Als Journalist dürfte ich auf meine Frage eigentlich nur eine Antwort gelten lassen: Klar, Wissenschaft muss spannend sein. Wie soll ich sie sonst meinen Lesern verkaufen, wie in knackige Schlagzeilen und pralle Sprachbilder verpacken? Aber spätestens das Debakel mit Darwinius massilae (oder wie auch immer diese Spezies am Ende heißen wird) hat mich überzeugt: Wissenschaft muss nicht spannend sein – im Gegenteil. Interessant sollte sie sein, das schon. Aber spannend? Das klingt nach Indiana Jones, nach sensationellem Durchbruch, nach weltverändernder Entdeckung … nach Unterhaltung, eben.

Ich bin ja nur ein Zaungast im Wissenschaftsbetrieb und habe daher sicher eine andere Wahrnehmung, aber aber wenn ich durchs Journal of the American Medical Association oder das New England Journal of Medicine blättere, durch ScienceNews und was Nature an News gesammelt hat, oder wenn mir anschaue, was täglich an Forschungsresultaten publiziert wird (hier zum Beispiel), dann finde ich das alles meist unaufregend; Angst, dass diese Lektüre meine Puls- und Atemfrequenz ebenso wie meinen Adrenalinspiegel unerwartet in die Höhe treibt, muss ich eigentlich nie haben. Und das ist gut so.

Denn Wissenschaft, die nach der Sensation schielt, ist – wie die Erfahrung zeigt (kalte Fusion ist hier immer noch das Jahrhundertbeispiel) – bestenfalls schlechte Wissenschaft und schlimmstenfalls gar keine. Und Sensationen sind eh’ wie Top-10-Hits: Man kann sie nicht planen, und je mehr man es versucht, desto schlechter werden sie. Darwinius massilae wäre eine schöne Geschichte gewesen:  Über das Fossil, das nach Jahrzehnten in der Schublade “entdeckt” wird und neues Licht auf die Evolution der Primaten werfen könnte, hätte ich auch ohne den Hype gerne geschrieben. Aber aufdekoriert als “missing link”, als “größte Entdeckung seit 47 Millionen Jahren” wurde die Story zum kaum noch genießbaren Äquivalent einer mit Senf und Honig gefüllten, mit Schokoladensirup, Sahne und Mixed Pickles garnierten hauchdünnen Crepe.

Das Missverständnis hier ist, dass manche (hoffentlich nur manche!) Wissenschaftler glauben, man müsse heute halt viel lauter Trommeln, um noch in der sensationsübersättigten Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden:

“Any pop band is doing the same thing,” said Jorn H. Hurum, a scientist at the University of Oslo who acquired the fossil and assembled the team of scientists that studied it. “Any athlete is doing the same thing. We have to start thinking the same way in science.”
Joern Hurum in der New York Times

Doch in diesem Fall sind die Wissenschaftler, um bei Hurums Bild zu bleiben, nicht die Band, sondern die Komponisten – nicht die Interpreten, sondern die Urheber. Außerdem wird sowieso nicht jedes Musikstück allein schon dadurch besser, dass man es schriller oder lauter spielt. Und ein Athlet kann noch so viele Siege verkünden – so lange ihm vor der Ziellinie die Luft ausgeht, wird er nie ein Star.

Und überhaupt finde ich, dass man sich hier die Arbeit ganz leicht teilen kann: Der Wissenschaftler liefert die (interessanten) Informationen – für die Story sorgen dann die Medien. Und wenn dabei mal eine echte Sensation rauskommt, dann ist das sicher nicht schlimm. Aber nötig ist es nicht.

flattr this!

Kommentare (15)

  1. #1 Fischer
    22. Mai 2009

    Stellen wir uns doch mal ganz naiv:
    Wollte das, worüber ein Journalist berichtet, nicht zu allererst einmal wichtig sein? Und ist es nicht eher unsere Aufgabe (und letztendlich unsere Existenzberechtigung), das Wichtige spannend zu machen?

    OK, Naivität wieder aus: Das eigentliche Problem bei der Inszenierung um Darwinius sehe ich ja eher darin, wie bereitwillig die meisten Medien die PR geschluckt haben, weil eben schon ne fertige Story, bunte Bilder, Interviewpartner und so weiter mitgeliefert wurden.

