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Das ist die Frage, die ich mir nach dem Lesen einer Titelstory in der (Donnerstags-)New York Times stellen muss: Der so genannte PSA-Test zur Früherkennung von Prostatakrebs (ein harmloser Bluttest) funktioniert offenbar so gut, dass er Krebsfälle selbst dann aufspürt, wenn sie sich nie zu einer ernsthaften Gesundheitsgefahr für den Patienten entwickelt hätten. Zwei Langzeit-Studien (jeweils zehn Jahre), die im aktuellen New England Journal of Medicine publiziert wurden – das amerikanische Prostate, Lung, Colorectal & Ovarian Cancer Screening Trial (PLCO), mit Daten von 77.000 Männern, und die European Randomized Study of Screening for Prostate Cancer (ERSPC), mit 182.000 Teilnehmern. Im Kern sagen beide Studien das gleiche: PSA-Voruntersuchungen entdecken zwar deutlich mehr Prostatafälle – aber sie retten nicht mehr Leben (die nebenstehende Grafik ist via NYT dem NEJM entliehen).

Der Schaden überwiegt, darin scheinen sich beide Studien einig, sogar den Nutzen: Denn als Folge dieser Früherkennung werden 49 von 50 Patienten (laut PLCO; die ERSPC kommt auf 48 von 49) unnötig an der Prostata operiert – mit lebensverändernden Begleiterscheinungen wie Inkontinenz und Erektionsstörungen. Das heißt, dass also etwa 98 Prozent aller Männer, die sich nach einem positiven PSA-Test, auch ohne Operation nie in Gefahr geraten wären, an diesem Krebs zu sterben.

Wer jetzt gleich losschreit, dass er es doch schon immer gewusst habe, die Ärzteschaft, das seien doch nur geldgierige Quacksalber, die ihr Patienten mit unnötigen Tests … etc. etc. blabala – Halt! Ich gehöre selbst zu der Zielgruppe der über 50-jährigen Männer, und ich habe bereits einmal eine traditionelle Vorsorgeuntersuchung über mich ergehen lassen. Dass ich mich lieber Tausend Mal mit einer kleinen Kanüle zur Blutentnahme pieksen lasse als das noch einmal durchzumachen, muss ich vermutlich nicht lange begründen. Und dass Krebsvorsorge unendlich viel besser sein düfte als Krebstod, wohl auch nicht.

Wenn ich das Fazit der Studien richtig verstanden habe, dann wird geraten, sich mit den PSA-Vorsorgetests auf Risikogruppen (das sind, in den USA jedenfalls, vor allem Männer afrikanischer Abstammung und alle, die bereits Fälle von Prostatakrebs in der Familie hatten) zu konzentrieren und sie nicht auf breiter Front als Regeluntersuchung zu etablieren. In den USA sind solche “Screenings” inzwischen übrigens weit verbreitet: Etwa die Hälfte der über 50-Jährigen lässt sich regelmäßig testen (und ich war eigentlich auch schon entschlossen, einen Termin bei meinem Arzt zu buchen).

Ist es beruhigend, dass das Risiko eines Mannes, mit Prostatakrebs diagnostiziert zu werden, bei 17 Prozent liegt; das Risiko, daran zu sterben, sogar bei “nur” drei Prozent? Würde ich, wenn ich den Test mache und einen positiven Befund erhielte, mich dann damit beruhigen können, dass ich ja trotzdem “nur” eine zweiprozentige Chance habe, dass ich daran sterben könnte? Ich fürchte, die Antwort auf beide Fragen ist: “Nein”.

Wissen ist, wie man so sagt, Macht – was man mit dem Wissen macht, ist dann wieder eine andere Frage. Wenn eine Zeitbombe (als solche kann man Krebs ja sehen) in meinem Körper tickt, würde ich es wissen wollen. Und dann? Dann, so denke ich, müsste es – wie bei vielen anderen Labortests auch – eine Mehrstufen-Diagnose geben: Ein erstes PSA-Screening etabliert vielleicht einen Anfangsverdacht, der dann durch spezifischere Methoden bestätigt oder “auf Wiedervorlage” verschoben wird, um zu verfolgen, ob und wie sich Krebs entwickelt. Aber wenn der Chefmediziner der American Cancer Society, Dr. Otis W. Brawley, in der New York Times mit den Worten zitieren lässt, der Nutzen des Krebs-Screening sei “bestenfalls mäßig und mit größeren Nachteilen behaftet als jeder andere Krebs, für den wir Screenings machen”, dann muss er aufpassen, dass er nicht das Kind mit dem Bade ausschüttet. (Zu seiner Ehrenrettung sei hier aber gesagt, dass er diesen Standpunkt auf der ACS-Website schon deutlich differenzierter darlegt.)

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