Was, wirklich schon ein halbes Jahrhundert? Zugegeben, ich hatte zum ersten Mal von diesem Effekt sowie der Chaostheorie generell vor rund 20 Jahren, bei der Lektüre des Michael-Crichton-Bestsellers Jurassic Park (zu Deutsch: DinoPark), gelesen. Und so sehr mich die Figur des skeptisch-sarkastischen Mathematikers Dr. Ian Malcolm fasziniert hat – irgendwie kamen mir all die Worte, die Crichton ihn sagen ließ, eher wie wichtigtuerisches Partygeschwätz vor. Außerdem fand ich die Sache mit der Dino-DNA viel spannender.

Äh, ich schweife ab
… zurück zum Schmetterlingseffekt: Dass dieser sein 50. Jubiläum feiern kann, entnehme ich einem Artikel in der Technology Review des Massachusetts Institute of Technology: When the Butterfly Effect Took Flight

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von Peter Dizikes (dessen Inhalt ich hier im Wesentlichen nacherzählen werde). Und laut dem begann alles wirklich vor 5 Jahrzehnten, an einem Wintertag 1961. Der MIT-Meteorologe Edward Lorenz (Foto: MIT) arbeitete mit einem Computer-Simulationsprogramm für Wetterlagen; er hatte gerade Daten für zwölf Variablen (Temperatur, Windgeschwindigkeiten etc.) in den Rechner gefüttert, und ging sich die obligatorische Tasse Kaffee holen (was 1. angesichts der deutlich langsameren Rechner-Geschwindigkeiten jener Tage durchaus plausibel ist und 2. leider sehr nach der alten Labor-Zufalls-Entdeckungs-Legende® klingt). Und als er zurück kam, da erlebte er eine Überraschung …

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Eigentlich hatte er nur eine frühere Simulation wiederholen wollen. Aber diesmal hatte er für eine der Variablen den Wert von 0,506127 auf 0,506 abgerundet. In einer deterministisch geprägten Welt (wo gleiche Ursachen immer gleiche Wirkungen haben, und sich umgekehrt aus aktuellen Zuständen eindeutige, zuürck liegende Ausgangszustände ermitteln lassen müssten) dürfte so eine kleine Rundung auch nur einen kleinen Effekt auf das Resultat haben – doch als Lorenz mit seinem Becher Kaffee zurück kam, fand er, dass dieser Rundungsfehler, auf zwei Monate hochgerechnet, zu einer grundlegend anderen Wetterlage geführt hatte. Doch anstatt zu schimpfen, dass er nun alles noch mal von vorne eingeben müsste (was wohl bei vielen die nächstliegende Reaktion gewesen wäre), begann Lorenz nachzudenken, was es wohl bedeuten müsse, wenn so eine kleine Differenz in der Ausgangslage so drastische Konsequenzen beim Resultat zeigen kann. Das Ergebis dieser Überlegungen kondensierte sich in den folgenden Monaten zu einem Paper über

Deterministic Nonperiodic Flow

(pdf), das im November 1962 beim Journal of the Atmospheric Sciences eingereicht und im Januar 1963 veröffentlicht wurde (nebenstehend die erste grafische Darstellung des so genannten Lorenz-Attraktoren aus diesem Paper). Sein Fazit:

When our results concerning the instability of nonperiodic flow are applied to the atmosphere, which is ostensibly nonperiodic, they indicate that prediction of the sufficiently distant future is impossible by any mehtod, unless the present conditions are known exactly. In view of the inevitable inaccuracy and incompleteness of weather observations, precise very-long-range forecasting would seem to be non-existent.

Mit anderen Worten: Deterministische Modelle für nichtlineare Phänomene wie das Wetter funktionieren, wenn überhaupt, dann nur kurzfristig

Es wäre nun aber übertrieben zu behaupten, dass dieses Paper – das neben dem Dreikörperproblem Henri Poincarés (Hilfe, hat jemand mal ‘nen Schnorchel? Ich verlasse gerade definitv meine Schwimmtiefe!) praktisch die Wurzeln der Chaostheorie legt – gleich für Aufregung in der Wissenschaft gesorgt hätte. Heute gilt die Chaostheorie, neben der Relativitätstheorie und der Quantentheorie, als einer der größten wissenschaftlichen Durchbrüche des 20. Jahrhunderts – aber erst mal schien die Bedeutung, wie der Flügelschlag eines Schmetterlings, beinahe unbemerkt zu verfliegen: Lorenz’ Arbeit wurde in den folgenden Jahren außerhalb der Wetterforschungs-Literatur gerade drei Mal zitiert.

