Eigentlich wollte ich mich zu den ganzen Plagiats-Affären erst mal nicht mehr äußern, da eigentlich schon alles geschrieben wurde und es mit DE PLAGIO inzwischen ja sogar ein Scilogs-ScienceBlogs-Blogprojekt zur Thematik gibt. Beim gestern entschiedenen Fall von Jorgo Chatzimarkakis geht mir allerdings eine Frage nicht mehr aus dem Kopf…

Wie Chatzimarkakis selbst eingeräumt hat, bestand sein “Versäumnis” nicht darin, die Quellen gar nicht zu nennen, sondern vielmehr darin, dass in sehr vielen Fällen nicht kenntlich gemacht wurde, dass es sich um ein Zitat handelt, so dass der Leser davon ausgehen musste, dass hier zumindest eine sprachliche Eigenleistung des Autors vorliegt, die sich wiederum inhaltlich auf andere Quellen stützt. Ein solches Vorgehen ist eine klare wissenschaftliche Fehlleistung, die man auch mit dem Verweis auf Oxford- oder andere Zitiertechniken, die einen so leichtfüßigen Umgang mit Quellen vermeintlich gestatten (in Wirklichkeit ist dies natürlich keineswegs der Fall) nicht wieder ausbügeln kann.

Dazu vielleicht mal ein Beispiel – dann wird vermutlich auch die Frage deutlich, die mir eigentlich durch den Kopf geht. Nehmen einfach mal an, ich wollte an einem Paper über Grammatik arbeiten (unwahrscheinlich) und würde unter anderem Scilogger Anatol Stefanowitsch und seine Mit-Autorin Kerstin Fischer als Quelle nutzen wollen:

Kerstin Fischer und Anatol Stefanowitsch: Konstruktionsgrammatik: Ein Überblick; in: Kerstin Fischer und Anatol Stefanowitsch (Hrsg.): Konstruktionsgrammatik: Von der Anwendung zur Theorie, Stauffenburg, Tübingen, 2006.

In dieser Veröffentlichung findet sich unter anderem folgender Passus:

Der Begriff der Konstruktion schließt also alle konventionalisierten linguistischen Ausdrücke ein, die die folgenden Bedingungen erfüllen: (i) ihre Form ist direkt mit einer bestimmten Bedeutung oder Funktion gepaart, (ii) ihre Form lässt sich nicht (bzw. nicht völlig) aus anderen Formen der Sprache ableiten, und (iii) ihre Semantik ist nicht (bzw. nicht völlig) kompositionell. Dieser Konstruktionsbegriff ist nicht auf die Grammatik im engeren Sinne beschränkt sondern bezieht sich auf alle linguistischen Beschreibungsebenen.

Wenn die Definition des Konstruktionsbegriffs nun für meinen eigenen Text von Bedeutung wäre und ich mich auf die Quelle Fischer & Stefanowitsch berufen wollte, könnte ich das zum Beispiel wie folgt in Form eines einfachen Zitats tun:

Eine Definition des Begriffs der Konstruktion findet sich bei [Fischer & Stefanowitsch 2008, Seite 6]. Danach schließt der Begriff alle konventionalisierten linguistischen Ausdrücke ein, die die folgenden Bedingungen erfüllen: (i) ihre Form ist direkt mit einer bestimmten Bedeutung oder Funktion gepaart, (ii) ihre Form lässt sich nicht (bzw. nicht völlig) aus anderen Formen der Sprache ableiten, und (iii) ihre Semantik ist nicht (bzw. nicht völlig) kompositionell.

Oder aber umformuliert und ohne Anführungszeichen:

Die drei für den Konstruktionsbegriff wesentlichen Bedingungen – die direkte Paarung der Form mit einer Bedeutung oder Funktion, ihre Nichtableitbarkeit aus anderen Formen der Sprache sowie die nichtkompositionelle Semantik – finden sich bei [Fischer & Stefanowitsch 2008, Seite 6]. Die Autoren geben zu bedenken, dass der Konstruktionsbegriff in dieser Form auch auf linguistische Ebenen außerhalb der Grammatik übertragen werden kann.

Oder, oder, oder…. Was ich dagegen nicht machen kann, ist folgendes:

Der Begriff der Konstruktion schließt also alle konventionalisierten linguistischen Ausdrücke ein, die die folgenden Bedingungen erfüllen: (i) ihre Form ist direkt mit einer bestimmten Bedeutung oder Funktion gepaart, (ii) ihre Form lässt sich nicht (bzw. nicht völlig) aus anderen Formen der Sprache ableiten, und (iii) ihre Semantik ist nicht (bzw. nicht völlig) kompositionell. Dieser Konstruktionsbegriff ist nicht auf die Grammatik im engeren Sinne beschränkt sondern bezieht sich auf alle linguistischen Beschreibungsebenen (vgl. auch Fischer & Stefanowitsch 2008).

Das “vergleiche auch” und die fehlenden Anführungszeichen implizieren an dieser Stelle nichts anderes, als dass man zwar die Definition des Konstruktionsbegriffs in ähnlicher Form bei Fischer & Stefanowitsch finden kann, dass es sich bei dem Text aber um meine eigene Leistung handelt. Und genau das ist eines der Hauptprobleme bei der Dissertation von Herrn Chatzimarkakis, wie man den diversen Fundstellen im VroniPlug entnehmen kann.

Was mich an der Geschichte nun wundert, ist Folgendes: Laut VroniPlug finden sich auf 71% der 190 inhaltlich relevanten Seiten (d.h. abzüglich Inhaltsverzeichnis, Tabellenverzeichnis und ähnlichem) der Chatzimarkakis-Dissertation derartige Plagiate – das wären 134 Seiten. Nehmen wir der Einfachheit halber mal an, dass eine Seite im Schnitt 20 Sätze enthält und von diesen 20 im Schnitt 15 Sätze plagiiert sind, dann reden wir im Endeffekt von etwa 2010 Sätzen. Chatzimarkakis hat – zumindest laut seiner Wikipedia-Biographie – von 1997 bis 2000 promoviert – also vier Jahre lang. Macht 1.460 Tage. Seht ihr, worauf ich hinaus will? Wie viel Arbeit macht es denn bitte, Inhalte aus einer fremden Arbeit mit eigenen Worten vernünftig zusammenzufassen und die Quelle wissenschaftlich korrekt auszuweisen?

