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Ich habe mal wieder in der aktuellen Ausgabe von Harper’s geblättert. Die Coverstory erzählt davon, “wie Wall Street Millionen hungern ließ und damit durchkam” (How Wall Street Starved Millions and Got Away with It), geschrieben vom Harper’s-Mitarbeiter Frederick Kaufman (den Link sollte man sich aufheben – ich denke, dass der Artikel, der eigentlich nur Abonnenten oder Zahlungswilligen online verfügbar gemacht wird, früher oder später auf Kaufmans Seite auftauchen wird). Und es geht um so etwas scheinbar schlichtes wie harten Weizen, der als eines der Grundnahrungsmittel der Welt anzusehen ist und dessen Weltmarktpreis letzlich an der Minneapolis Grain Exchange, der Getreide-Warenterminbörse von Minneapolis, bestimmt wird. Im Jahr 2008 explodierten die Getreidepreise, trotz einer Rekordernte, und mehr als 250 Millionen Menschen weltweit (darunter übrigens auch fast 50 Millionen Amerikaner) mussten plötzlich in diesem Jahr unerwartet erleben, was Hunger ist – so viele wie nie zuvor in der Geschichteund das erste Mal seit Generationen, dass die Zahl der Hungernden weltweit nicht sank, sondern anstieg – auf mehr als eine Milliarde ingesamt.


Ob man am Ende des Artikels wirklich genau verstehen kann, wie diese Situation durch Spekulanten geschaffen wurde, ist schwer zu sagen. Dass der Investment-Jargon der Wall Street, mit seinen Optionen, seinen Long- und Short-Positionen selbst vermeintlichen Insidern oft nicht verständlich ist, hat ja die Finanzkrise von 2008 bereits dokumentiert.

Ich will versuchen, in wenigen Worten nachzuzeichnen, was Kaufman als die Ursache der Hungersnot ausgemacht hat:

Im Jahr 1991 kam die Investmentbank Goldman Sachs auf die Idee, einen Rohstoff-Indexfonds aufzulegen, in dem die Anleger auf die Presientwicklung so alltäglicher Güter wie Rind- oder Schweinefleisch, Weizen und Mais, Kaffee oder auch Kakao spekulieren konnten. Der Fonds lief gut genug, um andere Banken zu Nachahmungen zu inspirieren. Doch die Folge für die Rohstoffbörsen war nachhaltig: Bis dahin waren selbst Spekulanten, die mit Getreide-Futures handelten, darauf angewiesen, dass dieses Getreide, auf das sie lange vor der Ernte eine Option erworben hatten, auch tatsächlich in die Scheuer gefahren und an Mühlen oder auch auf dem Weltmarkt – die USA seien das “Saudiarabien des Getreides”, schreibt Kaufman, da knapp die Hälfte der Produktion exportiert wird – abgesetzt wird. Der dann zu zahlende Spot-Preis (d.h. der “reale” Preis) lag meist über dem der Optionen, was dem Spekulanten einen Profit bescherte, aber andererseits konnte er sich auch nicht zu weit von dem Spekulationspreis entfernen, da die Ware ja letzlich an den Mann gebracht werden musste (und nicht unbegrenzt gehortet werden konnte).

Doch die erwähnten Index-Fonds handelten nicht mit der Ware selbst – sie investierten zwar auch in die entsprechenden Warentermin-Optionen, aber meist nur etwa fünf Prozent der Kundeneinlagen (fünf Prozent Anzahlung genügen, um sich beispielsweise eine Weizenoption zu sichern). Sollte der Weizen-Spotpreis dann fallen, war das Risiko wenigstens durch den Zinsertrag der inzwischen anderweitig angelegten 95 Prozent zumindest teilweise gedeckt. Ohne die Feinheiten dieser Deals (die ich sowieso nicht durchschaue) weiter zu vertiefen, lässt sich jedenfalls sagen, dass diese Lebensmittel-Indexfonds bestens liefen und vor allem nach dem Crash von 2008 eine explosive Nachfrage erfuhren. Warum? Ganz einfach: Essen muss jeder. 2003 waren gerade mal 13 Milliarden Dollar in solche Fonds investiert, doch bis 2008 stieg die Summe auf 317 Milliarden. Zu viele wollten an dem Geschäft teilhaben.

