Na wie geht denn sowas – Elektronen mit gespaltener Persönlichkeit? Was tun wir den armen Teilchen aber auch an – wer ständig in einen Käfig gesperrt und beobachtet wird soll sich auch mal nicht seltsam verhalten…

Ausgangspunkt der Reise zu diesem eigenartigen Phänomen ist ein aktuelles Paper, das ich in den Physical Review Letters entdeckt habe (siehe Referenz unten). Irgendetwas mit Quasipartikeln erfasst – quasi – immer mein Auge. Und diesmal die Behauptung – Elektronen teilen sich in unabhängige Quasiteilchen auf die jeweils Spin oder Ladung tragen. Na das wäre ja was.
ResearchBlogging.orgSo ein Elektron ist ja durch drei Eigenschaften charakterisiert: Ein Teilchen mit einer Masse (511 keV), einem Spin 1/2 und einer Ladung e. Wenn man jetzt Elektronen studiert, schleppt man notgedrungen immer alle mit sich rum – da wäre es doch sicher attraktiv Teilchen zu haben die jeweils nur eine Eigenschaft (Spin oder Ladung) tragen.

Und wo sperrt man die armen Elektronen jetzt ein? Nun, es ist wieder einmal Festkörperphysik. Wir sperren sie in ein Gitter aus Atomen, und schauen mal was sie bei verschiedenen Temperaturen denn so machen. Oder bei Magnetfeldern. Wir studieren die Phasen des Festkörpers, die jeweils durch das Gruppenverhalten der Elektronen bedingt sind. Metall. Halbleiter. Supraleiter. Was auch immer es ist – es hängt immer mit dem vorherrschenden Herdentrieb der Elektronen zusammen.
Eine solche Phase ist der Antiferromagnetismus – quasi ein maximaler Nichtmagnet. Studieren kann man diesen z.B. mit einem ganz einfachen Modell, dem Hubbard-Modell. Man kann sich z.B. nur eine eindimensionale Kette von Gitterplätzen vorstellen. Jeden Platz können null, ein oder zwei Elektronen besetzen – letzteres aber nur wenn ihre Spins umgedreht sind. Elektronen dürfen auch Plätze hüpfen. In Berechnungen von Hubbard-Modellen sieht man sich an, wie die Interaktion der Elektronen bei verschiedenen Energien aussieht. Der niedrigste mögliche Zustand des Modells ist der Antiferromagnet – wenn benachbarte Plätze bevorzugt umgekehrte Spins haben.

Physical Review Letters sind immer äußerst dicht und mir gelingt es meistens eher schlecht als recht da durchzudringen, zumal das ja fast nie mein Fachbereich ist. Aber das Thema ist schon interessant, daher sehe ich mir mal gleich die erste Referenz an – ein Artikel von Philip W. Anderson aus Physics Today. Also immerhin – etwas allgemein verständlicher geschriebenes. Anderson macht einen Ausflug in die Welt der besonderen Elektronenherden und Quasiteilchen, z.B. der Supraleitung oder im Quanten-Hall-Effekt. Und er kommt auf das eindimensionale Hubbard-Modell zu sprechen und auf eine ganz besondere Lösung die man in den Anregungsspektren gefunden hat. Es konnte gezeigt werden, dass es Fälle gibt in denen ein hinzugefügtes Elektron nicht als “ganzes” Teilchen erhalten bleiben konnte sondern in zwei unabhängige Teile zerbrach – einen der Spin trug und einen der Ladung trug.

2010

Und damit springen wir auch schon zum aktuellen Paper von Xu und Sachdev. Das Problem ist nämlich jetzt dieses: Wer ist das Fermion in dieser Beziehung? Schließlich können wir uns zwei Fälle denken: Die Quasiteilchen die Spin und nur Spin haben, haben einen Spin 1/2, sind also Fermionen. Dann sind die Quasiteilchen für die Ladung Bosonen (geradzahliger Spin, bzw. eben gar keinen in diesem Fall). Das nennt man eine “algebraische Spinflüssigkeit”. Die Spinteilchen tragen die (Fermi-)Statistik des Elektrons.
Es gibt aber auch den umgekehrten Fall der “algebraischen Ladungsflüssigkeit”, nämlich bosonische Spinträger und fermionische Ladungsträger. Wie jetzt die Statistik an die Teilchen gehaftet wird ohne dass diese Spin haben ist mir ehrlich zu hoch.

Aber das ist auch egal, denn der eigentliche Clou des Papers geht noch weiter: Die Autoren zeigen nämlich dass sich dieser Widerspruch auflösen lässt wenn man das System nicht durch zwei, sondern gar durch drei Teilchen beschreibt: Bosonische Spin- und Ladungsträger und ein weiteres Majoranateilchen (also eines das sein eigenes Antiteilchen ist – logisch ohne Spin und Ladung) das die Fermi-Statistik mitnimmt. Und weil das Statistikteilchen den Geschmack in die Suppe bringt nennt man die ganze Kiste eine Majoranaflüssigkeit.
Der Nachweis dass diese Methode gilt wird über Symmetrieeigenschaften erbracht. Wenn man die Symmetrien als Matrizen schreibt, die Vektoren umformen, dann sind die zwei konkurrierenden Fälle durch zweidimensionale Matrizen und Vektoren beschrieben (wegen Spin auf und ab). Nimmt man aber ein System mit höherer Symmetrie (Vektoren mit 4 Einträgen und 4×4-Matrizen), dann kann man zeigen dass sich die Teilkomponenten dieser höheren Ordnung auf zwei Arten kombinieren lassen – eben die beiden konkurrierenden algebraischen Flüssigkeiten.

