Claude Pouillet (1790-1868) beschäftigte sich ungefähr zu der Zeit, als Fourier die Prinzipien der Energiebilanz der Erde darlegte und die These von der absorbierenden und wärmenden Atmosphäre aufstellte, mit der Quantifizierung eines sehr wichtigen Teils von Fouriers Erdmodell: Der Solarkonstante.

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Bild 1: Claude Servais Mathias Pouillet, Professor am Conservatoire royale des arts et metiers. Seine Arbeiten mit dem Pyrhéliomètre erlaubte zum ersten Mal eine quantitative Abschätzung der Solarkonstante.

Der folgende Artikel basiert genau wie Teil 1 der Geschichte des Treibhauseffekts auf der Habilitationsschrift von Jean Louis Dufresne und einer Pouillet gewidmeten Veröffentlichung in “La Météorologie”.


Heute wird die Solarkonstante von Satelliten ganz ohne die störende Atmosphäre auf 1367W/m2 bestimmt. Aber wie hat Pouillet sie wohl durch den auch damals schon grauen und verschmutzten Pariser Himmel hindurch gemessen? Aber selbst ohne Verschmutzung wird ja ein Teil der einfallende solaren Strahlung in der Atmosphäre absorbiert, im UV und sichtbaren Bereich durch das stratosphärische Ozon, im Infrarot-Bereich vom Wasser. Dadurch hängt die tatsächlich am Boden einfallende solare Strahlung stark vom optischen Weg durch die Atmosphäre ab. Und wie kann man überhaupt die Intensität der Sonne messen?
Pouillet konstruierte dazu einen unglaublich einfachen Apparat, so einfach, dass die Vorstellung man könnte damit die Solarkonstante vom Hinterhof seines Instituts am Conservatoire royale des arts et métiers messen, fast absurd erscheint. Bild 2 zeigt das Schema des sogenannten Pyrhéliomètre und Bild 3 eine Version dieses Instruments, welches ich im Internet als ein Exemplar des hauseigenen Museums des LGL, des Lycée de garcons de Luxembourg, gefunden habe.

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Bild 2: Schema des Pyrhéliomètre. Eine mit Wasser gefüllte mehrere Zentimeter dicke geschwärtze Scheibe, die zur Sonne ausgerichtet werden muss. EIn im Gestänge versenktes Thermometer erlaubt, die Temperatur innerhalb der Scheibe zu messen.

Der vordere voluminöse Teil des Pyrhéliomètre wird mit Wasser gefüllt. Die vordere Seite dieser wassergefüllten Scheibe, die genau auf die Sonne ausgerichtet werden muss, ist geschwärtzt. Das Wasserbehältnis ist über eine Stange mit einem kleinen Handrad am hinteren Ende verbunden. So kann das Ganze in Rotation gehalten werden und die ca. 100 ml Wasser, die sich im vorderen Teil befinden, können als gut durchmischt angesehen werden. Das Instrument bleibt vor der Messung genügend Zeit im Schatten und wird dann auf die Sonne ausgerichtet. Man misst die Temperatur jede Minute 5 Minuten lang und fährt so 5 weitere Minuten wieder zurück im Schatten fort. Man kann dann mit einigen Vereinfachungen zeigen, dass der absorbierte solare Fluss proportinonal zu einer einfachen linearen Kombination der Temperaturen zu Beginn, Mitte und Ende des Experiments ist.

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Formel 1

mit F als dem solaren Fluss (das ist er nicht wirklich, aber dazu später), m der Masse des Volumens mit dem Wasser, C die spezifische Wärme dieses Volumens, Sr die zur Sonne gerichtete Fläche und t die abgelaufene Zeit ist. DT ist in dieser Näherung eine Kombination der Anfangs-, Mittel- (Ende der Zeit in der Sonne) und Endtemperatur.

