Geschätzte Leserinnen und Leser!

Neuerdings, das wissen natürlich zumindest die Österreicher unter Ihnen, wird via Leserbrief ans Kleinformat Politik gemacht. Im schönen Kärnten, wo ich eben auf Kurzurlaub war, wird ebenfalls Politik gemacht, ganz komische meistens, aber das ist hier nicht das Thema. In Kärntens größtem Kleinformat, in der Kleinen Zeitung, wird auf der Leserbriefseite nämlich jetzt auch Physikunterricht gemacht. Dieser ist noch … sagen wir mal, ausbaufähig, liefert uns aber gerade deshalb Anlass für unser (von kamenin inspiriertes) Sommerrätsel Physik-im-Alltag.

Unter dem Titel “Rotationen” formuliert Mag. Robert Samonig aus Klagenfurt am 2. August eine Anfrage per Leserbrief an die Kleine Zeitung:

Gegenstände, die man an einem Faden aufhängt, beginnen zu rotieren. Dies kann mit einer Kaffeeschale demonstriert werden: Man befestigt den Faden am Henkel und hält dann das Ganze wie ein Pendel. Um sicherzugehen, dass menschliche “Biofelder” keine Rolle spielen, kann man den Faden an einem Balken oder an einer Decke befestigen und weggehen. Der Drehsinn – vom Aufhängepunkt aus betrachtet, gegen den Uhrzeiger – ändert sich nicht, wenn man den Faden umdreht. Der Effekt ist dort und da wohl schon beobachtet worden, ich bin mir aber nicht sicher, ob er in der physikalischen Fachliteratur Beachtung gefunden hat. Um Hinweise wird gebeten.

Wir wollen die Bemerkung über die “Biofelder” hier nobel ignorieren und zuerst einmal ganz klar darauf hinweisen, dass eine an einem Bindfaden aufgehängte Kaffeeschale tatsächlich für gewöhnlich um die Fadenachse zu rotieren beginnt.

Herr Samonig fragt sich,  ob dieses Phänomen in der Physik bekannt ist.
Im Prinzip könnte er sich mit seiner Frage zwar auch an einen Physiker
wenden, aber vielleicht kennt er ja einfach keinen. Oder vielleicht
kennt er nur solche, die, wie John L. Casti
(allerdings ein Mathematiker) einmal von sich erzählte, beim Smalltalk
auf die Frage nach ihrem Beruf irgendwann nur noch mit “Tennislehrer”
antworten, weil sie die gewohnten mitleidigen Reaktionen vermeiden
wollen.

Es ist natürlich eine clevere Idee, sich in so einer Situation via
Leserbrief an die Öffentlichkeit zu wenden, und ich bin davon
überzeugt, dass übers vergangene Wochenende einige hilfreiche Antworten
in der Redaktion der Kleinen Zeitung eingelangt sind. Eine auf dem Weg
zur Wahrheitsfindung und -verbreitung nicht zu unterschätzende Hürde
besteht jedoch darin, dass die Auswahl jener Antwort, die dann auch
abgedruckt wird, von der Redaktion selbst ohne Dazwischenschaltung
eines anständigen Peer-Review-Verfahrens vorgenommen wird. Und das kann
schief gehen.

Karl Rittmann, ebenfalls aus Klagenfurt, antwortet in der Leserbriefspalte vom 6. August wie folgt:

Der Auslöser für den beschriebenen Effekt ist die so genannte
“Coriolis-Kraft”. Genauer nachzulesen unter:
https://de.wikipedia.org/wiki/Corioliskraft.

Dies bringt uns jetzt endlich zu unserem Sommerrätsel, aufgegliedert in vier Fragen:

  1. Stimmt es, dass sich die Drehrichtung der Kaffeeschale nicht ändert, wenn man den Faden umdreht?
  2. Stimmt es, dass die Drehung von oben betrachtet stets gegen den Uhrzeigersinn erfolgt?
  3. Ist die Erklärung von Herrn Rittmann korrekt?
  4. Falls nein, wie lautet die korrekte Erklärung für das beschriebene Phänomen?

