Blogging on Peer-Reviewed Research
Nachdem ich zuletzt die Ergebnisse des Radiowellenexperiments VeRa vorstellte, bietet sich förmlich eine Staffelübergabe an. Das SPICAV-Experiment vermisst nämlich mit einer anderen Methode die nächsthöher gelegene neutrale Atmosphärenschicht der Venus: Die in 80-120 km Höhe.(1)

Die folgende Animation der ESA zeigt, wie SPICAV grundsätzlich funktioniert: stellar_occultation.mov

Es werden bestimmte Sterne ausgesucht und beobachtet, was mit dem Licht passiert, wenn der Stern von Venus Express aus gesehen hinter dem Planeten untergeht. Dabei durchqueren die Lichtwellen die Atmosphäre und bestimmte Farben werden von den Luftschichten geschluckt bzw. absorbiert. Diese geschluckten Farben sind ganz typisch für bestimmte Moleküle. Sie stellen quasi einen Fingerabdruck dar, anhand dessen sich die Zusammensetzung der Luft bestimmen lässt. Diese Technik wird stellare Okkultation genannt. Natürlich kann auch die Sonne selbst als Referenzstern dienen. Sie muss es auch, wenn man die Tagesatmosphäre der Venus untersuchen möchte.

Den französischen Forschern unter Leitung von Jean-Loup Bertaux gelang es so den Temperaturverlauf auf der Nachtseite in 80-120 km Höhe zu vermessen. Dabei gab es eine Überraschung in 80-100 km Höhe. Anstatt dass die Temperatur mit zunehmender Höhe abfällt oder konstant bleibt, wie es die grüne Kurve vorhersagt, findet sich stattdessen an dieser Stelle eine Schicht wärmerer Luft (der lila umrandete Bereich im Bild unten).(2)
spicav_temperatur_profil.jpg(Bild: ESA)

Diese warme Schicht wärmeren Gases ist früheren Raumsonden einfach entgangen, weil frühere Experimente in diesen Höhen gar nicht oder nur schlecht messen konnten.(3)

Doch wodurch wird diese Schicht während der über 58 Erdtage währenden Venusnacht erwärmt?

Die Forscher vermuten, dass es in diesen höheren Lagen starke Winde gibt, welche Luft von der Tagseite zur Nachtseite transportiert und umgekehrt. Auf der Nachtseite senkt sich diese Lufttasche und taucht in tiefere Schichten ab, wo sie aufgrund des größeren Drucks in der unteren Atmosphäre zusammengedrückt wird. Was passiert noch mal, wenn man Luft schnell genug zusammendrückt? Z.B. in einer Luftpumpe? Sie wird warm. Es ist allerdings noch offen, ob diese warme Schicht immer da ist oder nur sporadisch unter den richtigen Bedingungen auftaucht, wie Bertaux et al. vermuten.

Abgesehen von der warmen Schicht auf der Nachtseite hat SPICAV zudem gemessen, was mit dem Wasserstoff passiert. In höheren Luftschichten (80-120 km) werden nämlich wasserstoffhaltige Verbindungen wie Schwefel-, Fluorwasserstoff und Wasser (normales und schwereres) durch UV-Strahlung förmlich zerschlagen. (4) Dadurch fliegt das Wasserstoff bzw. die schwere Version – das Deuterium – frei herum und kann leicht ins Weltall entweichen. Wodurch sich unter anderem zum Teil erklären ließe, warum Venus ganz im Gegensatz zur Erde so ein staubtrockener Planet ist.

Erstaunlicherweise maßen die SPICAV-Forscher, dass zwischen 80 und 90 km weniger Wasser da ist, als eigentlich da sein sollte.

Warum? Gute Frage! Eine Erklärung gibt es dafür bisher nicht.

Abgesehen davon verteilt sich das Wasser recht regelmäßig mit der Höhe. Es gibt auch keinerlei Anzeichen für Wasserwolken oberhalb von 110 km Höhe. Aber dafür maßen die Forscher, dass mit zunehmender Höhe der Anteil an schwerem Wasserstoff wächst. Weil vielleicht leichteres Wasserstoff eher entweicht als schweres? Oder wird halbschweres Wasser nur leichter von UV-Strahlung zerschlagen, so dass mehr davon in freier Form verfügbar ist? Um das zu klären, müsste man in den äußersten Venusluftschichten nachsehen, ob Wasserstoff tatsächlich leichter entweicht.

Tja, offensichtlich gibt es noch viel zu tun.
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A warm layer in Venus’ cryosphere and high-altitude measurements of HF, HCl, H2O and HDO, Jean-Loup Bertaux et al., Nature 450,pp 646, 2007; doi:10.1038/nature05974
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(1) Soviel Glück hat man nicht immer. Bei Mars Express z.B. klafft aufgrund der sehr dünnen Atmosphäre des Marses eine Lücke zwischen den Luftschichten, welche das Radiowellenexperiment MaRS und das Sternokkultations-Experiment SPICAM dort untersuchen kann.
(2) Wenn der “normale” Temperaturverlauf sich auf einmal umkehrt, wird folgerichtig von einer Inversionsschicht gesprochen. Auf der Erde ist z.B. Ozon für eine solche Inversion verantwortlich. Das Ozon schluckt bekanntlich UV-Strahlung und damit auch sehr viel Energie, welche die Ozonmoleküle in Form von Wärme an die umgebende Luft abgeben.
(3) Ist doch wieder mal typisch. Da schaut mal einmal nicht genau hin oder tut es als unwichtig ab und schon verpasst man einen interessanten Aspekt.
(4) Ja, Wasser ist nicht gleich Wasser: Es gibt schwereres Wasser als das normale H2O. Das liegt daran, dass es verschieden schwere Versionen von Wasserstoffatomen gibt. Das Deuterium z.B. verhält sich in fast allen Bereichen wie normales Wasserstoff. Es schleppt aber als Ballast noch ein Neutron im Kern mit rum.