Als ich ein kleiner Junge war, durfte ich ab und zu im Gemeindehaus das Mittagessen einnehmen. Meistens gab es Suppe. Wenn der Topf auf dem Tisch stand, nahm der Gemeindediener einen Löpfel von der Wand, um mit ihm die Portionen in unserer Teller zu füllen. Dies Tätigkeit nannte man “schöpfen”, und entsprechend hieß der Suppenlöffel “der Schöpfer”. So stand es auch an der Wand, und seit dieser Zeit muss ich immer lachen, wenn jemand von der Schöpfung und dem Schöpfer spricht. Ich werde erst ruhig, wenn es um die Schöpfer in der Mehrzahl geht, also um Wissenschaftler und Künstler. Das heißt, ich werde – im Gegenteil – höchst unruhig und verärgert, wenn ich immer wieder Unsinn der Art lesen muss, daß nur der Künstler kreativ ist und etwas Neues erfindet, während der Wissenschaftler doch nur auf- oder entdeckt, was schon vorher vorhanden war. Den schlimmstenStuss zu diesem Thema finden wir in Georg Steiners “Grammatik der Schöpfung”, dem es tatsächlich gestattet ist, das kreative Genie eines Künstlers der anonymen Masse der Wissenschaft entgegenzustellen. Ich will mich aber nicht weitere aufregen und stattdessen im erweiterten Text ein Beispiel für Kreativität in der Wissenschaft vorführen.

Wer sich um Kreativität in der Kunst bemüht, hat es leicht. Er erwähnt ein paar Namen oder Titel – Van Gogh, Mozart, Zauberflöte -, und schon nicken sowohl das Volk als auch die Gelehrten. Wer sich um Kreativität in der Wissenschaft bemüht, hat es schwer, denn wer kennt schon Seymour Benzer und wer weiß schon, wie man Verhalten analysiert. Zum Glück gibt es die berühmte Doppelhelix aus DNA, und zudem kennt man einen der beiden Hervorbringer dieser Ikone des 20. Jahrhunderts, nämlich den Amerikaner James Watson, der sich gerade ungeschickt über die Intelligenz von farbigen Menschen geäußert hat. Darum geht es jetzt aber nicht, sondern um die Frage, ob die Doppelhelix eine (systematische) Entdeckung oder eine (kreative) Erfindung ist. Die meisten Leute antworten an dieser Stelle sehr rasch: “Die DNA ist eine Entdeckung”, und sie fügen gerne hinzu, daß sie eher zufällig zustande gekommen ist und auch von anderen Forschern hätte gemacht werden können.
Ich denke da völlig anders. Für mich enthält die Doppelhelix viele kreative Elemente. Sie ist allein deshalb keine Entdeckung, weil mir niemand sagen kann, wo die Doppelhelix denn war, bevor sie in den Köpfen ihrer Erfinder Gestalt annahm. Sie war (und ist) ganz sicher nicht in einer Zelle. Sie ist heute in jedem Lehrbuch zu finden. Aber das kam erst nach ihrer Erfindung.
Naturwissenschaftler sind kreative Schöpfer der Wirklichkeit, die wir dann technisch nutzen, um zur Bildung der Welt beizutragen, die uns gebildet hat.

Kommentare (1)

  1. #1 blugger
    März 2, 2008

    Wenn die Doppelhelix erst mit dem Moment ihres Nachweises durch Watson kreativ gebildet sein soll, dann erinnert mich das stark an das simple Doppelspalt-Experiment zum Welle-Teilchen-Dualismus. Hier bestimmt der Forscher, was er messen wird – Welle oder Teilchen.
    In der Quantenwelt mag ich dies noch kopfschüttelnd und schweren Herzens akzeptieren. Aber wenn man die Form der Doppelhelix in Frage stellte, hieße dies, dass wissenschaftliche Ergebnisse stets von Menschenhand geprägt, also niemals objektiv seien.

    Handelt es sich also – um beim Beispiel Doppelhelix zu bleiben – nicht vielmehr um eine analytische Entdeckung dank kreativer Wissenschaftler?