Und so entstand eine groteske Situation, in der die Nachfrage nach den Weizen-Zertifikaten höher war als nach dem Weizen selbst. Contango nennen die Fachleute eine solche Situation, in der die traditionellen Warentermin-Regeln auf den Kopf gestellt werden. Die Folge davon ist aber unausweichlich auch letztlich ein Anstieg der Cash-Warenpreise (dieser Zusammenhang ist auch für Nicht-Ökonomen plausibel). Angetrieben wurde die Spirale erst mal von der Warenterminbörse in Chicago, der Chicago Mercantile Echange, wo die Preise für Winter-Weichweizen von 2006 auf 2008 um 367 Prozent (wenn ich richtig gerechnet habe, von etwa 95 Dollar pro Tonne auf 347 Dollar) explodierten. Dies verlagerte die Nachfrage auf den eigentlich teureren, weil proteinhaltigeren, Frühjahrs-Hartweizen (Hard red spring wheat), der ausschließlich in Minneapolis gehandelt wird. Und das trieb den Hartweizen-Weltmarkpreis, und durch dessen grundlegende Bedeutung auch die Lebensmittelpreise an sich, in die Höhe. Um 80 Prozent stiegen die weltweiten Ernährungskosten zwischen 2005 und 2008.

Die Blase platzte, weil sich – nach anfänglichen Missernten in Australien und Europa, bedingt durch schlechtes Wetter (Dürre “down under”, Hochwasser in Mitteleuropa) – die Ernte des Jahres 2008 insgesamt dann als die ertragreichste Weizenernte aller Zeiten entpuppte. Die Preise purzelten, allerdings nicht schnell genug für die, die bereits hungerten (allein in Los Angeles wurde die Zahl derer, die sich nicht genug zu essen leisten konnten, auf eine Million beziffert; im krisengeschüttelten Detroit standen angelich bewaffnete Wachposten vor Supermärkten). Letztlich wurden fast ein Viertel des US-Weizenüberschusses an Rinder verfüttert, die verbleibenden rund 20 Millionen Tonnen wurden als Reserve für die nächste Saison eingelagert. Doch die Spekulaten hatte ihre Profite gemacht, und essen muss letztlich jeder.

Wenn er es sich leisten kann: Spekulanten sind von dem, was 2008 passierte, offenbar gar nicht abgeschreckt, im Gegenteil. In einem auch von Hoffman zitierten Anlegerbrief schreibt der Hedgefondsmanager John Hummel von AIS Capital Management:

It is our conclusion that the 2008 through early 2009 correction in commodities, precious metals, and equities related to these areas, was a temporary interruption in a secular bull market for these assets. Furthermore we believe that they are in the process of resuming their bull markets.

Mit anderen Worten: Die nächste Blase – und damit die nächste Krise – kommt bestimt.

flattr this!

Kommentare (15)

  1. #1 soph
    17. Juni 2010

    Was nur wieder zeigt, es gibt viel zu viel Geld auf dieser Welt und viel zu wenig realen Gegenwert dafür.

  2. #2 JensM
    17. Juni 2010

    Und der Mensch begreift es einfach nicht … obwohl man ja meinen mag, dass wir nach fast 300 Jahren in diesem Fall endlich etwas dazugelernt hätten.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Gro%C3%9Fe_Tulpenmanie

  3. #3 miesepeter3
    17. Juni 2010

    @Jürgen Schönstein

    All diese schönen neuen (und alten) Möglichkeiten, Geld zu verdienen, sind letzten Endes nichts anderes als Wetten. Und so bestimmen (spiel)süchtige Zocker die Geschicke von ganzen Volkswirtschaften. Das wäre an sich nicht so schlimm, wenn die da bestimmte Grenzen respektieren würden, aber das tun sie nicht. Die Superzocker sind nicht unmoralisch, sie sind durch und durch amoralisch. Deren Sucht treibt sie zu Dingen, die auch von Rauschgiftsüchtigen getan werden könnten, um die Sucht zu befriedigen. Und die Regierungen sehen hilflos zu. Manchmal hat man den Eindruck, die Damen und Herren Politiker werden nicht nur vom Volk bezahlt.

