Am Mittwoch ist der seit April avisierte Preprint von Hill-Hopkins-Ravenel zur Kervaire-Vermutung auf dem ArXiv erschienen. Der Beweis war im April auf der Atiyah80-Konferenz angekündigt worden (wir hatten hier und hier berichtet).

Die Kervaire-Vermutung gilt als das schwierigste ungelöste Problem der höher-dimensionalen Topologie. (D.h. der Topologie mindestens 5-dimensionaler Räume. Als niedrig-dimensionale Topologie bezeichnet man die 3-und 4-dimensionale, wo völlig andere, in der Regel weniger algebraische, Methoden verwendet werden.)

Ein populärwissenschaftlicher Artikel Hypersphere Exotica: Kervaire Invariant Problem Has a Solution! (Untertitel: A 45-year-old problem on higher-dimensional spheres is solved–probably) von Davide Castelvecchi erschien in der letzten Ausgabe des Scientific American.
Mehr Informationen zum Beweis und zum Hintergrund der Kervaire-Vermutung findet man auf der Webseite zur Kervaire-Vermutung von Ravenel, vor allem auch Scans vieler Original-Arbeiten von Pontrjagin, Freudenthal, Whitehead etc.

Die Kervaire-Vermutung besagt, daß es ‘Mannigfaltigkeiten’ (Räume) mit bestimmten Eigenschaften nur in Dimension 2,6,14,30,62 und evtl. 126 geben kann. Ihre Bedeutung für die Topologie kommt aus den ‘Anwendungen’ auf die Berechnung exotischer Sphären, Homotopiegruppen und Kobordismusgruppen. (Zur Anwendung auf exotische Sphären siehe den nächsten Beitrag hier.)

Eigendarstellung

Eine Einführung in die Kervaire-Vermutung gibt diese Präsentation von Ravenel. Zitat:

Our main theorem can be stated in two different but equivalent
ways:

– It says that a certain algebraically defined invariant(M)
(the Arf-Kervaire invariant, to be defined later) on certain
manifolds M is always zero.

– It says that a related invariant (having to do with
secondary cohomology operations) defined on maps
between high dimensional spheres is always zero.

The question answered by our theorem is nearly 50 years old.
It is known as the Arf-Kervaire invariant problem. There were
several unsuccessful attempts to solve it in the 1970s. They
were all aimed at proving the opposite of what we have proved.

Some homotopy theorists, most notably Mark Mahowald, conjectured the opposite of what we have proved, and had derived numerous consequences about homotopy groups of spheres. We now know that the world of homotopy theory is different from what they had envisioned. Barratt and Mahowald called the possible nonexistence of the θj for large j the Doomsday Hypothesis.

After 1980, the problem faded into the background because it was thought to be too hard. Our proof is two giant steps away from anything that was attempted in the 70s.

Main Theorem:
The Arf-Kervaire elements θj in πs22j+1-2 do not exist for j >6.

The θj in the theorem is the name given to a hypothetical manifold or map between spheres for which the Arf-Kervaire invariant is nontrivial.

Historisches

Ein schwieriges topologisches Problem ist die Berechnung der Homotopiegruppen von Sphären πn+kSk, d.h. die Frage, wieviele nicht-homotope Abbildungen f:Sn+k–>Sk es gibt. (Man weiß, daß sich bei festem n die Gruppe πn+kSk ab k=n+2 nicht mehr ändert. Diesen ‘Grenzwert’ bezeichnet man als stabile Homotopiegruppe πns.)

Zu einer Abbildung f:Sn+k–>Sk kann man sich das Urbild f-1(y) eines Punktes y anschauen. Für die ‘meisten’ Punkte (genauer: für alle regulären Werte von f) ist dieses Urbild eine n-dimensionale Mannigfaltigkeit.
Wenn man dazu noch eine Basis des Tangentialraumes in y nimmt und deren Urbild unter f betrachtet, bekommt man eine n-dimensionale Mannigfaltigkeit ‘mit Rahmung’. Der Satz von Pontrjagin-Thom besagt, daß man πns berechnen kann als Kobordismusgruppe solcher ‘gerahmten n-Mannigfaltigkeiten’. (Link zu Pontrjagins Original-Arbeit.)

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Zum Beispiel hat π1s zwei Elemente, die verschiedenen Rahmungen des Kreises S1 entsprechen. Die eine Rahmung kommt von der Standard-Einbettung in der Ebene, die andere von der Struktur der S1 als Lie-Gruppe oder von der Einbettung des Kreises als 8 (“Figur-Acht”) in die Ebene. (Wegen das Kreuzungspunktes ist das eigentlich keine eingebettete Mannigfaltigkeit, aber man kann es zu einer eingebetteten Mannigfaltigkeit im R3 deformieren.)

