Über das Thema Open Access wurde auf den ScienceBlogs ja schon häufig diskutiert – nicht zuletzt aufgrund der erfolgreichen Bundestags-Petition von Lars Fischer. Mit Dr. Wilfried Honekamp – Herausgeber der „Zeitschrift für Nachwuchswissenschaftler” – habe ich über
die Zukunft von Open Access in der deutschsprachigen Hochschullandschaft gesprochen.

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Wilfried Honekamp hat in München Informatik und in Shrivenham Modellbildung und Simulation studiert und im Bereich Gesundheitswissenschaften in Hall promoviert.
Er ist als Dozent für Intelligente Systeme an der Hochschule Bremen tätig und rief dort letztes Jahr die „Zeitschrift für Nachwuchswissenschaftler” ins Leben – die erste deutsch- sprachige, interdisziplinäre, gebührenfreie und peer-reviewte Open Access-Zeitschrift. Nach einer Ausgabe in 2009 sollen in 2010 nun mindestens drei Ausgaben erscheinen (siehe aktueller Call for Papers). Im Rahmen der 11. NWK in Schmalkalden hatte ich die Gelegenheit, mit ihm über sein Projekt zu sprechen.


Auf der Webseite der „Zeitschrift für Nachwuchswissenschaftler” kann man lesen,
dass es sich um ein Fee-Free Open Access Journal handelt. Was genau ist darunter
zu verstehen?

Mit „Fee-Free” meinen wir, dass die Autoren weder für die Einreichung noch für die Veröffentlichung von Artikeln zahlen müssen. Open Access bezeichnet ein Paradigma, dass den kostenfreien Zugang von Artikeln im Internet beschreibt. Außerdem stellen wir über das LOCKSS und die Abgabe an die Deutsche Nationalbibliothek sicher, dass unsere Beiträge dauerhaft verfügbar bleiben.

Welche Vorteile hat Open Access Ihrer Ansicht nach für den Wissenschaftsbetrieb im Allgemeinen und die auf diesem Wege veröffentlichenden AutorInnen im Besonderen?

Als Vorteile des Open Access im Allgemeinen lassen sich folgende zwei Punkte nennen:

1) Bessere Verfügbarkeit: Die Artikel sind weltweit und nahezu jederzeit verfügbar. Die Sicherung der Artikel erfolgt dabei über verschiedene Formen der meist auch verteilten Langzeitarchivierung. Aus der höheren Verfügbarkeit folgt eine gesteigerte Wahrnehmung von Open Access-Artikeln, die zu einer höheren Zitationszahl führen kann.

2) Geschwindigkeit: Auch wenn der Begutachtungsprozess bei OA-Journals mit dem der Print-Zeitschriften vergleichbar ist, so ist der einzelne Artikel im Allgemeinen unmittelbar nach dem Layout und dessen Abnahme durch den Autor online verfügbar. Dies trägt dazu bei, Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung schneller verfügbar zu machen.

Bezüglich der Vorteile für die Autoren gibt es zahlreiche Untersuchungen, die zeigen, dass frei verfügbare Artikel öfter gelesen und zitiert werden.

Und gibt es auch Nachteile?

Leider ja! Die Nachteile sind die Finanzierung und die Akzeptanz: Vor allem Fee-Free Open Access-Journals sind von der finanziellen Unterstützung des jeweiligen Sponsors abhängig. Wird diese eingestellt, muss entweder die Zeitschrift eingestellt oder das Geschäftsmodell geändert werden. Bei Zeitschriften mit Autorengebühren sorgen diese für den Ausschluss verschiedener Gruppen, die entweder nicht bereit sind Publikationsgebühren zu zahlen, oder sich diese schlichtweg nicht leisten können.

Wie jede neue wissenschaftliche Zeitschrift leiden zudem natürlich auch die Open Access-Zeitschriften unter noch nicht erlangter Reputation, was die Entscheidung von Autoren im Hinblick auf diese Publikationsart negativ beeinflusst. Dasselbe trifft auch für die Bereitschaft von Reviewern zu, für eine neue Zeitschrift Gutachten zu erstellen.

Sie werben damit, einen vollständigen Peer Review-Prozess zu gewährleisten. Muss man da bei einer sozusagen “ehrenamtlich” erstellten Zeitschrift nicht mit einem gewissen qualitativen Abstrich rechnen?

Inhaltlich definitiv nicht, da wir uns gewissenhaft an die Prinzipien des Peer Reviews halten. Allerdings verfügen wir nicht über einen hochbezahlten Layouter, sondern die jeweiligen Fachredakteure setzen die Artikel in ehrenamtlicher Arbeit selbst. Dazu nutzen wir kostengünstige Textverarbeitungsprogramme und keine professionelle Publishing-Software.

Die “Zeitschrift für Nachwuchswissenschaftler” ist ein reines Online-Journal. Ist denn ein dort publizierter Artikel überhaupt eine “richtige” Veröffentlichung, d.h. gibt es zum Beispiel Seitenzahlen, ein Erscheinungsdatum oder eine ISBN/ISSN, auf die man als Autor verweisen kann?

