Seit einigen Wochen erläutert uns das Blatt, hinter dem sich immer ein kluger Kopf vesteckt, wie man diesen benutzt, wenn man die FAZ gerade nicht liest. (Ich warte noch auf den Beitrag, der mir sagt, wie man trainieren kann, einen Beitrag zu lesen). Am 3. April 2008 hat uns jemand erläutert, wie man Hirnareale auf Trab bringt, wenn man vor sich hin döst.

Der Artikel nennt das zwar Meditation, aber die verhindert er durch Sätze, die mich wahnsinnig machen. “Bei jeder Tätigkeit, die wir ausüben, ist unser Gehirn aktiv”, wie uns eine Forscherin mitteilt, die in ihrer Vita mit der Harvard Universität assoziiert wird. Dann muss das ein schlauer Satz sein, und wir wollen nicht annehmen, daß das Gehirn ausgerechnet bei seiner Formulierung meditiert hat. Es kann danach übrigens abschalten, denn der Aufsatz wimmelt von “könnte”, “scheint”, “womöglich” und anderen Ausweichübungen, mit denen man nichts sagt, und er lohnt sich nur, weil er auf einen weiteren Unsinn des Wissenschaftsjargons aufmerksam macht, der im erweiterten Text zu finden ist.
Der Unsinn nennt sich “Aufmerksamkeitsnetzwerke”, die offenbar trainiert werden können – durch Meditation zum Beispiel. Ich bin sicher, daß Meditation etwas verändert. Ich bin aber ebenso sicher, daß Aufmerksamkeitsnetzwerke nur ein modischer Jargon sind. Zum einen würden Netze statt der Netzwerke reichen. (Was soll der Unterschied sein?) Zum zweiten liest man inzwischen immer dann, wenn Autoren nicht weiter wissen, etwas von Netzwerken. So sollen jetzt (Nature 452, S. 429) molekulare Netzwerke für Krankheiten zuständig sein. Vorher waren das die Gene selbst. Das reicht schon lange nicht, also her mit den Netzwerken. Das klingt gut und lässt sich nicht überprüfen, weil die Wissenschaft in ihrer Methodik nach wie vor reduktionistisch operiert. Wenn sie anders herum zu denken, muss sie das erstens besser begründen und nicht einfach einführen und zweitens an den Methoden sichtbar machen. Umdenken ist nicht einfach, selbst wenn es zweifach geschieht – im Kopf und in den Erbanlagen. Vielleicht gibt es ja Netze im Leben, aber man sollte sich nicht sofort in ihnen verheddern.

Kommentare (2)

  1. #1 Monika Armand
    April 4, 2008

    Danke, das haben Sie sehr schön auf den Punkt gebracht ….

    Als “Konsumenten” moderner Hirnforschung dürfen wir doch dankbar sein, dass neben den Alarmisten (= den hirnforschenden Alleskönnern mit 1:1 -Interpretationen von Bildern zu Erklärungen), sich nun auch bescheidenere Forscher zu Wort melden, welche wieder zum Denken in Wahrscheinlichkeiten und Möglichkeiten zurückgefunden haben. Das lässt für die Zukunft auf noch mehr Realitätsnähe hoffen ;-)))

    Immerhin ist die FAZ damit schon einen kleinen Schritt weiter als der Spiegel:
    Wie der Spiegel seine Leser für dumm verkauft oder: wieder Supernachrichten für alle Gutgläubige

  2. #2 norbert andersch
    April 30, 2008

    BEWUSSTHEIT: SPIEGELNEURONEN ODER GANZHEITSBILDUNG (FAZ Feuilleton,19.04.08)

    Die von den USA ausgegangene ‘Theory of Mind’ (Brüne, 2005) hat leider zu einer weit verbreiteten Missinterpretation von Zuständen des Wachbewusstseins – wie auch von neueren neurophysiologischen Untersuchungsergebnissen – geführt. Bewusstsein beginnt in der ‘Theory of Mind’ mit der Fähigkeit, das Gegenüber mental zu simulieren, während in einer auf der Philosophie Ernst Cassirer fundierten Symboltheorie alle (!) mentalen Repräsentationen, die auf ein Ziel gerichtet sind (Intentionalität) – und durch den Gebrauch äußerer Symbole reproduziert werden können – als bewusst angesehen werden. Also nicht nur bereits reflexive Ebenen, sondern auch mythische und magische Weisen der Welterzeugung.

