Vor kurzem habe ich ja schon einen kurzen Artikel über die RecQ Helikasen gepostet. Heute soll es ein wenig genauer um eine Erbkrankheit gehen, die durch Ausfall einer der fünf menschlichen RecQ Helikasen entsteht: Das Werner Syndrom. Mit dem Artikel will ich auch eine weitere sehr seltene Progerie-Erkrankung (beschleunigte Alterung) vorstellen, neben der von Tobias bereits besprochenen Hutchinson-Gilford-Progerie.

Helikasen sind Enzyme, die unter Energieverbrauch doppelsträngige DNA (oder auch RNA) entwinden können. Die zwei Stränge der DNA-Doppelhelix sind, wie sich manch einer vielleicht noch aus der Schule erinnert, nicht kovalent gebunden, sondern “nur” über Wasserstoffbrücken. Diese Art der Bindung ist nicht ganz so fest, und kann von den Helikasen aufgelöst werden. Der wohl bekannteste Einsatz einer Helikase in der Zelle ist während der Verdopplung der DNA vor einer Zellteilung, der Replikation. Die beiden Stränge müssen entwunden werden, bevor sie kopiert werden können – das wird von einer Helikase erledigt, in etwa so wie der Schieber einen Reißverschluss öffnet.

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Allerdings werden Helikasen auch für so ziemlich jeden anderen Vorgang im Zellkern benötigt, der mit DNA oder RNA zu tun hat. Mich interessiert dabei vor allem die DNA-Reparatur und -Rekombination, bei denen eine Familie von Helikasen, die RecQ Helikasen, eine wichtige Rolle spielen.
Dass der Mensch fünf von denen besitzt war eine Überraschung. Vorher untersuchte Organismen wie das Bakterium Escherichia coli oder die Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae kommen mit einer RecQ Helikase problemlos klar. Wofür jetzt so viele? Waren die Funktionen redundant vorhanden? Oder hatte jeder der fünf RecQs einen Teil der Aufgaben abbekommen? Heute deutet vieles auf eine Kombination aus den beiden Möglichkeiten hin, denn manche der Helikasen haben die gleiche Aufgabe, die also auch dann noch erfüllt werden kann wenn eine ausfällt; für bestimmte Probleme sind aber auch einzelne RecQ Helikasen zuständig.

Bestes Beispiel: In den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts fanden Forscher heraus, dass bei der Erbkrankheit Werner Syndrom Mutationen in einer RecQ Helikase vorlagen, die darum den Namen Werner Syndrome Helicase oder kurz WRN erhielt. Es gab unter den Patienten verschiedene Mutationen, die aber eines gemeinsam hatten: sie störten oder inaktivierten die Funktion der Helikase. Entweder konnte das Protein nicht mehr an DNA binden, oder es hatte Probleme bei der für die Entwindung nötigen Energiegewinnung aus dem energiereichen Molekül ATP.
Eine ähnliche Verteilung von Mutationen fand man auch bei einer zweiten RecQ Helikase, BLM, deren Ausfall zum Bloom Syndrom führt. Und während beide Erkrankungen mit einer stark erhöhten Wahrscheinlichkeit einhergehen, an Krebs zu erkranken, tritt die beschleunigte Alterung nur beim Werner Syndrom auf.

Was bei WS-Patienten passiert, ist überraschend ähnlich der natürlichen Alterung des Menschen, nur läuft sie früher und schneller ab: Bis ins Jugendlichenalter hinein altern die Patienten normal schnell, dann beginnt sich der Alterungsprozess zu beschleunigen. Erkrankungen des hohen Alters wie Osteoporose, grauer Star oder auch (Alters-)Diabetes treten schon um die 40 Jahre auf. Die Haut wird faltig, die Zähne schlecht (hier sind Bilder von Patienten zu sehen). Wieso sollten so viele verschiedene Organe und Gewebe von der Krankheit betroffen sein? Wieso ist alles ähnlich dem natürlichen Alterungsprozess [1]? Und wieso ist das beim Ausfall von WRN so, aber nicht wenn eine andere Helikase, sogar ein anderes Mitglied der RecQ Familie ausfällt?