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Bild 3: Bild eines Pyrhéliomètre, gefunden im “petit musée des instruments de physique du Lycée de garçons de Luxembourg“.

Pouillet bastelte an diesem Protokoll lange Zeit herum und führte schliesslich 1838 eine Messreihe durch, mit der er zufrieden war. Natürlich ist, je nach den meteorologischen Bedingungen und dem Stand der Sonne, das Resultat, also das F aus der Formel oben, verschieden. Pouillet berechnete eine einfache geometrische Formel, um die variierende optische Dicke der Atmosphäre zu bestimmen:

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Formel 2

mit r, dem Erdradius, h, der Höhe der Atmosphäre, und z, dem Zenithwinkel. Pouillet nahm vereinfachend und einheitenlos an, dass h=1 und r=80 ist. ε ist also eine einheitenlose Masszahl für die optische Dicke. Und während er so über den vielen Datenpunkten brühtete, kam ihm dann die Idee. Er stellte die gemessene Temperaturänderung T folgendermaszen dar:

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Formel 3

mit zwei neu eingeführten Parametern, die Pouillet folgendermaszen beschreibt: A ist die “constante solaire” (ich denke, das war das erste Mal, dass der Ausdruck benutzt wurde) und p die atmosphärische “Konstante”, die also alle meteorologisch-astronomische Variabilität beschrieb und eben keine Konstante war, sondern sich praktisch täglich änderte.
Da alle einfallende Strahlung am Pyrhéliomètre in Wärme umgesetzt wird, können wir also auch schreiben:

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Formel 4

mit Fs dem solaren Fluss, FO der Solarkonstante, τ der Transmissivität der Atmosphäre bei einer optischen Dicke von 1 und ε eben der optischen Dicke. Na, und diesen Zusammenhang kennen wir natürlich vom Klassiker der Atmosphärenphysik, dem Lambert-Beerschen Gesetz der Abschwächung eines Lichtstrahls bei Durchlass durch ein absorbierendes Medium. Heute schreibt man das Lambert-Beersche Gesetz meist so:

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Formel 5

wobei k im Vergleich zur Formel 4 natürlich k=-log (τ) ist. Man kann dann diagnostisch die Transmissivität k aufteilen in einen Anteil verursacht durch Aerosole, H2O, N2O, Ozon, kurz alles was einen Sonnensrahl auf dem Weg durch die Atmosphäre so störend begegnen kann

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Bild 4: Vergleich von Pouillets Resultaten und seiner empirischen Formel mit den Resultaten eines modernen Strahlungstransportmodells. Den besten Fit erhält man mit einer Aerosol-Transmissivität von 0.2, während die Umgebungsalbedo nur eine geringe Rolle spielt.

Gut, Pouillet hat also eine Form des Lambert-Beerschen Gesetz gefunden und auf die Atmosphäre angewandt. Und was hat er nun für F0 in seinen Messungen gefunden? Nun, fast unglaubliche 1.7633 cal*min-1cm-2=1228 W/m2, 10% am besten heute gemessenen Wert von 1367W/m2 dran. Angesichts dieses einfachen Instruments wahrlich ein Volltreffer. Pouillets Resultat aus dem Jahr 1838 blieb jedoch lange Zeit ohne rechte Anerkennung, insbesondere weil ein paar Dekaden später Samuel Pierpont Langley, eine der damaligen Koryphäen der Strahlungsphysik, mit einem ungleich grösseren Aufwand (ich komme darauf in einem der nächsten Artikel zurück) ein vermeintlich präziseres Ergebnis erlangte, nämlich eine Solarkonstante von 2140W/m2. Dieser Wert Langleys, 1881 auf dem Mont Whitney (4420m) gemessen, blieb insbesondere auf Grund Langleys enormer Reputation für mehr als 20 Jahre bis ins frühe 20te Jhd. gültig.