    Die ‘Theory of Mind’ stützt sich in ihrer Argumentation auf eine Repräsentationstheorie, die Ähnlichkeiten mit der irreführenden ‘Isomorphiethese’ der frühen Gestaltforschung aufweist – es bestehe nämlich ein isomorphes Verhältnis zwischen Phänomenalem und Physiologischem. In diesem Ansatz, der heute in der ‘Entdeckung’ von so genannten ‘Spiegelneuronen’ bei Makakken-Affen (Gallese, 1998) scheinbar ein neurophysiologisches Äquivalent findet, gewinnt ein substrat-orientiertes Denken erneut die Oberhand, dass einer Abbildungstheorie (und zellgesicherten Innenrepräsentation) von visuell erfassten Prozesses das Wort redet. Tatsächlich kann die reine Nachahmung immer nur das “was” eines Vorganges, nie jedoch das “wie” vermitteln. Dies unterscheidet Instinktbildung von Kulturleistung. Der Lehrling glaubt nur, den Meister nachzuahmen; in Wirklichkeit öffnet dessen in die gemeinsame Kreation bewusst eingebrachtes Komplexitätsmuster eine dem Adepten bisher versperrte innere Tür in ein neues Feld der ihm eigenen Ganzheitsbildung.

    Eine Repräsentation von Wahrnehmungssequenzen ist gleichwohl möglich, allerdings nicht in lokalen Zellverbänden festgelegt, sondern auf Basis eines symbolvermittelten Rezeptionsvermögens, dass subjektiv nur eine einfache kategoriale Eigenleistung erbringt und damit den Gestaltungsprozess weitgehend der Musterung durch externe Beziehungssetzungen überlässt. Dies zeigt das Beispiel von in ihrer Sinngebung magisch verfassten Aborigines, die sich fast ‘schlafwandlerisch’ in ihrer Umgebung auskennen, aber außerstande sind, eine einfache Skizze des Milieus, z.B. eines Flusslaufes zu zeichnen. Aber auch deren nicht mehr instinktive, sondern bereits gegenwärtig sinnliche Orientierung bedarf der magischen Symbolik der rituellen, gruppengebundenen Wiederholung dieses Prozesses. Und das ‘Begreifen’ des Vorganges selbst – das deutsche Wort könnte es nicht besser ausdrücken – gelingt nicht durch die Nachahmung alleine, sondern durch ‘Gestaltbildung’. Deren ‘Symbolisch Formung’ besteht im Ergreifen des aktiven Anteils dieser ‘Ganzheit’, z. B. in der repetitiven Qualität der magischen Exstase. Die dazu komplementäre Komplexität des korrespondierenden Milieus ist dann nicht mehr der Eindruck unverstellter Natur, sondern ein Resonanzraum, dem durch diesen Akt (primitiver) Musterung bereits eine Bedeutungsgebung aufgeprägt ist, der in der Wiederholung desselben Aktes mental wieder hervorgerufen werden kann.

    So bleiben es nicht innere, besonders verfasste Neuronen, sondern äußere Hilfsreize oder geschichtlich gewordene Werkzeuge, wie Rituale, Sprache und Arbeitsteilung; die „geschichtlich bedingten Mittel zur Organisation menschlichen Verhaltens” wie Luria postuliert, die auch neue Verbindungen, sprich: variablere Beziehungssetzungen in den Aktivitäten des menschlichen Gehirnes anregen. Es ist das, was der russische Psychologe Wygotskij das “Prinzip der extrakortikalen Organisation geistiger Funktionen” nennt, welches im Prozess ‘Symbolischer Formung’ mit einem komplementär komplexen ‘Organisationssprinzip des Hirnorgans’, (nicht einem, das kopiert, wie in der ‘Theory of Mind’) zu einer Gestalt verbunden wird. Erst so kommt es zur Emergenz von zeitstabilen parallelen Spannungsfeldern, – wie sie schon Kurt Lewin in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts postuliert hat, – einer Ganzheitsbildung aus den Musterungen (!) der sozialen Beziehungssetzung der Gruppe einerseits und der biologisch dominierter Hirnbinnenregulation des einzelnen Menschen andererseits. Erst die Gesamtheit dieser ueber wandelnde symbolische Verknuepfung geschaffenen ‘Mentaler Funktionsräume’ macht unser Bewusstsein aus.

