Ja jetzt schreibe ich wieder über Alternativ”medizin”, und da ist noch mehr unterwegs diese Woche, denn es ärgert mich einfach so sehr. Und jetzt ist auch noch – wenigstens im UK, die freie Meinungsäußerung unter Beschuss. Es geht um Simon Singh und seine Äußerungen zur Chiropraktik. Die Umstände sind ja in dem Buch Trick or Treatment gut beschrieben worden, aber jetzt geht es um einen Artikel im Guardian.

Der Guardian hat den Artikel vom Netz genommen, aber hier kann man ihn lesen, mit eingefügten Links und Kommentaren die Evidenz bieten oder verlinken.
Darin nennt er Chiropraktik “bogus treatment”, also falsche oder betrügerische Behandlung (und welche Wortinterpretation die richtige ist, darum geht es noch). Das – also dass es eine falsche, unwirksame Behandlung gegen alles außer Rückenprobleme ist – kann er mit Fug und Recht behaupten, denn es ist aufgrund wissenschaftlicher Studien gezeigt. Dennoch hat der Verband der Chiropraktiker BCA wohl solche Behauptungen aufgestellt, dass Chiropraktik Krankheiten heilen könne.
Und Singh ist nachdem er dies kritisiert hat im UK vom BCA wegen Verleumdung verklagt worden – und das britische Recht ist da furchtbar. Denn derjenige, der Schadenersatz zahlen müsste, muss beweisen dass er recht hat, anders als in Deutschland oder den meisten anderen Ländern. Und außerdem ist das Verfahren furchtbar teuer, zwar hat der Guardian es unterstützt aber es ist ein fünfstelliger Pfundbetrag zusammengekommen nur für die Vorverhandlung. Ernsthaft – bei solchen Beträgen müsste man doch die ScienceBlogs zumachen, das ist zu riskant, egal wie recht man hat.
Denn wenn dann wie Singh ein Richter hinzukommt, der die Erläuterungen von Singh scheinbar ignoriert, aus denen hervorgeht, dass er “bogus” im Sinne von falsch und ungültig meint, und stattdessen die Unterstellung daraus macht, dass es “bogus” im Sinne von betrügerisch ist, kann man nur verlieren. Denn Singh müsste beweisen, dass der BCA diese Behauptungen wirklich in betrügerischer Absicht aufgestellt hat.
Also wird Singh in Berufung und Vollverhandlung gehen (tut mir leid, ich schau mir jetzt nicht die korrekte juristische Bezeichnung an)- denn er hat die falsche Auslegung von “bogus” als Angriffspunkt. Aber vielleicht muss er aufgeben, einfach weil es zu teuer ist. Eine traurige, traurige Sache.

Es gibt übrigens eine Facebook-Gruppe zur Unterstützung, der ihr beitreten könnt: For Simon Singh and Free Speech – Against the BCA Libel Claim.

Kommentare (11)

  1. #1 Christian W
    05/18/2009

    Auch wenn mir die Geschichte schon über Pharyngula + weiterführende Links vertraut ist, bin ich immer wieder darüber empört. Wenn man es genau nimmt, ist weltweit niemand vor der typisch britisch-exzentrischen Gesetzeslage (wobei sich das “typisch” nur auf “britisch” bezieht, nicht generell auf britische Gesetze) sicher, da man aufgrund der pseudo-Lokalität des www und wiederum britischen Bestimmungen unter Umständen auch im Ausland unter britischem Recht verklagt werden kann. Wo genau ich das erfahren habe, kann ich jetzt leider nicht mehr sagen, es wurde auf jeden Fall im Zusammenhang mit diesem Fall in disversen Blogs erklärt.

    Denn derjenige, der Schadenersatz zahlen müsste, muss beweisen dass er recht hat, anders als in Deutschland oder den meisten anderen Ländern.

    Das ist zwar ein formaler Unterschied, wirklich besser ergeht es einem im umgekehrten jedoch nicht. Jedenfalls nicht notwendigerweise. Für alle die mit dem Fall Weinreich ./. Zwanziger/DFB nicht vertraut sind:
    Der freie Journalist hatte in einem Weblog im Kommentarbereich aufgrund dessen öffentlichen Aussagen DFB-Präsident Zwanziger als “unglaublicher Demagoge” bezeichnet, was dieser (weltexklusiv) als beleidigendes Synonym für “Nazi” auffasste. Zwanziger zerrte Weinreich vor Gericht (Klage auf Unterlassung), verlor, verlor erneut, der DFB gab eine Presseerklärung heraus, in der Lügen über Weinreich verbreitet wurden, mit dem Hinweis, diese Lügen nach Möglichkeit in die eigene Beriterstattung zu übernehmen. Weinreich klagte erfolgreich auf Unterlassung und Gegendarstellung, der DFB spielte auf Zeit, indem er den Instanzenweg beschritt.
    Obwohl Weinreich jederzeit von sämtlichen Gerichten in allen Belangen Recht erhielt, der DFB jede Verhandlung verlor, musste der Journalist letztendlich Zugeständnisse in Form eines Vergleichs machen, da er sich sowohl zeitlich als auch finanziell außer Stande sah, seinen Beruf auszuüben und somit Einkommen zu generieren. Denn es war nicht nur absehbar sondern glasklar, dass der DFB durch alle Instanzen bis hin zu BVG oder gar EGH gehen würde, bevor er die Urteile hinnimmt. Und das hätte nicht nur 6-stellige Summen sondern auch Jahre gekostet, in denen Weinreich nicht hätte arbeiten können, während der DFB die Kosten problemlos decken könnte.