Und warum um alles in der Welt macht man sich diese Arbeit nicht, wenn man dafür mehrere Jahre Zeit hat? Aus reiner Bequemlichkeit? Obwohl mit dem Zusammentragen aller benötigten Quellen schon so viel “echte” Arbeit erbracht wurde? Um zu simulieren, dass in der Arbeit mehr Eigenleistung steckt, als tatsächlich geleistet wurde? Weil man es wirklich nicht besser weiß (wobei man den Punkt ja vermutlich ausschließen kann)? Wieso bloß übernimmt man einfach Seite für Seite und denkt, dass das so schon in Ordnung geht?

Ich begreife es jedenfalls immer noch nicht so richtig…

Kommentare (23)

  1. #1 Thilo
    14. Juli 2011

    Laut der Biografie auf seiner Webseite war JC in der fraglichen Zeit erst Mitarbeiter im Planungsstab des Auswärtigen Amtes, dann Geschäftsführender Gesellschafter einer Unternehmensberatung. Man kann annehmen, daß beides Vollzeitjobs mit mehr als 40 Stunden wöchentlichem Arbeitsaufwand sind.

    Die eigentlich interessante Frage scheint mir zu sein, warum Leute glauben, neben solchen Jobs noch nebenher eine Doktorarbeit schreiben zu können. Vielleicht gibt es ja Ausnahmetalente, die so etwas hinbekommen. Aber im Normalfall zeigt so etwas wohl eher, daß der Doktorand eine naive Vorstellung von wissenschaftlichem Arbeiten hat, ihm also der Unterschied zwischen der Rezeption wissenschaftlicher Werke und eigener kreativer Tätigkeit vielleicht wirklich nicht bewußt ist. Um neues Wissen zu produzieren (und das gilt vermutlich für die Geisteswissenschaften noch stärker als in den Naturwissenschaften) reicht es halt nicht, meinetwegen 10 Stunden pro Wochenende an der Dissertation zu arbeiten, sondern man braucht auch Zeit und Muße, um das Thema in Ruhe zu durchdenken – diese Zeit werden vielbeschäftigte Unternehmensberater oder Spitzenbeamte aber kaum übrig haben.

    JC’s neue Äußerungen, er wolle jetzt eben eine zweite Dissertation (offenbar neben seinem gegenwärtigen Job in Brüssel) nachschieben, zeigen jedenfalls, daß er dieses Problem offensichtlich immer noch nicht verstanden hat.

  2. #2 A.S.
    14. Juli 2011

    Eine sehr schöne Darstellung von Zitat, Paraphrase und Plagiat (und vielleicht ein Hinweis auf ein verborgenes sprachwissenschaftliches Talent von dir…)

    Die Frage ist wirklich gut: Wenn es einem nur um den Titel geht, ist es möglich — in Deutschland wie anderswo — mit einer schmalen inhaltlichen Eigenleistung zu promovieren. Eine Arbeit, die hauptsächlich die Ideen anderer systematisiert und synthetisiert, wird, wenn sie ansonsten sauber gearbeitet ist, zwar nur die Bewertung „rite“ (also die 3, von der Chatzimarkakis immer spricht) erhalten und wäre damit für eine weitere wissenschaftliche Laufbahn keine Qualifikation, aber man hätte sich seinen Titel ehrlich verdient und müsste keine Angst zu haben, ihn wieder zu verlieren. Und tatsächlich — mit etwas Geduld, etwas Fleiß und sechs Jahren Zeit dürfte es möglich sein, das zu schaffen, und es wäre nicht viel mehr Aufwand, als alles komplett zusammenzukopieren. Es fehlt Chatzimarkakis also nicht nur an Ehrlichkeit, eigenen Ideen und einem Interesse am Thema, sondern auch an Fleiß und Ausdauer.

  3. #3 Jakob
    14. Juli 2011

    Ich erinnere mich grade an meine Diplomarbeit (FH). Genau drei Monate Zeit für Planung, Entwicklung der Soft-/Hardware und Verfassen der Arbeit. Ich hab das ganze neben meinem Studi-Job in den USA gemacht, habe 140 Seiten geschrieben (+30 Seiten Inhalt, Quellen, etc. und 300 Seiten Anhang), habe über 100 Quellen verwendet aber kaum wörtlich zitiert und alle drei Prüfer verwendeten so einige Superlative in der Nachbesprechung.
    Aber ich war danach komplett durch, hatte schon Angst meinen Verstand zu verlieren. Ich hatte 100h-Wochen, habe teilweise Stundenlang am Schreibtisch mit offenen Augen geschlafen und hatte danach auch einige Sätze getippt (leider nicht verwendbar *g). In meinen Träumen habe ich jede Szene zig mal geträumt, bis sie “korrekt ausformuliert” war. Ich hatte plötzliche cholerische Anfälle, usw. Vor der Diplomarbeit wollte ich unbedingt promovieren, danach empfand ich es als Horrorvorstellung.
    Mein betreuender Prof. hat mir ähnliches von deiner Dissertation erzählt, nur dass er 2-3 Jahre und nicht nur 3 Monate nichts mitbekommen hat.
    Ich sage nicht das eine Diplomarbeit, Dissertation oder ähnliches so ablaufen muss. Man muss nicht ehrgeizig bis zur Selbstaufgabe sein, kann die Zeit sicherlich auch als angenehm empfinden und aufblühen. Grundsätzlich sollte es aber eine Herausforderung sein, die man so noch nicht erlebt hat, die einen die eigenen Potentiale und Grenzen deutlicher als jemals zuvor vor Augen führt.
    Jeder Dr. der eine solche Leistung gebracht hat, hat meine Hochachtung. Um so erbärmlicher empfinde ich es wenn man versucht diesen Titel auf die leichte Art zu bekommen. Ich empfinde es, vor dem Hintergrund meines eigenen Rückziehers, fast als persönlichen Angriff.
    Allein die Anzahl der wörtlichen Zitate in der diskutierten Doktorarbeit, unabhängig von der fehlenden Kennzeichnung, ärgert mich. Und das fehlende Unrechtbewusstsein macht mich wütend.

