeld fahren, wo wieder andere Erdbeeren noch billiger zu bekommen sind, ich aber noch eigene Arbeitsleistung investieren muss.
    Will ich aber ein Buch oder ein Musikstück kaufen, habe ich diese Möglichkeit nur sehr eingeschränkt. Zwar kann ich diese (vielleicht!) in verschiedenen Formen kaufen: als Hardcover, Taschenbuch oder E-Book bzw. als CD oder Download. Aber ich kann _nicht_ einfach wo anders hingehen und ein _anderes_ Buch oder Musikstück kaufen — denn diese sind nicht vergleichbar. Das wäre so, als hätte ich nur die Wahl, ob ich hier Erdbeeren oder dort Äpfel kaufen kann. Wenn ich ein bestimmtes Kunst- / Unterhaltungswerk kaufen möchte, dann bin ich auf Gedeih und Verderb den monopolistisch festgesetzten Bedingungen unterworfen.
    Diese Bedingungen sind es hauptsächlich, warum ich weniger Bücher kaufe, als ich das eigentlich möchte, und warum ich illegale Downloads nicht pauschal verurteilen kann. Die Verkäufer von geistigem Eigentum wollen nämlich nicht nur, dass ich einen bestimmten Preis bezahle (ohne die Möglichkeit, auf einen billigeren Anbieter auszuweichen), sondern sie wollen auch bestimmen, _wie_ (und teilweise sogar wo, bzw. wo nicht) ich das Produkt konsumiere.
    Im Prinzip kann jeder hergehen und Erdbeeren anbauen um sie zu verkaufen oder Erdbeeren einkaufen um sie weiterzuverkaufen. Es spielt dabei keine große Rolle _welche_ Erdbeeren das nun sind und ich kann mehrere Vertriebswege nebeneinander wählen. Die Content-Industrie verlangt aber in der Regel ein Monopol auf ein bestimmten Produkt. Ich kann _nicht_ einen Roman schreiben und ihn an zwei verschiedene Verlage verkaufen. Das bedeutet, dass ich als Kunde auch nicht auswählen kann, wo (also von welchem Verlag, der das Buch ja auf eine bestimmte Weise gestaltet) ich ein bestimmtes Buch kaufe (bei Büchern kommt natürlich noch die Preisbindung dazu, aber darum geht es mir gerade nicht).
    Hier herrscht also ein starkes Ungleichgewicht zugunsten der Content-Industrie. Wenn man schon auf den (eingermaßen) freien Mark pocht, dann sollte der auch dann gelten, wenn die Kunden davon einen Vorteil haben. Statt dessen sollen im Moment die Kunden noch stärker eingeschränkt, kontrolliert und drangsaliert werden, um die etablierten Monopole weiter zu stärken.
    Ich denke, das ist der eigentliche Knackpunkt in der aktuellen Debatte um Urheberrecht, Verwertungsrecht und geistiges Eigentum. Leider wird die Diskussion viel zu oft auf “gerechte Bezahlung oder Kostenloskultur” reduziert, was meiner Meinung nach ein Nebenaspekt ist, der mehr mit der wirtschaftlichen Lage als dem geistigen Eigentum zu tun hat. Ich glaube nicht, dass es viele gibt, die ernsthaft verlangen, alle kreativen Schöpfungen sollten kostenlos sein (auch AS tut das ja nicht). Es geht da eher um das wie und wieviel und für was genau bezahlt wird.
    Die Welt ist im Umbruch, es gibt viele neue Möglichkeiten — lasst sie uns ausprobieren!
    Lg, JB

  4. #4 A.S.
    7. April 2012

    Meine Antwort ist etwas länger ausgefallen, deshalb steht sie im Sprachlog:

    https://www.scilogs.de/wblogs/blog/sprachlog/kultur/2012-04-07/erdbeerquark

  5. #5 Muriel
    7. April 2012

    Schön geschrieben, hat Spaß gemacht. Verstanden habe ich aber vor allem gegen Ende nicht alles.
    Vielleicht liegt es daran, dass ich unter demselben Mangel leide wie der Autor: Ich habe keinen so besonders guten Überblick über die Debatte.
    Deshalb frage ich mich, wem dieser Post widersprechen will. Gibt es da draußen Leute, die der Meinung sind, Journalismus und überhaupt alles müsse umsonst zu haben sein und man dürfe sich einfach alles nehmen und essen, egal wem es gehört?