  4. #4 politbuerokrat
    18. Juni 2010

    @Popeye: Weil es unhöflich ist, auf Fragen nicht zu antworten:

    “Bis dahin waren selbst Spekulaten, die mit Getreide-Futures handelten, darauf angewiesen, dass dieses Getreide, auf das sie lange vor der Ernte eine Option erworben hatten, auch tatsächlich […] abgesetzt wird.” –Das ist Unsinn. Wer direkt handelt, hat genau dasselbe Interesse wie jemand, der diese Geschäfte durch einen Fonds machen läßt. Der Fonds faßt lediglich bestimmte Werte flexibel zusammen. Bei einem gemanagten Fonds folgt das der fachlichen Entscheidung der (zu entlohnenden) Fondmanager, bei Indexfonds geht das automatisch entsprechend bestimmter Kennzahlenentwicklungen. Das ist für Anleger attraktiv, die auf diese Weise ihr Portfolio ohne viel Arbeit optimieren können. Wo man sein Geld am besten angelegt hat, hängt nämlich davon ab, was man über die bisherige Marktentwicklung weiß. Fonds verkaufen nun die Dienstleistung, darauf zu reagieren.

    Das erklärt auch besser das “Warum?” in folgendem Abschnitt:
    “Ohne die Feinheiten dieser Deals (die ich sowieso nicht durchschaue) weiter zu vertiefen, lässt sich jedenfalls sagen, dass diese Lebensmittel-Indexfonds bestens liefen und vor allem nach dem Crash von 2008 eine explosive Nachfrage erfuhren. Warum? Ganz einfach: Essen muss jeder.”
    Essen mußte –wir erinnern uns– auch vor 2008 jeder.
    Was ein Journalist/Leser machen sollte: Die Weizenpreise werden in Ihrem Artikel immer in US-$ angegeben. Als erfahrener Konsument journalistischer Produkte weiß ich, daß Journalisten im Dienste proletarischer Bewußtseinsbildung gerne die Darstellung von “Statistiken” bevorzugen, die ihre a priori-Meinung am besten dem unwissenden (sonst würde er solche Machwerke nicht lesen) Leser suggeriert.

    Wenn man ihre die Charts und die des Euro/Dollarkurses vergleicht (und ein bißchen rechnen läßt), dann entdeckt man eine gewisse Korrelation im fraglichen Zeitraum. In Euro gerechnet waren die Preisausschläge also keine Vervierfachung, sondern nur eine Verdoppelung. Das sieht nicht so spektakulär aus, aber deswegen schreibt es der Journalist auch nicht. Diese Korrelation legt nahe, daß es ein monetäres Phänomen ist. Ich halte es für schlüssig, daß nach dem Platzen der Subprimeblase ein Teil der überschüssigen Liquidität, die zuvor diese Blase genährt hat, in die Weizenmärkte geflossen ist. Die überschüssige Liquidität wiederum ist ein Werk der FED, die niedrige Zinsen zur kurzfristigen Konjunktursteuerung mißbraucht und damit Volatilität in die Märkte bringt. Die keynesianische WiPol beruht eben auf Reichtumssuggestion durch niedrige Zinsen. Nebenwirkungen sind Preisniveausteigerungen, entweder allgemeine (Inflation) oder solche Blasen.