  4. #4 Jakob
    14. Juli 2011

    Ich erinnere mich grade an meine Diplomarbeit (FH). Genau drei Monate Zeit für Planung, Entwicklung der Soft-/Hardware und Verfassen der Arbeit. Ich hab das ganze neben meinem Studi-Job in den USA gemacht, habe 140 Seiten geschrieben (+30 Seiten Inhalt, Quellen, etc. und 300 Seiten Anhang), habe über 100 Quellen verwendet aber kaum wörtlich zitiert und alle drei Prüfer verwendeten so einige Superlative in der Nachbesprechung.
    Aber ich war danach komplett durch, hatte schon Angst meinen Verstand zu verlieren. Ich hatte 100h-Wochen, habe teilweise Stundenlang am Schreibtisch mit offenen Augen geschlafen und hatte danach auch einige Sätze getippt (leider nicht verwendbar *g). In meinen Träumen habe ich jede Szene zig mal geträumt, bis sie “korrekt ausformuliert” war. Ich hatte plötzliche cholerische Anfälle, usw. Vor der Diplomarbeit wollte ich unbedingt promovieren, danach empfand ich es als Horrorvorstellung.
    Mein betreuender Prof. hat mir ähnliches von deiner Dissertation erzählt, nur dass er 2-3 Jahre und nicht nur 3 Monate nichts mitbekommen hat.
    Ich sage nicht das eine Diplomarbeit, Dissertation oder ähnliches so ablaufen muss. Man muss nicht ehrgeizig bis zur Selbstaufgabe sein, kann die Zeit sicherlich auch als angenehm empfinden und aufblühen. Grundsätzlich sollte es aber eine Herausforderung sein, die man so noch nicht erlebt hat, die einen die eigenen Potentiale und Grenzen deutlicher als jemals zuvor vor Augen führt.
    Jeder Dr. der eine solche Leistung gebracht hat, hat meine Hochachtung. Um so erbärmlicher empfinde ich es wenn man versucht diesen Titel auf die leichte Art zu bekommen. Ich empfinde es, vor dem Hintergrund meines eigenen Rückziehers, fast als persönlichen Angriff.
    Allein die Anzahl der wörtlichen Zitate in der diskutierten Doktorarbeit, unabhängig von der fehlenden Kennzeichnung, ärgert mich. Und das fehlende Unrechtbewusstsein macht mich wütend.

  5. #5 Thierbach
    14. Juli 2011

    Auch ein absolutes don’t: Schreibfehler im LitVerzeichnis:

    Satuffenburg statt Stauffenburg

    Magst Du das noch korrigieren, sonst heißt es wieder:
    “Keine Ahnung vom Schreiben, aber mir meine uralten Fehler vorwerfen!” oder so ähnlich

  6. #6 Stefan W.
    14. Juli 2011

    Solche Nichtleistungen kann ich mir ohne Mitwissen des Doktorvaters gar nicht vorstellen. Der muss doch soweit in der Materie drin sein, dass er grob den Stand der Forschung kennt, und auch ein paar Quellen kennen, oder wenn nicht, auch mal nachschlagen.

    Das ganze System muss doch korrupt bis ins Mark sein, wenn jetzt ohne Mühe ein Fälscher nach dem anderen enttarnt wird, und dann auch alle auf so eklatante Weise. Nicht 2-3 Stellen, sondern fast flächendeckend!

    Das muss doch mit einer Leere im Hirn korrespondieren, die dem Doktorvater im Gespräch schmerzlich klar werden muss.

  7. #7 Dr. Webbaer
    15. Juli 2011

    Mit Sätzen ist der Kollege in Interviews, wenn es um G und das absehbare EURO-Abrauchen geht, keineswegs sparsam!

    Chatzimarkakis fordert in diesem Zusammenhang übrigens ein Mehr an Umverteilung und Konjunkturprogramme (statt bspw. auszusagen, dass der EURO unzureichend skaliert – ein Zusammenfassen von Ländern derart unterschiedlicher Wirtschaftskraft und Mentalität ein von Anfang an zum Scheitern verurteiltes Vorhaben ist), was ihn auch zu einer Art Kuckuckskind des doitschen Parteiliberalismus macht.

  8. #8 Joachim Losehand
    15. Juli 2011

    Ihr dankenswerter Beitrag rührt für mich an einer jener Fragen, die ich inzwischen – nach längerer teilnahmsloser Beobachtung – für eine der zentralen Fragen für einen über die Niederungen der Plagiatsdiskurse hinausgehenden Auseinandersetzung halte: “Worin besteht die eigentliche wissenschaftliche Leistung?”

    Ist das Kriterium der “Text”, wie die Vermutung nahelegt, bei Beispiel 3 handele es sich um die Formulierung des Autors selbst (und nicht die Dritter), oder ist das Kriterium der “Gedanke”, eben jene dreifache Bedingung für “Konstruktion”? [Wäre ich “vom Fach”, würde ich Beispiel 3 eindeutig den unter “vgl.” genannten Autoren zuweisen und nicht annehmen, daß diese Definition vom Textautor stammt; obowhl ich nicht vom Fach bin, weist mich auch das “vgl.” darauf hin, daß die Definition keine Eigenleistung des Textautors ist.]

    Ist es das Ziel einer Qualifikationsschrift, zu beweisen, daß man “bereits Gedachtes” (Odo Marquard) so lange und so oft umformulieren kann, daß der “gedachte Gedanke” zwar erhalten, das Neue jedoch in der Formulierung steckt? Ihr Beispiel enthalt nun – wie ich vermute – keine allgemeine Tatsache, sondern eine singuläre Aussage, aber bspw. in den historischen Wissenschaften steht man oftmals vor der Herausforderung, sattsam Bekanntes – communes opiniones a priori – wie die Ermordung C. I. Caesars an den “Iden des März 44 v.” textlich – neu! – fassen zu müssen. Wieviele Autoren haben “Caesar wurde an den Iden des März ermordet” schon in ihren Texten in wievielen Varianten geschrieben – und sind das dann strictu sensu nicht alles Teil-Plagiate, Paraphrasen? (Für dieses speziellle Problem gibt es natürlich eine Lösung.)

