Welche Bedeutung wird das Internet zukünftig in der Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit von Museen einnehmen? Sollten Museen auf Twitter oder Facebook vertreten sein? Und kann ein virtueller Museumsbesuch in naher Zukunft das authentische Museumserlebnis ersetzen?

Diese Woche hatte ich das Glück, dem VII. Rheinischen Museumstag beiwohnen und auch dort vortragen zu dürfen, der in diesem Jahr ganz im Zeichen des “Museum 2.0” stand. So berichtete Dr. Josef Mangold vom LVR-Freilichtmuseum Kommern über die Erfahrungen des Museums mit Facebook, Sebastian Hartmann erläuterte, warum das Stadtmuseum Hattingen und das Neanderthal-Museum in Mettmann bei Twitter werben und Dr. Stefan Rohde-Enslin stellte mit museum-digital.de eine frei verfügbare Internet-Datenbank für digitalisierte Museums-Exponate vor. Alles in allem eine hochspannende Veranstaltung, weshalb ich die lange Rückfahrt von Oberhausen nach Wernigerode auch gleich dazu genutzt habe, die mitgenommenen Erkenntnisse in sieben Thesen zum “Museum 2.0” zu verdichten.

(1) Museen benötigen zukünftig mehr Eigenständigkeit im Umgang mit Online-Medien. Viele Museen werden durch die enge hierarchische Einbindung in kommunale oder städtische Verwaltungsstrukturen an einem effektiven Umgang mit Online-Medien gehindert. Muss ein Museum etwa monatelang auf die Erlaubnis warten, eine URL registrieren zu dürfen oder die Betreuung eines simplen Twitter-Accounts zur Weitergabe von Termininformationen mit Kulturdezernat und Pressestelle koordinieren – wie es derzeit in der Praxis leider vorkommt – führt dies zu Verzögerungen, die mit der Nutzungsgeschwindigkeit von Online-Medien nicht vereinbar sind. Es ist daher unbedingt erforderlich, dass Museen von der „kurzen Leine” der Verwaltung im Hinblick auf den Umgang mit Online-Medien befreit werden.

(2) Die Online-Reichweite von Museen wird langfristig Eingang in die Erfolgskennzahlen finden. Kommen Museen ihrem Kultur- und Bildungsauftrag auch im Internet nach, indem sie Interessenten beispielsweise hochwertige Digitalisate von Museumsgut zur Verfügung stellen, kann die hierdurch gewonnene Reichweite bei der Mittelvergabe nicht dauerhaft unberücksichtigt bleiben – Online-Besucher von Museen sollten daher ebenso wie Offline-Besucher Eingang in die für die Mittelvergabe entscheidenden Erfolgskennzahlen finden. Dabei versteht es sich von selbst, dass virtuelle Besucher anders zu gewichten sind als Vor-Ort-Besuche, und dass zudem über Mittel und Wege nachgedacht werden muss, um möglichen Manipulationen vorzubeugen. Bei der bisherigen „Nullwertung” kann es jedoch – allen Schwierigkeiten zum Trotz – nicht bleiben.

(3) Die Deutungshoheit von Museen geht im Web 2.0 zumindest teilweise verloren. In der Kommentarspalte von Museumsblogs findet – im Gegensatz beispielsweise zu einer von einem Experten geleiteten Museumstour – eine Kommunikation auf Augenhöhe statt, die für die Museen zunächst einmal gewöhnungsbedürftig ist. Werden Digitalisate in Blogs oder auf Flickr eingestellt, ermöglicht es die Kommentarfunktion auch Nicht-Experten, Exponate zu beschreiben und dabei gegebenenfalls auch der Darstellung des Museums zu widersprechen. Für museale Experten bringt dieser Verlust der Deutungshoheit den Zwang zu einer neuen Form der dialogorientierten Kommunikation mit sich.

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Interaktion mit Besuchern auf der Facebook-Seite des Museum of Modern Art

(4) Durch Digitalisate-Datenbanken werden museumsübergreifende Kollektionen ermöglicht. Mit Hilfe von Datenbank-Systemen wie museum-digital.de wird es zukünftig immer einfacher werden, museumsübergreifende, virtuelle Sammlungen zu erstellen und damit Exponate zusammenzuführen, deren gemeinsame Betrachtung bisher unmöglich war. Wer sich also beispielsweise über die Geschichte des Eisenkunstgusses in Sachsen-Anhalt informieren möchte, kann mit einer einfachen Suche alle unter diesem Stichwort gelisteten Digitalisate der 74 partizipierenden Museen in einer gemeinsamen Übersicht aggregieren. Dies erleichtert nicht nur die wissenschaftliche Recherche, sondern ermöglicht auch eine ganz neue Museumserfahrung, in deren Zentrum nicht mehr isolierte Museen mit ihrer jeweiligen Sammlung stehen, sondern themenbezogen ganz neue Sammlungen auf Zeit zusammengestellt und wieder verworfen werden können.