Warum eigenlich nicht “Möwentheorie”?

Aber wo kommt denn nun der Schmetterling konkret her? In dem Paper aus dem Jahr 1963 wird die Metapher nicht verwendet – aber angeblich soll Lorenz damals in einer Anmerkung gesagt haben: “Ein Meteorologe bemerkte, dass wenn diese Theorie korrekt wäre, dann könnte der Flügelschlag einer Möwe den Wetterverlauf für immer verändern.” Laut Wikipedia stammt dieser Spruch aus dem Paper, das Lorenz 1963 der New York Academy of Science vorgelegt hat – der Haken ist, dass es – wie weiter oben schon erwähnt – im Journal of the Atmospheric Sciences erschien, und das wird von der American Meterological Society herausgegeben. Tatsächlich taucht der Schmetterling erstmals im Titel des Vortrages auf, den Lorenz schließlich im Jahr 1972 auf der Jahrestagung der American Association for the Advancement of Science hielt: “Predictability: Does the Flap of a Butterfly’s Wings in Brazil Set Off a Tornado in Texas?”

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Kommentare (4)

  1. #1 Dr. Webbaer
    3. März 2011

    irgendwie kamen mir all die Worte, die Crichton ihn sagen ließ, eher wie wichtigtuerisches Partygeschwätz vor

    Crichton war 2004 mit seinem Roman World of Fear übrigens auch politisch-ökologistisch inkorrekt; er hielt zudem auch eine Prognostizierbarkeit eines Klimawandels für unwissenschaftiich, zumindest die aktuelle.

    Denn obwohl Lorenz “nur” Meteorologe war und letztlich die Unvorhersagbarkeit des Wetters begründet hat

    Sagen wir mal: Die Unvorhersehbarkeit des Wetters ab einem bestimmten Zeitpunkt (9 Tage wird hier oft genannt), das Wetter gilt an sich schon als vorhersehbar, nicht aber das Klima in einigen Wochen oder Monaten (in Jahren gemessen angeblich schon – man spricht hier auch von einer Prognoselücke). – Ob Lorenz das Weltklima tatsächlich als vorhersehbar verstanden hat, wird Dr. W bei der Lektüre von “Nondeterministic theories of climate change” beizeiten prüfen, danke für den Hinweis, und sich vermutlich dazu später noch melden.

    Dass chaotische (“chaotische”) Systeme trotz grundsätzlich als gegeben zu betrachtender deterministischer Funktionsweise zu Ereignissen wie dem beschriebenen Schmetterlingseffekt [1] tendieren (alles was in der Welt passiert, ist soz. unglaublicher Zufall und in dieser Form soz. sehr sehr unwahrscheinlich), war aber schon vor Erfindung des Schmetterlingseffekts (Lorenz schrieb ursprünglich “Möwe”, korrekt) bekannt. So hat sich die Weltliteratur schon ihre Gedanken gemacht über den Zufall, dass bspw. ein Herrscher eine schwere Kinderkrankheit knapp überlebte, um dann brutalstmöglich und erfolgreich zu herrschen beispielsweise.
    Auch bei Leuten wie Lenin oder Hitler, also den beiden Stellvertretern der großen Sozialismem fragt sich der eine oder andere, ob diese ersetzbar waren oder ob man genau diese Charaktere brauchte…

    Wie so oft: ein guter interessanter Artikel
    MFG
    Dr. Webbaer

    [1] Der Schmetterlingseffekt ist halt so wunderbar griffig.

  2. #2 Ulrich Berger
    3. März 2011

    Schöner Artikel! Einen Einwand hab ich aber:

    Heute gilt die Chaostheorie, neben der Relativitätstheorie und der Quantentheorie, als einer der größten wissenschaftlichen Durchbrüche des 20. Jahrhunderts.

    Das würde ich niemals unterschreiben. Chaostheorie ist ein Teilgebiet der angewandten Mathematik, das in den 80ern unheimlich populär wurde, weil man damit wunderschöne Bilder produzieren kann. Sie hat einige elegante und mathematisch interessante Resultate hervorgebracht und sich dann in diverse Teildisziplinen aufgespalten. Der Begriff “Chaostheorie” selbst wird in Fachkreisen schon lange nicht mehr benutzt, er lebt aber in der Öffentlichkeit weiter.

  3. #3 KommentarAbo
    3. März 2011

  4. #4 Florian Freistetter
    3. März 2011

    @Ulrich: Richtig. “Die Chaostheorie” im Sinne von “Relativitätstheorie” oder “Quantentheorie” gibt es nicht wirklich. Das ist kein eigenständiges Theoriegebäude…