In der nordafrikanischen Feriendestination Tunesien haben die Unruhen nun die Hauptstadt erreicht. Der autoritäre Präsident Ben Ali sieht sich mit vermutlich der bisher grössten Herausforderung seiner Amtszeit konfrontiert.

Ich habe in den letzten Jahren die Lage in Tunesien nicht so genau verfolgt. Nicht dass ich das interne Funktionieren jedes Landes dieses Planeten im Detail auf meinem Radar haben muss, aber immerhin habe ich doch einen engeren Bezug zu Tunesien, welches ich vor allem aus den Ferien meiner Jugendzeit kenne. Im Gegensatz zu den meisten regulären Touristen verbrachten wir die Zeit dort aber nicht vorwiegend am Strand, sondern mit Verwandtenbesuche.

Nicht an mir vorbeigegangen ist, dass der jetzige Präsident Zine al-Abidine Ben Ali seine Autorität immer weiter ausweitete und einen immer grösseren Polizeistaat schuf. Auf der Basis von Medienberichten schien es aber bisher, dass es genug Menschen in Tunesien gut genug ging um fern von einer kritischen Masse zu sein, um sich für mehr Freiheiten und gegen das Regime zu wenden. Die Lawine von Protesten die durch die Selbstverbrennung eines jungen Tunesiers ausgelöst wurde scheint diese Einschätzung nun zumindest teilweise Lügen zu strafen.

Am Nachmittag rückte das Militär in die Hauptstadt vor. Spezialisierte Einheiten der Polizei waren anscheinend schon seit mindestens gestern in der Stadt verteilt ebenso wie viele Polizisten in zivil (nicht, dass dies einen grossen Unterschied zu vorher machen würde, was man so hört). Für heute Abend ist eine Ausgangssperre über Tunis verhängt worden. Im Internet scheint der Aufstand ebenso zu toben wie in den Strassen. Blogs und Facebook-Accounts wurden gehackt und angeblich Blogger verhaftet. Nachdem bekannt wurde, dass das Militär in Tunis eingesetzt wird fielen die Börsenkurse in den Keller.

Kurzfristig ist anzunehmen, dass Ben Ali die Proteste überleben wird. Zu klein ist die Gruppe jener, bei denen der Leidensdruck gross genug ist, auf die Strasse zu gehen, zu stark ist der Polizeistaat und zu gut kontrolliert der Staat das Gewaltmonopol mit Sicherheitskräften und Militär. Vermutlich werden die spärlichen Oppositionskräfte versuchen das Momentum zu nutzen, doch wird die eiserne Faust die Ben Ali nun schwingt, das ihre dazu beitragen, dieses zu stoppen. Mittel- und langfristig muss sich Ben Ali jedoch etwas einfallen lassen. Es wird ihn in seiner Welt von Nepotismus und Kontrolle ziemlich aufgeschreckt haben, dass solche Proteste überhaupt möglich waren und bis nach Tunis gelangen konnten. Macht man weiter wie bisher, wird es jedes mal brenzliger und irgendwann wird ein Funken, dass aufgetürmte Pulver zur Explosion bringen.

Ich muss jedoch gestehen, diese Einschätzung ist eine völlige Ohrensesselanalyse, angedacht in abstrakten Kategorien von autoritären Regimes, sozialer Mobilisierung und ein paar dürren Medienberichten zu Tunesien der letzten Jahre. Ich bin alles andere als ein Experte für Tunesien, trotz meiner direkten Verbindung mit dem Land.

Es bleibt noch die Rolle der Internationalen Gemeinschaft. Vor allem jene Länder, die sich die Verbreitung der Demokratie auf die Fahne geschrieben haben, können ebenfalls ihren Teil dazu beitragen. Bisher sah man Tunesien als Hort der Stabilität und war froh, dass man dort die Islamisten unter Kontrolle zu haben schien (in vielen arabischen Ländern die einzige halbwegs organisierte Opposition). Darum stellte man auch nicht zu viele Fragen. Dies wird schwieriger, wenn Leute protestieren und deswegen sterben. Menschen die eigentlich vor allem eine Perspektive verlangen. Tunesien ist ein gutes Beispiel wie die Islamismus-Obsession des Westens, diesen nicht nur oft blind macht, sondern auch Probleme schafft (zugegegeben, Ben Ali wurde schon vor dem September 2001 als Allierter geschätzt und gehätschelt). Vielleicht öffnet sich nun wegen der neuen Herausforderung für Ben Ali hier auch die Tür ein Wenig und unsere Regierungen könnten versuchen den Fuss reinzustellen, bevor sie wieder zuschlägt.

Wer mehr Information zum aktuellen Geschehen möchte wird hier fündig:
Auf Twitter ist das entsprechende Hash-Tag #sidibouzid (Namen des Ortes wo die Proteste ihren Ursprung haben).
Für jene die Französisch verstehen: Babnet.net und bab-el-web.com

Kommentare (5)

  1. #1 Steffu
    Januar 13, 2011

    Inwiefern ist die Situation in Tunesien Deiner Meinung (nicht) vergleichbar mit Ägypten?

    Gruss
    Steffu

  2. #2 Youtube to MP3
    Januar 13, 2011

    Echt schlimm was dort jetzt passiert, ich war vor 2 einhalb Jahren im Oktober in Tunesien und da war Gott Sei Dank nichts.

    URL wegen Werbeverdacht entfernt.

  3. #3 Bürger
    Januar 15, 2011

    Es ist ganz und gar nicht “schlimm” wenn ein Diktator und Ausbeuter davongejagt wird. Solidarität mit dem Tunesischen Volk und nicht mit den Verbrechern !

    Alle Macht den Räten !
    Für eine Demokratische Räterepublik in Tunesien, für demokratische Räterepubliken überall !

  4. #4 Karl
    Januar 15, 2011

    Oh mein Gott, da hat sich doch glatt ein kommunistischer Spinner hier her verirrt. Merke: Wenn ein Kommunist von Demokratie redet, dann glaube ihm kein Wort!

  5. #5 Bürger
    Januar 15, 2011

    Karl dreht durch weil ein Despot davongejagt wurde. Da wird er in nächster Zeit sehr oft durchdrehen :-). Vielleicht sollte man schon mal eine Gummizelle reservieren.