  6. #6 Statistiker
    7. April 2012

    Ich schließe mich A.S. an….. der hat die bessere Argumentation…

  7. #7 Hannah
    7. April 2012

    @Muriel: Nein, gibt es nicht. Aber es gibt die Content-Industrie, die uns weißmachen will, dass einen jede Diskussion über eine Veränderung des Urheberrechts genau dies zur Folge hätte.

  8. #8 Sven Türpe
    7. April 2012

    Wenn Du ein Kilo Waldbeeren gesammelt hast, gehören sie dann Dir? Oder darf ich sie ungefragt aufessen, weil dem Wald ja kein Schaden entsteht?

  9. #9 Radicchio
    7. April 2012

    Will ich aber ein Buch oder ein Musikstück kaufen, habe ich diese Möglichkeit nur sehr eingeschränkt. Zwar kann ich diese (vielleicht!) in verschiedenen Formen kaufen: als Hardcover, Taschenbuch oder E-Book bzw. als CD oder Download. Aber ich kann _nicht_ einfach wo anders hingehen und ein _anderes_ Buch oder Musikstück kaufen — denn diese sind nicht vergleichbar. (…) Wenn ich ein bestimmtes Kunst- / Unterhaltungswerk kaufen möchte, dann bin ich auf Gedeih und Verderb den monopolistisch festgesetzten Bedingungen unterworfen.

    das stimmt so nicht. du kannst das buch auch in der bibliothek oder anderweitig leihen oder gebraucht kaufen. da es verschiedene verlage gibt, kann man auch nicht einfach von einem monopol reden, denn die verlage untereinander stehen durchaus in konkurrenz. achtung, eine analogie: auch die autoindustrie ist die einzige, die autos herstellt. aber einen opel kannst du eben nur von opel bekommen, oder gebraucht von privat oder einem gebrauchtwagenhändler. niemand käme drauf, opel vorzuwerfen, sie hätten ein monopol auf opel.

    ob die erdbeer-analogie nun 100%ig zutrifft, oder nicht, spielt keine rolle. sie verdeutlicht, was jürgen ausdrücken will. und damit erfült sie ihren zweck.

  10. #10 Bartleby
    7. April 2012

    Liebe Netzgemeinde, liebe Kreative,

    das ist doch alles nicht so schwer. Urheberschaft und Verwertung ist Arbeit. Jürgen hat drei wichtige Aspekte hervorgehoben: die Pseudo-Diskussion um das Nicht-Verschwinden durch Kopieren, das Zitat und die Frage des Einkommens. Ich fand den Beitrag gut aber etwas schwer verständlich. Der Versuch eine Antwort zu schreiben ist hier zu lesen: https://kartothek.wordpress.com/2012/04/07/urheberrecht-einmal-aromatisch/

  11. #11 Jürgen Schönstein
    7. April 2012

    Ich hatte das Beispiel eigentlich vermeiden wollen, da es einen Bloggerkollegen direkt betrifft (wer wisen will, von wem ich spreche, der klicke hier). Aber es illustriert das Dilemma einfach zu gut:

    Ein sehr beliebter und weit gelesener Blogger entscheidet sich, einige seiner wichtigsten Beiträge in Buchform zu veröffentlichen. Als eBuch, weil’s am einfachsten ist. Und nun komm” ich: Was? Ich soll plötzlich für etwas bezahlen, was es bisher frei verfügbar gab? Sauerei! Und prompt knacke ich die eBuch-Datei und stelle sie gratis ins Netz. Korrekt oder nicht korrekt? Antworten bitte im Hinblick auf die hier zur Diskussion stehenden Positionen begründen.