Phasen auf Waben

Die zweite Hälfte des Papers befasst sich dann damit, die Eigenschaften des Modells genauer zu untersuchen – die verschiedenen Phasen zu bestimmen. Eine Brechung der Symmetrie der übergeordneten Symmetrie bewirkt unterschiedliche Phasen. Dazu gehören auch Symmetriebrechungen vom Higgs-Typ – also genau der Mechanismus der Elementarteilchen Masse verleiht wenn die höhere Symmetrie der elementaren Wechselwirkungen gebrochen wird.
Die Berechnungen dazu führten Xu und Sachdev mit einem erweiterten Hubbard-Modell auf einem Wabengitter durch, wie es z.B. das Graphen aufweist. Es lässt sich ein reiches Spektrum an Phasen beschreiben, vom Halbmetall mit Dirac-Punkten wie das Graphen es darstellt (an denen schwach interagierende Elektronen relativistisch schnell flitzen können – die Punkte sind im Impulsraum, nicht im Ortsraum) bis hin zu einer speziellen Form des Nichtleiters mit antiferromagnetischen Eigenschaften bei starker Interaktion. Aus numerischen Studien wird aber eine Zwischenphase vermutet, und Xu und Sachdev können zwei Kandidaten für diese Phasen berechnen.


Xu, C., & Sachdev, S. (2010). Majorana Liquids: The Complete Fractionalization of the Electron Physical Review Letters, 105 (5) DOI: 10.1103/PhysRevLett.105.057201



Kommentare (5)

  1. #1 arne
    08/07/2010

    sehr sehr interessant. vielen dank für den artikel.
    wie sieht es denn aber nun mit konkreten nachweisen bzw. vorhersagen für die oben genannten vermutungen aus?
    gäbe es eine möglichkeit diese quasiteilchen nachzuweisen?

  2. #2 Jörg
    08/07/2010

    Die neuen Berechnungen sind natürlich erst theoretisch; der ältere Artikel von Anderson beschreibt aber dass man in SrCuO2 erst 1996 einen einfachen eindimensionalen Fall dieser Trennung von Ladungs- und Spinträgern beobachtet hat. Zweidimensionale Systeme scheinen einfacher zu sein, dort gibt es z.B. ein interessantes Material namens Trans-Polyacetylen, da weiß ich jetzt aber auch nicht mehr zu Experimenten.

  3. #3 Frank Quednau
    08/07/2010

    Wenn man mal seine Fantasie spielen lässt – was für Anwendungsmöglichkeiten gäbe es eigentlich für Materialien in einer solch ungewöhnlichen Phase? Sind irgendwelche Kreisquadraturen in Sicht? 😉

  4. #4 Jörg
    08/07/2010

    Also ob jetzt grade die Phase die interessante ist kann man natürlich schwer sagen – vor allem solange man sie nicht auch nur theoretisch beschreiben kann. Grundsätzlich aber sind diese ganzen verschiedenen Materialien (und etwas anderes ist es ja nicht, ein solcher Festkörper in einer bestimmten Phase ist ein neues Material) interessant wegen ihrer Transporteigenschaften. Traditionell kennt man den Einfluss auf die Ladungsträger als Nichtleiter, Leiter. Später hat die Beschreibung der Halbleiter quasi die Welt umgedreht. Und jetzt ist die Spintronik ein spannendes brennendes Forschungsgebiet, in dem auch noch der Spin des Elektrons eine Rolle für den Transport spielt. Das ausgezeichnete (!) Beispiel dafür die der Riesenmagnetowiderstand für den Grünberg und Fert den Nobelpreis bekamen.
    Und der heilige Gral dieser ganzen Phasenforschung wäre natürlich die theoretische Beschreibung der Cuprat-Supraleiter. Wenn man damit ein erschwingliches Material bauen könnte das bei Raumtemperatur widerstandsfrei leitet – das würde die Welt verändern.

  5. #5 Jörg
    08/07/2010

    Mal abgesehen von solchen “Anwendungen”, noch interessanter wird das Ganze dadurch, dass diese ganzen Phasen und Quasiteilchen etc auch helfen könnten das Universum zu beschreiben. Der Einfluss der Festkörperphysik auf die Teilchenphysik und Kosmologie ist schon ordentlich (z.B. wurde der Higgs-Mechanismus durch die Beschreibung der Supraleitung inspiriert), aber er wird noch ordentlich steigen.
    Hmm, das wäre einen eigenen Post wert.