Alles, was man zur Angabe einer wissenschaftlichen Veröffentlichung braucht, wird bei uns realisiert. Dazu zählen ISSN (1869-6139) und URN (vergleichbar mit DOI, aber kostenlos) bei Vorabveröffentlichung, Seitenzahlen und Erscheinungsdatum. Außerdem stellen wir die Artikelinformationen für die üblichen Literaturverwaltungsprogramme zum Download bereit.

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Wie sieht es mit der Auffindbarkeit der Artikel in akademischen Suchmaschinen wie Google Scholar oder SciPlore aus? Werden in der Zeitschrift erschienene Artikel automatisch indiziert, oder bleibt es den jeweiligen AutorInnen vorbehalten, sich
um die Auffindbarmachung zu kümmern?

Da wir im Directory of Open Access Journals gelistet sind, sind unsere Artikel dort sowie auch über die Deutsche Nationalbibliothek auffindbar. Darüber hinaus sind wir noch in der Elektronischen Zeitschriftenbibliothek, in JournalSeek, in der Bielefeld Academic Search Engine, in Scientific Commons, in Ulrichsweb, in Google Scholar, in Omega, in Socolar,
in Scirus und in Publish or Perish gelistet.

Warum sollte ein Wissenschaftler ein Paper bei Ihnen veröffentlichen, wenn er es auch in einer “regulären”, gedruckten Zeitschrift unterbringen kann? Besteht nicht die Gefahr, dass eine Fee-Free Open Access-Zeitschrift zu einem Outlet für Publikationen wird, die es an anderer Stelle nicht geschafft hätten?

Grundsätzlich besteht die Gefahr sicherlich. Allerdings nur dann, wenn Wissenschaftler keine Priorität auf schnelle Publikation, hohe Sichtbarkeit und damit hohe Zitation legen – und das ist doch eher unwahrscheinlich. Natürlich muss bei alledem stets abgewogen werden, ob die Reputation eines Print-Journals die Vorteile eines Open Access-Journals übertrifft. In einem solchen Fall würde ich auch das Print-Journal zur Veröffentlichung wählen.

Außerdem unterstützen wir den Autor bei seiner Veröffentlichung, d.h. wir geben klare Hinweise, was geändert werden muss und lehnen einen Beitrag nicht einfach ab. Das trifft sowohl für die Erstbegutachtung durch die Fachredaktion als auch für die Reviewer zu. Wer bei uns einreicht und unseren Vorschlägen folgt, der wird seinen Beitrag qualitativ hoch- wertig veröffentlichen. Allerdings werden auch Beiträge zurückgezogen, weil unsere Vorschläge z.B. eine Neuevaluation erfordern, die für den Autor den Zeitrahmen sprengt.

An einem bestimmten Punkt in der wissenschaftlichen Karriere, wird ja der Journal Impact Factor der Fachzeitschriften zunehmend wichtiger. Hier dürften Open-Access-Journals gegenüber etablierten Zeitschriften zunächst einmal deutlich im Nachteil sein. Für wie realistisch halten Sie es, dass OA-Journals hinsichtlich des JIF irgendwann mit traditionellen Publikationen mitziehen können – oder spielt der JIF im Open Access-Bereich keine so große Rolle?

Mein Lieblingsbeispiel zu diesem Thema ist das JMIR (Journal of Medical Internet Research) – mit einem Impact Factor von 3,6 unschlagbar in seinem Fachgebiet. Gerade Open Access-Journals haben eine gute Chance, einen hohen Faktor zu erzielen. Allerdings gilt das nur bedingt für Fee-Free Open Access-Journals, da die Registrierung bei Thomson Scientific viel Geld kostet, das wir beispielsweise nicht haben. Somit werden wir die Verwertung unserer Artikel zukünftig nur mit Zugriffszählern und über Publish or Perish darstellen können.

Eine Frage zum Abschluss für diejenigen, die sich vielleicht am Projekt Fee-Free Open Access beteiligen möchten: Woher bekommt die Zeitschrift eigentlich Autoren, Reviewer und Redakteure?

Autoren finden uns hoffentlich im Internet, lernen uns auf Konferenzen kennen oder werden durch Mundpropaganda auf unsere Zeitschrift aufmerksam. Die Reviewer rekrutieren wir einerseits aus den Netzwerken der Redakteure und andererseits durch Internetrecherche. Alle bisherigen Redakteure haben sich bei uns aufgrund unseres Aufrufs auf der Webseite gemeldet. Wir suchen immer noch Fachredakteure (z.B. Biologie, Mathematik, Architektur, Rechtswissenschaten, Sozialwissenschaften usw.), Webdesigner, Layouter und englisch- sprachige Lektoren. (Hervorhebung von mir für alle OA-Unterstützer: meldet euch)


Die Zeitschrift für Nachwuchswissenschaftler ist unter www.nachwuchswissenschaftler.org online zu finden. Wissenschaftliche Paper können dort ebenso wie Proposals, Fallstudien, Arbeitsberichte und Tutorials jederzeit eingereicht werden, die wichtigsten Infos zur Einreichung finden sich hier. Für die aktuelle Ausgabe werden insbesondere noch religionswissenschaftliche und theologische Beiträge zum Islam gesucht.

