Ich bin (leider) noch einige Beiträge schuldig. Unter anderem wollte ich über die neuesten Ergebnisse von Venus Express berichten.

Ich beginne mit dem deutschen Radiowellenexperiment VeRa, das in unserem Institut in enger Zusammenarbeit mit dem Institut für Raumfahrttechnik an der Universität der Bundeswehr München betreut wird (Pressemitteilung).

Das Radiowellenexperiment untersucht unter anderem das Wetter auf dem Nachbarplaneten Venus. Dafür braucht man eine leistungsstarke Radioantenne und eine sehr stabile Sendeeinheit – einen ultrastabilen Oszillator (USO).
vera_experiment.jpg (Bild: ESA)
Dann wird die Antenne in Richtung Erde gedreht, wo leistungsfähige Radioteleskope die Wellen auffangen, und man lässt die Raumsonde von der Erde aus gesehen nach und nach hinter dem Planeten verschwinden. Dabei schickt man Radiostrahlen durch die Atmosphäre und sondiert praktisch die Luftschichten des Planeten Venus in unterschiedlichen Höhen. Radio-Okkulatation wird dieses Manöver genannt (1). Ein USO ist alleine deswegen nötig, damit man genau genug weiß, wie der Radiostrahl ursprünglich aussah. Nach Herausrechnen der Bewegung aller beteiligter Körper und der Erdatmosphäre bleibt als Ergebnis die Venusatmosphäre übrig.(3)
vera_atmosphere_in_out.jpg(Bild: Wikipedia.de)

Soviel zur Methode und jetzt zur Wissenschaft:
Kommen wir zunächst zu den Ergebnissen der Neutralatmosphäre, welche VeRa zwischen 50-100 km Höhen durchleuchtete (2). Dieser Bereich ist interessant, weil hier die mittlere Atmosphäre der Venus liegt, die einen Übergangsbereich zwischen Boden- und Höhenwetter darstellt.

Die Forscher kartierten unter anderem den Temperaturverlauf in unterschiedlichen geographischen Breiten und Höhen – und zwar jeweils für die Nacht- und die Tagseite.
vera_day_night.jpg. (Bild: RIU-PF)

Dabei bemerkten sie, dass der Südpol in etwa 63 km Höhe von einem Strudel kalter Luft umgeben ist – wie ein Kragen. Nachts ist diese Zone ausgeprägter als tagsüber und umfasst einen “Doppelstrudel” am Südpol, der von anderen Venus-Express-Instrumenten gesehen wurde (4). So etwas ähnliches gibt es auch auf der Erde: einen Polarwirbel, der von Jetwinden eingefasst ist.

Interessanterweise zeigen sich überraschende neue Erkenntnisse beim Studium der Mesoatmosphäre:
1. Die Lufttemperatur am Äquator ist in den tiefen Luftschichten etwa 40 Grad höher als am Pol. Das ist übrigens etwas, was die Sonde Pioneer Venus nicht gesehen hat. Hier kommt also Venus Express 15 Jahre später zu einem anderen Ergebnis. Dieser Temperaturunterschied zwischen Äquator und Pol ist insofern überraschend, wenn man sich klarmacht, dass ein Venustag sehr, sehr lange andauert. Genauer gesagt dauert er 116,75 Erdtage lang. Es ist also jeweils über 58 Erdtage lang hell oder dunkel (5). Andererseits ist von früheren Messungen bekannt, dass die Atmosphäre in 60-100 km Höhe sehr schnell rotiert und Windgeschwindigkeiten von bis zu 350 km/h vorherrschen. Die Wolken (aus Schwefelsäure) brauchen 4 Tage, um einmal den Planeten zu umkreisen. Die Oberfläche darunter kriecht dagegen geradezu dahin und Bodenwinde sind kaum vorhanden. Daher wird diese globale schnelle Umdrehung der oberen Luftschichten als Superrotation bezeichnet. Darüber herrscht Hadley-Zirkulation. D.h. am Äquator wird die Luft durch die Sonne erwärmt, steigt auf, fließt Richtung Pol, kühlt dort ab und fließt wieder Richtung Äquator, wo der Kreislauf von vorne beginnt.