(5) Für Museen wird die Themenpräsenz im Internet zukünftig wichtiger sein, als die Präsenz unter eigenem Namen. Für eine Einrichtung wie das Wernigeröder Harzmuseum ist es zum Beispiel deutlich weniger relevant, für Suchwort-Kombinationen wie „Museum + Wernigerode” gut gefunden zu werden (obwohl auch das natürlich wichtig ist) als bei einer Suche nach Harzmalern wie Fritz Thate oder Wilhelm Pramme aufzutauchen, d.h. sich eine thematische Präsenz im Bezug auf die eigenen Ausstellungsschwerpunkte anzueignen. Dies kann mithin über klassische Suchmaschinenoptimierung oder aber über die Beteiligung von Museen an Online-Projekten wie der Wikipedia geschehen (wie schon in der letzten Woche geschrieben, proftieren von einer Zusammenarbeit zwischen Museen und der Wikipedia sowohl die Enzyklopädie als auch die Einrichtungen, d.h. es handelt sich um ein Win-Win).

(6) Museen werden die Wissenskraft digitaler Communities besser nutzen lernen. Wie erste Erfahrungen aus Projekten wie museum-digital.de zeigen, können Museen von der Öffnung gegenüber den Beiträgen Dritter nur profitieren. So können zum Beispiel Fehler in der Beschreibung von Exponaten durch Kommentare und Hinweise seitens der Community schneller aufgefunden und bereinigt werden, auch können sich die Experten verschiedener Museen untereinander besser austauschen. Die Chancen, die sich aus dem Rückgriff auf das Wissen von Communities aus Laien oder Experten für Museen ergeben, werden aktuell erst in geringem Umfang erschlossen, mit der steigenden Interaktivität der Anwendungen dürfte aber auch eine Zunahme der Community-Bedeutung einhergehen.

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Datenblatt eines Exponats in museum-digital.de – ganz unten können Betrachter mit einem Klick auf Fehler in der Beschreibung hinweisen oder Fragen zum Exponat stellen

(7) Virtuelle Museumsbesuche werden das reale Besuchserlebnis – auch langfristig – nicht ersetzen können. Durch die sich ständig verbessernden technischen Möglichkeiten wird die Erstellung qualitativ hochwertiger Digitalisate von Museumsgut – sogar bis hin zu dreidimensionalen Abbildungen und virtuell begehbaren Museumsräumlichkeiten – mehr und mehr erleichtert. Der virtuelle Museumsbesuch bleibt dennoch auf Dauer eine Ergänzung und Erweiterung der realen, authentischen Museumserfahrung, durch die zwar neue Zielgruppen (beispielsweise außerhalb der geographischen Reichweite des Museums) erschlossen werden, der Museumsbesuch als solcher jedoch nicht entwertet oder gar überflüssig gemacht wird.

Letztendlich wird kein Digitalisat – so gelungen es auch sein mag – das Gefühl vermitteln können, beispielsweise einem Buckelbergwerk, einem Gemälde von Alexander von Kobell oder dem Kieferknochen eines Mammuts „Auge in Auge” gegenüberzustehen…


Weitere Blog-Berichte zum VII. Rheinischen Museumstag:

Zum “Followen” und “Liken” – Einrichtungen vom Museumstag auf Facebook und Twitter:


Update (16.07.2010): Christian Henner-Fehr vom Kulturmanagement-Blog hat sich ausführlich mit den Thesen auseinandergesetzt:

Kommentare (4)

  1. #1 Henrik
    4. Juli 2010

    Spannende Thesen – wobei sich mir als Praktiker allerdings die Frage stellt, wer das alles im Museum eigentlich leisten soll. Selbst wenn für “Online-Marketing” Geld da wäre (und dass virtuelle Besucher irgendwann echte Einnahmen bringen, sehe ich noch nicht), sind doch die meisten Museums-Mitarbeiter keine Marketing-Experten, schon gar nicht wenn es ums Online-Marketing geht (denke da vor allem an die ältere Generation). Auf der anderen Seite ist es zwar wirklich nett, wenn Informatiker Museen marketingtechnisch unterstützen, denen fehlen ja aber in der Regel die notwendigen Fachkenntnisse, wenn es um die Exponate geht.

