Von der Situation von Frauen in der Wissenschaft zu sprechen, ist zugegebenerweise etwas pauschal. Schon allein der Frauenanteil unter den Studentinnen unterscheidet sich von Fach zu Fach teilweise erheblich. In manchen Disziplinen haben Frauen bis heute einen regelrechten Exotenstatus, in manchen Sprach- und Literaturwissenschaften sind dagegen Männer in der Minderheit.

Irene Pieper-Seier hat sich jahrzehntelang in wissenschaftshistorischer, didaktischer und genderzentrierter Perspektive mit der Rolle von Frauen in der Mathematik beschäftigt. In drei Beiträgen schildert sie, wie sich die Situation auf den einzelnen Qualifikationsstufen heute darstellt:

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Vor genau 100 Jahren, im Jahr 1908 erschien die Dissertation von Emmy Noether in Crelles „Journal für die Reine und Angewandte Mathematik”. Damit war Emmy Noether nicht die erste Frau, die in Deutschland eine mathematische Promotion beendete, aber sie war eine der ersten, die ein reguläres Studium absolvieren konnte.

In Preußen, dem deutschen Teilstaat mit den meisten Universitäten, wurden Frauen erst 1908 zum Studium der meisten Fächer ohne besondere Auflagen wie Genehmigung der Dozenten zugelassen.

Aktuelle Zahlen und Fakten

Heute, 100 Jahre später, erscheint es selbstverständlich, dass Mädchen und Jungen Mathematikunterricht im gleichem Umfang und mit denselben Zielen, meist koedukativ erhalten. Die Mädchen stellen heute mehr als 50% der SchülerInnenschaft an den Gymnasien, der Studentinnenanteil an allen Mathematikstudiengängen an Universitäten und Fachhochschulen beträgt etwa 50 %.

Auf den Stufen der wissenschaftlichen Qualifikationen und der akademischen Karriere gehen allerdings immer mehr Frauen verloren. Einen Überblick über die Frauenanteile in Mathematik im Vergleich zum Durchschnitt aller Fächer gibt die folgende Übersicht:

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Der hohe Frauenanteil bei den Studierenden der Mathematik erklärt sich aus der Quote bei den Lehramtsstudiengängen. Sie liegt z.B. beim Lehramt für die Primarstufe (einschl. vergleichbarer Abschlüsse) bei 82%.

Karrierestufen der mathematischen Laufbahn

Zulassungsvoraussetzung für eine Promotion in Mathematik ist in aller Regel das Diplom oder das erste Staatsexamen für das höhere Lehramt. Es ist allerdings inzwischen eher selten, dass jemand mit Lehramtsexamen eine Promotion anstrebt. Bezieht man die Promotionsdaten ausschließlich auf die Diplomabsolventen, so liegt der Verlust „nur noch” bei 11 Prozentpunkten, im Durchschnitt aller Fächer bei 9 Prozentpunkten. Der Frauenanteil bei den Promotionen liegt zwar insgesamt deutlich unter dem Niveau beim Durchschnitt aller Fächer, er hat sich aber seit den 1980er Jahren sehr verbessert, wie noch dargelegt werden wird.

Habilitationsdaten für ein einzelnes Jahr müssen jedenfalls bezogen auf das Fach Mathematik sehr vorsichtig beurteilt werden, denn die absoluten Zahlen sind niedrig und daher können zeitliche Zufälle im Verfahrensablauf die Quote stark beeinflussen. Im Jahr 2006 habilitierten 6 Frauen und 37 Männer in Mathematik. In den Jahren 1997 bis 2006 war die Frauenquote bei Habilitationen für Mathematik am höchsten im Jahr 2000 mit 19,8%, am niedrigsten im Jahr 2001 mit 6,8%.

Mit jeder weiteren Qualifikationsstufe nimmt der Frauenanteil weiter ab.

Gerade bei den Professuren ist in den letzten Jahren nicht nur der Anteil gewachsen, auch die absoluten Zahlen zeigen ein positives Bild. An den Universitäten und Pädagogischen Hochschulen wuchs die Zahl der Mathematikprofessorinnen von 51 im Jahre 2002 auf 86 im Jahre 2006, bei einer Gesamtzahl, die von 1162 im Jahr 2002 auf 1097 im Jahr 2006 leicht abnahm. Die stärksten Zuwächse waren 2003 und 2004, vermutlich haben hier die neu eingerichteten Juniorprofessuren eine Rolle gespielt.

Insgesamt fällt jedoch auf, dass mit jeder weiteren Qualifikationsstufe der Frauenanteil weiter abnimmt. Welche Faktoren im Einzelnen die Entscheidung eine Promotion oder Habilitation im Fach Mathematik aufzunehmen beeinflussen, soll in den folgenden Artikeln skizziert werden.

Prof. em. Dr. Irene Pieper-Seier war Universitäts-Professorin für Mathematik (Schwerpunkt Algebra) an der Carl-Ossietzky-Universität Oldenburg.
(1) Alle Angaben beruhen auf Daten des Statistischen Bundesamtes, Fachserie 11, R. 4.4