    Noch was zur Spekulation: Institutionelle Anleger geben viel Geld für Mathematiker aus, die mit stochastischen Prozessen Finanzmarktprodukte modellieren. Ich weiß z.B. persönlich, daß Weizengroßhändler deswegen Mathematiker einstellen. Sinn des ganzen ist, wie Sie wissen, die Risikominimierung: “Sollte der Weizen-Spotpreis dann fallen, war das Risiko wenigstens durch den Zinsertrag der inzwischen anderweitig angelegten 95 Prozent zumindest teilweise gedeckt.” Spekulation ist also das Gegenteil vom Zocken, nämlich nicht alles auf einer Karte gesetzt zu lassen.

    Auch Sie spekulieren, nämlich wenn Sie eine Versicherung abschließen. Der Profit ist dabei garantiert, nämlich die Sicherheit, nicht ruiniert zu werden, falls was passiert. Einen Gewinn haben Sie davon nicht. Auch die Anleger in den besagten Indexfonds konnten kaum Gewinn verbuchen, als ihr Fonds verloren hat. Die Anlagestrategie wird aber trotzdem richtig gewesen sein, sonst hätten sie sie nicht gewählt.

  5. #5 AndreasM
    18. Juni 2010

    @politbuerokrat: “Die Anlagestrategie wird aber trotzdem richtig gewesen sein, sonst hätten sie sie nicht gewählt.”
    Das halte ich für einen Irrtum. Leute legen nicht nur rational an, sondern es gibt Effekte wie Herdentrieb und alle möglichen mehr oder weniger esoterischen Charttechniken.
    Man kann an der Börse nicht nur gewinnen, indem man real fundierte Preisvorhersagen macht, sondern auch, indem man früh einsteigt, eine Blase erzeugt und dann vor dem Platzen aussteigt.
    Das erzeugt halt leider (teils extreme) Preisverzerrungen in der Realwirtschaft.

    Letztendlich dominiert an der Börse heutzutage Glaube als selbsterfüllende Prophezeiung ähnlich einer Religion mit Gurus und Anhängern.

  6. #6 chriwi
    18. Juni 2010

    @AndreasM
    Genau das ist der Punkt. Viele Wirtschaftler glauben das eine Handlung am Markt sinnvoll sein muss, weil sie am Markt getätigt wurde. Das es dabei zu absurden Ergebnissen kommen kann interessiert nicht. Es erinnert mehr an eine nicht zu hinterfragende Religion, als an eine wirkliche Auseinandersetzung mit den Tatsachen. Wenn innerhalb von 2 Jahren die Preise um über 300% steigen und das trotz guter Ernten ist die Frage warum.

  7. #7 politbuerokrat
    18. Juni 2010

    @AndreasM
    Da haben Sie einen Strohmann aufgebaut. Bei Indexfonds gibt es keine esoterischen Charttechniken, weil ja fertig definiert ist, wie der Fonds jeweils zusammengesetzt sein soll. Das macht ja ihren Wert aus: Solche Fonds lassen sich auf diese Weise prima in das übrige Risikomanagement integrieren. Mal gibt es Gewinne, mal Verluste. Aber die Verluste sind nicht mehr so gefährlich.

    “Man kann an der Börse nicht nur gewinnen, indem man real fundierte Preisvorhersagen macht” — Niemand macht fundierte Preisvorhersagen. Man betreibt nur Stochastik, eine Wissenschaft (schade, daß ich der einzige bin, der das in diesem Blog anführt), um das Risiko zu managen. Die Preise sind eine Folge von Zufallsvariablen, also als unbekannt bekannt. Aber man kann abschätzen, wie groß bestimmte Risiken sind und wie sie voneinander abhängen.

    “Preisverzerrungen in der Realwirtschaft” ist ein Oxymoron. In der Realwirtschaft gibt es keine Währungen und also auch keine Preise. Preisverzerrungen kann es nur geben, wenn es Geldpolitik gibt, aber ich wiederhole mich.

    Und wenn schon Religion ins Feld geführt wird: Lesen ist seliger denn unfundiert behaupten.

