TFLogo.jpg

Vor kurzem flatterte bei mir ein an mich adressierter Brief rein, mit einem grosszügigen Angebot und der Aufforderung sozialwissenschaftliche Forschungsprojekte einzureichen. Es werden bis zu 100’000 USD für individuelle Projekte und bis zu 500’000 USD für Netzwerke versprochen. Soviel Geld für Sozialwissenschaften, wo ist der Haken?

Zu welchem Thema soll den geforscht werden? Etwas militärisches vielleicht? Es gibt durchaus gewisse Vorgaben für interessierte. Wie wäre es zum Beispiel mit dieser Frage:

Wie geht Scientology mit Problemen um, die im Zusammenhang mit Armut, Gesundheitsversorgung, Ausbildung, Drogen – und Alkoholabhängigkeit, politische Korruption, etc.? Leistet diese Art von Religion irgendeinen Beitrag zu einer vibrierenden Staatbürgerkultur [civic culture]?

oder wie wäre es hiermit:

Wie entwickelt Scientology Netzwerke von Vertrauen und Reziprozität? Vereinfachen oder bremsen solche Netzwerke von ‘sozialem Kapital’ wirtschaftliche und soziale Kooperation? Was ist der potentielle politische Einfluss von Scientology auf die Gesellschaft?

Nein, ich habe keine Post von Scientology erhalten. Die Fragen wurden auch nicht so gestellt. Fast nicht. Ich habe jeweils “Pfingstbewegung/charismatische Bewegungen” mit “Scientology” ersetzt, weil ich denke, dass es einige in Westeuropa beim ersten Durchgang die Zitate anders lesen werden. Im Gegensatz zu Bewegungen, die auf vertrauterem basieren, ist Scientology hier vielmehr ein religiöser Reizbegriff.

Der Brief kam von der Templeton Foundation, die sich nach eigenen Angaben der Erforschung der ‘grossen Fragen’ widmen möchte (warum eigentlich ‘gross’? Gemeint ist wohl eher ‘schwierig zu beantworten’). Das ganze hat dann immer einen religiösen und meist christlichen Unterton. Ausgeschrieben werden die Projekte von der University of Southern California und es wird für eine private Initiative relativ viel Geld angeboten: 7 x 500’000 USD und 15 x 100’000 USD.

Bei mir entstand der Eindruck, die Richtung der Resultate ist eigentlich vorgegeben. In der Broschüre mit den Fragestellungen, an denen man interessiert ist, wird zwar relativ vorsichtig formuliert. Ich bezweifle, dass ich mit einem Projekt durchkommen würde, in dem ich versuche zum Beispiel die Hypothese zu belegen, dass Leute die Zungenreden praktizieren, eine psychische Störung aufweisen (N.B.: Ich behaupte nicht, dass das stimmt, halte aber die Hypothese zumindest für plausibel).

Wer Geld für Forschung will, stellt in der Regel das Gesuch immer auch taktisch auf den Geldgeber angepasst. Wie wahrscheinlich ist es, dass obiger naturalistischer Ansatz Chancen auf Beiträge von einer Stiftung hätte die sich folgendermassen beschreibt:

Wir unterstützen die Arbeit von Top-Universitäten weltweit in Gebieten wie Theoretische Physik, Kosmologie, Evolutionsbiologie, Kognitionswissenschaften und Sozialwissenschaften im Zusammenhang mit Liebe, Vergebung, Kreativität, Sinn [purpose] und die Natur und den Ursprung religiösen Glaubens. [meine Hervorhebung]

Kreativität meinetwegen, aber Sinn? Das schreit gerade nach einer Definition. Sinn impliziert doch eine gewisse Zielgerichtetheit (könnte ich mir noch zurechtbiegen) und etwas wofür der Sinn da ist (da wird es dann schon sehr schwierig). Die skurrileren Konzepte stehen auch irgendwie freischwebend auf einer der Seiten der Stiftung (z.B. Bedingungslose Liebe, Weisheit, Demut, Neue Konzepte von Gott, Anbetung…).

Liest man die oben verlinkten anderen Forschungsfragen, kann man sich schon vorstellen, wohin die Resultate-Reise gehen soll. Bei notorischer Geldknappheit gerade auch in den Sozialwissenschaften (natürlich nicht nur und noch viel arger bei den Geisteswissenschaften), kann man so natürlich schon sich genehme Forschung züchten. Der Templeton Foundation ist die unabhängige Forschung vermutlich nicht so wichtig, wie sie es uns glauben machen möchte.

