Achim Saupe: Der Historiker als Detektiv – der Detektiv als Historiker. Historik, Kriminalistik und der Nationalsozialismus als Kriminalroman, Bielefeld 2009.

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Von Martin Stallmann (Universität Heidelberg)

Das wissenschaftliche Handwerk des Historikers wird oftmals mit Detektivarbeit verglichen. Spuren müssen gefunden und Quellen interpretiert werden, Überreste aus der Vergangenheit werden gedeutet und es wird stets versucht, ein möglichst genaues Abbild vergangener Zeiten darzulegen.


In seiner gerade veröffentlichten Dissertation geht Achim Saupe der titelgebenden Metapher auf den Grund, indem er die Etablierung der Vorstellung vom Detektiv als Historiker in der hermeneutischen Geschichtstheorie des 18. bis 20. Jahrhunderts erforscht. Dabei interessieren den Potsdamer Historiker vor allem die Überschneidungspunkte von Kriminalistik, Kriminologie, Historik, Historiographie und Kriminalliteratur (S. 11f.).

Augenscheinnahme des Untersuchungsrichters am Tatort

Im ersten Teil seiner Ausführungen setzt sich der Autor mit dem ‚narrative turn’ in den Geschichtswissenschaften auseinander. Diese Einführung zu den Ansätzen von Hayden White, Paul Ricœurs und Carlo Ginzburgs bietet einen lesbaren Einstieg in die Thematik. Im nun folgenden Kapitel ‚Der Historiker als Untersuchungsrichter’ werden die gegenseitigen Beeinflussungen des sich wandelnden strafrechtlichen Denkens und der Geschichtstheorie behandelt, wobei die Einschreibung juristischer und kriminalistischer Diskurse in die Historiographie (S.192) thematisiert wird. „Die Augenscheinnahme des Untersuchungsrichters am Tatort”, so bemerkt Saupe, „und die Überprüfung der vorhandenen Beweismittel in der Gerichtsverhandlung wurden zum Vorbild für Historiker, die nun in den Archiven den Tatort der Vergangenheit erblickten und nach der Tatbestandsfeststellung zur freien Beweiswürdigung schritten” (S. 118).

Metapher vom ‚Historiker als Detektiv’

Dem bedeutenden Geschichtstheoretiker Johann Gustav Droysen (1808-1884), der mit seiner ‚Historik’ das Konzept einer hermeneutischen Geschichtswissenschaft entwickelte, ist hierbei der insgesamt größte Abschnitt des über 500 Seiten umfassenden Buches gewidmet. Nachdem mit Droysen ein Blick auf die Geschichtstheorie des 19. Jahrhunderts geworfen wurde, wendet sich der Historiker im dritten Kapitel ‚Geschichtstheorie im golden age of crime’ dem 20. Jahrhundert zu. Anhand von Marc Bloch (1866-1944) versucht er aufzuzeigen, dass sich in der Zwischenkriegszeit nun zunehmend eine Metapher vom ‚Historiker als Detektiv’ herausbildete. Ob dieses Selbstverständnis allerdings für eine größere Zahl an Historikern zutreffend ist, bleibt offen, hierzu wäre die Untersuchung einer breiteren Basis an Historikern erforderlich gewesen.

NS-Zeit wird unter dem Hintergrund des Systemkonflikts thematisiert

Die Darstellung von Geschichte war nie ein Monopol der Historiker, viele verschiedene Akteure bestellen das geschichtliche Feld. Auch zahlreiche Kriminalautoren repräsentieren in ihren Werken die Vergangenheit. Im vierten Kapitel seiner Arbeit widmet sich Saupe dieser Repräsentation von Vergangenem. Er untersucht hierbei überzeugend die Darstellung des Nationalsozialismus im Kriminalroman als ein Teil der populären Geschichtskultur. Saupe schweift mit seinem Blick nach Frankreich und England, um dann im geteilten Nachkriegsdeutschland zu verweilen und anhand einer Fülle an Romanen die Repräsentation des Nationalsozialismus zu beschreiben. Auf der Basis von 60 Romanen unterteilt er die Repräsentation des Nationalsozialismus im DDR-Kriminalroman in drei Phasen. Die erste Phase war durch einen primitiven historischen Materialismus gekennzeichnet, wobei zum Beispiel ein populäres Plotmuster die Verknüpfung von Mord mit versteckten Nazigeldern war. In der folgenden Phase, beginnend in den späten 1950er-Jahren, wurde die NS-Zeit vor allem unter dem Hintergrund des Systemkonflikts thematisiert. Im Zeichen der Kampagnen der DDR sollte eine ‚renazifizierte’ Bundesrepublik dargestellt werden.

NS-Scherge als Triebtäter, Serienkiller und Psychopath

In der abschließenden dritten Phase verlor die NS-Zeit an Bedeutung und so kann „eine frühzeitige Historisierung der NS-Problematik” verzeichnet werden (S. 344). Auf bundesrepublikanischer Seite werden anhand zahlreicher, ausgewählter Beispiele zwei verschiedene Narrationsmuster verdeutlicht, der NS-Scherge als Triebtäter, Serienkiller und Psychopath, sowie ein retrospektives Ermittlungsschema, welches in der Nachkriegszeit nationalsozialistische Verbrechen untersucht (S. 374). Saupe bemerkt hierbei, dass unter anderem durch Projekte zur Alltagsgeschichte des Dritten Reiches und durch die Oral History ab den 1980er-Jahren ein verändertes öffentliches Geschichtsbewusstsein zu verzeichnen ist und die Voraussetzungen für retrospektive Kriminalromane geschaffen wurden. Als Beispiel für einen solchen Roman wird ‚Das Zittern der Tenöre’ aus dem Jahre 1981 von Hansjörg Martin angeführt, indem eine von der NS-Zeit belastete Gesellschaft portraitiert wird. In diesem vierten Kapitel ermöglichen besonders die Schilderungen des Autors zu der geschichtspolitischen Auseinandersetzung, deren Höhepunkte in den 1960er-Jahren liegen, dem Leser aufschlussreiche Einblicke in eine deutsch-deutsche Erinnerungskultur.

Bewertung

Achim Saupe behandelt in seiner Studie ein umfassendes und weitgefächertes Themenfeld. Eine ungeheure Fülle an Material wurde für die Arbeit herangezogen und akribisch verwertet, allerdings erscheint es bisweilen so, dass der Autor zu viele verschiedene Felder bestellen wollte. Eine Fokussierung auf die Geschichtstheorie des 19. und 20. Jahrhunderts oder die Repräsentation des Nationalsozialismus im Kriminalroman wäre mitunter erdenklich gewesen. Dennoch zeigt Saupe – ganz seiner Zielsetzung – interessante Interdependenzen zwischen Historiographie und Kriminalliteratur auf, die als Ausgangspunkt für weitere Studien dienen können.