Hamiltonsche Flüsse und Symplektische Geometrie

Klassische Physik folgt dem Paradigma, dass sich die zeitliche Entwicklung von Systemen durch eine “Hamiltonfunktion” H (typischerweise die Energie) beschreiben lässt:

Seien q1,…,qn die Ortskoordinaten und p1,…,pn die Impulskoordinaten (die z.B. Ort und Impuls von n/3 Teilchen im R3 beschreiben), dann gibt es eine Funktion H:R2n—>R, so dass die zeitliche Entwicklung des Systems durch die Differentialgleichungen

dqi/dt=dH/dpi
dpi/dt=-dH/dqi
(i=1,…,n)

beschrieben wird.
Mathematisch eleganter (aber inhaltlich äquivalent) formuliert man das so:
betrachte die ‘2-dimensionale Volumenform’ ω=dq1dp1+dq2dp2+…+dqndpn. Diese ist nicht-entartet, weshalb jede 1-Form Φ einem Vektorfeld X entspricht mit Φ(Y)=ω(X,Y) für alle Vektorfelder Y. Insbesondere f&uum;r das Differential dH der Hamiltonfunktion gibt es dann also ein Vektorfeld XH mit dH(Y)=ω(XH,Y) für alle Vektorfelder Y. Man kann leicht nachrechnen, dass sich XH explizit beschreiben lässt: es handelt sich um das Vektorfeld XH=(dH/dp1,…,dH/dpn,-dH/dq1,…,-dH/dqn), also gerade um die rechte Seite der obigen Differentialgleichung. Der Fluss des Vektorfeldes XH beschreibt gerade die zeitliche Entwicklung des Hamiltonschen Systems.

All das lässt sich allgemein formulieren im Kontext symplektischer Mannigfaltigkeiten. Eine symplektische Mannigfaltigkeit ist eine 2n-dimensionale Mannigfaltigkeit M mit einer nicht-entarteten, anti-symmetrischen, bilinearen 2-Form ω. Zu einer Funktion H:M—>R hat man dann wieder ein Vektorfeld XH mit

dH(Y)=ω(XH,Y)

für alle Vektorfelder Y. Den Fluss dieses Vektorfeldes nennt man Hamiltonfluss zur Hamilton-Funktion H. Die Zeit-t-Abbildung eines Hamiltonflusses nennt man Hamiltonschen Symplektomorphism.
(Als Symplektomorphismen bezeichnet man allgemein Diffeomorphismen, die die symplektische Form erhalte. Nicht jeder Symplektomorphismus entsteht als Zeit-t-Abbildung eines Vektorfeldes. Zum Beispiel gibt es flächenerhaltende Diffeomorphismen 2-dimensionaler Flächen, die nicht einmal homotop zur Identität sind.)
Dieses Konzept verallgemeinert also die klassiche Hamiltonsche Mechanik auf Mannigfaltigkeiten. Die Motivation dafür ist sicher eher mathematisch als physikalisch: symplektische Geometrie kommt in allen möglichen Zusammenhängen in der Mathematik vor. V.I.Arnold etwa vertrat die These, viele “gewöhnliche” mathematische Ideen liessen sich “symplektisieren” und die symplektische Geometrie würde einmal eine ähnliche Rolle spielen wie die komplexen Zahlen (Quelle).

Wir hatten letzte Woche gesehen, dass für Abbildungen f:M—>M, welche homotop zur Identität sind (also z.B. Abbildungen die durch den Fluss irgendeines Vektorfeldes gegeben sind), die Anzahl der Fixpunkte immer mindestens die Euler-Charakteristik von M ist. Auf den Torus oder den Kreisring kann man das nicht sinnvoll anwenden, weil deren Euler-Charakteristik 0 ist.

“Poincarés letzter Satz” (erster vollständiger Beweis 1925 von Birkhoff) besagt aber: jede flächenerhaltende Abbildung des Kreisrings, welche seine Ränder in unterschiedliche Richtungen dreht, muss mindestens 2 Fixpunkte haben.
Die entsprechende Abbildung auf dem (aus 2 Kreisringen zusammengesetzten) Torus hat also mindestens 4 Fixpunkte.

Flächenerhaltende Abbildungen einer Fläche sind Symplektomorphismen und man kann zeigen, dass die Abbildung aus dem Poincaré-Birkhoff-Satz die Zeit-1-Abbildung eines Hamiltonschen Flusses ist. Es gibt also offenbar spezielle Eigenschaften Hamiltonscher Abbildungen, mit denen man die mittels Lefschetzformel erhaltene Ungleichung noch verbessern kann. Dies ist unter dem Namen Arnold-Vermutung bekannt: V.I.Arnold vermutete, dass die Anzahl der Fixpunkte (gezaühlt mit Vielfachheiten) einer Hamiltonschen Abbildung f:M—>M immer mindestens die Summe der Betti-Zahlen von M ist.

Für Flächen bewiesen wurde das von Eliashberg, für 2n-dimensionale Tori von Conley-Zehnder. Einen allgemeinen Ansatz zum Beweis der Arnold-Vermutung entwickelte dann Andreas Floer (der Namensgeber des FCG in Bochum). Dazu nächste Woche.


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