Gestern lief mein Twitterfeed heiss, weil Julian Assange in Ecuador um Asyl angefragt hat und dieses sein Gesuch prüft. Es ist wohl sein letzter Versuch der Auslieferung nach Schweden zu entgehen (oder vielleicht der zweitletzte, nehme ich doch an, dass er sich noch an Strassbourg wenden kann).

i-dd14f2dd3b5ea5141374aea2715402bb-wikileaks-thumb-250x575.jpgIch hatte Assanges Projekt und vor allem seiner Person gegenüber immer etwas zwiespältige Gefühle. Seine Weltretter-Rhetorik schien mir im Vergleich zum effektiven Output immer etwas übertrieben. Die meisten Dokumente waren meines Erachtens belanglos (dies gilt natürlich ebenso für die angeblichen negativen Auswirkungen der Publikationen). Einige wenige haben vermutlich wirklich eine wichtige öffentliche Diskussion in Gang gesetzt.

Ich finde es schwierig mir zu den juristischen Fragen betreffend der Auslieferung ein Bild zu machen. Ich kenne das schwedische Rechtssystem kaum. Es erstaunt mich, dass er für eine Befragung ausgeliefert werden soll, gleichzeitig fällt es mir auch schwer zu sehen, warum ausgerechnet Schweden hier den Handlanger für die USA spielen soll. Seine Befürchtungen betreffend einer Anklage wegen Verrates in den USA und einer allfälligen Todesstrafe kann ich auch nicht wirklich nachvollziehen. Verrat kann meines Erachtens nur jemand begehen, bei dem eine Loyalität vorausgesetzt werden kann. Ausserdem kenne ich zwar das schwedische Rechtssystem nicht, aber bin mir ziemlich sicher, dass man wegen europäischen Menschrechtsbestimmungen jemanden nicht an ein Land ausliefern darf, wo ihm die Todesstrafe droht. Seine sexistischen Sprüche helfen nicht, bei mir sehr viel Sympathie zu wecken (“Sweden is the Saudi Arabia of feminism” oder “Vanity in a newspaper man is like perfume on a whore; they use it to fend off a dark whiff of themselves” beide Zitate von hier). Ich bin jedoch gerne bereit, diese Fragen offen zu lassen, da ich auf viele einfach bisher noch keine befriedigenden Antworten gehört habe. Hier geht es um etwas anderes: Ich finde die Ironie seines Asylgesuchs an Ecuador illustriert gut mein Problem mit seiner Rhetorik: Do as I say and not as I do!

Wer eine neue Ära der Transparenz einläuten will und sich in die Pose des Davids wirft, der den regierenden Goliaths dieser Welt die Stirn bieten möchte, wird auch an seinen Taten gemessen werden und da ist Assanges neuster Coup kein überzeugender Schritt.

Ecuador hat den Rang 104 auf dem Press Freedom Index. Vor knapp einer Woche haben unter anderem die Reporter ohne Grenzen Ecuador dafür kritisiert, dass dort sechs Radiostationen und zwei TV Sender geschlossen wurden. Offiziell wurde sie geschlossen wegen angeblich nicht bezahlten Lizenzgebühren, der Verdacht auf eine politische Motivation ist schwer von der Hand zu weisen. Auch Human Rights Watch weiss nicht viel gutes darüber zu berichten, wie die Regierung mit Dissidenten und Protesten umgeht.

Ich verstehe natürlich, dass dies für Assange eine Möglichkeit darstellt, der Auslieferung zu entkommen (und ich weiss nicht wie ich an seiner Stelle handeln würde). Ist aber nicht genau dies dieser Zynismus, den er vielen Regierungen unterstellt? Der Zweck heiligt offensichtlich doch die Mittel zumindest wenn es um ihn geht. Nicht zuletzt wegen dem Schliessen der Sender ist Ecuador vermutlich interessiert, sich als Beschützerin der Medienfreiheit zu profilieren (gemeint ist damit natürlich immer nur die der anderen). Zurück bleibt der Verdacht, dass Wikileaks vielleicht doch einfach nur für Assanges Ego da war und doch nicht für die ganze Menschheit.

Kommentare (4)

  1. #1 Wurgl
    Juni 25, 2012

    Im letzten Satz sprichst du mir aus der Seele (if it exists), ich nehme den Kerl einfach nicht mehr ernst, der poliert nur mehr an seinem Ego herum.

    Ich kann mich auch gut an so manche recht hitzige Diskussion erinnern, wo sich manche schon auf unerwartete Aufdeckungen freuten und was kam? Der Botschafter xy meldet Vorlieben für Speisen irgendwelcher Regierungschefs oder anderes belangloses Zeugs. Okay, zwischendurch gabs auch vereinzelt ein paar interessante Sachen, aber keinerlei wirkliche Hammermeldungen. Fade das.

    Ich grinse nur mehr, wenn über den Kerl berichtet wird. So richtig ernst nehmen kann ich ihn nicht mehr.

  2. #2 YeRainbow
    Juni 25, 2012

    stimme zu.

  3. #3 ροπ
    Juni 28, 2012

    Wurgl· 25.06.12 · 00:37 Uhr
    Ich kann mich auch gut an so manche recht hitzige Diskussion erinnern, wo sich manche schon auf unerwartete Aufdeckungen freuten und was kam? Der Botschafter xy meldet Vorlieben für Speisen irgendwelcher Regierungschefs oder anderes belangloses Zeugs. Okay, zwischendurch gabs auch vereinzelt ein paar interessante Sachen, aber keinerlei wirkliche Hammermeldungen. Fade das.

    Und warum will die US Armee Bradley Manning inn die Gaskammer stecken, wegen ein Paar Kochrezepte?

    Ali:
    Es erstaunt mich, dass er für eine Befragung ausgeliefert werden soll, gleichzeitig fällt es mir auch schwer zu sehen, warum ausgerechnet Schweden hier den Handlanger für die USA spielen soll. Seine Befürchtungen betreffend einer Anklage wegen Verrates in den USA und einer allfälligen Todesstrafe kann ich auch nicht wirklich nachvollziehen.

    Und an seiner stelle du würdest es bestimmt riskieren…….aber wenigstens “erstaunst” du dass er wegen einer Befragung ausgeliefert weden sollte. Das ist ein guter Anfang.

    (und ich weiss nicht wie ich an seiner Stelle handeln würde).

    Ach, wirklich………?

  4. #4 Threepoints...
    Juni 30, 2012

    Man könnte auch ganz verwegen mutmaßen, dass …. wenn die USA etwa (oder andere Staaten) wirklich einen besonderen Grund und willen dazu hätten, ihn eines besonderen verbrechens anklagen zu wollen … ihn also irgendwie versuchen sich ausliefern zu lassen, dass sich daraufhin eine eventuell zukünftig noch ergebene Anklage wegen Vergewaltigung an einer schwedischen Staatsbürgerin (oder eben zweien) für den schwedischen Staat und also sein Rechtssystem vorrang hätte und daraus eine besondere Rechtfertigung entstünde, das eine Auslieferung an Staaten, welche Aussange wegen verrates verurteilen wollen … nicht infrage kommt.

    Möglicherweise muß sich, wer sich in der Weltpolitik öffentlich derart angagiert, entsprechend absichern, dass einem aus ideologischen Gründen nicht ans Leder gegangen wird. Da wäre eben ein Gefängnisaufenthalt in einem schwedischen Gefängnis wegen eines Sexualverbrechens noch das kleinere Übel.

    … wirklich tolle Mutmaßung… aber man kann gar nicht so umständlich denken, wie die Wirklichkeit einem dazu zwingen will – manchmal.