    Es ist schon bemerkenswert, mit welcher Routine geschickte PR-Leute den Medien ihre Themen und die dazu passende Berichterstattung vorgeben konnten.

  2. #2 Jürgen Schönstein
    22. Mai 2009

    @Fischer

    Wollte das, worüber ein Journalist berichtet, nicht zu allererst einmal wichtig sein? Und ist es nicht eher unsere Aufgabe (und letztendlich unsere Existenzberechtigung), das Wichtige spannend zu machen?

    Eben. Meine Worte …
    Aber ich würde die “Link”-Nummer um Darwinius eher als ein Beispiel für letztlich missglückte PR sehen – zumindest in den USA wurde die “Sensation” dann doch fast zum Rohrkrepierer .

  3. #3 Erwachsener
    22. Mai 2009

    Das selbstgefällige Medien-Bashing auf vielen Seiten von Science-Blog ist nicht nur albern, sondern auch entlarvend: Die Selbstgerechtigkeit zeugt von jener Ignoranz, die dazu beiträgt, dass Wissenschaft in der Öffentlichkeit oft ungenügend dargestellt wird.
    Das ist aber ein langes Thema, das ich mit Sicherheit nicht auf Science-Blogs besprechen möchte, wo sich üblicherweise alle Science-Blogger gemeinsam mit Hähme und Polemik auf Kritiker in ihren Postings stürzen.
    Arme Wissenschaftler…

  4. #4 Thilo
    22. Mai 2009

    @ Erwachsener: Raten Sie mal, was Herr Schönstein und Herr Fischer beruflich machen. (Oder schauen Sie nach.)

  5. #5 Erwachsener
    22. Mai 2009

    @Thilo

    Was hat der Beruf der beiden Herren mit dem Inhalt meines Postings zu tun?

    Mein Posting richtete sich an das Thema, das Herr Schönstein aufgeworfen hatte.

  6. #6 Erwachsener
    22. Mai 2009

    @Thilo

    Was hat der Beruf der beiden Herren mit dem Inhalt meines Postings zu tun?

    Mein obiges Posting betrifft das Thema, das Herr Schönstein aufgeworfen hatte.

  7. #7 Thilo
    22. Mai 2009

    Na ja, den Vorwurf des selbstgefälligen Medien-Bashings ausgerechnet an einen hauptberuflichen Focus-Redakteur zu richten, hat schon unfreiwillige Komik.

  8. #8 Rincewind
    22. Mai 2009

    @Thilo: Erwachsener hat sicher klargesehen und dann quergedacht.

  9. #9 Marcus Anhäuser
    22. Mai 2009

    ob etwas spannend ist, liegt ja oft auch im Auge des Betrachters. Das Spannende (und weil es so abgegriffen ist vielleicht besser Staunenswerte) in der Wissenschaft bleibt den Laien auf den ersten Blick oft verborgen. Und wie Jürgen und Fischer schreiben, ist es u.a. unser Job das Spannende/Staunenswerte an der Geschichte freizulegen.

    @Fischer
    *wie bereitwillig die meisten Medien die PR geschluckt haben, weil eben schon ne fertige Story, bunte Bilder, Interviewpartner und so weiter mitgeliefert wurden.*

    ich glaube in dem Fall hat das auch viel mit den beteiligten Firmen zu tun: National Geographic ist eine Marke, der die meisten Mainstreammedien vertrauen und wenn BBC o.ä. mit dabei sind. Und ein Buch usw. Wer die Wissenschaft nicht überprüfen kann, orientiert sich an Surrogatmarkern, nach dem Motto: Wenn die sich schon ins Zeug legen (Attenbourrogh war auch dabei, oder). “Das würden die nicht alles veranstalten, wenn da nichts dran wäre” usw. usw.

    Wobei gerade National Geographic: Das ist nicht das erste Mal, das die so daneben hauen. Es gab diese Geschichte mit diesem ägyptischen Chefarchäologen und der Liveübertragung aus der Cheopspyramide. Da wurde am Ende eines Schachts ein Loch in die Wand gebohrt, und spekuliert, was dahinter alles sein könnte. Und was war?Nichts.

  10. #10 Erwachsener
    22. Mai 2009

    @Thilo
    (“Na ja, den Vorwurf des selbstgefälligen Medien-Bashings ausgerechnet an einen hauptberuflichen Focus-Redakteur zu richten, hat schon unfreiwillige Komik.”)