  8. #8 Jürgen Schönstein
    18. Juni 2010

    @politbuerokrat
    Die Fonds begannen damit, auf die Preisentwicklung einer Reihe von relativ unverzichtbarer Güter – Getreide, beispielsweise, aber auch Öl – zu spekulieren. Was an sich nichts Schlimmes wäre, da es ja irgendwann den Abgleich zwischen dem erhofften und dem tatsächlich zu erzielenden Preis geben muss. Aber diese scheinbare Vernunft des Marktes kann außer Kraft gesetzt werden, wie uns ja der komplett aus dem Ruder gelaufene und eine Weltwirtschaftskrise bewirkende Handel mit den Immobilienzertifikaten und -Derivaten (davon haben Sie doch gehört, oder? Von wegen “Die Anlagestrategie wird aber trotzdem richtig gewesen sein, sonst hätten sie sie nicht gewählt” …) gezeigt hat. Wenn nicht mehr die zu Grunde liegende Ware, also das reale Marktgeschäft, den Preis bestimmt, sondern das darauf gezogene Wertpapier zur eigentlichen Ware wird (und das ist es ja letztlich, was Häuser wie Goldman Sachs mit großem Profit verkaufen), dann kann es – wie im Immobilienmarkt geschehen, und wie auch (siehe oben) auf dem Getreidemarkt zu beobachten war – dazu kommen, dass der Wertpapier-Schwanz mit dem Warenhund wedelt, wobei letztem schließlich speiübel wird und er bricht. Die Indizierung der Fonds hat doch nichts mit der Preisentwicklung zu tun, sondern nur damit, dass die Mischung der Fonds-Komponenten einem (künstlich geschaffenen!) Index folgt.

    Dass man auch vor 2008 essen musste, ist trivial (diese Art von Fonds gibt es zudem seit Anfang der 90-er). Aber dass nach einer frisch geplatzten Blase eine derart fundamentale Anlageform (wie gesagt: Der Markt mit Lebensmitteln ist einer, der nie völlig wegbrechen kann, weil jeder essen muss) plötzlich begehrt wurde, widerspricht dem ja nicht.

    Und es mag ja sein, dass die Anleger eine relativ risikoarme Investmentform gefunden hatten (obwohl offenbar die Banken einen überproportionalen Anteil des verbliebenen Risikos auf die Anleger abwälzten und sich selbst überproportional die Taschen füllten). Aber daraus zu folgern, dass diese Spekulation keine negativen Folgen gehabt haben könne, ist angesichts von einer Milliarde Hungernden in der Welt (ein Viertel davon als direkte Folge dieser Spekulation) nicht nachvollziehbar.

    Ach ja, die Bemerkung zum Dollarkurs hatte ich beinahe vergessen: Da die Preise in Dollar festgelegt werden, werden sie auch in Dollar berichtet. Dass der Euro sich zeitweise sehr stark gemacht hatte, mag in einigen Weltregionen die Effekte verzerrt haben, aber in anderen (den USA, zum Beispiel) überhaupt nicht. Journalistische Trickserein muss ich mir hier nun wirklich nicht vorwerfen lassn.

    Was mir bei Ihrer Argumentation generell fehlt ist die Reflexion dessen, was wir spätestens seit dem Herbst 2008 über den scheinbar unfehlbaren Markt und vor allem die Fähigkeit seiner Akteure wissen, Risiken zu erkennen und zu beurteilen. Lesen ist auch hier seliger – Zeitungen, zum Beispiel.

  9. #9 Popeye
    18. Juni 2010

    Kommentarabo

  10. #10 Robert Michel
    18. Juni 2010

    In dem Zeitraum von 2005 auf 2008 sind noch einige andere bedeutende Dinge passiert außer, das sich die Spekulation mit Getreide steigender Beliebtheit erfreuen konnte. Die Tatsache dass die Anzahl der Hungernden im Jahr 2008 gestiegen ist, kann man nicht einfach auf die Indexfonds schieben.