    Die z. B. bei “Vroniplag” mit bewunderungsheischender Akribie zusammengetragenen Varianten und Abstufungen eines Plagiats und deren buchhalterische Auflistung gibt für mich mehr einen Einblick in die Werkstätte eines “Spracharbeiters” denn in die Giftkammer eines Plagiators – und ich frage mich, ob sich die “Plagiatsjäger” nicht mehr und mehr in einer Detail-verbissenen Ab-Satz-Obduktion handelt, denn um eine wirkliche Auseinandersetzung mit einem Text. Nicht jede “Tetrapilotomie” ist gleich auch deshalb sinnvoll, weil sie “wissenschaftlich” ist.

    Ihre abschließende statistische Rechnung zeigt – für mich nun – daß Sie dem Text selbst die Bedeutung zusprechen, die eigentliche wesenhafte wissenschaftliche Leistung zu sein: Wer promoviert, schreibt einen Text, im Fall von Ch. also statistisch 230 Zeichen (sonn-/feier-/werk-)täglich bei 190 Seiten zu 2’300 Z. ). Wo – bitte – rechnet man da die dem Text vorangehende Forschungsleistung ein? Oder ist der Text die Forschungsleistung?

    Genau diese unharmonische Verwechslung von wissenschaftlichem Text und wissenschaftlicher Arbeit, bzw. die Gleichsetzung von beidem ist es meiner Meinung nach, die die Arbeit der “Plagiatsjäger” hinsichtlich ihres theoretischen Zugriffs und ihrer Legitimation zweifelhaft erscheinen läßt.

    Denn der Text steht methodisch am Ende der Forschungen, er ist die zusammenhängende Verschriftlichung von Wegen und Ergebnissen, nicht der Weg und nicht das Ergebnis selbst.

    Keine Arbeit – auch nicht die “VroniPlackerei” – ist vergebens, jedoch lenkt sie vom Eigentlichen ab, indem sie öffentlich wirksam wissenschaftliches Arbeiten auf wissenschaftliches Schreiben und richtiges Zitieren reduziert, jede Dissertation wie eine ins Monströse aufgeblähte Proseminararbeit behandelt.

    Und eine solcher begrenzter Zugriff schadet der Promotion nicht weniger als die dünnen Wassersuppen von Guttenberg, Koch-Merin und anderer.

  9. #9 Joachim Losehand
    15. Juli 2011

    Corrigenda: “… also statistisch 299 Zeichen” 🙂

  10. #10 Christian Reinboth
    15. Juli 2011

    @A.S.: Ich persönlich finde solche Übersichtsarbeiten bisweilen extrem nützlich und bin immer froh, eine zu finden, wenn die Einarbeitung in ein neues Thema ansteht. War im letzten Jahr an einer Übersichtsarbeit zum Thema Lichtverschmutzung beteiligt – 100 Seiten nur mit Erkenntnissen und Ergebnissen aus den letzten 20 Jahren aber ohne “echte” wissenschaftliche Eigenleistung – auch daran gibt es Bedarf. Wer die Wissenschaft zu seinem Beruf machen möchte, muss natürlich mehr leisten, aber ansonsten…

    Dein Kommentar zu “3er-Promotionen” bringt es doch aber nochmal gut auf den Punkt: An dem Punkt, an dem bereits alle Quellen vorliegen und alle daraus relevanten Stellen zusammenkopiert sind, ist es sooo viel mehr Arbeit nicht, die Quellen jetzt noch ordentlich auszuweisen, sauber zu zitieren und vernünftig zu paraphrasieren. Und an der daraus entstehenden Übersichtsarbeit könnte zukünftig niemand mehr etwas bemängeln, außer vielleicht, dass der Eigenanteil etwas dünn ausfällt – wer den Dr. aber primär für das berufliche Vorankommen braucht, kann sowas ja nun wirklich mit einem Lächeln wegstecken. Der Titel an sich käme jedenfalls nie in Gefahr. Und alles was es dazu braucht ist ein wenig mehr zeitliches Investment – vielleicht ein zusätzliches Jahr oder zwei. Warum also das Risiko eingehen am Ende als Betrüger dazustehen?

  11. #11 Christian Reinboth
    15. Juli 2011

    @Thierbach: *Hust* Habe ich noch korrigiert – vielen Dank…

  12. #12 Till Westermayer
    15. Juli 2011

    Interessanter Gedanke – wobei ich sowohl den Kommentar von Thilo, dass es eben vermutlich diese Zeit gar nicht gab, als auch den Kommentar von Joachim, der sich ja fragt, was eigentlich die “wissenschaftliche Leistung” einer Promotion ist, unterstreichen möchte. Und die Frage aufwerfen, wie wir (das Wissenschaftssystem) aus der Misere (in der taz von heute schön polemisiert: Wer aus eigenem inneren Antrieb Jahre mit einem geistes- und sozialwissenschaftlichen Promotion ringt, wird dann von Titelhuberei-Promotionen in Rekordgeschwindigkeit in den Verdacht gesetzt, nichts zu leisten, um nur einen Aspekt anzusprechen …) wieder heraus?

  13. #13 Christian Reinboth
    15. Juli 2011

    @Joachim Losehand: Vielen Dank für Ihren ausführlichen Kommentar.

    Ist das Kriterium der “Text”, wie die Vermutung nahelegt, bei Beispiel 3 handele es sich um die Formulierung des Autors selbst (und nicht die Dritter), oder ist das Kriterium der “Gedanke”, eben jene dreifache Bedingung für “Konstruktion”?

    Das primäre Kriterium in der Plagiatsfrage kann meines Erachtens nach hier im Grunde nur der Text sein – dass Wissenschaftler auf bereits Gedachtem aufbauen, setzt ja notwendigerweise voraus, dass in der textuellen Bearbeitung wissenschaftlicher Fragestellungen bereits Gedachtes zitiert, zusammengefasst und wiedergegeben werden darf. Dass dies in einer Dissertation, mit der eine wissenschaftliche Karriere begründet werden soll, nicht der gesamte Inhalt sein darf, ist ein anderes Thema…

    …in den historischen Wissenschaften steht man oftmals vor der Herausforderung, sattsam Bekanntes – communes opiniones a priori – wie die Ermordung C. I. Caesars an den “Iden des März 44 v.” textlich – neu! – fassen zu müssen.