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Bild 5:
Warum Pouillets bei der Ableitung der Strahlungstemperatur der Sonne ein paar tausend Kelvin daneben lag: Das damals geltende empirische Strahlungs-Temperatur Gesetz von Dulong-Petit überschätzt die Temperatur deutlich im Vergleich zu Stefan-Bolzmann.

Man mag sich nun fragen, ob Pouillet nicht einfach nur Glück gehabt hat? Die verschiedenen Transmissivitäten (insbesondere Aerosole) variierten doch auch im 19ten Jahrhundert schon ganz gewaltig. Jean-Louis Dufresne nahm zur Klärung dieser Frage ein modernes Strahlungsmodell und berechnete für die geschätzten Randbedingungen dieser Zeit (also einer bestimmte Aerosollast, Treibhausgase, Albedo) den Strahlungsfluss, der in ein schräg auf die Sonne ausgerichtetes Pyrhéliomètre einfällt. Bild 4 zeigt zum Vergleich Pouillets Messungen und seine empirische Formel 3 und die Resultate von Dufresnes Strahlungsrechnungen mit verschiedener Aerosolkonzentration und Albedo. Die Resultate zeigen, 1) dass seine Aerosol-Transmissivität von 0.2 die wahrscheinlichste (und nach heutigen Messungen absolut realistische) Lösung ist, dass 2) die Albedo der Umgebung des Pyrhéliomètre nur eine untergeordnete Rolle spielt und 3) dass in der Tat der ganze Versuchaufbau robuste Ergebnisse liefert und sehr gut mit dem heutigen Verständnis des Strahlungstransports übereinstimmt.

Schliesslich wollte Pouillets natürlich wissen, welcher Sonnentemperatur dieser Solarkonstante entsprächen. Er war sich schon darüber im Klaren, dass die damaligen Messungen nur bis ca. 1000K gingen und es gefährlich sein könnte, weit darüber hinaus zu extrapolieren. So nahm er dann, dass unter anderem von seinem Lehrstuhl-Vorgänger, Pierre Louis Dulong, mit aufgestellte Gesetz von Dulong-Petit, um vom Strahlungsfluss eines Körpers aus seine Temperatur zu schliessen. Bild 5 zeigt sehr schön, wie das lineare Emissionsverhalten nach Dulong-Petit für hohe Temperaturen immer mehr vom Stefan-Bolzmann Gesetz abweicht. Pouillet kam so auf eine Strahlungstemperatur der Sonne von ca. 1500K, während es doch in Wirklichkeit 5700K sind.

Kommentare (3)

  1. #1 Eddy
    Juni 29, 2009

    @Georg

    Vielen Dank für diesen sehr interessanten Beitrag!!!

    MfG
    Eddy

  2. #2 Christian A.
    Juni 29, 2009

    Dem kann ich mich nur anschliessen. Es ist schon fantastisch, mit welchen Mitteln die Leute früher die Ergebnisse erhalten haben.

  3. #3 Eddy
    Juni 29, 2009

    Noch eine Zusatzbemerkung:

    In unserer Schule (lycée) gab es einige sehr schöne und interessante Instrumente, z.B. auch eine der ersten elektronischen Rechenmaschinen (von der Grösse einer Schreibmaschine). Dass all diese wunderbaren Kostbarkeiten hinter den Türen der manchmal (gähnend langweiligen) Lehrer(zimmer) (professeurs) schlummerten konnten wir nicht ahnen. Leider haben wir damals nur einen sehr kleinen Teil der Instrumente und Apparaturen im Physikabstellraum vorgeführt bekommen.

    Ja, ich hab meine ganze Schulkarriere im LGL und der Primärschule nebenan “abgesessen”. Wir haben auch nur knapp 200 Meter davon entfernt gewohnt. Der ganze Schulkomplex hat sich seither kaum verändert.

    Sollten Sie das Museum einmal besichtigen wollen, können wir gern zusammen hingehen, wenn Sie mögen.

    MfG
    Eddy