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Kommentare (10)

  1. #1 Florian Freistetter
    1. September 2009

    Ich hab das jetzt noch nicht wirklich komplett verstanden 😉 Aber solche “großen” Beweise finde ich eigentlich immer interessant. Hab mir grade ein Buch über die Poincaré-Vermutung gekauft und letzte Woche “Die Musik der Primzahlen” gelesen – da gehts ja um die Riemann-Hypothese. Kennst du dazu vielleicht noch andere, allgemein verständliche Bücher?

  2. #2 Thilo
    1. September 2009

    Es gibt zwei allgemein-verständliche Bücher zur Poincare-Vermutung, von O’Shea und von Szpiro ich weiß jetzt nicht, welches der beiden Du schon gekauft hast 🙂
    https://www.amazon.de/Poincar%C3%A9s-Vermutung-Geschichte-mathematischen-Abenteuers/dp/3100540204
    O’Shea ist wirklich SEHR zu empfehlen, wenn man am allgemein-kulturellen Hintergrund der Leute und Theorien interessiert ist, Szpiro geht dafür mehr ins mathematische Detail.

    Zur Fermat-Vermutung gibt es natürlich das bekannte Buch von Singh https://www.dtv.de/titel/fermats_letzter_satz_33052.html

    Mit den Büchern zur Riemann-Vermutung kenne ich mich jetzt nicht so aus. Sautoy ist jedenfalls ein populärer Autor und es gibt von ihm noch ein populäres Buch zur Moonshine-Vermutung, in dem es um Gruppen und Symmetrien geht.

  3. #3 Florian Freistetter
    1. September 2009

    @Thilo: Also gekauft hab ich das von O’Shea; das von Szpiro hatte ich schon vorher gelesen. Singh kenn ich natürlich auch (das les ich grad im Moment wieder) 😉 Von Sautoy hab ich außer dem Primzahlbuch noch ichts gelesen – aber ich werd mal schauen, ob ich das zur Moonshine-Vermutung finde.

  4. #4 vJD
    2. September 2009

    Eine Frage von einem interessierten Laien:

    Sind alle diese Beweise grundsätzlich so aufbereitbar, dass sie ein durchschnittlich intelligenter Mensch verstehen könnte (wenn er entsprechenden Aufwand betreibt) – oder liegen diese Beweise inzwischen in Sphären, wo überhaupt nur noch eine gewisse kleine Anzahl Menschen diese überhaupt verstehen *könn(t)en* (auch bei entsprechendem Aufwand).

    Danke für eine qualifizierte Beantwortung!

  5. #5 Thilo Kuessner
    2. September 2009

    Ehrlich gesagt – ich denke, nein.

    Die jetzt von Hill-Hopkins-Ravenel ins Netz gestellte Arbeit ist 99 Seiten lang, obwohl dort noch nicht alle Einzelheiten ausgearbeitet sind, und sie löst eigentlich ein ganz anderes Problem, dessen Äquivalenz zur ursprünglichen Kervaire-Vermutung in einer 29 Seiten langen Arbeit von Browder bewiesen worden war. Und diese Arbeiten bauen natürlich auf einer Reihe anderer Arbeiten auf, die man auch erst gelesen haben müßte.

    Und der Beweis ist (meinem ersten Eindruck nach) auch nicht so, daß man ihn irgendwie anschaulich erklären oder kurz zusammenfassen kann. Für einen Mathematiker würde man die 99 Seiten wohl ungefähr so zusammenfassen: “Es geht um Spektralsequenzen bestimmter Homologietheorien.” Aber das sagt dann natürlich auch nur jemandem etwas, der schon mit ähnlichen Themen zu tun hatte.

  6. #6 Thilo Kuessner
    27. Januar 2010

    Der im letzten Absatz erwähnte “Alternativ-Beweis” von Akhmetiev ist möglicherweise falsch. Peter Landweber gibt auf https://xxx.uni-augsburg.de/pdf/1001.4760 ein Gegenbeispiel zu Proposition 37 aus Akhmetiev’s Arbeit.

  7. #7 Thilo Kuessner
    27. Januar 2010

    Ein neuer Überblicksartikel, insbesondere auch zu den Anwendunge auf die stabilen Homotopiegruppen von Sphären, auf https://xxx.uni-augsburg.de/pdf/1001.4751

  8. #9 Thilo
    29. Juni 2014

    Inzwischen gibt es eine neue Version des Preprints: https://www.math.rochester.edu/people/faculty/doug/kervaire_061114.pdf

  9. #10 Thilo
    13. Januar 2016

    Ein heute auf dem ArXiv erschienener Preprint https://arxiv.org/pdf/1601.02184.pdf von Wang und Xu behauptet in Proposition 1.10. die Existenz einer 125-dimensionalen exotischen Sphäre.

    Die Kervaire-Vermutung im verbleibenden Fall n=126 würde folgen, wenn die sogenannte Kervaire-Sphäre eine exotische Sphäre wäre. Anscheinend ist aber nicht klar, ob die von Wang und Xu erhaltene Sphäre die Kervaire-Sphäre ist.