    Selbst dann wäre ein maximal vergrößertes Stirnhirn nicht in der Lage, die Unsumme jetzt kategorial geordneter – und entsprechend mengenmäßig reduzierter – Prozesse zu speichern. Die biologische Struktur kann kategorialen Vernetzungen nur eine begrenzte Zellmenge zur Verfügung stellen, da sie große Neuronenmengen zur kurzzeitigen Speicherung gegenwärtiger Sequenzen und ein dreidimensionales, energieverzehrendes Versorgungssystem zum Funktionserhalt selbst benötigt. Mit der nachgewiesenen Variabilität von Substanz- und Funktionsanteilen in der Beziehungssetzung kann dieses Problem jetzt aber unter Annahme eines holografischen Strukturmodells gelöst werden. Die Speicherung von vergangenen, gegenwärtigen oder zukünftigen Ereignissen kann dann gelingen, wenn deren notwendige ‘gestaltete Ganzheit’ artefiziell in Amplitudenstärke und Phasenverschiebungen aufgelöst wird. Nur wenn die dafür notwendigen Bezugs- und Projektionspunkte als ‘Symbolische Form’ im Außen vorhanden sind, kann die Intensität unendlich vieler Bildpunkte im Inneren gespeichert werden, da ja nur ihr Ineinanderfallen mit der von außen hinzugefügten Phasenverschiebung (Frequenz) jene einmalige Schöpfung erstehen lässt, die der handelnde Mensch gerade jetzt braucht.

    Die Fähigkeit, “sich in andere hineinzuversetzen” gibt es nicht und wird es nie geben. Sie ist eine angenehme Täuschung, die auf der kollektiv anerzogenen Vereinbarung in der Hierarchie kultureller Rahmensetzungen beruht. Wo dieses Zivilisationskonzept nicht geteilt wird, z.B. gegenüber der Selbstisolation von schwer psychisch Kranken, löst sich dieses angebliche ‘Vermögen’ dann auch sofort ins Nichts auf. Was uns hingegen mit der Flexibilitaet des Rahmenwechsels möglich bleibt, ist, das Potential eigener Musterungen mit dem anderer komplementär zu einer Ganzheit zu vereinen, um in diesem Gestaltungsakt eigene (!), der Selbstwahrnehmung bisher verschlossene innere Anteile zu aktivieren. So gelingt eine intensivere Selbstdurchdringung und verbesserte Integrität beider Korrespondenten. Diese neu gewonnene Weltsicht lässt uns derartige Fähigkeiten spontan und projektiv auch in anderen vermuten, und sie wiederum durch echte ‘Begegnung’ (Moreno, 1959) tatsächlich in ihnen – und noch einmal neu in uns – im Prozess der Heilung erleben.

    In den 20er Jahre des letzten Jahrhunderts begann in Deutschland eine Diskussion um Strukturen neuer Bewusstseinstheorien zwischen Neurologen, Philosophen, Psychologen und Psychiatern jenseits der Kraepelinschen Schule, der neurologischer Lokalisationslehre und der Psychoanalyse. Ihre Forschungsbemühungen galten der Gewinnung einer ‘Ontologie einer Psychogenese’ aus einem transkulturellen ‘Invariantensystem der Erfahrung’. Kurt Goldstein, Arthur Kronfeld, Ernst Cassirer und Kurt Lewin waren die herausragende Repraesentanten eines solchen Ansatzes. Ihre vielversprechenden wissenschaftlichen Bemuehungen wurden vom deutschen Faschismus zu einem jähen Ende gebracht, als alle Vertreter eines solchen Denkens fliehen mussten, vertrieben oder zum Teil auch ermordet wurden. Exil und Kontaktverlust, der Krieg, der frühe Tod von Kronfeld, Cassirer und Lewin; ein pharmakologischer Nachkriegspragmatismus und ein philosophisch an Heidegger orientierter restaurativer Konservativismus in Deutschland verdrängten die Ansätze von Gestalt -und Symboltheorie aus der psychiatrischen Debatte und Praxis.

    Das 2006 erstmal vorgestellte ‘Modell mentaler Funktionsräume’ greift diese verschuetteten Forschungsansaetze der 20er und 30er Jahre wieder auf. Es beschreibt auf einer kategorialen Schiene den wechselnden Charakter der Symbolvermittlungen und somit die Verschiedenheit menschlicher Sinnstiftung; es lässt auf einer Zeitschiene das Nacheinander re-aktivierter Funktionsräume erkennen; veranschaulicht auf einer symbolbezogenen Schiene die interaktive Gestaltung, aber auch das Ineinanderfallen der Gestaltkomponenten im Symbolverlust und erklärt die Regression von bislang interaktiven Korrespondenten in die zeitweilig sichernde passive Autoregulation mit der ihr eigenen Nutzung nicht-symbolvermittelte präformierte Schablonen.

