Wir kennen alle irgendwoher Gezeiten – und sei es vom letzten Nordseeurlaub. Aber was heißt das eigentlich?

Für die allermeisten Menschen ist es seltsam, dass es zwei Gezeitenberge gibt. Es erscheint logisch, dass der Mond die ihm zugewandte Seite stärker anzieht als den Rest des Erdballs. Dieser Gezeitenberg ist völlig klar. Aber wie kommt dann der andere Gezeitenberg zustande, auf der genau entgegengesetzten Seite?

Dieser kommt eigentlich genauso zustande, wie der Berg auf der zugewandte Seite, nur dass wir hier eine wichtige Komponente des Ganzen übersehen haben, die neben der Anziehungskraft des Mondes wirkt – die Fliehkraft. Ein Tipp: Es geht nicht um die Fliehkraft aufgrund der Eigendrehung der Erde!

Fliehkraft? Welche Fliehkraft?(1)

Es heißt immer, dass sich der Mond um die Erde dreht. Tatsächlich aber dreht sich der Mond mit der Erde und zwar um einen gemeinsamen Angelpunkt, der auf der Verbindungslinie zwischen Erde und Mond liegt. Wir stellen uns mal eine Hantel mit jeweils einer Kugel an den beiden Enden vor und versuchen diese zu drehen. Wo müssen wir angreifen?

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Wenn beide Kugeln gleich schwer sind, müssen wir in der Mitte angreifen. Ist aber eine Kugel schwerer als die andere, rutscht der Angelpunkt bzw. Schwerpunkt des Systems zur schwereren Kugel hin. Genauso ist das auch beim Erde-Mond-System.

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Wenn wir jetzt die Hantel drehen, dann sehen wir, dass beide Kugeln Kreisbahnen beschreiben. Die kleine Kugel läuft auf einem großen Kreis und die große auf einem kleinen Kreis.

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So und jetzt betrachten wir mal im Detail, wie sich zwei unterschiedliche Punkte auf der blauen Kugel bewegen.

Der Gag an der Sache ist nämlich, dass nicht nur der Mittelpunkt der Erde selbst eine zugegebenermaßen recht kleine Kreisbahn beschreibt, sondern dass jeder Punkt in und auf der Erde ebenfalls eine Kreisbahn beschreibt und dass die Kreise genau gleich groß sind. D.h. die Fliehkräfte sind an jedem Punkt der Erde gleich.

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Die Anziehungskraft des Mondes ist dagegen nicht für jeden Punkt der Erde gleich, da die nämlich vom jeweiligen Abstand abhängt. Die dem Mond zugewandte Seite wird stärker angezogen, als der Mittelpunkt und die wiederum stärker als die vom Mond abgewandte Seite. Im Mittelpunkt der Erde gleichen sich Zentrifugalkraft und Anziehungskraft des Mondes genau aus. Auf der zugewandten Seite überwiegt die Gravitationskraft des Mondes, auf der abgewandten Seite dagegen überwiegt die Zentrifugalkraft. Und das führt letztendlich zur Ausbildung eines zweiten Gezeitenberges.

Übrigens: Die Erde ist etwa 80mal schwerer als der Mond und daher liegt im Erde-Mond-System der Schwerpunkt etwa 4 670 km vom Mittelpunkt der Erde entfernt. Der Erdradius beträgt aber 6 380 km, d.h. der Schwerpunkt befindet sich noch innerhalb der Erdkugel. Es sieht eher so aus, als ob die Erde ein wenig herumeiern würde.
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(1) In Wahrheit ist die Fliehkraft keine echte Kraft, sondern eigentlich Ausdruck der Trägheit. Kein Körper bewegt sich von sich aus auf einer Kurve oder gar im Kreis, man muss ständig eine Kraft ausüben, um den Körper in eine Kurve zu zwingen. Wenn diese Kraft verschwindet, dann fliegt der Körper aus der Kurve heraus.