    Wenn man so unpräzise denkt, wie Sie, endet jede Diskussion auf der persönlichen Ebene. Ich habe nicht Herrn X oder Y angegriffen, sondern bin auf die Thesen des Herrn Schönsteins eingegangen, habe die Thesen aufgegriffen.

    If you want Gelaber, read Blog-Postings.

    Dass es tatsächlich mal eine Zeit gab, in der diskutiert wurde, blogs könnten den sogenannten Qualitätsmedien Konkurrenz machen, ist lustig.

  11. #11 Jürgen Schönstein
    22. Mai 2009

    @Marcus
    Nur damit die Mitleser nicht verwirrt werden: Am Darwinius-Coup waren weder National Geographic noch die BBC beteiligt – das lief über den Spartensender A&E Entertainment (ein Jointventure von Disney-ABC, NBC und dem Hearst-Verlag), genauer gesagt, über dessen Kanal History Channel.
    @Erwachsener
    Man sollte enthusiastisch geführte Diskussionen nicht mit “bashing verwechseln. Ich für meinen Teil (und ich müsste ja in diesem Fall zu den “Gebashten” zählen) komme damit bisher ganz gut zurecht …

  12. #12 Marcus Anhäuser
    22. Mai 2009

    @Jürgen
    äh, ich nehme alles zurück … Ich hab doch … verdammt.

  13. #13 Marcus Anhäuser
    22. Mai 2009

    als Entschädigung noch einen Link zu Carl Zimmer, der das ganze aus Sicht eines Wissenschaftsjournalisten nachzeichnet, der gewohnt ist frühzeitg an das Paper (unter Embargo) zu kommen um unabhängige Meinungen einzuholen, was aber diesmal nur unter eigenartigen Umständen möglich war.

    https://blogs.discovermagazine.com/loom/2009/05/21/science-held-hostage/

    Darunter auch ein Zitat von Gingerich:
    ““There was a TV company involved and time pressure. We’ve been pushed to finish the study. It’s not how I like to do science.”

  14. #14 Fischer
    22. Mai 2009

    @Jürgen:
    Es stimmt natürlich, dass nicht jedes Medium die PR reproduziert hätte (das wäre auch ziemlich peinlich für die Branche). Kritische Untertöne finden sich zumindest in einem großen Teil der Artikel. Trotzdem ist das Thema – mit Relativierungen – natürlich insgesamt schon so hochgehängt worden, wie die Kampagne das beabsichtigt hat.

    Vergleicht man das mit dem Anspruch des Journalismus, Themen zu filtern und zu setzen, dann ist das schon bedenklich. Es ist ja insgesamt nicht gerade selten, dass Themen nicht von Journalisten gesetzt werden, sondern von interessierten Parteien. Ich weiß natürlich selbst wie das zustande kommt, dass z.B. irgendwelche Sprüche auf einer Bühne der Aufmacher auf der Politikseite sind oder so, aber unbehaglich ist mir dabei schon.

  15. #15 Andrea N.D.
    25. Mai 2009

    Es liegt an den einzelnen Personen und was sie daraus machen. Wissenschaftsjournalisten mit der entsprechenden Neugier und dem Rüstzeug, das in ihrem Job notwendig ist, können die unter Umständen trockenen und für Laien unverständlichen Texte und Ergebnisse der Wissenschaftler gut lesbar für ein breites Publikum aufbereiten. Sensationsschreiber, die nicht genug auf wissenschaftlichem Gebiet ausgebildet sind und im schlimmsten Fall auch noch einer bestimmten Richtung angehören, können diese Art des Journalismus leicht in Misskredit bringen. Wenn ich mir einige Debatten hier auf SB ansehe, scheint das leider schon geschehen zu sein. Am Ende klafft ein Spalt zwischen Öffentlichkeit / Vermittler / Wissenschaftler, der nur durch guten Journalismus wieder zu kitten ist. Misstrauen gegenüber wissenschaftlichen Ergebnissen entsteht leider oft auch durch Vermittlung. Diese muss auch so professionell sein, dass durch das Revidieren von Theorien / Thesen oder deren Erneuern aufgrund neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse (ich habe immer den Eisengehalt von Spinat im Kopf) das Ansehen der Wissenschaft generell nicht leidet.