Kommentare (7)

  1. #1 Jörg
    22. April 2010

    Schönes Interview, und eine lobenswerte Initiative. Aber ich hätte mir eine Frage zum deutschsprachig gewünscht. Wenigstens in der Physik ist ein deutschsprachiges Journal absolut wertlos. Mehr noch, ich würde ausdrücklich selbst zu “Übungszwecken” von deutschsprachigen Journals abraten. Englisch ist die Sprache der Wissenschaft, ohne wenn und aber, und das ist auch gut so weil internationale Zusammenarbeit; und dass man seine Ergebnisse allen Menschen vorlegt und nicht nur Deutschsprachigen, ist die Basis der Wissenschaft (geworden). Daher würde ich sogar raten, auch Abschlussarbeiten schon auf englisch zu schreiben, um die Übung zu bekommen. Auch wenn man es nicht muss, später wenn man dann mal echte Paper schreiben muss hat man es dann leichter.

  2. #2 Christian Reinboth
    22. April 2010

    @Jörg: Da hast Du natürlich Recht, auch wenn diese Frage in anderen Disziplinen sicher weniger wichtig ist. Die ZfN akzeptiert aber natürlich auch englischsprachige Beiträge (tatsächlich werden auf der Startseite gerade englischsprachige Lektoren gesucht), in Ausgabe 2010/2(1) erscheint auch mindestens ein englischsprachiger Beitrag (Habermann H: Financial Development in Mexico between 1975 and 2009, siehe hier). Man hat aber eben auch die Chance, in Deutscher Sprache Open Access zu veröffentlichen – und da waren die Möglichkeiten bislang rar gesäht, von daher finde ich das Projekt äußerst spannend. Ein englisches Physik-Paper von Dir wird aber sicher gerne genommen 🙂

  3. #3 Jörg
    22. April 2010

    Hmm ok stimmt, da ist auch ein englischer Artikel in der aktuellen Ausgabe. Das ist dann eine gute Möglichkeit z.B. um eine Diplomarbeit zum Paper zu machen. Für mich ist es dennoch weniger attraktiv, da einfach auch nur Journals zählen, die im ISI-Index erfasst sind. Ist halt leider der Maßstab, und irgendwo kann ich das ja auch verstehen. Aber dass da eine Firma hintersteht und abkassiert gefällt mir ganz und gar nicht. Sowas wäre eigentlich Aufgabe z.B. einer internationalen NPO.
    Mein letztes Paper habe ich übrigens in einem Open Access-Journal veröffentlicht, es gibt leider erst eins in meinem Bereich, aber das hat ganz gut geklappt.

  4. #4 Julia Stannbort
    22. April 2010

    Ich finde es immer wieder erfreulich, wenn ich Seiten von wildfremden Menschen entdecke, die es sich zum Ziel gesetzt haben die Natur zu schützen.

    Macht weiter so!

  5. #5 Stefan
    22. April 2010

    Ein Impact Factor von 3,6 als Paradebeispiel? Bei den Geowissenschaften hat das Open Access Journal “Atmospheric Chemistry and Physics”der EGU einen Index von 4,9 (ich meine da steht sogar mal ein deutscher Publisher hinter).
    Vermutlich gibt es in anderen Disziplinen aehnliche OA-Impact-Giganten. Die Frage nach der Benachteiligung von OA Journals im Impact verstehe ich da nicht so ganz. Zumal die duch ihre Erreichbarkeit ja eben viel eher einen citation-pool darstellen.

  6. #6 Wilfried Honekamp
    22. April 2010

    @Stefan: Man lernt ja nie aus, danke. Zukünftig wird das ACP in die Liste meiner Positivbeispiele aufgenommen 🙂
    Einen Impact Factor bekommt nur, wer für die Erhebung bezahlt, daher haben Zeitschriften mit geringem Budget ein Problem. Ansonsten ist OA gerade prädestiniert, um einen hohen Impact zu erreichen.

  7. #7 Gunnar-Eric Randt
    23. April 2010

    Wer als deutscher Wissenschaftler oder Akademiker in englischer Sprache in einem deutschen Magazin veröffentlichen will, der beherrscht die gesamte Bandbreite deutscher Sprache häufig nicht. Artikel und Kommentare sind in der Folge zumeist mit Amerikanismen durchsetzt. Der deutschen Sprache förderlich wäre, nur Beiträge in deutscher Sprache zu rezeptieren. Für all die deutschen und internationalen Wissenschaftler böte eine solche Regelung die Möglichkeit, sich der Sprache der Dichter und Denker nicht nur zum Zwecke der Übung sondern auch im Sinne der Vielfalt die diese Sprache mit sich bringt, zumindest als Akademiker anzunähern.

    Gunnar-Eric Randt