Kommentare (8)

  1. #1 Robert Maderbacher
    Mai 15, 2008

    Hallo ich habe ihren Artikel sehr interssant gefunden !
    Nachträglich leider habe ich in Graz Betriebswirtschaftslehre studiert, im nächsten Wintersemester möchte ich jetzt mit Physik beginnen,naturwissenschaftliche Erkenntnisse interessieren mich mehr als dauernde Profitmaximierung und Kostenminimierung und so weiter.
    Ich hätte da eine Frage, es ist mir klar, dass die Mondaufgangs und- untergangszeiten überall auf der Welt unterschiedlich sind. Wie ist dies bei den Mondphasen, wenn ich jetzt in Graz am 20.Mai Vollmond habe , also momentan einen über Halbzunehmenden Mond. Ist die Mondphase auch in Amerika oder Asie gleich oder nicht ?
    kann man die Sonnenaufgangs- und – untergangszeiten bzw. die Mondaufgangs- und Untergangszeiten nach einer physikalischen Formel berechnen ? Spielen in dieser Formel auch der Längen- und Breitengrad eine Rolle ?
    danke , wünsche ihnen ein schönes Wochenende

  2. #2 Ludmila Carone
    Mai 16, 2008

    Robert, was soll ich dazu sagen? Ja, Jaund Ja.

    Aber wenn Du wirklich Physik machen möchtest, dann hast Du hier direkt Deine erste Aufgabe. Schließlich geht es darum zu lernen, wie man ein physikalisches Problem löst.

    Versuche Dir also die Bewegung des Mondes, der Sonne und der Erde rein geometrisch vorzustellen und vernachlässige in erster Näherung mal die Breitengrade. Dann messe in Graz an einem Tag die Zeit für Sonnenauf- und untergang und das gleiche für den Mond. So, wann geht die Sonne, der Mond demnach in Peking auf bzw. unter?

    Dann überlege Dir, dass sich alles dreht.
    Dann überlege Dir, dass Erde leicht geneigt um die Sonne rotiert.
    Dann überlege Dir, dass zusätzlich auch die Bahn des Mondes gegenüber der Erdbahn geneigt ist.

    Arbeite Dich Schritt für Schritt durch und versuche Dir das zu veranschaulichen mit Skizzen oder einem einfachen Modell und einer Lampe.

  3. #3 Anne
    März 12, 2009

    Gerade las ich diesen Artikel und bin begeistert. Schule ist lange her für mich und Astronomie war soweit ich mich erinnern kann kaum ein nennenswertes Thema im Unterricht.
    Gerade deshalb lese ich fasziniert solche Erklärungen. Nachdem ich das jetzt verstanden habe versuche ich mir vorzustellen wie kompliziert es wäre wenn die Erde mehr als einen Mond hätte; drei vielleicht oder fünf. Das würde die Gezeiten wohl ziemlich kompliziert machen. Irgendwie ein Wunder das sowas möglich ist und dazu noch in stabilen Bahnen verläuft.

  4. #4 Antonia Höfler
    September 3, 2009

    Hallöchen,
    wir sollen in der Schule ein Referat über die Gezeiten halten, aber verstehen leider nicht, warum auf beiden Seiten der Erde eine Flutwelle ist…wir können mit Begriffen wie Zentrifugalkraft nichts anfangen….Das Referat muss bis Dienstag, den 8.9.09 fertig sein…wäre echt nett, wenn du uns helfen könntest und einen Text schreiben würdest, den sogar wir verstehen…..Danke im Vorraus

  5. #5 Ludmila
    September 3, 2009

    @Antonia Höfler: Hallöchen. Aber Fliehkraft sagt Dir schon was, oder? Das ist nämlich dasselbe nur anders ausgedrückt. Fliehkraft = Zentrifugalkraft. Ansonsten nimm Wikipedia zu Hilfe.

    Viel Erfolg!

  6. #6 Annette
    April 3, 2011

    Hallo, eigentlich wollte ich wissen was Gezeiten sind!
    Aber egal…

  7. #7 Burkhard Breul
    Juli 23, 2011

    Guten Tag Frau Carone,
    der Flutberg auf der Mond zugeandten Seite müsste auf Grund der resultierenden Kräfte doch höher sein als auf der Mond abgewandten Seite ( nur kinetische und Gravitationskräfte betrachtet ) ?
    Mit freundlichen Grüßen
    B.Breul
    Nein, das ist er nicht. Schwer vorstellbar, aber Gezeitenkräfte sind die Differenz zwischen Anziehungskraft des Mondes und gefühlter Zentrifugalkraft, die sich ergibt, weil sowohl Mond als auch Erde um einen gemeinsamen Schwerpunkt kreisen. Auf der Mond zu gewandten Seite ist die Anziehungskraft einen Tick größer als die Zentrifugalkraft, auf der abgewandten Seite ist die Zentrifugalkraft einen Tick größer als die Zentrifugalkraft. Dieser Tick ist auf beiden Seiten genau gleich groß. Am besten mensch rechnet das mal mit nem spitzen Bleistift nach.

  8. #8 Gerdtiberti
    März 30, 2012

    Der Beitrag is echt geil