    So begrüßenswert die deutsche Rechtslage in Sachen Meinungsfreiheit auch ist, tatsächlich ist im Recht sein und Recht erfahren auch in Deutschland keine zwingende Folge.

    Grüße
    Christian W

  2. #2 JörgR
    05/18/2009

    Ja wirklich besser ist es in Deutschland und den USA auch nur, wenn man gleich viel Kohle hat. Aber im UK kann ja sogar das daneben gehen…
    Der Fall Weinreich hat mich aber auch immer wieder fassungslos den Kopf schütteln lassen, und das obwohl diese Fußballbonzen für mich eh schon der Inbegriff menschlicher Abgründe sind.

  3. #3 sil
    05/18/2009

    Schön, dass Du darüber schreibst.
    Die Geschichte sollte noch etwas bekannter werden und für die Quacker nach hinten losgehen.
    Das wäre schön.

  4. #4 sil
    05/20/2009

    https://godknowswhat.wordpress.com/2009/05/16/simon-singh-case-response-roundup/

    Das ist ein Blog, der ordentlich Links zum Thema zusammengesucht hat.
    Deutschland ist mit der HPD-meldung vertreten.

  5. #5 JörgR
    05/20/2009

    Ich wollte gerade zwei Links posten, aber die sind in der List von sil auch ganz am Ende, also danke 🙂
    Ich nehme an du bist auch in der Facebook-Gruppe und hast die Nachricht bekommen?

  6. #6 sil
    05/20/2009

    Nö, ich bin über SBM auf den Blog gestolpert.
    Hast übrigens Post von mir.

  7. #7 Jason
    05/21/2009

    Wenn die BCA betrüger sind, das liesse sich schon beweissen. Eine öffentliche diskussion hätte schon einiges bei der Kritischen Einstellung der Chiro patienten.
    Hat denn Niemand den Singh beraten können?
    Er ist in UK geboren und aufgewachsen. Hat er die Bedeutungen des Wortes “Bogus” nicht gekannt?
    Wenn das Wort auch verleumderisch wirken kann, warum hat er nicht aufgepasst?
    Schade um seinen Ruf.

    J.

  8. #8 Karl Mistelberger
    05/21/2009

    Simon Singh ist nur ein Fall von vielen:

    CHALLENGING the scientific validity of a product or claim can be fraught with danger. Increasingly, such challenges are leaving scientists and science writers facing an expensive libel action before the English high court. Many individuals and publications have been threatened with libel actions, and some have had proceedings launched against them. Many more writers have had their work edited before publication to avoid any risk of such legal action.

    https://www.newscientist.com/article/mg20227086.200-dont-criticise-or-well-sue.html

    Zu den finanziellen Dimensionen:

    Matthias Rath, the vitamin campaigner accused of endangering thousands of lives in South Africa by promoting his pills while denouncing conventional medicines as toxic and dangerous, has dropped a year-long libel action against the Guardian and been ordered to pay costs. …

    After the high court awarded initial costs of £220,000 to the Guardian, its editor, Alan Rusbridger, said: “We are very glad that Rath has dropped his libel action, doubtless designed to discourage other journalists – in Britain and abroad – from looking too closely at his dubious claims and methods. We will seek to recover the costs of defending our journalism.”

    https://www.guardian.co.uk/world/2008/sep/12/matthiasrath.aids2

  9. #9 fatmike182
    05/22/2009

    ich glaube nicht, dass die Chirolobby wirklich so groß ist um daraus einen Nutzen schlagen zu können. Durch das mediale Aufspeieln machen sie sich nur selbst zweifelhafter.

  10. #10 JörgR
    05/22/2009

    @Karl
    Ja und wenn ich das richtig verstehe, geht es sogar irgendwie Fälle in Großbritannien zu verhandeln die in anderen europäischen Ländern spielen.
    Die Rath-Geschichte war wegen eines Buchkapitels in “Bad Science” von Ben Goldacre, das man jetzt kostenlos lesen kann (und sollte, aber anschnallen und Magentropfen bereithalten) https://www.badscience.net/2009/04/matthias-rath-steal-this-chapter/

    Man stelle sich vor, der Führer der Aum-Sekte in Japan dürfte Journalisten verklagen, die über die Gefährlichkeit seines Giftgases berichten, und dann selbst beweisen müssten dass sie recht haben…unglaubliche Rechtslage…

  11. #11 Querdenker
    05/23/2009

    AIDS-Leugner müssen hier draußen bleiben