Wenn Sie die richtigen Antworten zu kennen glauben, dann schreiben
Sie sie einfach in den Kommentarteil hier unten. Der Autor bzw. die
Autorin des ersten Kommentars, in dem alle vier Fragen richtig
beatwortet werden, bekommt von mir persönlich den Titel “Retter der Kleinen Zeitung” verliehen. Und dann schreiben wir einen Leserbrief!

PS: Berufsphysiker sind herzlich dazu eingeladen, sich zurückzuhalten und das Rätsel nicht vorschnell aufzulösen!

PPS: Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Bei etwaigen Streitigkeiten
über meine Kompetenz als Schiedsrichter werde ich zuerst triumphierend
auf meine Bronzemedaille bei der 7. Österreichischen Physik-Olympiade
hinweisen, dann echte Experten einschalten, und wenn diese als Mitglieder unseres kleinen Vereins geoutet werden, alles abstreiten.

Kommentare (11)

  1. #1 Fischer
    7. August 2008

    Spekulation aus dem Handgelenk, hab grade keinen Bindfaden zur Hand:
    1) Ja, das stimmt – Bindfäden sind chiral. Siehe Nr. 4
    2) Das hängt wahrscheinlich vom Faden ab
    3) Nein, nein und nochmals nein
    4) Ein Bindfaden besteht aus ineinander verdrillten kleineren Fäden, deren Drehmomente um die Fadenachse alle im Gleichgewicht sind. Wenn man jetzt ein Gewicht unten dran hängt, werden all diese gewundenen Schnüre in verschiedener Weise langgezogen und ihre Drehmomente sind nicht mehr im Gleichgewicht. Deswegen dreht sich der Faden ein paar mal, bis das wieder der Fall (oder die Schnur aufgeribbelt) ist.

    Findet das die Gnade der Physiker? 😉

  2. #2 florian
    7. August 2008

    Ich als Theoretiker hätte mit 1) schon meine Probleme… ein Bindfaden ist ja näherungsweise eindimensional – wie soll man den umdrehen 😉

    zu 4) von Fischer: klingt vernünftig. Aber dann müsste es doch zu einer Art “Pendelbewegung” kommen. Irgendwann ist die Schnurr aufgeribbelt und dreht sich in der entgegengesetzen Richtung wieder zusammen. Nach einiger Zeit müsste sich die Tasse dann andersrum drehen – solange bis sich die Drehrichtung wieder umkehrt – usw. Bis irgendwann alle Energie verbraucht ist und sich gar nix mehr dreht.

    Um die Antwort auf Frage 3) zu finden schlage ich einen Test auf der Nordhalkugel vor und einen auf der Südhalbkugel – wenn die Corioliskraft verantwortlich ist, dann müsste sich dort ja die Drehrichtung umkehren. Ich bitte daher die GkD mir eine Reise nach Südamerika zu finanzieren – Ich schätze 3 Wochen sollte reichen um alles genau zu testen 😉

  3. #3 Fischer
    7. August 2008

    Siehste, vom Standpunkt des Chemikers ist so ein Bindfaden schon eine verdammt dicke Helix. Alles eine Frage der Perspektive. 😉

    Und die Pendelbewegung muss sich natürlich einstellen, das stimmt.

    Was die Südamerika-Expedition angeht, das muss natürlich eine interdisziplinäre Abordnung aus allen Fachgebieten sein. Wo kann man sich bewerben?

  4. #4 Fischer
    7. August 2008

    So, eine experimentelle Überprüfung durch die Fischer-Labs ergab folgendes:

    – Man sollte vorher gucken ob die Tasse leer ist.
    – Es hängt von der Art Schnur ab:
    Wenn ich eine hochwertige Kunststoff-Drachenleine nehme, rotiert da gar nichts. Bei Zwirn und grober Paketschnur aus Naturfaser gibt es eine Pendelbewegung.