    Kurz gesagt: Selbst wenn Geld vorhanden wäre, wüsste ich nicht – zumindest wenn ich mir “mein” Museum so ansehe – wer diese Arbeit leisten sollte. Und genügend Geld, um neue Leute einzustellen oder sogar auszubilden wird es wohl – wenn überhaupt – nur für die großen Häuser geben – und die “Kleinen” werden abgehängt.

    Oder ob es irgendwann SEO/SEM-Agenturen nur für Museen gibt…?

  2. #2 Christian Reinboth
    5. Juli 2010

    @Henrik: Momentan ist es für Museen sicher noch ein Riesenproblem, geeignetes Personal für Web 2.0-Kampagnen zu finden, da gebe ich Dir vollkommen Recht. Ideal ist es meiner Erfahrung nach, wenn sich ein langfristig im Haus gebundener Mitarbeiter (also keine studentische Arbeitskraft) findet, der oder die in der Freizeit bereits im Internet, bei der Wikipedia oder in Social Networks unterwegs ist und Freude daran hätte, das Museum in diesen Kommunikationskanälen zu repräsentieren.

    Gibt es so einen Mitarbeiter nicht, hat ein Museum natürlich erst einmal ein Problem. Über kurz oder lang – das hoffe ich zumindest – werden ja aber die Möglichkeiten der Online-Kommunikation auch Eingang in die Lehrpläne der museumsrelavanten Studiengänge finden bzw. finden müssen – und spätestens wenn diese “jüngere Garde” nachrückt, sollte sich die Personalnot entspannen (zumal ja junge Menschen, auch ohne Zusatzausbildung im Studium in der Regel zumindest mit Social Networks vertraut sind).

    Was die SEO/SEM-Agenturen für Museen angeht, erinnere ich mich an ein Gespräch mit einem der Referenten, der ernsthaft überlegt, sich in dieser Richtung selbständig zu machen. Im Grunde gar keine schlechte Idee: 5 Stunden Social Networking pro Museum für 6 Museen macht gerade mal 30 Arbeitsstunden pro Woche – und wenn jedes Museum im Monat nur 400 Euro für Online-Marketing springen lassen würde, könnte man von den Einnahmen schon gut leben… Hatte selbst schon mit dêm Gedanken gespielt, denke aber, dass die meisten Museen auf Dauer mit eigenen Mitarbeitern (wegen der Kenntnis des Hauses) besser fahren werden und sich das Ganze daher auch in diese Richtung entwickeln wird. Aber als Nebeneinnahme für ein paar Jahre – warum nicht? Wenn jemand Lust hat, die erste SEO/SEM-Agentur für Museen zu gründen, kann er oder sie sich gerne bei mir melden…

  3. #3 sandro herbrand
    19. Juli 2010

    Betreibe selbst ein fast rein virtuelles Museum.
    Zur Deutungshoheit möchte ich anmerken, daß diese mindestens zwei wesentliche Aspekte hat. 1. die wissenschaftliche und 2. die erzählte Geschichte. Ohne die zweite bleibt die erste ausserhalb der Institutionen “bedeutungslos”. Dieser Erzählkompetenz und Deutung gerade durch Aussenstehende muß sich das Museum in Zukunft stellen, wenn es weiter zur Kenntnis genommen werden will.
    Zur Frage ob ein virtuelles Museum Einnahmen erzielen kann, möchte ich anmerken, daß dies vom Nutzen für den Besucher abhängt. Zum Beispiel könnten Museen gegen Gebühr ihr Fachwissen zur Verfügung stellen. Eine andere Möglichkeit ist der Museumsshop in Internet.

  4. #4 Christian Reinboth
    26. Juli 2010

    @sandro herbrand: Vielen Dank für den Kommentar. Das “Geheime Museum” (das hättest Du ruhig auch verlinken können, ich bin da nicht so…) ist mir auch schon aufgefallen, wenngleich ich das Konzept dahinter noch nicht ganz durchschaut habe. Interessant schaut es aber aus…

    Was den Museumsshop und mögliche Expertisen angeht, so ist es sicher richtig, dass Museen insbesondere mit ersterem (zweiteres stelle ich mir deutlich schwieriger vor) durchaus Einnahmen generieren können – sicher aber nicht genug, damit sich ein umfangreiches Web 2.0-Engagement bereits von alleine trägt. Hier wäre meines Erachtens nach der Staat gefordert, ein solches als Bestandteil des Bildungsauftrags zu begreifen und vor diesem Hintergrund auch entsprechend finanziell zu fördern.