Die Genfer Konventionen werden heute 60 Jahre alt. Was normalerweise als die Genfer Konvention bezeichnet wird, sind eigentlich vier Verträge. Der erste wurde 1864 unterschrieben. Warum feiern wir also den 60 Geburtstag und was steht eigentlich drin, in diesen viel zitierten Dokumenten? Wieder einmal ein Post in der inoffiziellen Serie Das internationale Abkommen der Woche.

Überblick: Was versteht man unter Genfer Konventionen?

Wie erwähnt, gibt es eigentlich vier Genfer Konventionen (manchmal auch Genfer Abkommen genannt) und drei Zusatzprotokolle. Hier die Liste mit den Links zur deutschen Fassung:

Geneva_Conventions.jpg

Geschichte

Historisch gesehen, gab es die ersten drei Konventionen schon vor 1949. Das 60. Jubiläumsjahr wird gefeiert weil 1949 (immer noch unter dem Eindruck des zweiten Weltkrieges) eine Konferenz stattfand und man bestehende Verträge in ein einziges Regelwerk integrierte: Die erste Genfer Konvention von 1864 (inklusive die angebrachten Veränderungen von 1906 und 1929), die Haager Konventionen von 1899 und 1907 und das Abkommen über Kriegsgefangene von 1929. Dazu kam ein viertes und das inzwischen wohl bekannteste Abkommen, nämlich die Genfer Konvention zum Schutze der Zivilbevölkerung. Zwei Zusatzprotokolle kamen 1977 hinzu und ein drittes 2005.

Die erste Konvention steht in enger Verbindung mit der Gründung des Internationalen Kommitees des Roten Kreuzes (IKRK). Über die Gründungsgeschichte des IKRKs und Henri Dunant habe ich schon ausführlich geschrieben.

Was steht drin?

Die Konventionen sind ein zentraler Pfeiler des sogenannten humanitären Völkerrechts. Die Genfer Konventionen regeln zusammenfassend das Recht im Krieg oder jus in bello (nicht zu verwechseln mit dem Recht auf Krieg, jus ad bellum). Es geht darum Spielregeln in Konflikten festzulegen. Es ist nicht so, dass der Krieg ein rechtsfreier Raum ist wie häufig behauptet wird. Die Genfer Konvention brachten Anfangs vor allem Kriegsgewohnheitsrecht auf Papier. Vorher handelte es sich mehr um eine Art ungeschriebenen militärischen Ehrenkodex. Es ist auch nicht so, dass die Politik einfach schöngeistige Versprechen abgibt, die dann von den Militärs wenn es ernst gilt aus taktischer Notwendigkeit einfach ignoriert werden. Es wurde beim Ausarbeiten immer sehr viel Wert auf militärische Beteiligung gelegt.

Die erste Genfer Konvention (zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der bewaffneten Kräfte im Felde) beinhaltet 64 Artikel zum Schutze der genannten Gruppen. Sie schützt auch medizinisches (und übrigens auch religiöses) Personal und medizinische Transporte. Darin wird auch explizit das IKRK erwähnt (meines Wissens nach wie vor die einzige namentlich erwähnte Nichtregierungsorganisation in einem internationalen Vertrag) und seine Embleme geschützt (Artikel 38).

Die zweite Genfer Konvention (zur Verbesserung des Loses der Verwundeten, Kranken und Schiffbrüchigen der bewaffneten Kräfte zur See) ist nach der ersten Konvention modelliert. Sie ersetzt die Haager Konvention zur Regelung des Seekriegsrechts. Sie regelt ähnliche Fragen wie die erste Konvention in 63 Artikeln (z.B. Umgang mit Schiffbrüchigen).

Die dritte Genfer Konvention (über die Behandlung der Kriegsgefangenen) regelt den Umgang mit Kriegsgefangenen und vor allem deren Schutz in 143 Artikeln. Darin wird unter anderem definiert wer als Kriegsgefangener gilt, inwiefern diese zu Arbeiten eingesetzt werden dürfen und was man von ihnen verlangen darf und was nicht. Kriegsgefangene (Prisonners of War oder PoWs) müssen nach dem Einstellen der Feindseligkeiten (nicht das gleiche wie Friedensschluss!) wieder freigelassen werden.

