Als ich heute Morgen* erfuhr, dass Paul Krugman den Nobelpreis für Wirtschaft erhalten wird, war meine Reaktion etwa so als ob mir jemand gesagt hätte, Joachim Kaiser sei mit einem Grammy für das beste Klavierkonzert ausgezeichnet worden – seine publizistische Leistung hatte mich völlig übersehen lassen, dass er auch “nebenbei” ein forschender Akademiker ist.
* (wir kriegen wegen der Zeitverschiebung alles mit sechs Stunden Verspätung gegenüber Europa mit)

Das ist eigentlich um so peinlicher für mich, als Krugman seinen Preis für seine Leistungen auf dem Gebiet der Wirtschaftsgeographie erhält – also ausgerechnet ein Gebiet, auf dem ich mich in meinen Studienjahren selbst bewegt habe. Dass er eine neue Theorie entwickelt hat, die “die bisher getrennten Forschungsfelder des internationalen Handels und der Wirtschaftsgeographie integriert”, wie die Königliche Schwedische Akademie der Wissenschaften in ihrer Begründung erklärt, war mir nie bewusst geworden. Warum?

Weil Krugman viel zu beschäftigt schien, seine Kolumnen und Blogs für die New York Times zu schreiben. Dass jemand, der so viel Mühe darauf verwendet, der breiten Öffentlichkeit die Zusammenhänge zwischen Wirtschaft und Politik, die Folgen politischen Handelns – und, wenn es um die Bush-Regierung ging, vor allem auch die Folgen der Unfähigkeit zum richtigen Handeln – zu vermitteln, noch Zeit haben konnte, etwas zu tun, wofür er dann auch noch einen Nobelpreis bekommt, das ist mehr als überraschend. Es wäre für sich allein schon einen Preis wert.

Welche Bedeutung Krugman in der akademischen Forschung hat, kann ich aus meiner (wissenschaftlichen) Distanz gar nicht so recht beurteilen. Doch dass seine wirtschaftspolitischen Einsichten vielen Amerikanern helfen, das Geschehen, das sie – jetzt mehr denn je – in ihrem Alltag betrifft, wenn schon nicht völlig zu begreifen, dann wenigstens einzuordnen; dass er gerade in einer Gesellschaft, die das Etikett “liberal” zu einem der schlimmsten Polit-Schimpfworte degradiert hat, den Mut zeigt, sich selbst das “Gewissen eines Liberalen” zu nennen; dass seine publizierte (und stets gut begründete) Meinung vielleicht keinen unerheblichen Anteil daran haben wird, dass sich in drei Wochen vielleicht tatsächlich ein Wandel nicht nur in der amerikanischen Realpolitik, sondern auch in der politischen Kultur abzeichnen wird – all das war auch schon vor dem schwedischen Preis “nobel”. Und ich bin sicher, dass sich viele, die in Krugman eine Stimme fanden, die hörbar (= lesbar) machte, was sie dachten, nun so fühlen werden, als hätten sie selbst ein Stückchen von dem Preis erhalten. Glückwunsch!

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Kommentare (5)

  1. #1 ali
    13. Oktober 2008

    Witzig. Bei mir war es umgekehrt. Ich habe zuerst Krugman als Akademiker kennen gelernt und bin auf diesem Weg auf sein Blog (damals noch Kolumnen) gestossen.

    Wie die Wirtschaftsgeographie in seine Arbeit passt kann ich mir nur so halb zusammenreimen da ich zu wenig über diese weiss. Vielleicht sollten wir mal Wissen zusammenlegen.

    Übrigens sein Lehrbuch enthält fast keine Mathematik, ist leicht verständlich und obendrauf unterhaltsam.

  2. #2 Jürgen Schönstein
    13. Oktober 2008

    ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, dass ich viel über die aktuelle Wirtschaftsgeographie zu sagen habe – obwohl ich mir sicher bin, dass die Modelle, mit denen wir vor 30 Jahren konfrontiert wurden (fast auf den Tag genau vor drei jahrzehnten, im Oktober 1978, begann ich mein Studium am Wirtschaftsgeographischen Institut der Münchner Ludwig-Maximilian-Universität) längst um die globale Perspektive erweitert wurden. Aber mein Problem damals mit den Ansätzen war, dass sie versuchten, die Geographie durch die Wirtschaft zu erklären (= Städte und Regionen als Folgen wirtschaftlichen Handelns), anstatt – was sicher heute viel wichtiger ist – die Wirtschaft durch die Geographie. Muss mir wohl doch mal wieder ein bisschen Zeit nehmen, um meine Kenntnisse aufzufrischen. Und ein Krugman-Nobelpreis ist dafür sicher nicht der schlechteste Anlass.

  3. #3 ali
    14. Oktober 2008

    Das einzige Bisschen Wirtschaftsgeographie, dass ich gemacht habe bietet sich nur beschränkt an mit dem was ich von Krugman kenne zu verbinden. Ich erinnere mich schwach an ein solches Modell wo die Transportkosten und das Gewicht der Güter das Siedlungsmuster prägen. Irgendwie werden im Gegensatz dazu in der Handelstheorie häufig Transportkosten als praktisch 0 angenommen (zumindest in den meisten Modellen die ich kenne). Darum vermute ich, dass es da noch um einiges mehr geben muss.

  4. #4 Jürgen Schönstein
    14. Oktober 2008

    Jaja, die “Thünenschen Ringe” … ein abstraktes Denkmodell des frühen 19. Jahrhunderts darüber, wie der Faktor Distanz (= Transportaufwand) in einem idealen, uniformen Land die landwirtschaftlichen Nutzungsformen beeinflussen könnte. Aber daraus ein “Vorbild” für reale Raumentwicklung des 20. Jahrhunderts abzuleiten, schien selbst in den noch nicht so globaliserten frühen 80-er Jahren all zu verzopft (was etliche meiner lehrer nicht davon abhielt, dies zur Grundlage ihrer Ausführungen zu machen). So verzopft, dass ich das Interesse dran verlor (und glaubte, dieses geographische Forschungsansatz seit tot oder zumindest dem Sterben nahe). Jetzt muss ich wohl doch noch einmal schauen, wohin man auf diesen Pfaden in der Zwischenzeit gewandert ist. Offenbar weit genug, dass damit sogar ein Nobelpreis (allerdings für einen Ökonomen, nicht für einen Geographen) erreicht werden konnte.

  5. #5 ali
    14. Oktober 2008

    Gut möglich dass der Forschungsansatz tot ist. Es war nur meine einzige Berührung mit Wirtschaftsgeographie und es hatte wenig zu tun mit was ich später als Handelstheorie in Wirtschaftswissenschaften verklickert kriegte. Es ging mir also mehr darum dass ich den Zusammenhang eben auch nicht sehe.