Morse-Homologie.

Letzte Woche hatten wir gesehen, wie man mit der (vor 2 Wochen) durch Morse-Theorie gegebenen Zellzerlegung leicht die Homologiegruppen einer Fläche (oder genauso auch einer höher-dimensionalen Mannigfaltigkeit) berechnen kann.

Es gibt noch einen konzeptuelleren Ansatz, wie man mittels Morse-Theorie die Homologie berechnen kann: die sogenannte Morse-Homologie, die mit Hilfe einer Morse-Funktion auf der Fläche berechnet wird und aber letztlich dasselbe gibt wie die üblichen Homologiegruppen.

Die für die Konstruktion von Morse-Homologie verwendete Mathematik findet sich implizit schon bei Smale und Thom, explizit wurde Morse-Homologie aber erstmals um 1980 von Edward Witten definiert in Zusammenhang mit seiner Arbeit “Supersymmetry and Morse Theory” – die dann aber noch eine andere Definition verwendete. (Zur geschichtlichen Entwicklung gibt es einen Artikel von Raoul Bott: “Morse theory indomitable”. Indomitable heißt übrigens unbezwingbar.)

Bei der Definition von Morse-Homologie startet man mit einer Morse-Funktion f (genauer muß es sich um eine Morse-Smale-Funktion handeln) und betrachtet deren (negatives) Gradienten-Vektorfeld -grad(f).
Um den Gradienten zu berechnen braucht man eine Riemannsche Metrik. Die Morse-Homologie hängt aber letztlich von der Metrik ebensowenig ab wie von der gewählten Morse-Funktion.
Zu diesem Gradienten-Vektorfeld betrachtet man den Fluß (TvF 210).
Die kritischen Punkte von f sind per Definition die Nullstellen von grad(f) und als solche natürlich die stationären Punkte des Gradienten-Flusses.
Man kann jetzt die Anzahl der Flußlinien zählen, die je zwei stationäre Punkte verbinden. (Soll heißen, die für t gegen – unendlich gegen den einen stationären Punkt konvergieren und für t gegen + unendlich gegen den anderen.) Im allgemeinen kann es natürlich unendlich viele solcher Flußlinien geben. Es stellt sich aber heraus: wenn der Index zweier stationärer Punkte sich nur um 1 unterscheidet, dann gibt es nur endlich viele Flußlinien zwischen den beiden Punkten. (Hierfür braucht man die Morse-Smale-Bedingung.)

Das Bild zeigt den Gradientenfluß für die Höhenfunktion auf dem Torus. Es gibt einen kritischen Punkt vom Index 2 (das Maximum), zwei kritische Punkte vom Index 1 (die beiden Sattelpunkte) und einen kritischen Punkt vom Index 0 (das Minimum) und zwischen diesen die eingezeichneten Flußlinien.

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Quelle

Im Bild ist jeweils noch das Vorzeichen +1 oder -1 der Flußlinien aufgetragen. Dieses Vorzeichen wird definiert wie folgt: man gibt sich zu jedem kritischen Punkt eine Orientierung der instabilen Mannigfaltigkeit vor. Zusammen mit der Orientierung der Fläche bestimmt das dann auch eine Orientierung der stabilen Mannigfaltigkeit im selben Punkt. Eine Flußlinie von p nach q transportiert nun eine Basis des Tangentialraums des einen stationären Punktes p in den anderen stationären Punkt q. Sei u die Tangente an die Flußlinie, (u,v2,…,vk) eine positive Basis der instabilen Mannigfaltigkeit von p (verschoben nach q) und (u,wk+1,…,wn) eine positive Basis der stabilen Mannigfaltigkeit von q, dann ist (v2,…,vk,u,wk+1,…,wn) eine Basis des Tangentialraums in q und wir definieren das Vorzeichen der Flußlinie als +1 oder -1, je nachdem ob diese Basis positiv oder negativ orientiert ist.

Die Morse-Homologie definiert man dann über folgenden Kettenkomplex:
– für jedes k ist Ck die Gruppe der formalen Linearkombinationen von kritischen Punkten vom Index k,
– der Randoperator δ: Ck—>Ck-1 ist δp=Σq cpq q, wobei cpq die (mit dem eben definierten Vorzeichen gezählte) Anzahl der Flußlinien von p nach q ist
– die Homologie ist wie üblich definiert als ker(δ)/im(δ).

Und der Satz von Witten besagt, daß die so definierte Homologie übereinstimmt mit den üblichen Homologiegruppen.

Im Beispiel des Torus oben ist C0 1-dimensional, C1 2-dimensional und C2 1-dimensional. Die Flußlinien kommen jeweils paarweise mit entgegengesetzten Vorzeichen, heben sich also sozusagen auf, und der Randoperator δ ist immer δ=0. Damit sind also die Homologiegruppen in diesem Beispiel dasselbe wie die Ck, also H0=Z, H1=Z2, H2=Z, wie wir ja letzte Woche schon auf andere Weise berechnet hatten.


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