    Das Problem ist mir aus dem technischen Bereich bestens bekannt – wie etwa die chromatische Aberration funktioniert, wurde sicher bereits in tausenden von Diplom-, Bachelor- und Master-Arbeiten im Theorieteil erklärt, da kann man natürlich nicht erwarten, dass sich immer neue originelle Erklärungen finden. Ich habe bei der Bewertung solcher Arbeiten darauf bislang auch nie besonderen Wert gelegt – Hauptsache die Theorie ist richtig erklärt und die Quelle ist nachvollziehbar; die Eigenleistung des Diplomanden oder Bachelor-Kandidaten findet sich ja auch nicht im Theorie-, sondern im Praxisteil, es sei den, es liegt eine reine Textarbeit vor (in einem solchen Fall müsste man dem natürlich wieder mehr Wert beimessen)…

    Ihre abschließende statistische Rechnung zeigt – für mich nun – daß Sie dem Text selbst die Bedeutung zusprechen, die eigentliche wesenhafte wissenschaftliche Leistung zu sein.

    Bei einer reinen Textarbeit, die von Anfang an nicht auf eine wissenschaftliche Karriere sondern auf den Titel als Krönung der Ausbildung ausgerichtet ist, und mit der gar nicht mehr als ein “rite” angestrebt werden soll, ist die Textarbeit durchaus eine entscheidende Komponente der wissenschaftlichen Leistung – die größere Bedeutung käme hier natürlich der wissenschaftlichen Recherche sowie der Auswahl und Systematisierung der Quellen zu, die ja aber wiederum ihren Ausdruck in der Textarbeit findet. Bei einer Forschungsdissertation ist das ganz anders – eine solche war ja aber von Chatzimarkakis und seinen Betreuern – das würde ich zumindest mutmaßen – ohnehin nie anvisiert…

    Genau diese unharmonische Verwechslung von wissenschaftlichem Text und wissenschaftlicher Arbeit, bzw. die Gleichsetzung von beidem ist es meiner Meinung nach, die die Arbeit der “Plagiatsjäger” hinsichtlich ihres theoretischen Zugriffs und ihrer Legitimation zweifelhaft erscheinen läßt.

    Ich bin mit den Plagiatsjägern selbst nicht immer ganz glücklich, in diesem Punkt würde ich aber widersprechen, geht es doch bei der Suche nach Plagiaten nicht um den wissenschaftlichen Wert der Arbeit an sich, sondern ausschließlich um die Frage, wie ehrlich der Autor zwischen geistiger Eigenleistung und fremder Arbeit trennt. Eine wissenschaftliche Arbeit kann formal völlig korrekt verfasst sein, null Plagiate enthalten und trotzdem nicht viel taugen, umgedreht könnte natürlich auch eine Arbeit mit Plagiaten durchaus wertvolle neue Gedanken enthalten…

  14. #14 Christian Reinboth
    15. Juli 2011

    @Till: Gute Frage. Ich vermute mal, dass uns Schnellschüsse wie die Streichung des Titels im Personalausweis nicht viel weiterbringen werden, ebenso wie andere Überlegungen in der Richtung, den Titel “unattraktiver” zu gestalten, damit er ein weniger lohnendes Ziel für Titelfixierte abgibt. Eventuell sollte man ja mal darüber nachdenken, Promotionen weitgehend auf den wissenschaftlichen Betrieb zu begrenzen und weniger nebenberufliche Promotionen zuzulassen, bei denen allein schon die berufliche Situation des Kandidaten vermuten lässt, dass die Zeit für wirklich gutes wissenschaftliches Arbeiten gar nicht vorhanden sein kann. Wobei ich selbst auf der anderen Seite gerade nebenberuflich an meinem Master in Hagen arbeite und wissenschaftliches Engagement neben dem Beruf prinzipiell sehr gut finde. Kurzum: Ich weiß auch nicht, wie man die Titelhuber vorab aussortieren könnte, ohne anderen damit Unrecht zu tun oder den Titel an sich zu beschädigen. Vielleicht hat ja jemand eine brauchbare Idee….

  15. #15 Plaqueiator
    15. Juli 2011

    vererhrter Herr Losehand,

    so geschmeidig sich Ihr Kommentar auch liest, vermischt er rabulistisch Banalität (“Ermordung C. I. Caesars”; ja, in diesem Fall Zitat auf Sie) und geistigen Höhenflug (“Gedanke”). Wissenschaft, auch die Geisteswissenschaft, ist in viel weiteren Teilen, als Ihnen vielleicht lieb ist, akribische “Buchhaltung”. Davon lebt sie. Sie hat sich neben einer strengen Systematik hermeneutische Regeln gegeben, die banal scheinen, Gänsefüßchen zur Abgrenzung von eigenen und Fremdtexten.
    Bevor Sie sich nun an den geistigen Höhenflug machen, legen Sie das Fundament aus den Texten Ihrer Vorgänger. Dies machen Sie unmißverständlich deutlich, “tetrapilotomisch” fast, indem Sie akribisch auszeichnen. Wie ein Buchhalter.
    Wer sich in seinen Werken nicht dran halten möchte, veröffentlicht vielleicht im Feuilleton. Aber auch dort ist nicht sicher, ob man mit entlehnten Höhenflügen davon kommt.
    Was sie nun eigentlich sagen möchten, stellt sich noch etwas umwölkt dar. Die “tetrapilotomische Methode”, die in Vroniplag exakt zur Anwendung kommt, hat jedenfalls eine wissenschaftliche Bezeichnung: Textkritik.

  16. #16 Joachim Losehand
    15. Juli 2011

    @ Plaqueiator:

    ” … so geschmeidig …” – Danke für die Blumen; Rosen bitte aber nur an Apoll.

    @ Christian Reinboth; @ Plaqueiator:

    Vielen Dank für Ihre Antworten.

    Sie müssen nicht für “Textkritik” oder das, was unter “wissenschaftlichem Schreiben” im allgemeinen subsumiert wird, werben. Denn ich stelle beides nicht infrage, schon aus dem Vergnügen heraus, das ich aus Inter- und Metatexualität ziehe (auch so ein postmoderner Unfug wahrscheinlich).

