Ein neuer Karikaturenstreit und wieder geht es um Humor, Geschmack und Islam. Der Unterschied: Thema ist ein Präsidentschaftsanwärter in den USA.

ny_cover_obama.jpg

Das von mir sehr geschätzte Magazin New Yorker (hätte ich nur mehr Zeit um zu es zu lesen) hat traditionell eine Karikatur auf dem Titelblatt. Auf seiner neusten Ausgabe sieht man Barak Obama mit seiner Frau. Er mit Turban, sie mit Waffe und Patronengurt. An der Wand hängt ein Porträt von Bin Ladin und im Kamin brennt eine US Flagge.

Diese Karikatur wurde sogleich als geschmacklos verurteilt und zwar von der Obama Kampagne und von McCains Seite. Die Huffington Post schreibt, dass dies der Rechten im Wahlkampf nutzen wird (gemäss Umfragen glauben 10% des Elektorats Obama sei muslimischen Glaubens (1)).

Leider hat die Huffington Post wohl recht. Die Absicht war jedoch zweifelsohne gegenteilig. Ich bin mir sicher, niemand würde den New Yorker auch nur eine Sekunde einer so plumpen Propaganda verdächtigen. Nie und nimmer würde sich das Magazin mit einer solchen oberflächlichen und primitiven Karikatur mit einer einzigen so simplen Bedeutungsschicht präsentieren. Es ist offensichtlich, dass eben absurde Behauptungen ironisiert werden sollten (Obama sei ‘Anti-Amerikanisch’, er sei Muslim, Michelle Obama sei militant).

Doch das Gerücht ist draussen und jede auch noch so ironische Darstellung und Lärm um diese wird die Diskussion (und damit auch die Fehlwahrnehmung) perpetuieren. Dies wird bei einem Publikum geschehen, welches mit grosser Wahrscheinlichkeit noch nie den New Yorker gelesen hat und wohl auch die Botschaft nicht versteht.

Trotzdem sollte man sich fragen, hätte der New Yorker deswegen Selbstzensur üben müssen, im Wissen dass er Obama schaden wird? Ist es wirklich ‘geschmacklos’, nur weil ein Teil der Bevölkerung nicht die Intelligenz besitzt um die Karikatur zu verstehen? Das eigentliche Problem ist die Medienkompetenz der Bevölkerung und nicht die Abbildung und dies hat viel weiterreichendere Konsequenzen als die Frage was denn wirklich lustig ist.

(1) Nicht dass ich das Gefühl hätte, dies sei von irgendwelcher Relevanz, ausser eben, dass es ein absoluter Stimmenkiller beim US Wahlvolk ist.

Kommentare (6)

  1. #1 Christian
    Juli 15, 2008

    Die Geste sieht mir doch sehr nach dem “terrorist fist jab” aus, über den Fox News neulich im Zusammenhang mit dem US-Wahlkampf berichtet hat:


    https://www.youtube.com/watch?v=KBRUalssp0Q

    Wenn der US-Wahlkampf nicht so eine verdammt wichtige Angelegenheit wäre, könnte man sich manchmal köstlich darüber amüsieren…

  2. #2 fs
    Juli 15, 2008

    umso intelligenteres handeln wir einer person/organisation zubilligen umso mehr verantwortung für ihre taten müssen wir auch unterstellen. wollte die zeitschrift obama wirklich nicht schaden, hätte sie ihre “kritik an der allgemeinen denkweise” vielleicht etwas intelligenter verpacken(so dass es die verstehen, für die es geacht ist) oder es bleiben lassen sollen.
    als analogie ausgedrückt, ich werfe auch nicht mit steinchen nach schlechtgelaunten kampfhunden, egal wie hoch deren konfliktlösungspotential eigentlich sein sollte 😉 es sei, denn ich will eine schlagzeile in der boulevardpresse, koste es was wolle – vielleicht war ja auch das die absicht…

  3. #3 Jürgen Witzke
    Juli 15, 2008

    Ernsthafte Beobachter der USA befürchten schon länger, dass keiner der jetzigen Kandidaten Präsident wird. Man erinnere sich an die erste Wahl von George W. Bush.

  4. #4 ali
    Juli 16, 2008

    @fs

    Wie weit soll diese Selbstzensur denn gehen? Das würde ja heissen, dass ein absolutes Tabu gilt für die Abbildung und Referenzen zu Hetzkampagnen und Gerüchten. Das wäre traurige politische Satire. Gerade bei einer Information die so einfach zu überprüfen ist wie die Religionszugehörigkeit von Obama wäre eine Selbstbeschränkung lächerlich (die im Post erwähnten 10% können die Diskussionen um Obamas Pfarrer Wright kaum verpasst haben. Das lief auf allen Kanälen endlos).

    Satire würde dann wohl wie dieser Cartoon (auch aus dem New Yorker übrigens) aussehen.

  5. #5 Thilo
    Juli 16, 2008

    (Ohne inhaltlichen Zusammenhang): Dem “New Yorker” wurde vor zwei Jahren mal wegen einer Karikatur (und dem dazugehörigen Artikel) mit juristischen Schritten gedroht, siehe https://www.doctoryau.com/9.18.06.pdf
    M.W. wurde die im offenen Brief angekündigte Klage nie eingereicht.

  6. #6 Klaus
    Juli 17, 2008

    Dear All, —

    liebe Grüsse aus Cambridge 02138, dem “most opinionated zip code in the world ” (wie immer so eine amerikanische Angewohnheit – gewinnen die Red Sox sind sie auch “World” Champions… es ist momentan schwer zu sehen und zu ertragen, dass wir nicht alleine auf der Welt sind… was soll nur werden aus “God’s own country”…? )

    es gibt es eine – für das gebildete, liberale, und weltoffene America (ja das gibt es wirklich, man glaubt es kaum!) wesentlich unangenehmere Sichtweise.

    Bei längerer Betrachtung und einer gewissen Selbstreflection tritt Barack rasch in den Hintergrund und Michelle tritt als der eigentliche “Störfaktor”, der Perturbation im konstruktivistischen Sinne, in den Vordergrund.

    Michelle steht als “schwarze” “Frau” auf der absolut untersten Sprosse der amerikanischen Gesellschaft. Dass diese schwarze Frau nun in eine solche Machtposition kommt ist wesentlich schwieriger zu akzeptieren als dass Barack Präsident wird. Rasch wird man hier mit den eigenen Vorurteilen und seinem latenten “Rassismus” konfrontiert und an die Grenzen der eigenen Vorstellungskraft herangeführt.

    Barack kann viel verändern – viel mehr als selbst wir uns vorstellen können und mögen…

    In diesem Sinne kann man also zum Schluss kommen, dass der NewYorker uns – seinem liberalen Stammpublikum den Spiegel vorhält – einem Publikum dass sich aufgrund von Bildung und Stellung oft selbst gerne als so “erhaben” ansieht.

    doch das wäre eine wesentlich unangenehmere Interpretation, als sich über mögliche Verschwörungstheorien auszulassen…

    Liebe Grüsse,
    Klaus