  12. #12 Florian Freistetter
    7. April 2012

    “Was? Ich soll plötzlich für etwas bezahlen, was es bisher frei verfügbar gab? Sauerei! Und prompt knacke ich die eBuch-Datei und stelle sie gratis ins Netz. Korrekt oder nicht korrekt?”

    Ich sage natürlich: NICHT korrekt 😉 Abgesehen davon gibt es bei meinem ebook keinen Kopierschutz, der zu knacken wäre – und die Blogtexte auf denen das Buch basiert, sind weiterhin frei verfügbar.

  13. #13 koi
    7. April 2012

    Worum es geht ist doch ganz einfach. Wer Geld verdienen will oder muss soll das wenigstens versuchen können. Die Regeln müssen halt in Abhängigkeit vom Produkt und technischen Möglichkeiten festgelegt sein, teilweise neu interpretiert oder neu erfunden werden. Das war mit Aufkommen der Fotokopierer so, mit der Musikkassette, dem Videorecorder und natürlich dem Internet mit allen seinen Möglichkeiten. Bei Texten und Software sind die offenen Lizenzen schon ein guter Anfang. Bei der Musikindustrie und der Filmindustrie ist es noch schwierig. DRM kann es in meinen Augen nicht sein und die Abmahnpraxis mancher “Anwälte” ist in meinen Augen verbrecherischer als ein unbedachter Down- oder sogar Upload. (Ich rede hier nicht von Tauschbörsen oder Verbreitung geschützten Materials im großen Stil!). Vielleicht muss man neue Rechtskonzepte einführen, die Inhalt, Urheberrechte, Verwertungsrechte und ähnliches neu und besser definieren.
    Aber, und das lese ich aus Jürgens Erdbeerbeispiel, die Tatsache, dass Bauern A seine Erdbeeren kostenlos abgibt, gibt niemand das Recht, das vom Bauern B zu erwarten oder sich dort einfach so zu bedienen. Wenn Bauer B nicht mehr konkurrenzfähig ist, wird das schon zu einer Anpassung führen, z.B. dass er dicht macht oder bessere Qualität anbietet.
    Und genau das, diese Selbstbedienungsmentalität lese ich aus vielen Meinungen heraus, das ist es dann, was mich bei aller Sympathie für freie Inhalte zögern lässt die Position von A.S zu unterstützen.
    Die (verkürzte) Aussage, dass keiner gezwungen ist, kreativ tätig zu sein halte ich allerdings für zynisch, jedenfalls solange es kein bedingungsloses Grundeinkommen gibt.

  14. #14 Michael Blume
    7. April 2012

    Vielen Dank für diesen angenehm-sachlichen Blogpost, der Argumente nachvollziehbar vorträgt und ganz ohne Testosteron-Zurschaustellungen und Beleidigungen Andersenkender auskommt. Auch das eine Leistung, die anerkannt gehört.

    Ein Scilogger.

  15. #15 Jürgen Schönstein
    7. April 2012

    @Florian

    Abgesehen davon gibt es bei meinem ebook keinen Kopierschutz, der zu knacken wäre – und die Blogtexte auf denen das Buch basiert, sind weiterhin frei verfügbar.

    Und dafür kriegst Du noch eine Extraportion Respekt von mir. Aber wie Du selbst ja sagst: Nur weil es möglich wäre, Dein Buch zu klauen, wäre es deswegen noch lange nicht in Ordnung. Und daran krankt die Diskussion. Ich würde auch gerne in einer Welt leben, wo jeder das Richtige tut. Wo ich mein Fahrrad nicht anketten muss, weil keiner auf die Idee käme, ein fremdes Fahrrad einfach “mitzunehmen”. Wo niemand meine oder andere Texte abschreibt, als seine eigenen ausgibt und sich dafür mit einem Doktortitel krönen lässt. Wo Mühe angemessen belohnt wird. Aber leider ist die Welt nicht so beschaffen, und statt dessen leben wir in einem System, wo die ökonomischen Machtverhältnisse darüber entscheiden, wem wieviel – wenn überhaupt etwas – für seine Arbeit bezahlt wird. Ich applaudiere jedem, der diese Verhältnisse gerechter machen will – aber nur, wenn er dabei das sprichwörtliche Kind nicht mit dem Bade ausschüttet.

