Wie ist der Erfolg der Wissenschaft eigentlich erklärbar? Muss man nicht, um zu erklären, warum die Wissenschaften so erfolgreich sind, annehmen, dass die wissenschaftlichen Theorien die Realität eben zutreffend darstellen und dass die Wissenschaft eine Methode hat, um zu immer besseren, immer genaueren Abbildern der Wirklichkeit zu kommen?

Baas van Fraassen hat in seinem Buch „The Scientific Image” eine ganz andere Idee, die gut ins Darwin-Jahr passt.

„I can best make the point by contrasting two accounts of the mouse who runs from the cat. St. Augustine already remarked on this phenomenon, and provided an intentional explanation: the mouse perceives that the cat is an enemy, hence the mouse runs. … But the Darwinist says: Do not ask why the mouse runs from its enemy. Species which did not cope with there natural enemies no longer exist. That is why there are only ones who do.”

Theorien überleben also nicht, weil sie die Wirklichkeit am besten darstellen, und nicht weil sie diese Wirklichkeit immer besser darstellen, entwickeln sich neue, bessere Theorien. Es ist ein Kampf ums Dasein, ein Überleben der Theorie, die am besten angepasst ist.

Aber angepasst woran? Was sind die Ressourcen, um die die Theorien „kämpfen”?

Hier gibt es vielleicht zwei Sichtweisen, die möglich sind:

Soziologisch könnte man sagen, Theorien kämpfen um Wissenschaftler, die sie für brauchbar, für nützlich, für zutreffend oder auch für wahr halten. Genauer gesagt, kämpfen da natürlich nicht die Theorien selbst, sondern die Wissenschaftler, die die Theorien entwickelt haben. Sie suchen weitere Anhänger für ihre Theorie, und diese Anhänger werden die Theorie weiter ausarbeiten, neue Argumente dafür finden, werden sie an den Universitäten lehren.

Die zweite Sicht ergibt sich aus der ersten, nämlich wenn man fragt, welche Methoden denn in diesem Wettbewerb verwendet werden können: Die Ressourcen, um die die Wissenschaftler und ihre Theorien miteinander konkurrieren, sind die empirischen Fakten. Wer mehr empirische Fakten in seine Theorie integrieren kann, der wird attraktiver für andere Wissenschaftler, und umso mehr Wissenschaftler nach empirischen Befunden als „Futter” für eine Theorie suchen, umso besser gedeiht die Theorie.

Ein schönes Beispiel für diesen Theorien-Darwinismus findet man in der Kosmologie. Hier stehen sich zwei Theorien im Wettbewerb um die empirischen Daten gegenüber: Inflation und Ekpyrosis. Gab es vor 14 Mrd. Jahren einen Urknall oder stießen zwei Universen aneinander? Zurzeit ist die Inflations-Hypothese die beliebteste unter den Wissenschaftlern. Die derzeitig verfügbaren empirischen Daten reichen aber weder dier einen noch der anderen Theorie zum prächtigen Gedeihen. Deshalb hat man nun neue Datensammler ins All geschickt, die nach Nahrung suchen werden. Ob sie beiden Theorien bekommt oder sich eine den Magen verdirbt, bleibt abzuwarten.

Kommentare (8)

  1. #1 Sky
    Juni 28, 2009

    Wissenschaft folgt den allgemeinen wirtschaftlichen [1] Überlegungen und den politischen Gegebenheiten (“Wissenschaft ist Gesinnung.” las ich irgendwo schon einmal.).
    Wirtschaftsevolutionismus und “Maus rennt vor Katze weg.” bezeichnen aus einer bestimmten Sicht ein und dasselbe. Es wäre aber auch OK, wenn die Katze aus bestimmten “politischen” Überlegungen heraus nicht weg läuft.
    Was mehr OK ist entscheidet die Zukunft.
    Scheint mir übrigens mit der (richtig verstandenen) Politischen Korrektheit vereinbar.

    [1] Achtung, ich verstehe Wirtschaft (ein eigentlich schreckliches Wort, da es wie auch die Öknomie Wirt-Kundenverhältnisse impliziert) als Menge der Kooperationsverhältnisse bilateraler bis multilater Art. Demzufolge denkt so ziemlich alles “wirtschaftlich”.

  2. #2 Sky
    Juni 28, 2009

    Zu den Big-Bang-Theorien noch:
    Diese wurden seinerzeit (in den Siebzigern) dankbar aufgenommen von Marxisten und Materialisten, die sich – aus welchen Gründen auch immer – am Gedanken erfreuten, dass das Weltsystem (in diesem Fall: der Kosmo(p)s) sich abwechselnd zusammenzieht und dann expandiert.

  3. #3 Michael Hauss
    Juni 28, 2009

    Hallo Herr Friedrich.
    Ich habe ihren artikel mit großem Interesse gelesen. Und die Idee, den Erfolg und das Versagen von wissenschaftlichen Theorien mit dem Darwinismuss zu erklären ziemlich spannend.