  11. #11 Robert Michel
    18. Juni 2010

    “Was mir bei Ihrer Argumentation generell fehlt ist die Reflexion dessen, was wir spätestens seit dem Herbst 2008 über den scheinbar unfehlbaren Markt und vor allem die Fähigkeit seiner Akteure wissen, Risiken zu erkennen und zu beurteilen.”

    Finanzkrisen gibt es nicht erst seit der letzten. Durch die Krise ändert sich rein gar nichts an der Beurteilung von Staat und Markt. Das Argument für den Markt ist auch nicht, dass er unfehlbar wäre, sondern dass der Staat noch viel schlechter darin ist Risiken zu erkennen und zu beurteilen. Siehe die zahlreichen Versuche schlechtem Geld, Gutes hinterher zu schmeißen (Griechenland, Opel, Eurofallschirm)

  12. #12 politbuerokrat
    19. Juni 2010

    Mir kommt es so vor, daß sie meinen Kommentar gar nicht verstanden haben, sondern nur Stichworte aufgreifen. Beispielsweise scheinen Sie meine Vermutung über den Zusammenhang zwischen der Subprime- und der Agrarrohstoffblase total ignoriert zu haben. Wie Sie die Begriffe gebrauchen, tragen Sie auch nicht zur Klarheit bei. Der Reihe nach:
    Der Markt kann weder Vernunft noch Unfehlbarkeit haben, weil er kein Lebewesen ist. “Markt” ist nur eine Umschreibung für die Gesamtheit eigenverantwortlicher und freiwilliger Geschäftsabschlüsse.
    Spekulation ist im üblichen Sprachgebrauch jede Art von Handel, die Abschätzungen bezüglich künftiger Ereignisse einbezieht.
    Realwirtschaft bezeichnet die Wirtschaft unter Abstraktion vom Einfluß des Geldes. Intertemporale Geschäfte –das, was Wertpapiere verbriefen– sind auch in einer reinen Tauschwirtschaft möglich. Preise gibt es realwirtschaftlich gar nicht. Sie hängen stets vom Geldangebot ab: Ist viel Geld im Umlauf, kann es eine Inflation oder eine Blase geben, siehe Quantitätsgleichung des Geldes.

    Was mir bei Ihrer Argumentation generell fehlt ist die Reflexion dessen, was Ökonomen über die scheinbar unfehlbaren Journalisten und vor allem über ihre Fähigkeit wissen, Risiken zu erkennen und zu beurteilen. Ingenieure, Ärzte, Kaufleute oder Handwerker riskieren Schadenersatzzahlungen oder den Ruin bei Kunstfehlern; Journalisten tragen bei schlampiger Recherche, “journalistischen Tricksereien” oder als naives Politikerecho kein vergleichbar hohes Risiko. Folglich leisten sich letztere weniger Informationskosten. Alles zu wissen ist ohnehin nicht optimal, und bei geringem Risiko ist es ökonomisch rational, nicht mal die Begriffe zu kennen, über die man schreibt.

    Zeitungen zu lesen halte ich deswegen für etwas unseliges. Lesen Sie doch mal Jarchow: “Theorie und Politik des Geldes”! Schön geschrieben, mathematisch präzise ohne Nichtmathematiker zu vergraulen, klar gegliedert und mit übersichtlichen Zusammenfassungen.

  13. #13 Hans Brandl
    19. Juni 2010

    @politbuerokrat:
    Danke , das musste mal in dieser Klarheit gesagt werden. In diesem Blog werden in letzter Zeit in zunehmenden Maße inkompetente Medien-Inhalte als Fakt hingestellt und von “journalistischen Experten” (also Nicht-Fachleuten, um die Begriffe klarzustellen) kritikos nacherzählt. Und wenn der zweite Journalist vom ersten abschreibt, dann glaubt es der Dritte. Manche Medien, bei denen dieses Standard ist, bezeichnen das dann als Qualitäts-Journalismus. Und das ist leider auch hier in zunehmenden Maß und auch nicht nur bei der Oekonomie der Fall.