  16. #16 Bartleby
    7. April 2012

    @Muriel

    Ich weiß nicht, wie total Du “überhaupt alles” meinst. Wenn Du aber “Journalisten und überhaupt alles ansprichst”, kann man annehmen, dass Du den privaten Medienkonsum im Auge hast. Und da gibt es achon Leute, die offensichtlich Zeitungen, Bücher, Musik und Filme umsonst haben wollen. Zitat aus dem Parteiprgramm der Piratenpartei:

    “Daher fordern wir, das nichtkommerzielle Kopieren, Zugänglichmachen, Speichern und Nutzen von Werken nicht nur zu legalisieren, sondern explizit zu fördern,[…]”

    Da wirkt es nur dümmlich und schizophren, wenn sie ein paar Absätze weiter schreiben, dass sie die “Persönlichkeitsrechte” der Urheber anerkennen. Diese Kindergartentruppe sind so ungebildet, dass sie nicht einmal im Parteiprogramm die richtigen Begriffe verwenden. Das einzige, was man ihnen kostenlos geben sollte, sind Schulbücher. Und bis sie Prüfungen bestanden haben – keine Musik und keine Filme mehr, auch keine bezahlten.

  17. #17 Muriel
    7. April 2012

    @Bartleby: Einerseits könnte ich sicher einiges von dir lernen, denn du scheinst ja richtig durchzublicken.
    Andererseits sind mir dein Tonfall und deine ganze Haltung so unsympathisch, dass uns das wahrscheinlich beiden keinen Spaß machen würde, und für sowas finde ich das Leben einfach zu kurz.
    Trotzdem danke für den Versuch.

  18. #18 Dr. Webbaer
    7. April 2012

    Und ich finde, dass es in der Tat so etwas wie geistiges Eigentum gibt

    Es hat sich in modernen gesellschaftlichen Systemen herausgestellt, dass das Konzept des geistigen Eigentums Sinn machen kann, also Geschäfte unterstützen und Mehrwert generieren helfen kann. – In den Gesellschaftssystemen der Antike wäre dieses Konzept aber nicht sinnhaft gewesen, weil die Umsetzung zu schwierig gewesen wäre. – Nun gibt es wieder einen Kulturbruch, das Internet hat revolutionären Charakter und wirft neue Fragen auf.

    Wenn bspw. ein Nutzer des Internets (fast 🙂 jede von ihm gewünschte Ressource finden kann und dann die Rechteproblematik nicht beachtet, kann dann dieser Rechtsverstoß überhaupt sinnhaft geahndet werden? – Oder ähneln sich die Zustände wieder mit denen der Antike? Also in dem Sinne, dass die Rechtlichkeit des Urheberschutzes nicht durchgesetzt werden kann.

    Spannendes Thema, das Web fordert neue rechtsphilosophische wie auch ethische Überlegungen…

    MFG
    Dr. Webbaer

  19. #19 Bartleby
    8. April 2012

    @Muriel

    Tonfall: Hast Du Dir einmal Interviews mit Vertretern der Piraten angehört? Den Brief von Anatol S. Hast Du ja gelesen. Ich gebe Dir recht, das Leben ist eigentlich zu kurz für Diskussionen in diesem Ton. Aber ich bin schon der Meinung, dass auf solche unverschämten Ausfälle, bspw. Kulturschaffende als Leibeigene zu bezeichnen, eine scharfe Antwort gegeben werden muss. Das ist in meinen Augen unerträglich und keine inhaltliche Diskussion.

    Haltung: was stört Dich an meiner Haltung?