Kleingedrucktes:
Es ist mir bewusst, dass ich hier der Stiftung etwas unterstelle. Wir können wenn die akzeptierten Projekte bekannt sind darüber diskutieren, ob ich unfair war.

Alle Zitate wurden von mir nach bestem Wissen und Gewissen übersetzt. No spin intended.

Kommentare (9)

  1. #1 JörgR
    Juni 11, 2009

    Wie wäre es denn mit einer Untersuchung, ob Forscher die Themen einreichen, ihr Thema eher verbiegen, wenn jemand wie die Templeton Foundation mit viel Geld bestimmte Resultate erkaufen will?

  2. #2 Marcus Anhäuser
    Juni 11, 2009

    schau mal hier:
    https://www.zeit.de/2006/19/templeton1_xml

    “Wer Geld beantragt, verpflichtet sich gewissermaßen, in die dritte, die spirituelle Dimension zu gehen. Systematisch sponsert die Foundation jene Forschung, die sich, mit dem klaren Ziel eines wissenschaftlichen Transzendenz- und Gottesbeweises, dem spirituellen Fortschritt verschreibt. Geht es nach Templeton, soll weltweit und demütig danach gestrebt werden, die heilende Kraft des Glaubens empirisch zu beweisen und die Bedeutung des Religiösen für die Welt objektiv zu vertäuen. Rationalistische Grenzziehungen zwischen Wissen und Glauben erachtet die Foundation als überholt.”

  3. #3 Christian A.
    Juni 11, 2009

    Als regelmäßiger Leser von Pharyngula war ich etwas überrascht, als die Templeton Foundation dann nach Scientology fragt 😉
    Jörgs vorgeschlagene Untersuchung wäre tatsächlich ziemlich spannend (ich hab da so eine gewisse Erwartung).

  4. #4 Thilo Kuessner
    Juni 11, 2009

    Das Problem mit der Templeton-Stiftung ist vielleicht nicht die Tatsache, DAß, sondern der Umfang, IN DEM sie Forschung mit einer bestimmten Ausrichtung fördert.

    Es gibt natürlich auch andere Parteien, Kirchen, Gewerkschaften etc., die Stipendien verteilen, ohne daß deswegen gleich die Unabhängigkeit der Forschung in Gefahr gerät. Bei der Templeton-Stiftung werden aber Gelder in einem Umfang verteilt, wo man sich schon fragt, ob daß nicht zum Abdriften ganzer Wissenschaftszweige in eine bestimmte Richtung führen kann.

    Bekanntlich sind eingeworbene Drittmittel ja heute oft das wichtigste Kriterium, wenn es z.B. darum geht, welche Institute innerhalb einer Universität weiter ausgebaut werden. Das heißt, wenn die Templeton-Stiftung bestimmte Leute mit viel Geld fördert, wird dies dazu führen, daß diese dann auch von der eigenen Universität noch einmal mehr Mittel bekommen als andere, dadurch wiederum bessere Chancen haben, auch anderswo Drittmittel einzuwerben, dadurch wiederum noch mehr staatliche Gelder einfordern können … Eine klassische Kettenreaktion.

  5. #5 Ulrich
    Juni 11, 2009

    Nicht zu vergessen ist der Templeton-Preis, der extra ein wenig höher dotiert wurde als der Nobelpreis, und der jedes Jahr an einen Forscher geht, der – in den Worten von Bob Parks – etwas nettes über Gott sagt.

  6. #6 JörgR
    Juni 11, 2009

    Richard Dawkins sagt ja auch, wenn er mal Geldsorgen hätte müsste er nur auf einem religiösen Kongress sagen dass er jetzt doch an Gott glaubt und die Millionen würden fließen…

  7. #7 ali
    Juni 11, 2009

    Mir war die Templeton Stiftung vorher (nicht zuletzt da ich auch regelemässiger Pharyngula Leser bin) schon bekannt. Mir war nicht klar a) mit wieviel Geld die rumwedeln und b) wie klar sie die Richtung vorgeben. Hab mich da wohl täuschen lassen von Werbung die sie regelmässig im Economist schalten, wo man auch Neil deGrasse Tysons Gesicht finden konnte. Dachte mir so schlimm kann es nicht sein, wenn er auch einen Beitrag schrieb.

    @Ulrich
    Gefällt mir gut das Zitat. Genau so kommt mir die ganze Sache vor.

  8. #8 Martin
    Juni 12, 2009

    Die Wikipedia-Seite ist sehr informativ, insb. der Teil über Controversies:
    https://en.wikipedia.org/wiki/John_Templeton_Foundation