Der Übergang zwischen Superrotation und unterer langsamer Atmosphäre ist genau der Bereich, in dem VeRa einen Temperaturunterschied zwischen Pol und Äquator gemessen hat.

2. Außerdem sieht VeRa in Höhen zwischen 63 -75 km innerhalb einer globalen Schwefelsäure-Wolkenschicht eine Schicht, in der die Temperatur mit zunehmender Höhe konstant bleibt – normalerweise wird die Luft mit zunehmender Höhe kälter.
vera_temperatur_profil.jpg(Bild: RIU-PF)
Zudem scheint diese Schicht nicht immer gleich auszusehen, wie man anhand der unteren Abbildung sieht:
vera_temperatur_profil_ausschnitt.jpg(Bild: RIU-PF)

Da ist also mehr Dynamik in der Atmosphäre, als man bisher dachte.

Das bestätigen auch die Profile der geladenen Atmosphäre, der so genannten Ionosphäre. Die Ausdehnung und Höhe (125-375 km) dieser Schicht auf der Venus ist zeitlich sehr variabel.
vera_ionosphere.jpg(Bild: RIU-PF)

Das liegt vermutlich daran, dass die Venus im Gegensatz zur Erde kein Magnetfeld besitzt und daher der Sonnenwind (6) hier direkt auf die Atmosphäre und dabei insbesondere auf die Ionosphäre prallt. Je nachdem wie stark dieser Druck ist, wird die Ionosphäre mehr oder weniger zusammengestaucht. Da der Sonnenwind selbst stark variieren kann – auch hier gibt es sowas wie Böen oder Flauten und sogar Stürme – verändert sich auch die Ionosphäre dementsprechend.

Auf jeden Fall ist die mittlere Venusatmosphäre und -ionosphäre dynamischer als bislang angenommen.
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The structure of Venus’ middle atmosphere and ionosphere, M. Pätzold et al., Nature, v 450, pp 658. 2007
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(1) Der deutsche Wikipedia-Eintrag zum Thema Radiookkultation ist übrigens ganz hervorragend. Ein ehemaliger Diplomand unserer Gruppe hat sich die Mühe gemacht hat, diesen Eintrag zu verfassen. Hat er ganz toll gemacht.
(2) Unter 50 km ist die Luft so dick, dass der Radiostrahl einfach verschluckt wird und gar nicht mehr bis zur Erde kommt und über 100 km ist die Atmosphäre so dünn, dass der Einfluss der ungeladenen Luftteilchen auf den Radiostrahl sehr gering ist.
(3) Ja, es ist so kompliziert, wie es sich anhört.
(4) Dazu mehr in einem weiteren Beitrag.
(5) Venus rotiert sehr, sehr langsam und außerdem noch “falsch” rum. Die Sonne geht auf der Venus im Westen auf und im Osten unter.
(6) Der Sonnenwind ist ein Strom geladener Teilchen, der ständig von der Sonne ausgestoßen wird. Für Astronauten kann insbesondere starker Sonnenwind sehr gefährlich sein. Denn im Grunde genommen handelt es sich dabei um natürliche radioaktive Strahlung, vor der wir größtenteils durch das Erdmagnetfeld aber auch durch unsere Atmosphäre und hier insbesondere die Ionosphäre geschützt sind. Deswegen müssen auf jeden Fall für eine bemannte Mars-Mission geschützte Schutzräume eingeplant werden. Selbst auf der ISS gibt es spezielle geschützte Bereiche für den Fall eines Sonnenwindsturms.

Kommentare (1)

  1. #1 Frank Quednau
    Dezember 11, 2007

    Danke für die Informationen. In den Medien ist der Mars für gewöhnlich viel präsenter – da ist es schön, mal etwas über die Venus zu erfahren!