Über den russischen Astronom Sergey Blazhko wurde gestern heftig gerätselt – aber auch wenn er nicht zu den berühmtesten Astronomen zählt ist seine Forschung doch äußerst interessant und wichtig. Vor mehr als 100 Jahren veröffentlichte er folgende Beobachtung über den veränderlichen Stern RW Draconis:

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Ja, damals veröffentlichte man noch auf deutsch 😉 Aber viel wichtiger als die Sprache ist der Inhalt. Es geht um periodisch veränderliche Sterne – die aber anscheinend manchmal nicht wirklich periodisch veränderlich sind sondern deren Periode sich ebenfalls periodisch ändert…

Klingt ein wenig verwirrend 😉 Also fangen wir am besten am Anfang an. Die Sterne, um die es hier geht nennt man RR-Lyrae-Sterne. Die wurden 1895 vom amerikanischen Astronom Solon Irving Bailey entdeckt. Er stellte fest, dass sich die Helligkeit einiger von ihm untersuchter Sterne periodisch änderte. Eine Gruppe solcher mal heller, mal schwächer leuchtende Sterne kannte man schon seit 1784: die Cepheiden. Sie sollten später eine wichtige Rolle in der Geschichte der Astronomie spielen als sie von Edwin Hubble dazu benutzt wurde, die Entfernung zur Andromedagalaxie zu bestimmen und in Folge die Expansion des Universums zu entdecken. Bailey merkte aber schnell, dass sich seine Sterne von den Cepheiden unterschieden. Deren Leuchtkraft änderte sich im Zeitraum von einigen Tagen; Baileys Sterne brauchten dafür nur einige Stunden. Es handelte sich also um eine neue Gruppe von veränderlichen Sternen die nach dem prototypischen Stern RR Lyrae insgesamt als RR-Lyrae-Sterne genannt werden.

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RR-Lyrae-Sterne im Sternhaufen M3. Der Film zeigt die Änderungen der Sternhelligkeit im Laufe einer Nacht (Bild: J. Hartman & K. Stanek, Harvard CfA)

Physikalisch gesehen sind die Sterne dieser Gruppe alle sehr ähnlich. Sie sind nur etwa halb so schwer wie unsere Sonne aber dabei fünfmal größer. Man könnte nun meinen, dass die Sterne auch physisch pulsieren und durch diese Größenänderung auch ihre Helligkeit ändern. Das stimmt aber nicht wirklich; die Helligkeitsänderung wird durch den sogenannten Kappa-Mechanismus verursacht. “Kappa” steht hier für die Opazität die normalerweise mit dem griechischen Buchstaben κ (kappa) bezeichnet wird. Sie ist ein Maß für die Lichtundurchlässigkeit eines Stoffes. Je größer die Opazität, desto weniger Licht kann durch ihn durchscheinen. Wenn man unter “Licht” allgemein die elektromagnetische Strahlung versteht, dann beschreibt die Opazität einer Sternatmosphäre wie gut die im Sterninneren durch Kernfusion erzeugte Strahlung an die Oberfläche gelangen kann. Dabei ist die Opazität aber nicht überall gleich groß; sie hängt davon ab, wie groß Druck und Temperatur sind.

Normalerweise herrscht in einem Stern ein Gleichgewicht zwischen der Gravitationskraft der Sternmasse, die bestrebt ist, den Stern zu komprimieren und dem Strahlungsdruck der durch die Kernfusion im Inneren besteht und den Stern ausdehnen möchte. Wird dieses Gleichgewicht nun irgendwie ein wenig gestört (was immer wieder passieren kann) und gibt es im Stern eine Zone, in der die Opazität mit der Temperatur zunimmt, dann kann der Stern beginnen zu pulsieren. Und zwar so:

  • Das Material in einer Zone der Sternatmosphäre, in der die Opazität mit steigender Temperatur zunimmt, wird durch äußere Störungen komprimiert, d.h. diese Schicht bewegt sich in Richtung des Zentrums des Sterns.
  • Durch die Kompression steigen Druck und Temperatur dieses Materials.
  • Durch die Erhöhung von Druck und Temperatur steigt die Opazität.
  • Durch die angestiegene Opazität dieser Schicht dringt nun weniger Strahlung aus dem Sterninneren nach außen; sie “staut” sich darunter.
  • Dadurch entsteht unterhalb der Schicht ein größerer Strahlungsdruck, der dazu führt, dass die Schicht sich nun ausdehnt.
  • Die sich ausdehnende Schicht wird nun kühler und der Druck sinkt, wodurch auch die Opazität wieder geringer wird.
  • Jetzt kann die angestaute Strahlung schnell entweichen.
  • Durch das Entweichen der Strahlung nimmt der Druck unterhalb der Schicht ab, wodurch diese aufgrund der nun wieder stärkeren Gravitationskraft in Richtung des Sterninneren komprimiert wird und der Zyklus von neuem beginnt.

(Übrigens: das habe ich nicht einfach so aus der Wikipedia kopiert. Der Text dort stammt ursprünglich von mir 😉 )

Das bedeutet, dass es nicht hauptsächlich die Größenänderung des Sterns ist, der die Helligkeitsänderung verursacht sondern die Änderungen in der Opazität (die man sich in etwa wie das Ventil bei einer Dampfmaschine vorstellen kann).