    Ich geh jetzt erstmal Tee aufwischen…

  5. #5 JLT
    7. August 2008

    Nach ausführlichen Studien mit drei verschiedenen Fäden (Durchmesser des Ersten: geschätzte 0,1 mm; Durchmesser der beiden anderen: etwa 1,5 mm) beantworte ich die Fragen als Laie (bin Biologin) wie folgt:

    1) stimmt (n=3)
    2) stimmt (n=3)
    3) Nö.
    4) Der Fachbegriff ist meiner Meinung nach “Entdröselung”.
    Nach makroskopischer Untersuchung des dickeren Fadens offenbarte sich, dass der Faden rechtsgedreht war (soll heißen, der Faden besteht aus Einzelfasern, die nicht parallel verlaufen, sondern durch Verzwirbelung *mit* dem Uhrzeigersinn umeinander gewunden wurden) – das ist natürlich unabhängig von der Orientierung des Fadens, oder, einfacher ausgedrückt, es gibt kein “oben” oder “unten”.
    Die Verzwirbelung macht den Faden kürzer und wenn man ein Gewicht unten anbringt, durch das (möglicherweise, aus den Fingern gesogen) die Energie, die zur Verzwirbelung aufgewandt wurde, überschritten wird, führt das so einer Revertierung des Vorgangs – der Faden dreht sich entgegen des Uhrzeigersinns.
    Alles in allem ist meine völlig unprofessionelle und von wirklicher Kenntnis völlig unbeeinflusste Meinung, dass sich so ein Faden irgendwie wie eine Spiralfeder verhält und ich leider nicht mehr in der Lage bin, auch nur annähernd in mein Gedächtnis zurüchzurufen, welche Kräfte da wirklich wirken. Ich bin nur ziemlich sicher, dass die Coriolis-Kraft damit absolut nichts zu tun hat – mich würde allerdings interessieren, warum Fadenhersteller alle ihre Fäden rechtsrum verdrehen.

    Werde ich jetzt Retter der Kleinen Zeitung?

  6. #6 JLT
    7. August 2008

    @ Fischer: Mit Teetassen kann das ja nicht funktionieren. Und was heißt da “pendeln”. Meine Kaffeetassen drehen sich alle einwandfrei in eine Richtung, erstmal. Wahrscheinlich hast Du Wasseradern unter Deiner Wohnung *lacht sich schlapp über ihren eigenen Witz* (‘Tschuldigung).

    @ Florian: Puah. Theoretiker. Annähernd eindimensional. HA! Biologen sind da doch eindeutig Praxisbezogener (wenn auch die Physikkenntnisse eindeutig zu wünschen lassen – obwohl ich ein Semester Physik und ein Semester phyikalische Chemie nicht völlig unbeeindruckt überstanden habe, wenn auch offenbar ohne bleibende Wirkung).

  7. #7 Andreas Kyriacou
    7. August 2008

    Mein Erinnerungsvermögen sagt mir, dass diese faszinöse Fragestellung sehr wohl interdisziplinär angepackt werden muss, da Spinnenfäden sich besser als andere Materialien nach dem anfänglichen Hin- und Herrotieren in ihren Ursprungszustand zurückversetzen (von Eindimensionalität also keine Spur). Damit habe ich zwar keine einzige der Fragen auch nur entfernt angepackt, aber JLT kann als Biologin vielleicht dank dieses Hinweises mit auf die Reise. Am neuropsychologischen Zusammenhang arbeite ich noch…

  8. #8 Dr. E. Berndt
    8. August 2008

    Am besten ist es keine Kleine Zeitung zu lesen!
    Schon vor 30 Jahren witzelten wir in Graz: Hattu Kleine Zeitung – Muttu verbrennen!

  9. #9 Rincewind
    9. August 2008

    Ah, ich komm zu spät, seh schon. Aber weil ich mich gerade im schönen Österreich befinde und das Wetter mies ist, kommentiee ich halt:

    ” 1. Stimmt es, dass sich die Drehrichtung der Kaffeeschale nicht ändert, wenn man den Faden umdreht?”