    Nur um das klarzumachen, ich bin für vernünftige Regelungen und gegen all diesen Abmahnwahn (habe auch selbst schon eine eingefangen). Und ich bin ein Unterstützer von Open-Source. Aber jeder darf doch bitte selbst entscheiden, ob er die Dinge zur freien Verfügung stellt oder nicht, Bezahlung erwartet oder nicht.

    Und wenn hier und anderswo lautstark herumgeschrien wird, dass man lieber ohne die Produkte der “Content-Mafia” leben möchte, als denen einen Euro zu geben, dann frage ich mich, warum das so laut sein muss? Hunde die bellen, beißen nicht, sagt der Volksmund.

    Fernseher abschalten, Radio aus, nicht mehr in Kino oder Buchläden gehen und all die Produkte ignorieren sowie sich mit denen austauschen, die freie Werke zur Verfügung stellen. Das wäre doch ein authentische Botschaft, die man gerne auch gelassen mitteilen kann. Das was hier abgeht macht mir jedoch den Eindruck eines Aufschreis nach der täglichen Ration downloadbarer Unterhaltung, egal woher sie kommt.

  20. #20 Dr. Webbaer
    8. April 2012

    Der gefühlte Meister des Worts hat bereits geantwortet auf die ‘äußerst fragwürdige Erdbeeranalogie’:
    https://www.scilogs.de/wblogs/blog/sprachlog/kultur/2012-04-07/erdbeerquark

    MFG
    Wb

  21. #21 rolak
    8. April 2012

    …und der reale Meister des Nicht-Lesens hat seinen Vorsprung weiter ausgebaut.

  22. #22 Dr. Webbaer
    8. April 2012

    Aja, SR, der gefühlte Meister des Worts hat selbst schon hier verwiesen.

    MFG
    Dr. Webbaer (der auf “A.S.” demnächst mehr schauen wird)

  23. #23 Statistiker
    8. April 2012

    Wer andere als “dümmlich und schizophren” sowie als “Kindergartentruppe” diffamiert, sollte wenigstens in der Lage sein, das Wort “nichtkommerziell” zu lesen…..

  24. #24 B.W.
    10. April 2012

    Gute Mucke, Herr Schönstein. Unterschreibe ich allergrößtenteils.

    Dann aber noch eine Anmerkung zu einem bestimmten Sound in den Kommentaren – hier und bei diesem anderen, vor Selbstgerechtigkeit und Ignoranz strotzenden Beitrag zum selben Thema.

    Ich finde es gelegentlich schwer zu ertragen, dass nicht nur die traditionelle Verwerterseite unredlich argumentiert (Internet = alles Verbrecher), sondern auch diejenigen, die sich ihre illegalen Aktivitäten (im Sinn von “verboten”, nicht “moralisch-ethisch nicht zu rechtfertigen”) partout schönreden müssen.

    Zwei Fälle. Ein Cory Doctorow stellt Langtexte, in denen wahrscheinlich sehr viel Arbeit steckt, kostenlos ins Netz. Er ermutigt Dritte, sie für verschiedene Plattformen aufzubereiten, mit CC-Lizenz. Gleichzeitig verkauft er dieselben Texte als Bücher bei Amazon & Co. Viele laden sich die Bücher im gewünschten Format bei craphound.com herunter. Andere kaufen sie im Laden. Cory wird zu vielen Konferenzen eingeladen und spricht (gegen Bezahlung) über Copyright. Alle sind glücklich, niemand tut etwas Verbotenes.

    Und dann hätten wir einen anderen Content Creator, z.B. Pixar. Pixar macht einen bezaubernden Film, WALL-E. Kostet sehr, sehr viel Geld. Serverfarmen. Programmierer. Musiker, Tonstudio, Sprecher. Alle diese Leute möchten und/oder müssen von ihrer erlernten Arbeit leben und nicht, wie andernorts vorgeschlagen wird, nach der Professoren- oder Bahnschaffnertätigkeit noch ein Stündchen herumdilettieren, bevor sie über der Tastatur einschlafen.