RR-Lyrae-Sterne sind also eine Untergruppe der veränderlichen Sterne mit einer Periodenlänge von einigen Stunden. Betrachtet man ihre Lichtkurven allerdings über mehrer Wochen bzw. Monate, dann sieht man manchmal das, was Sergey Blazhko 1907 entdeckt hatte: Die Amplitude und die Periode der Helligkeitsänderung ist selbst nicht konstant sondern ändert sich!
Das sieht dann zum Beispiel so aus (die Helligkeit des Sterns ist auf der y-Achse aufgetragen):

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Bild: Douglas Welch, Alcott et al, 2000

Dieses Phänomen nennt man Blazhko-Effekt und man hat im Laufe der Zeit einiges darüber herausgefunden. Man weiß zum Beispiel, dass es bei den RR-Lyrae-Sternen mit langen Perioden keinen Blazhko-Effekt gibt. Oder dass es bei manchen Blazhko-Sternen noch weitere überlagerte Änderungsperioden mit einer Länge von einigen Jahren gibt. Eines weiß man aber noch nicht: Warum es den Blazhko-Effekt überhaupt gibt.

Gut – sollte uns das denn interessieren? Ist es wirklich zu wissen, warum sich eine Gruppe von veränderlichen Sternen ein bisschen seltsam verhält? Klar ist es das! Veränderliche Sterne verraten uns viel über den inneren Aufbau und die Entwicklung von Sternen. Je besser wir sie verstehen, desto besser verstehen wir alle Sterne. Und dann spielen die RR-Lyrae-Sterne noch eine andere wichtige Rolle. So wie bei den Cepheiden besteht auch bei ihnen eine Beziehung zwischen ihrer Leuchtkraft und der Periode der Helligkeitsänderung. Kennt man also die Periode (die sich leicht messen lässt) kenn man auch die absolute Helligkeit des Sterns. Und zusammen mit der scheinbaren Helligkeit – also der Helligkeit die wir von der Erde aus messen – kann man daraus die Entfernung berechnen. Und die ist ein äußerst wichtiger Parameter! Entfernungsmessung ist fundamental, wenn man das Universum verstehen will. Man sollte also die RR-Lyrae-Sterne so gut wie möglich verstehen wenn man sie als Grundlage für die Entfernungsbestimmung verwenden will; ansonsten besteht die Gefahr, Fehler zu machen.

Dank des Kappa-Mechanismus wissen wir halbwegs darüber Bescheid, warum manche Sterne ihre Helligkeit periodisch ändern. Warum sich diese Änderungen aber bei den Blazhko-Sternen selbst wieder ändern – das ist immer noch ungeklärt. Es gibt zwar verschiedene Erklärungsansätze die aber alle noch nicht wirklich durch Beobachtungen bestätigt worden sind. So könnte es zum Beispiel sein, dass die primären Sternschwingungen (ich hab dieses Thema hier detailliert erklärt) der RR-Lyrae-Sterne manchmal in Resonanz mit anderen Schwingungen stehen und so den Blazhko-Effekt verursachen. Oder aber vielleicht haben diese Sterne ein Magnetfeld, das gegenüber der Rotationsachse des Sterns geneigt ist. Auch das könnte Auswirkungen auf die Art und Weise haben, wie der Stern im Inneren schwingt und seine Helligkeit verändert.

Wie gesagt: bis jetzt hatte man zwar jede Menge schöne Ideen aber nicht wirklich konkrete Anhaltspunkte für eine Lösung des Rätsel. Das könnte sich aber nun ändern. Denn Ende September wurde die erste große Auswertung der asteroseismologischen Messungen des Weltraumteleskops Kepler veröffentlicht. Das ist zwar normalerweise nur mit seinen Beobachtungen von Exoplaneten in den Medien (und auch diesmal wurden die asteroseismologischen Ergebnisse in den Medien so gut wie nicht beachtet) – trotzdem ist das nicht alles wofür das Teleskop verwendet wird. So wie sein europäischer Kollege CoRoT sucht Kepler nicht nur neue Planeten sondern misst auch die Schwingungen von Sternen mit bisher nicht gekannter Genauigkeit. Und man hat etwas gefunden, dass sich “period doubling” nennt: neben der schon bekannten Pulsation der RR-Lyrae-Sterne fand man auch Pulsationen mit der doppelten Länge! Man konnte außerdem nochmal bestätigen, dass sich ein Blazhko-Zyklus nicht genau wiederholt sondern immer ein wenig anders abläuft als der vorhergehende.

Man weiß durch die Kepler-Daten zwar immer noch nicht, was genau nun den Blazhko-Effekt verursacht. Aber man weiß zumindest dank der neuen Beobachtungsergebnisse nun schon mal, wo die Probleme bei den existierenden Erklärungsmodellen liegen. Außerdem hat man jede Menge neue Anhaltspunkte um die Lösung zu finden. Und: all das war nur die Auswertung der ersten vier Monate der Kepler-Beobachtungen! Wenn die schon so viel neues Material und neue Erkenntnisse liefern: was wird man dann erst alles gelernt haben, wenn die Kepler-Mission in einigen Jahren beendet ist…


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Kommentare (2)

  1. #1 PeteH
    3. Dezember 2010

    THX! genau solche Hintergrund Infos hatte ich mir gestern gewünscht 😉
    Du solltest dein Wissen in der De-WIkipedia einbringen! 😀

  2. #2 pal
    3. Dezember 2010

    schönes, blinkendes, weihnachtliches bild ; )