    Nein.

    ” 2. Stimmt es, dass die Drehung von oben betrachtet stets gegen den Uhrzeigersinn erfolgt?”

    Nein.

    ” 3. Ist die Erklärung von Herrn Rittmann korrekt?”

    Nein. Coriolis funktioniert in der Badewanne auch nicht. Völliger Unsinn in dieser GRößenordnung

    “4. Falls nein, wie lautet die korrekte Erklärung für das beschriebene Phänomen?”

    “Aufdrillung” der einzelnen Fadenbestandteile. Alpinhistorie (bin ja in Österreich): Wer schon mal an einem altertümlichen Hanfseil hingt (vermutlich wenige hier), kennt den Effekt nur zu gut. Das war übrigens der Grund, warum man Kernmantelseile entwickelt hat, welche diesen Effekt nicht haben.

  10. #10 Mimus Vitae
    11. August 2008

    1 und 2 sind hinreichend beantwortet, möchte man meinen.
    Was noch nicht genannt wurde, ist die Kraft, die die Kaffeetasse (austr.: “Schale”) ins Rotieren bringt.
    Denn die Antwort zu 3 muß lauten: NEIN!
    Zu 4 ist zunächst zu sagen, daß ein Seil oder ein Faden – egal, Hauptsache “verzwirbelt” (tolles Wort; auch austrisch?) im klassischen Sinne geschlagen, also aus vielen Fasern zusammengereht wird. Das macht man aus einem Hauptgrund: Elastizität. (Bei modernen Bergseilen ist diese Elastizität eine inhärente Eigenschaft des Werkstoffs, weshalb auf das Schlagen verzichtet wird.)
    Dieses Schlagen ist ein mit mechanischen Hilfsmitteln durchgeführtes Einbringen einer Spannung in Längsrichtung des Seiles. Nach dem Schlagen zieht sich das Seil unter Entspannung um einiges zusammen, und da die Litzen gegeneinander geschlagen wurden, bleibt die Verdrehung erhalten. Das Seil ist also im unbelasteten Zustand nicht “spannungsfrei”, da die Litzen ihre beim Schlagen erhaltene Verdrehung nicht lösen können. Klar soweit?
    Jetzt wird’s spannend. Die Kraft, die das Seil (die Schnur, den Faden) und die daran hängende Tasse/Schale in Rotation versetzt, ist natürlich die Gravitation der Erde. Ein Gewicht am Seil hat dessen Dehnung zur Folge. Eine Dehnung können die Litzen (die ja, wir erinnern uns, gegeneineinander verschränkt geschlagen wurden) nur mitmachen, wenn die Kraft, die sie beieinander hält, langsam abgeben. Und diese Kraft ist ja, wie wir jetzt wissen, eine in Drehrichtung ihres Schlags wirkende Spannung. Darum dreht sich das ganze System, und dabei wird es mehr oder weniger deutlich auch länger. Logisch, oder?
    Die Tasse wird sich also weiterdrehen, und wegen des Drehmoments (abhängig von der Masse der Tasse, der sogenannten Tassemasse, höhö) über den Punkt der Entspannungslänge des Fadens hinaus, bis die gegen den Schlag wirkende Spannung sie wieder zurückdreht. Irgendwann pendelt sich das System aus. Schneidet man die Tasse ab, “schnurrt” der Faden zusammen, meistens schneller, als die Fasern sich gegeneinander zusammenschieben können, weshalb sich der ganze Faden wie ein angeschossener Regenwurm zusammendröselt.
    Das war’s schon. Stay Tuned!

  11. #11 Ulrich Berger
    13. August 2008

    Verehrte Kommentatoren und -in! Ich danke für die unermüdliche Mithilfe bei der Lösung dieses physikalischen Rätsels. Das Geheimnis der rotierenden Kaffeeschale wurde m.E. erfolgreich gelüftet. Auflösung und mehr dazu hier:
    https://www.scienceblogs.de/kritisch-gedacht/2008/08/sommerraetsel-geloest.php