    Der Pixar-Verleih bringt den schönen, teuer hergestellten Film ins Kino, in zahllosen Ländern. In manchen Ländern dauert es länger; das muss aus Marketinggründen regelrecht orchestriert werden. Dann gibt es eine DVD, später eine Blu-ray. Ein weiteres Jahr später die Fernsehausstrahlung; einmal mit Werbung und dann auch werbefrei auf einem Bezahlkanal. Eine Menge Formate und Bezugsmöglichkeiten, zugegebenermaßen nicht alle perfekt.

    Es gibt aber nun Leute, die das von ihnen bevorzugte Format (z.B. am eigenen Rechner schauen, in HD und 5.1-O-Ton, und zwar sofort nach oder besser noch vor dem Kinostart) nicht vom Content Creator kriegen. Das finden sie unerhört. “Dinosaurier!”, “Mafia!”, “Schweine!” – keine Schublade ist zu niedrig. Und wenn man dann den Feind, das unflexible Unrechtsregime, identifiziert hat, fällt der nächste Schritt nicht schwer: Man verschafft sich die gewünschte Ware eben zu den Konditionen, die man am besten findet (im Zweifelsfall umsonst und sofort). Denn anders ging es ja (leider, leider!) nicht.

    Schuld an diesem Ablauf ist selbstverständlich … der Rechteinhaber bzw. -verwerter, der Dinsoaurier, der das Gewünschte nicht herausrücken wollte.

    Die Leute, die als Teil des gemeinten “Schweinesystems” zwei Jahre programmiert, gezeichnet, geschuftet haben? Tja, Pech. Hätten sie sich mal einen flexibler agierenden Arbeitgeber gesucht. Soll doch jemand anders ihr Gehalt zahlen!

    Später schreibt man dann vielleicht, wie ungerecht doch eine Welt ist, in der es die Erdbeersorte Y vom böse, monopolistisch agierenden Anbieter nicht gibt. Und legitimiert damit sein Verhalten (= sich einfach etwas zu nehmen, für das Millionen andere bezahlt haben).

    tl;dr: Die Welt schuldet z.B. einem Filmstudio nicht, dass Millionen Menschen seine Ware sehen wollen. Manch einer hatte seine Zeit und geht dann unter. Aber das Filmstudio schuldet auch nicht irgendeinem Typen das Zugriffsrecht auf Produkt X im Format Y zum Preis und Zeitpunkt Z (im Zweifelsfall umsonst und sofort). Hier pauschal zu behaupten, dass der Rechteinhaber/-verwerter “das Netz nicht versteht”, ist einfach nur billig, in mehr als einer Hinsicht.

    Bei einem Bauern zuzugreifen, weil der Erdbeeren einfach gerne anbaut und dann verschenkt (The Gimp) – wer wollte etwas dagegen sagen? Wer aber beim anderen Händler eine Scheibe einwirft und sich dessen größere Erdbeeren nimmt (Photoshop), stellt keinen alternativen Markt her. Er ist bloß ein kleiner, gewöhnlicher Dieb.

  25. #25 Lexi
    10. April 2012

    Das Wortspiel in der ersten Zeile geht gar nicht und hat mich geblendet, so dass der kostenlose Content kaum noch wahrnehmbar war.

  26. #26 Thomas
    10. April 2012

    B.W.:

    Die Leute, die als Teil des gemeinten “Schweinesystems” zwei Jahre programmiert, gezeichnet, geschuftet haben? Tja, Pech. Hätten sie sich mal einen flexibler agierenden Arbeitgeber gesucht. Soll doch jemand anders ihr Gehalt zahlen!

    Deine Argumentation setzt voraus, dass durch das illegale Vervielfältigen von Medien irgendwelche finanziellen Verluste auftreten. Ich bezweifle aber, dass es Verluste gibt.

    Er ist bloß ein kleiner, gewöhnlicher Dieb.