Die Antwort ist erstaunlich einfach [2]: Schuld sind die Telomere! Wir Organismen mit Zellkern, die Eukaryoten, haben ein Problem mit unserer DNA. Anders als die Bakterien besitzen wir lineare Chromosomen, also lange DNA-Moleküle mit einem Anfang und einem Ende [3]. Das ist ein wenig blöd, weil diese beiden freien Enden pro Chromosom von den Reparaturproteinen der Zelle fälschlicherweise als DNA-Doppelstrangbrüche erkannt werden könnten. Die Folge wäre katastrophal: Zufällig würden Chromosomenenden miteinander verbunden werden, um die vermeintlichen Brüche zu reparieren. Spätestens bei der nächsten Zellteilung, wenn die Chromosomen auseinandergezogen und auf zwei Tochterzellen verteilt werden sollen, gäbe es ein Problem mit zusammenhängenden Chromosomen, die Zelle würde sterben.
Dass so etwas nicht passiert gibt es an den Enden die Telomere: Eine lange Kette von wiederholten kurzen Sequenzen wie TTAGGG, an die besondere Proteine binden, um eine Doppelstrangbruchreparatur zu unterbinden. Man kann sich die Telomere vorstellen wie die Enden von Schnürsenkeln, die verhindern dass sie sich aufdröseln [4]. Das Problem wäre also erstmal gelöst!

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Die Telomere an den Enden der Chromosomen wurden hier mit einer Sonde markiert.

Doch das nächste ist schon da… So, wie die DNA während der Replikation kopiert wird, kann einer der beiden Stränge nicht bis zum Ende des Telomers neu synthetisiert werden – das sogenannte end replication problem, das schon Nobelpreisträger James Watson vorhersagte. Das ist blöd, denn dann verkürzen sich doch die Telomere mit jeder Zellteilung ein wenig! Stimmt genau, und das passiert wirklich. Die Länge der Telomere wird von der Zelle sehr genau gemessen, und wenn eine kritische Länge unterschritten wird, hört die Zelle auf sich zu teilen (eben weil sonst die Gefahr besteht, dass die Doppelstrangbruchreparatur einsetzt). Auf den gesamten Menschen bezogen bedeutet das aber, dass die Stammzellen im Körper, die immer wieder neue Zellen etwa für Blut oder Haut bilden, irgendwann aufhören Nachschub zu produzieren. Der Körper muss dann mit dem auskommen, was ihm gerade zur Verfügung steht, und langsam aber sicher macht sich der Verschleiß bemerkbar. Alterung eben.

Das WRN Protein ist eines dieser an den Telomeren lokalisierten Proteine (die zusammen auch ganz putzig als Shelterin bezeichnet werden). Die einfache Erklärung, warum ein Ausfall von WRN zu beschleunigter Alterung führt, ist also folgende: Fehlt WRN, können die Telomere nicht mehr so gut geschützt werden, sie nehmen zusätzlich zur Verkürzung bei jeder Zellteilung weiteren Schaden und unterschreiten darum viel schneller als bei gesunden Menschen die kritische Länge! Darum sind WS-Patienten etwa 15 Jahre lang auch mehr oder weniger frei von Symptomen; noch sind die Telomere lang genug.

Ich sollte zum Schluss noch darauf hinweisen, dass ich WRN nicht als den essentiellen Faktor der Alterung betrachte. Es reicht nicht, den Körper dauerhaft mit WRN zu versorgen, um ewig zu leben. Wir haben damit aber ein sehr interessantes Werkzeug zur Hand, um gleich mehrere Fragen zu untersuchen: DNA-Reparatur, Rekombination, Telomerbiologie, Alterung auf zellulärer Ebene wie auf der ganzer Organismen.

[1] So ähnlich sogar, dass ein Mausmodell des Werner Syndroms benutzt wird, um Alterungsfragen zu erforschen!
[2] Das Ganze ist in Wirklichkeit natürlich um ein paar Größenordnungen komplexer, das sind aber Details. Die mögen zwar auch spannend sein, aber eher für die Leute die sich täglich damit beschäftigen.
[3] Bei Bakterien ist die DNA zu einem Kreis geschlossen.
[4] Ich gebs zu, das hab ich total geklaut von Elizabeth Blackburn, einer der großen Namen der Telomerbiologie.

Bildquellen:
Zipper von ThePicMan auf Flickr
Telomere vom U.S. Department of Energy Human Genome Program auf Wikipedia

 » von Alexander Knoll

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