    Allerdings würde ich es ein bissien anders anwenden. Darwinismuss besagt in eines Satz ausgedrückt dass “bestimmte Allelkombinationen einen Selektionsvorteil besitzen”.
    Die Frage die wir uns stellen sollten wäre demnach nicht wer “kämpft” sonder was genau in diesem Sinn ein Allel und was ein Selektionsvorteil ist.

    Es gibt meiner Meinung nach keine schlechte Theorie. Theorien die ein bestimmtes Phänomen nicht ausreichend beschreiben, lassen doch wenigstens die Schlussvolgerung zu das es “irgendwie anders” sein muss. Angenommen es würde jetzt der ultimative Beweis gefunden dass die Inflation richtig ist, so ist dieser Beweis nur dann ausreichend wen er die Ekpyrosis als falsch darstellt. Umsomehr unterschiedliche Theorien es für die Beschreibung einer Tatsache gibt, desto höher ist die WArscheinlichkeit das eine dieser Theorien wiederlegt werden kann. Eine wiederlegte Theorie trägt also dazu bei die Realität noch besser zu beschreiben

  4. #4 Sky
    Juni 29, 2009

    Vielleicht auch die Mem-Theorie hier von Interesse…
    Leseempfehlung: Virus of the Mind:: The New Science of the Meme by Richard Brodie

  5. #5 Sky
    Juni 29, 2009

    Am Rande: Grossartige Arbeit hier, Jörg, habe mal kurz oben durchgeblättert und bereits der Erstbeitrag “Wann ist Wissenschaft?” war sehr hübsch, wie auch die angelegte Debatte, LOL, Frage: Ist es möglich Deine Beiträge in Listenform zur Ansicht zu bringen und dann in die Einzelansicht zu gehen?
    Bestimmt, gell, aber wie? Gehts nur über das chronolische Archiv?
    Beste Grüße und weiterhin viel Erfolg!
    Sky

  6. #6 Jörg Friedrich
    Juni 29, 2009

    @Michael Hauss: Vielen Dank für die Anregung, ich werde darüber weiter nacvhdenekn und das Bild wohl nocht ein wenig ausbauen.

    @Sky: VieLen Dank für den Literaturhinweis und das Lob. Die Anregung für die Benutzeroberfläche werde ich weitergeben – das betrifft auch den Hinweis auf die fehlende Kommentar-Korrektur-Funktion. In einem Multi-Blog-System ist man ja nicht “Herr über die Software” wie im privaten Blog.

  7. #7 Geoman
    Juni 29, 2009

    @ Sky & Jörg Friedrich

    Ergänzend zu Richard Brodies Mem-Werk empfehle ich die Lektüre von Florian Rötzers aufschlussreichem Beitrag:

    “Memetik und das globale Gehirn”

    https://www.heise.de/tp/r4/artikel/2/2079/1.html

    Nachfolgend ein Auszug:

    “Dawkins hatte noch den Begriff des Mems in Analogie zu dem des Gens als eine Replikationseinheit geprägt, die durch Nachahmung, also durch Mimesis, sich verbreitet. Man sieht, hört, schmeckt oder empfindet irgendwie etwas oder beobachtet ein Verhalten, und wenn dies auf etwas beim Wahrnehmenden trifft, wird es wiederholt. Ein wenig eindringlicher ist allerdings die etwas neuere Version, an der Dawkins auch nicht unschuldig ist, die Meme eher mit Viren vergleicht. Da stehen wir also unschuldig mit unserem Gehirn, einer Maschine, die auf alles Neue lauert, gierig nach bestimmten Reizen ist und nicht anders funktioniert wie ein Staubsauger, nur ungenügend geschützt vom kognitiven Immunsystem, das je älter, desto besser in der Abwehr von Memen wird, und sind umgeben von Schwärmen von Memen, die sich in unser Innerstes und Eigenstes einnisten wollen.

    Jetzt also wissen wir, wie das funktioniert, wenn sich Ideen, Verhaltensweisen, Gefühle oder Moden durchsetzen: die Menschen sind einfach angesteckt, willenlos den erfolgreichen Memen ausgeliefert, die sich mit anderen kombinieren und unser Gehirn, und damit uns selbst, neu verdrahten. Den Erfolg steuert die natürliche Selektion, und die Evolution marschiert ziellos und unvorhersehbar im memetischen Möglichkeitsraum umher, einzig davon angetrieben, daß nur die Meme überleben, die sich replizieren können.”

    Soll heißen, ich finde die schlichte Mem-These allgemein und insbesondere hier wenig verständnisfördernd.

  8. #8 Michael Hauss
    Juni 29, 2009

    Du hast mich selbst zur Verfassung eines Blogbeitrages inspiriert, sobald ich fertig bin sag ich nochmal Bescheid