Endlich bringt der Mai mal warme Mittagsluft, und was passiert? Ich komme kaum aus meinem Bürohaus raus, weil sich davor die Akademiker drängeln. Denn es ist mal wieder die Studienabschluss-Saison, und die wird an US-Unis gerne groß gefeiert, in so edlen Räumen wie der New Yorker Radio City Music Hall, 29 Stockwerke unterhalb meines Büros. Ist schon ein beeindruckender Anblick, wenn sich da ein paar tausend Studenten versammeln, in bunten Talaren und mit passenden “Doktorhüten” – die hier ihren Namen eigentlich nicht verdienen, da sie selbst den Absolventen einer Vorschulklasse schon aufgesetzt werden und typischer Weise eben nicht auf den Köpfen frisch gekürter Doktoren zu finden sind und daher lieber salopp als

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“Mortar Boards” (Mörtelbretter, nach einer sehr ähnlich geformten, speziellen Maurerkelle) bezeichnet werden. Selbst die Familien kommen selbstverständlich nur im feinsten Gewand zur Feier.

Und man muss gar kein Akademiker sein, um sich mit Talar und Hut zu zieren: Vorschulklassen, Volksschulklassen, Mittelschüler, Highschooler – jeder Abschnitt im Bildungsleben wird als “Graduation” gefeiert. Da rümpft man als Mitglied der oberen deutschen Bildungskruste schon gerne mal die Nase: Pah! Verkleidungsspielchen sind das, Maskenbälle! Dass so etwas inzwischen auch in Deutschland gemacht wird, könnte man allenfalls als Beleg dafür gelten lassen, dass Amerikanismen einfach nur unsere Kultur verderben. Stimmt doch, oder?

Ich gebe zu, dass die Graduation-Zeremonie einer Bibelschule (so was gibt’s wirklich) im ersten Moment wie eine Persiflage auf akademische Rituale und letztlich wie eine Abwertung der akademischen Errungenschaften interpretiert werden kann. Dass für diese Feiern zudem gerne prominente Festredner – mal solche mit echten Vorbildfunktionen, wie etwa US-Präsidenten, Nobelpreisträger, Politiker, Wissenschaftler (manchmal auch Kombinationen derselben) und, jawohl, auch Journalisten; mal Hollywood-Prominenz mit zweifelhafter akademischer Vorbildfunktion – geladen und meist noch mit Ehrendoktorwürden belohnt werden, scheint den Showcharakter dieser Zeremonien nur zu unterstreichen.

Aber wenn man mich fragt: Ich hätte so eine Feier allemal dem deprimierend unfeierlichen Abschluss meines Studiums vorgezogen. Die Benachrichtigung, dass ich meine Diplomprüfung bestanden hatte, kam per Postkarte, mit der Aufforderung, mein Zeugnis im Sekretariat des Instituts abzuholen. Dort wartete ein brauner Umschlag auf mich, den ich allerdings nur gegen Vorlage meines Studentenausweises (als ob ich hier nicht ein paar Jahre meines Lebens ein- und ausgegangen wäre) und vor allem der “Entlastungsstempel” aller einschlägigen Hochschulbibliotheken – als Nachweis, dass ich alle Bücher zurück gegeben und alle eventuellen Mahngebühren bezahlt hatte – ausgehändigt bekam. Krönung dieser unzeremoniellen Zermeonie war meine Unterschrift unter der Empfangsbestätigung sowie ein nicht unfreundliches, aber ansonsten eher teilnahmsloses “Viel Glück!”einer Aushilfssekretärin, die sich danach auch gleich wieder ihrerm Papierkram zuwandte. Das war’s, so endete mein Studentendasein.

Andererseits war da auch nicht viel, das es zu feiern gab – “arbeitsloser Akademiker” war in den 80-ern ein Pleonasmus, ein bezahlter Praktikumsplatz bereits ein größerer Glückstreffer. Wer einen Job – irgend einen Job – in der Tasche hatte, zählte zur Elite. Mehr als die Gewissheit, dass nun erst mal das Leben, wie ich es kannte, vorbei sein würde, konnte mir dieser Abschluss damals nicht bieten. Daher wohl auch das Wort “Abschluss”.

In den USA hingegen spricht man hier lieber davon, dass etwas beginnt: “Commencement” ist oft gebräuchlicher noch als “Graduation”. In Zeiten der Wirtschaftskrise und steigender Arbeitslosigkeit ist das vermutlich für manche auch nur ein Euphemismus mit negativer Tendenz. Aber dieser Tag heute gehört ihnen – heute dürfen sie sich feiern lassen. Viel Glück!

 

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Kommentare (2)

  1. #1 Alexander Knoll
    21. Mai 2009

    Da brauchst du dir keine Sorgen machen, zumindest was das Diplom angeht ist das hier in Deutschland auch heute immer noch so (zumindest bei uns).

  2. #2 JörgR
    21. Mai 2009

    Beim Diplom gab es eine anegnehme Verleihungsfeier, das fand ich ganz gut, aber meine Doktorurkunde habe ich zugeschickt bekommen. Das vielleicht wichtigste Dokument meines Lebens ist so lieblos gestaltet, dass ich heulen mag. Dass sie für alles die gleiche Schriftart verwendet haben ist grad alles was man gutes dazu sagen kann.
    Wenigstens habe ich einen ausgesprochen coolen Hut gebastelt bekommen 🙂