    Wie schön, dass du die “hohen Schubladen” auspackst. Benutze doch beim nächsten mal das Wort Räuber oder Mörder, dann ist die Debatte gleich viel sachlicher. 😉
    (Anm.: Nein, Urheberrechtsverletzungen sind kein Diebstahl, weder juristisch noch nach zumindest meinem Verständnis des Wortes. Diebstahl funktioniert nur bei beweglichen, d.h. physisch Vorhandenen Objekten. Diebstahl lässt sich meist problemlos auch zum Raub (und zum Raubmord) steigern, ergo wären Räuber und (Raub-)Mörder genauso richtig wie Dieb.)

  27. #27 MoritzT
    11. April 2012

    Deine Argumentation setzt voraus, dass durch das illegale Vervielfältigen von Medien irgendwelche finanziellen Verluste auftreten. Ich bezweifle aber, dass es Verluste gibt.

    Ich fürchte, wir werden das auch nie wirklich erfahren. Funktionieren tut der Weg der Arctic Monkeys auch (also zumindest einmal …) Wenns wissenschaftlich untersucht werden sollte, werden die Ergebnisse sowieso niemals von allen geglaubt – im Zweifel werden alle Studien als Gefälligkeitsgutachten diffamiert. Ich hab da keine Lust drauf.

    Was ich aber durchaus nachvollziehen kann, ist der Grundgedanke hinter dem Pixar-Beispiel: ich habe große Hemmungen, mit Vollgas und meiner Lebenszeit ein Projekt voranzutreiben, das mir mein Leben nicht finanzieren kann. Anders ausgedrückt: extrem aufwändige, vielleicht wegweisende Pioniertätigkeiten wird es nicht geben, wenn sie nicht mit einem einigermaßen sicheren Cashflow verbunden sind. Das gilt für alle Bereich des Lebens. Hightech im Nebenjob ist brutal schwer zu machen.

    Und entweder machen wir es wie in der Forschung und vergemeinschaften die Kosten einer hochklassigen Kultur, oder wir lassen es auf dem Markt geschehen. Geht wahrscheinlich beides, es hat aber auch beides Nachteile.

  28. #28 Thomas
    11. April 2012

    MoritzT:

    ich habe große Hemmungen, mit Vollgas und meiner Lebenszeit ein Projekt voranzutreiben, das mir mein Leben nicht finanzieren kann.

    Dann solltest du kein Künstler werden oder deine Hemmungen überwinden, denn auch ohne FileSharing und Co. gibt es für “Otto-Normal-Künstler” keinen sicheren Cashflow oder überhaupt irgendeine Art von Cash (oder auch nur Anerkennung). Man kann heutzutage nirgendwo hinspucken, ohne einen Künstler zu treffen. Einerseits gut, andererseits schlecht: Die Chancen “entdeckt” zu werden, sind geringer; die Konkurrenz ist größer; die “Kaufkraft” wird auf dutzende Künstler verteilt; Kunst wird immer selbstverständlicher (und damit wird der Einzelne immer unwichtiger) und so weiter.
    Wer Kunst macht (oder damit beginnt), macht dies doch in aller erster Linie für sich selbst. Vielleicht möchte derjenige auch ein wenig Kritiken zu seinen Werken und fängt dann irgendwann an seine Werke ins Netz zu stellen oder Bekannten und Freunden zu zeigen (und wenn man wirklich gut ist, spricht sich das auch herum) und/oder er nimmt Kontakt zu Verlagen, Museen etc. auf (und wenn man “gut” ist, wird man genommen). Aber der Großteil der Künstler dieser Welt verdient nicht einen müden Pfennig, auch wenn es viele vielleicht wollen (ist ja auch eine Art von Anerkennung). Da wird ein strengeres oder “freieres” UrhG nichts dran ändern.
    Einzig “Auftragskünstler” (Maler, Lakierer, Mediengestalter und Co.) können mit einem relativ konstanten Cashflow rechnen, sofern er genug Aufträge erhält.