    Sicherlich auch muß ein Wissenschaftler buchhalterische Fähigkeiten besitzen (und das nicht nur wegen der Drittmittelverwaltung), aber ein Wissenschaftler ist kein Buchhalter. Er darf den Buchhalter und seine Arbeit nicht geringschätzen (auch weil er aus Mittelknappheit bisweilen dessen Arbeit übernehmen muß), aber deswegen macht man keinen Buchhalter zum Wissenschaftler et vice versa; denn nicht jeder Erbsenzähler ist ein Wissenschaftler, auch wenn P. Gregor Mendel OSA ein Erbsenzähler war (Deppensyllogismus oder so ähnlich).

    Womit wir bei den Plagiatsjägern wären: Wir verwenden Textkritik, um uns einer Quelle von allen Seiten und auf allen Ebenen zu nähern und ihre Genese, Struktur, ihren Gehalt und Inhalt zu erschießen und daraus zu verstehen. Das ist als Methode beim “Deuteronomium” und bei den “Deipnosophisten” unumstritten – aber bei einer Dissertation?

    Sie und andere betonen den Primat des Gehalts einer Qualifikationsschrift (“dem Neuen”) vor der schlichten Rezeption des Forschungsstandes, den Vorrang des “neu Denkens” auch von bereits Gedachtem vor dem blöden Wiederkäuen von dem, was andere bereits vor einem gedacht haben (Odo Marquard – paraphrasiert). Trotzdem bleiben Sie – bzw. die Plagiatsjäger – ja doch auf der Ebene des im Grunde nur Wiedergekäuten hängen, jener “Sättigungsbeilage” namens “Forschungsstand”, der durch die enorme globare Produktion an Wissenschaftlern und wissenschaftlichen Beiträgen immer mehr Raum in den Qualifikationsschriften einnimmt und die – wie Sie, Christian Reinboth richtig darstellen, bisweilen zur erstarrten Masse ohne jeden echten Nährwert werden. Anstelle der Reduktion auf das Wesentlichen eine Maximierung von Rendundantem, weil überall und dutzendfach vorhanden. (Und die Frage nach dem notwendigen Beleg für die Ermordung Caesars entstammt nicht meinem rabulistischen Hirn, sondern dem besorgten Mund eines meiner Proseminar-Studenten; die Banalität liegt in der Realität.)

    Lassen wir die “crucifige! crucifige!”-Anwandlung mancher Plagiatsjäger beiseite, das, wie ich es nannte: Zelotische an der Debatte, sp bleibt für mich nach wie vor die Frage, ob “Textkritik” als wiss. Methode zur Text-Erschließung die richtige Methode zur Begutachtung wiss. Qualifikationsschriften im besonderen bzw. wiss. Texte im allgemeinen ist.

    Wenn eine “Arbeit mit Plagiaten durchaus wertvolle neue Gedanken enthalten” kann, wie Sie, Christian Reinboth, konzedieren, ist das nicht eine Sympathie-Bekundung, ein positives Werturteil? (Das ist keine Fang- oder rhetorische Frage?) Welche Kriterien legen wir an BA-, MA- oder DR-Arbeiten? Daß jemand zeigt, daß er weiß, wie man die >”…”< richtig und im Schnitt 5 Fußnoten pro Seite setzt? Die gängigen Abkürzungen ("vgl." etcetera) beherrscht und korrekt verwendet? Welche "geistige Eigenleistung" (Zitat) läßt sich im stets aufs Neue Referierten von bereits Gedachtem ausmachen? Wenn es im Grunde nicht um das Gedachte, sondern um das Geschriebene, das Formulierte geht? Auch in wiss. Texten gilt das Kooperationsgebot zwischen Autor und Leser, und ich fürchte zunehmend, daß bei der akribisch-lustvollen Durchforstung von Dissertationen nach Plagiaten in allen Erscheinungsformen und -klasse seitens der Plagiatsjäger jede Verstehens-Kooperation verweigert und - "sola scriptura!" der Text und nichts als der wortwörtliche Text bis zur vorgeblichen Kenntlichkeit seziert wird. (Denn nicht umsonst sind diejenigen die Gutachter einer Dissertation, die diese auch betreut haben, also ein Kooperationsverhältnis zwischen Autor und Leser besteht und der Text richtig, weil "verstehend" gelesen wird.) So wichtig - schon aus Gründen der Kollegialität - eine umfassende Offenlegung der Belegstellen und Brunnen ist, aus denen man schöpfte, so wenig kann ich nachvollziehen, daß die Katharer mit ihren "Penitenziagite!"-Rufen (ich kompiliere da wieder etwas, diesmal aus Eco), nicht den möglicherweise auf "Null" befindlichen Gehalt von Dissertationen anprangern, sondern die fehlende Reverenz gegenüber sekundären Konventionen (die übrigens zeitabhängig sind, wie ein Blick in scholastische oder antike wissenschaftliche Texte und deren Umgang mit dem und dem Verhältnis zu Gedankengut anderer zeigt).- In der Bewertung dieser Konventionen sind Sie, Plaqueiator, und ich uns uneins; es gibt Schlimmeres. Das erinnert mich an Helene Hegemann und ihren mexikanischen Lurch, zuerst ein herausragendes Opus einer Frühvollendeten, dann - nach Bekanntwerden der Teilplagiate - das unterirdische Gekröse einer vom Vater protegierten Göre. So in etwa der Tenor. So, als ob Gounods "Ave Maria" deshalb scheußlich ist, weil die Begleitung ein Total-Plagiat von Bach ist. (Ich denke ja, dieser Plagiatswahn ist eine Erscheindungs unserer Schwellenzeit ins Digitale Jahrhundert, aber das führt jetzt zu weit.) Die Arbeit der "Vroniplagger" ist sicherlich bedeutsam, schon alleine darum, weil sie ein gelungenes Beispiel für kollaboratives Arbeiten im Netz ist. Aber ist sie bedeutsam genug, um in das Leben von Menschen derart einzugreifen und sie an den Schandpfahl zu stellen? Wie ich schon schrieb: mit zunehmenden Maße befremdet mich dieser inquisitorischen Eifer, diese Lust am verbalen Nachtreten, wenn es darum geht, den Angeklagten noch die letzte Möglichkeit zu nehmen, das Gesicht zu wahren oder sich - verfassungsmäßig eigentlich garantiert - zu rechtfertigen und sich zu erklären. (Und diese Verächtlichmachung wie die des Versprechens von Ch. an dessen Großvater, ganz so als ob nie ein Dissertand seine Arbeit den Eltern widmen würde, sonder alle allein den keuschen Musen ihrer wissenschaftlichen Disziplin.) A la longe, wenn sich die VroniPlag-Spirale so weiterdreht, wird sie den Wissenschaften größeren Schaden zufügen als die Dissertationen, die ihn ihren Ma(h)lstrom geraten sind.