    Dies ist ein bewegliches Modell von dennoch invarianten Beziehungssetzungen, welches über die Eindeutigkeit zeitlicher und räumlicher Bezüge ihrer Einzelmomente Profile von Krankheitsbildern erstellen lässt, die erst dann Rückschlüsse auf Zeit/Ort/Besonderheit einer Schädigung erkennen lassen. Die berühmte Schneider’sche “Ordnung” von Erstrangsymptomen in der englischsprachigen Psychiatrie, die Schneider selbst so nicht verstanden wissen wollte (Schneider, 1967) zerfällt beim Anlegen der ‘Matrix’ in unzusammenhängende Fragmente aus den Resten zerfallener Symbolräume, reaktivierten früheren Symbolebenen, hilfsweise einsetzende präformierte Schablonen, Verschmelzungsvorgängen im Symbolverlust und subjektiven Autoregulationen.
    Anstelle des erfolglosen Versuches in ICD 10 und DSM IV, psychische Störungen durch immer wieder neu kategorisierte vielhundertfachen Detailbeschreibungen zu erfassen, kann eine Systematik von Invarianten, eine Matrix von grundlegenden universalen Beziehungssetzungen, – deren Bewegungsformen sich in lebenden Innen/Außen-Verhältnissen reproduzieren – an jeden Patienten, seine Körperbeziehung, seine Beziehungsgestaltung, seine soziale Interaktion angelegt werden, um die biopsychosoziale Entwicklung abzulesen, und wo gewünscht – auf der dann adäquaten Ebene – zu therapieren.

    Menschliches Selbstverständnis und soziale Existenz – die Bühne auf der wir agieren und die Werkzeuge, die wir nutzen – sind keine natürliche Gegebenheit, sondern ein selbsterzeugtes kulturelles Konstrukt: eine komplexe Parallelität kollektiv vereinbarter Sinnstiftung. Kern dieser je verschiedenen ‘Weisen der Welterzeugung’ sind kulturelle Ganzheitsbildungen (Gestaltungen), die als Magie, Mythos, Religion, Recht, Politik, Wissenschaft, Integration, Gestaltung und Selbstkontrolle immer wieder neu als schöpferischer Akt inszeniert werden müssen. Diese ‘Symbolischen Formen’ haben einen transkulturellen, universalen Charakter und sind nicht gegeneinander austauschbar. Die zu ihrer Gestaltung notwendigen komplementären Muster sind naturgegebene Bewegungsformen. Erst die neurologische Repräsentation der Gesamtheit dieser symbolvermittelten Spannungsgestaltungen, – dieser mentale Funktionsräume – wird als ‘Bewusstsein’ bezeichnet.

    Biologische und soziale Existenz haben phänomenologisch keinen gemeinsamen Nenner. Die Inszenierung ‘Symbolischer Formen’ kann jedoch über die Polarität ihrer Ganzheitsbildung beide (späteren) Korrespondenten (Subjekt und Milieu) zu einer Aktivierung der ihnen eigenen Musterungen anregen. Aktive ‘Symbolische Formung’ schafft keine direkte Triebabsättigung, aber ein soziales Feld komplementärer Bereitschaft; eine Intentionalität im korrespondierenden Resonanzraum, in dem gegensinnige Spannungen stabilisiert werden und macht so einen Teil der in diesem Prozess gewonnenen Aufmerksamkeit, Wachheit und Bewusstheit – jetzt abgelöst vom ursprünglichen Triebziel – als Möglichkeit und kreatives Potential verfügbar.

    Psychische Störungen äußern sich immer in einem Misslingen oder im Zusammenbruch ‘Symbolischer Formung’. Neurologische Störungen können verursachend sein, bleiben jedoch auch als massive Einbussen der Funktion psychiatrisch unbedeutend, solange sie die kollektiv kulturelle Bedeutungsgebung und die Fähigkeit des Perspektivenwechsels nicht beeinträchtigen. Schwere psychische Erkrankungen manifestieren sich nicht nur im Einbruch einzelner Ebenen der Spannungsgestaltung (isolierter ‘Mentaler Funktionsräume’), sondern im Zusammenbruch des gesamten Bewusstseinsraumes. Hier liegt eine Unfähigkeit von Individuum und Gruppe vor, je eigene Musterbildungen über ‘Symbolische Formung’ zum Tragen zu bringen. Beide Korrespondenten suchen in diesem Falle nach anderen gangbaren Austauschebenen mit dem eigenen Milieu; danach treten autoregulativen Mechanismen des Selbstschutzes auf den Plan. Die in diesem scheinbaren Isolationsprozess dennoch fortbestehende Orientierung präformierter Schablonen auf eine Rueckkehr ins soziale Gefuege zeigen die Bereitschaft der Psyche an, neurologische Bindungskapazitäten für fuer kulturelle Gestaltung, d.h. symbolische Überformung offenzuhalten. Dies sollte deshalb in einem geschützten Milieu kreativ genutzt werden.

    Norbert Andersch, MD MRCPsych, Maudsley Hospital London