  14. #14 Hans Brandl
    19. Juni 2010

    Und noch ein grundsätzlicher Kommentar und die fehlenden Fakten zu den ökonomischen und Agrar-Grundlagen dieses Harpers Artikel: Der Preis für eine Tonne Weizen liegt irgendwo bei 100 Euro (Im Jahre 1950 waren es etwa 250 Mark, jeder Leser möge den Einfluss der Kaufkraft selber abschätzen). Kaum einer wird Weizen oder Mehl roh essen (es sei denn er ist wirklich am Verhungern) sondern man isst irgendein Gebäck auf Getreidebasis (das hat auch ernährungsphysiologische Gründe), in der Regel also Brot. Der Brotpreis bei uns und auch in den USA liegt bei etwa 3 Euro pro Kilo. Eine Erhöhung des Weizenpreises auf das Dreifache hätte also am Gesamtpreis des Nahrungsmittels nur einen Anteil von ca. 10% statt 3% erreicht. Der geneigte Leser möge sich selber ergoogeln, warum dann Grund-Nahrungsmittel angeblich so teuer wurden?
    Zudem ist der grösste Teil des Getreidemarkts durch langfristige Lieferverträge stabilisiert und geregelt, was in Harpers zitiert wird, ist der Spotpreis, der nicht zuletzt auch durch unfundierten Journalismus beeinflusst wird. Die Blasen, in diesem Fall die Nahrungmittelblase, entstehen ja nicht auf nachvollziehbaren oekonomischen Grundlagen, sondern durch einseitige Informationen für die Akteure am Markt.
    Und noch etwas zur Produktion: Hat sich eigentlich einmal schon jemand überlegt wieviel Aufwand in der Landwirtschaft nötig sind, um die Tonne Weizen zu nur 100 Euro zu produzieren? Und wenn in dem Artikel erwähnt wird, dass Weizen als Viehfutter dient, dann ist das eine ganz normale Erscheinung die auch früher schon üblich war bei diesen Preisen.
    Ein Beispiel dazu: Das Verbrennen von Weizen zur Energiegewinnung ist preisgünstiger als die Verfeuerung von fossilen Brennstoffen (es gibt auch Weizenfeuerungen bei uns zu kaufen). Dass dieses bei uns ausnahmsweise nicht auch noch zusätzlich explizit subventioniert wird, wie bei den anderen erneuerbaren Energien ist eigentlich nur der öffentlichen Meinung zu verdanken. Dafür kann aber Weizen auch bei uns zur Biogasgewinnung (also zum Verfaulen) verwendet werden. Das nennt sich dann NAWARO (nachwachsende Rohstoffe) und wird beim garantierten Abgabepreis Biogas-Energie (etwa 400 % Subvention) nochmals mit einem Subventionszuschlag von ca 80% bezuschusst.
    Warum Hunger entsteht ist sicher wesentlich komplexer, als es hier im Harpers-Artikel oder im Original bei Greenpeace dargestellt wird und die Zusammenhänge sind wesentlich komplexer als es sich einige Journalisten vorstellen, die ohne Nachzudenken immer genau wissen wer im Moment der Böse ist.

  15. #15 AndreasM
    19. Juni 2010

    @politbuerokrat:
    Letztendlich bringt jeder Akteur am Markt Erwartungen ein mit einem mehr oder weniger grossen Hebel. Entspricht der Markt seinen Erwartungen, macht er tendentiell Gewinne, ansonsten tendentiell Verluste.
    Der Markt entwickelt sich entsprechend der Summe der Erwartungen aller Akteure.
    Soweit kann sich der Markt noch ziemlich beliebig entwickeln.

    Erst dadurch, dass reale Beschränkungen in die Aktionen der Akteure einfliessen oder sie Informationen aus der Realwirtschaft in ihre Erwartungen einbeziehen, bekommt der Markt einen Bezug zur Realität.

    Leider ist keinesfalls sichergestellt, dass diese Einflüsse dominant sind.