  17. #17 Howie Munson
    17. Juli 2011

    Mich befremdet, dass Vroniplag mehr schaden anrichten soll, als die Plagiatoren die sich nicht mal irgendeiner Schuld bewußt sind. Würde keiner betrügen könnte auch der eifrigste Plagiatsjäger niemanden überführen.

    und was bitte läßt am Titel “Méditation sur le premièr prélude de Bach” vermuten, dass es nicht auf Bach basiert sondern eine völlig unabhängige Eigeneleistung von Gounod wäre?

  18. #19 Joachim Losehand
    18. Juli 2011

    @ Howie Munson:

    Vielen Dank für Ihre Nachfrage; ich sehe folgende Kritikpunkte, die im Einzelnen oder in Summe zu einer für die Wissenschaften schädlichen Wirkung führen können (“a la longe, wenn sich die VroniPlag-Spirale so weiterdreht …”):

    1) Eine der Säulen der wissenschaftl. Gemeinschaft ist Autonomie, d. h. Selbstverwaltung und Selbstkontrolle; VroniPlag ist kein Teil der wiss. Gemeinschaft, wiewohl sicher auch Akademiker dort mitarbeiten. Eine externe, wie auch immer lose organisierte “Instanz”, eine Art “unabhängiges” Kontrollmedium widerspricht diesem Selbstverständnis und ist auch nicht durch kolpiortierte oder tatsächliche “Versumpfung” einzelner Wissenschaftler zu rechtfertigen.

    2) Die Universitäten sind bei der Vergabe von akad. Graden und damit bei Beurteilung von Qualifikationsschriften [Q] autonom und autark; Q entstehen – so die ideale Situation – im Austausch zwischen Gutachtern und Prüflingen, jede Disziplin und jede Einrichtungen haben bei gemeinsamen Standards doch eigene Vorgaben und entsprechend einen eigenen Ermessensspielraum. “VroniPlag” nimmt auf solche gewachsenen Traditionen und die Autonomie der Wissenschaftler keine Rücksicht, sondern formuliert in praxi selbst “Standards” und Kriterien (siehe “Entscheidungshilfe Zitierfehler – Was ist zuviel?” von “Dr. Klicken”, 03.06.11). Hier scheint sich VroniPlag zu verselbständigen und aufgrund des medialen Interesses eine Pseudolegitimität der Gruppe aufbauen zu wollen.

    3) “VroniPlag” entzieht sich durch die Anonymität Ihrer Mitarbeiter sowohl der Verantwortung wie der Kontrolle durch die wiss. Gemeinschaft; zwar ist Anonymität bei der Aufdeckung von Mißständen umd zum Schutz vor Repressionen ein gerechtfertigtes Mittel (worin ich “Dr. Klicken” zustimme), jedoch widerspricht die Nutzung von Pseudonymen im akademischen Diskurs jeglicher wiss. Praxis. Die negative Erscheinungsform der Anonymität ist die Denuntiation und es sollte jeglicher Eindruck im Ansatz vermieden werden, daß die Einhaltung wissenschaftl. Standards sich anonymer Hiweise und namentlich nicht bekannter Mitarbeiter bedient. (Gutacherkommissionen agieren nach außen zwar ebenfalls ohne Namensnennung, die Zusammensetzung und die Zuständigkeiten sind jedoch transparent zu öffentlich.)

    4) Daran schließt sich an, auf welchem Wege Dissertationen zur Prüfung bei “VroniPlag” gelangen: der Fokus auf Politiker (wobei ich außer K.-T. Guttenberg keinen der bislang Inkriminierten für “prominent” halte – und wenn: ist “Prominenz” ein Kriterium?) sorgt für den Verdacht (!) auf politische Einflußnahme durch die gezielte Beschädigung von gewählten Mandatsträgern. Abgesehen davon hat eine öffentliche Prüfung auch immer etwas von einem laufenden Schauprozeß und auch bei einem negativen Verfahrensergebnis (“kein Plagiat”) kann doch immer etwas am Verdächtigten hängen bleiben. Welchen Schutz genießen die Verdächtigten und welche Kriterien und Verdachtsmomente rechtfertigen eine öffentlich geführte Prüfung? Reicht ein persönliches und nicht näher artikuuliertes Interesse (“Doktorarbeit gesucht” von “Uhulika” vom 15.06.11), bei dem dann anonym aber ohne jede Anonymisierung der Name des Promovierten wie folgt genannt wird: “ich suche von einem (Angebl.) Dr. A B aus C die Dissertation” – man beachte: “angeblich”! Oder reichen kuriose Gemeinsamkeiten wie “Die kürzesten Dissertationen Deutschlands” (Beitrag von “Goalgetter” vom 3. Juli 2011)? Kommen als nächstes “die längsten”, “die schlechtesten”, “die gewöhnlichsten” oder “die besten” Doktorarbeiten unters Messer?

    Aufgrund dieser Beobachungen kann “VroniPlag” kein Gehilfe der Wissenschaften sein und es muß jeder Anschein einer Legitimierung einer weiteren Tätigkeit der Gruppe vermieden werden. Wobei ich allerdings auch sagen muß, daß der Zenit der “Plagiats-Plaggerei”wohl überschritten und das, was am positiven Effekten erreicht wurde, nicht zu steigern ist.