Die vierte Genfer Konvention (Genfer Konvention über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten) ist wohl die bekannteste. Nach den Erfahrungen des zweiten Weltkrieges stellte man fest, dass die Genfer Konventionen nur Regeln für militärisches Personal festlegen, dass der moderne Krieg sich aber oft vor allem für die Zivilbevölkerung als desaströs erweist und diese besondern Schutz bedarf. In 159 Artikeln wollte man diesem Problem Abhilfe verschaffen. Die Konvention befasst sich einerseits mit Bürgern der gegnerischen Partei auf dem eigenen Boden und Zivilisten in besetzten Gebieten. Die Pflichten der Besatzer werden festgehalten (zum Beispiel humanitäre Hilfe in besetztem Gebiet). Der Umgang mit internierten wird ebenfalls geregelt.

Die Genfer Konventionen betrafen internationale Konflikte, dass heisst zwischen Nationalstaaten. Ein grosse Zahl an Konflikten war also nicht abgedeckt durch die Konventionen. Weil in diesen aber die gleiche Probleme bestanden wurden 1977 die ersten zwei Zuatzprotokolle unterschrieben, zum besseren Schutz der zivilen Opfer. Das erste Zusatzprotokoll betrifft klassische internationale Konflikte und das zweite auch interne Konflikte (z.B. Bürgerkriege). Zum ersten mal wurden auch Regeln über das ‘wie’ der Kriegsführung festgelegt. Das dritte Zusatzprotokoll von 2005 regelt das neue (religiös neutrale) Emblem, den roten Diamanten.

Der gemeinsame Artikel 3 der Konventionen

Diesen Artikel findet man in allen Genfer Konventionen. Man könnte ihn als den humanitären Kern der Verträge betrachten: Er legt gewisse Grundsätze fest die in einem nicht-internationalen Konflikten gelten (also zum Beispiel in einem Bürgerkrieg). Er wird als zwingendes Recht betrachtet und verlangt eine menschliche Behandlung von Personen, die sich in der Hand des Feindes befinden. Auch die Rolle von Rotkreuzmitarbeitern wird darin festgehalten. Den vollständigen Artikel findet man hier.

Wer ist dabei?

Eigentlich alle (197 Staaten haben die Konventionen ratifiziert). Ein Liste findet man hier. Aber viele der Regelungen werden als zwingendes Völkerrecht betrachtet und auch Nichtunterzeichnende Staaten sind an viele dieser Regeln gebunden. Die Zusatzprotokolle sind nicht ganz so universal unterzeichnet. Die Unterzeichnerstaaten des ersten Protokolls findet man hier, die des zweiten hier.

Bildquelle: Erste Genfer Konvention von 1864 via Wikimedia Commons (Kevin Quinn, Ohio, US)

Kommentare (8)

  1. #1 Ronny
    August 12, 2009

    Pikantes Detail: Der Vatikan hat nicht unterschrieben 🙂

  2. #2 Patrick
    August 12, 2009

    Tja, und wenn jetzt kein Krieg ist, wie in Afghanistan beispielsweise? Fällt das auch unter Artikel drei?

  3. #3 ali
    August 12, 2009

    @Patrick
    Feindseligkeiten finden so oder so statt. Ohne Feindseligkeiten braucht es keine Genfer Konvention. Afghanistan ist wohl je nach Situation und Sichtweise ein internationaler oder ein nicht-internationaler Konflikt.

  4. #4 Andreas Kyriacou
    August 12, 2009

    Afghanistan ist wohl je nach Situation und Sichtweise ein internationaler oder ein nicht-internationaler Konflikt.
    Sind nicht etwas gar viele fremde Armeen dort, um das als innerstaatlichen Konflikt durchgehen zu lassen..?

    Wunderbares Posting übrigens.

  5. #5 ali
    August 12, 2009

    @Andreas Kyriacou
    Um ehrlich zu sein, ich weiss nicht als was es definiert ist. Als die Taliban noch an der Macht waren, war es wohl ganz klar ein Internationaler Konflikt. Nun könnte man aber argumentieren, dass die fremden Armeen nur von der Regierung um Hilfe gebeten wurden (sind schliesslich mit UN Mandat und NATO Banner unterwegs).