    NB: Würde man an Gounods “Meditationen” dieselben Kriterien anlegen wie an eine wiss. Arbeit (aus urhr. Gründen sicherlich nötig), müßte man sich fragen, ob der Titel “Meditationen über das Erste Prädludium von Bach” rechtfertigt, ohnen weitere Quellenangabe (welches “Erste Präludium”?) mittels “copy-n-paste & shake” eine Fremdkomposition komplett zu übernehmen, leicht zu bearbeiten und mit einer weiteren (Solo-)Stimme zu versehen. Und was das über die Qualitäten von Charles Gounod als Komponist aussagt …

  19. #20 Peter
    19. Juli 2011

    Stefan W. hat recht: Um die Frage der Mitverantwortung der Doktorväter und der anderen wissenschaftlichen Mitarbeiter, vor denen die Plagiatoren vorgetragen haben (oder haben sie nie einen Vortrag an ihrem Institut gehalten??), drücken sich alle betroffenen Unis geflissentlich herum, nicht nur die CSUni Bayreuth.

  20. #21 Christian Reinboth
    19. Juli 2011

    @Joachim Losehand:

    Wenn eine “Arbeit mit Plagiaten durchaus wertvolle neue Gedanken enthalten” kann, wie Sie, Christian Reinboth, konzedieren, ist das nicht eine Sympathie-Bekundung, ein positives Werturteil? (Das ist keine Fang- oder rhetorische Frage?) Welche Kriterien legen wir an BA-, MA- oder DR-Arbeiten? Daß jemand zeigt, daß er weiß, wie man die >”…”

    Sympathie-Bekundung wäre wohl zuviel gesagt – was ich damit ausdrücken wollte ist vielmehr mein Entsetzen und mein Erstaunen darüber, das jemand, der bereits alle Quellen zusammengetragen, ausgewertet und strukturiert hat und der darüber hinaus durchaus auch noch originäres oder gar originelles Gedankengut in die Arbeit einbringen kann, sich dem Risiko aussetzen sollte, dem Titel wieder zu verlieren, indem er oder sie die methodischen Vorgaben aufs Gröbste verletzen – eine Verletzung, die auch durch originelles eigenes Gedankengut meines Erachtens nicht wieder ausgeglichen werden kann. Die handwerklichen Grundlagen müssen stimmen – das ist die Pflicht, die Originalität der eigenen Gedanken ist dagegen die Kür, die am Ende über die Güte der Arbeit, nicht jedoch über deren Gültigkeit entscheidet. Will sagen: Auch ein Architekt bekäme wohl ein schlechtes Zeugnis für eine Brücke, die zwar originelle visuelle Elemente enthält, dafür allerdings beim kleinsten Windhauch einstürzt…

  21. #22 Joachim Losehand
    21. Juli 2011

    @ Christian Reinboth:

    Ihre Bemerkung rührt an dem, worum es nach den Plagiats-Aufdeckungen der Vergangenheit nun für die Zukunft gehen sollte: die Zukunft von Qualifikationsschriften.

    Es steht außer Frage, daß der Umgang mit empirischem Material, dessen Gewinnung, Gewichtung und Interpretation nach den strengen fächerbezogenen Vorgaben im besten und eigentlichen Sinne “wissenschaftlich” erfolgen muß.

    Zeifel jedoch hege ich an der durch die Arbeit der “Gutten-” und “VroniPlagger” entstandenen Verschärfung der Kriterien beim Umgang mit Sekundärliteratur (die “Quellen”, wie Sie als Nicht-Historiker sie wohl nennen ). So hat Stefan Weber sich in seinem Blog schon dafür ausgesprochen, bspw. die Paraphrase nicht mehr zuzulassen (“P. sind zu vermeiden”) bzw. man hat ihr bereits den Ruch des Plagiats – Kategorie “verschleiertes Kopieren” – angeheftet.

    Für mich aus geisteswissenschaftlicher Sicht dürfen wir nicht das “Kind mit dem Bade ausschütten” und durch eine stärkere Formalisierung wissenschaftl. Texte durch penibelst exekutierte Kriterien bei der Formulierung einem möglichen Plagiat entgegenzuwirken versuchen. “Plagiat” ist nach wie vor der vorsätzliche Diebstahl von fremden Gedanken (Theorien, geprägten Begriffen, Interpretationen usw. usf.) und wissenschaftl. Erkentnissen; nicht jede ungekennzeichnete oder nicht eindeutig gekennzeichnete “Übernahme” ist vorsätzlich. Je rigider Formalia eingefordert werden, desto formalistischer und formelhafter werden die Texte und die Inhalte werden.

    Aus geisteswiss. Sicht würde ich eine solche Entwicklung für kontraproduktiv halten, denn bei aller zurecht geforderten logischer Luzidität von Argumentationsketten und Gedankengängen führt a) eine zu starke Formalisierung zu einer größeren Kluft zwischen wiss. Texte und nicht-wiss. Lesern [heute sind immernoch die deutschsprachigen wiss. Texte im Gros fast völlig unlesbar und so interessant wie Telefonbücher] und b) zu einer Beschränkung auf jene Gedanken und Ergebnisse, die formelhaft und formalisiert darstellbar sind.

    Gerade bei den immer verschulteren Studiengängen sollte man doch auch die Studenten mehr zur “Kür” inspirieren, über der “Pflicht” transpierieren sie schon genug.

  22. #23 Plagiat finder
    27. Juli 2011

    Man sollte sich ja nicht nur auf Plagiate in Diplomarbeiten und Dissertatioen beschränken sondern schauen, ob (und in welchem Umfang) es das auch bei beruflich Tätigen gibt.
    Mir ist da mal ein Plagiat untergekommen. Publiziert hier:

    Familial subacute sclerosing panencephalitis in two siblings.

    Tuxhorn IE.

    Pediatr Neurol. 2004 Oct;31(4):291-4.

    Subacute sclerosing panencephalitis in two brothers.

    Vieker S, Schmitt JJ, Behrens C, Weissbrich B, Hartmann H.

    Neuropediatrics. 2003 Dec;34(6):326-9.

    Frau Vieker hat das Original geschrieben und auch Mitwirkende korrekt in der Publikation als Koautoren genannt. Frau Tuxhorn die Arbeit so gut gefallen, dass sie sie gleich nochmals publiziert hat. Das identische EEG wie in der Vieker Arbeit. Sie hat auch mehr als die Hälfte der Zitate von Vieker verwendet.

    Leider ist die Plagiat Arbeit formal nicht zurück gezogen worden- mE ist das ein schwerer Fehler des Herausgebers des Journals.