    Ich persönlich tendiere für Afghanistan zu ‘internationalem Konflikt’. Da aber auch afghanische Streitkräfte an Aktionen gegen die Taliban beteiligt sind (“NATO’s main role in Afghanistan is to assist the Afghan Government in exercising and extending its authority and influence across the country“) und es nicht ganz so klar ist ob es sich um eine ‘Besetzung’ handelt, ist die genaue Einordnung wohl diskutabel. Aber da fragt man besser einen Völkerrechtler.

  6. #6 Ronny
    August 13, 2009

    Gut gemachte Übersicht, danke.
    Ich frage mich nur inwieweit das dann bei größeren Konflikten noch seine Gültigkeit bewahren kann, solange es keine echte ‘Exekutive’ gibt. Die UNO ist da ein bißchen zu zahnlos und man sieht ja oft in der Vergangenheit, dass das Recht immer vom Sieger ausgeht. Aber andererseits besser als gar nichts und vielleicht gibts doch auch in Konflikten noch vernünftige Menschen.

    Erinnert mich an eine Aussage des österreichischen Kabarretisten Karl Farkas:
    Kommen 2 kleine Staaten mit einem Konflikt zur UNO => verschwindet der Konflikt
    Kommen 1 kleiner und 1 großer Staat => verschwindet der kleine Staat
    Kommen 2 große Staaten => verschwindet die UNO

  7. #7 ali
    August 13, 2009

    @Ronny

    Die Tatsache das Regeln gebrochen werden, heisst nicht, dass diese falsch sind. Das Fehlen einer Durchsetzungsinstanz ist natürlich immer wieder ein Problem im Völkerrecht. Man muss aber auch sagen, dass zum Beispiel Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit viel besser geahndet werden können als die meisten anderen Regeln im Völkerrecht.

    Dies ist wohl nicht zuletzt so wegen der grossen Akzeptanz dieser Regeln (auch in militärischen Kreisen). Kaum jemand stellt diese wirklich in Frage. Militärs wissen, dass wenn sie diese Regeln aufweichen, riskieren sie, dass es der Gegner auch tun wird. Das fürchtet man.

    Ein gutes Beispiel wäre die Bush Administration und die Gefangenen aus Afghanistan die nach Guantanamo verschifft wurden. Man wollte ihnen den Status als Kriegsgefangene nicht geben und erfand darum eine neue Kategorie von ‘illegalen Kämpfern’. Der Druck die Genfer Konventionen trotzdem einzuhalten war so gross, dass man bald zwar an der Kategorie festhalten wollte, ihnen aber weitgehende Rechte ‘wie unter der Genfer Konvention’ zugestehen musste (Besuch IKRK etc.). Nicht mal die mit Abstand grösste Militärmacht der Welt konnte ein Aufweichen der Regeln einfach durchsetzen. Es kann also nicht nur das Recht des Stärkeren herrschen. Aber vielleicht bin ich Optimist.

  8. #8 Dieter Hecker
    44532 Lünen
    April 11, 2016

    “keine Menschenrechte (aussetzen der Konventionen) für Piraten”! Nun ganz einfache Handhabe der Situation. Wenn etwa Terroristen/Piraten das Recht auf Leben Dritter oder Unbeteiligter einschränken müssen sie sich eben einer Ächtung oder Verfolgung durch die Weltgemeinschaft sicher sein. Auf das Gewohnheitsrecht Piraten oder Terroristen “über die Planke gehen zu lassen” berufen sich ja Z.B. die USA wenn sie führende Mitglieder des IS mit Drohnen töten. Da es kaum noch Rahsegler gibt entfällt die Möglichkeit sie an der Rahe eines Schiffes aufzuhängen… Der Nachteil der technisierten Vollstreckung ist die Abwesenheit von Angst vor der Strafe. Würde man, wie von einem Jordanischen Prinzen gefordert entlang der Straße Von Amman nach Bagdad Kreuze aufstellen und gefangene IS Mitglieder daran hinrichten wäre diese Strafe zwar barbarisch aber abschreckend… Obwohl die Tradition des Staates Israel zeigt, dass ein Versagen aller Maßnahmen die Folge sein kann. Also fordere ich die Umerziehung sprich Gehirnwäsche der handelnden Personen… hat ja schließlich sogar bei der Entnazifiezierung Deutschlands geklappt. Also generell 1500 Folgen Lindenstraße für jeden gefassten Unterstützer…