Dunkle Materie ist ein häufiges Thema bei den ScienceBlogs, und nicht umsonst, stehen wir doch vielleicht kurz davor, dieses seltsame Phänomen zu erklären. Auch Messungen aus verschiedenen Experimenten, die eventuell als Produkt von Annihilationen von Dunkler Materie zu erklären sind, waren hier schon oft Thema. Neben den Experimenten ATIC und HESS waren das vor allem PAMELA und FERMI. All diese Experimente haben ein Energiespektrum in der kosmischen Strahlung untersucht, bei Elektronen/Positronen und/oder Protonen/Antiprotonen.
Der europäische Satellit PAMELA hat einen Überschuss an Positronen festgestellt, also Messung von mehr Positronen über 5 GeV, als man erwartet. Das Ballon-getragene Experiment ATIC fand ebenso zu viele Elektronen/Positronen. Die Ergebnisse des Satelliten FERMI waren eher zwiespältig, es war zu viele Positronen/Elektronen, aber ein geringerer Überschuss als bei PAMELA:

i-d742ab6e7eb79d5190ecd197eb26adf4-fermipos.jpg


ResearchBlogging.orgEs gibt hauptsächlich zwei mögliche Erklärungen für diese Exzesse: Entweder gibt es zusätzliche Quellen die man unterschätzt, man denkt da vor allem an nahe Pulsare. Die faszinierendere Erklärung: Teilchen der Dunklen Materie löschen sich aus und erzeugen zusätzliche Teilchen.

Aber beide Erklärungen sind nicht felsenfest. Die Pulsarvariante stellt noch einige Anforderungen, die noch nicht nachgewiesen werden konnten. Und auch bei der Dunklen Materie ist man sich verständlich noch nicht sicher, abgesehen davon dass man Konflikte mit Occams Rasiermesser bekommt, wenn man zusätzliche Teilchen einführt, gibt es Konflikte mit den gemessenen Spektren an Gammastrahlung.
Und so ist es nicht verwunderlich, dass weitere mögliche Szenarien vorgeschlagen werden. Besonders interessant ist eine neue Arbeit von Łukasz Stawarz, Vahé Petrosian und Roger D. Blandford im Astrophysical Journal (arXiv) deswegen, weil sie ohne neue Quellen auskommen. Stattdessen untersuchen sie mit einem einfachen Modell, ob nicht ein besonderer Effekt der Interaktion von schnellen Elektronen/Positronen aus kosmischen Quellen mit dem Hintergrundlicht im Weltall zu wenig beachtet wurde.

Und tatsächlich gelingt es ihnen, mit – wie sie sagen konservativer Parameterwahl – die Ergebnisse von allen Experimenten außer PAMELA nachvollziehen. Der betrachtete Effekt ist der Klein-Nishina-Effekt. Man muss sich vorstellen, dass Elektronen mit lossausen und dann auf Photonen aus verschiedenen Quellen treffen, z.B. dem Mikrowellenhintergrund, aber vor allem auch Infrarotstrahlung innerhalb der Staubwolken in Galaxien. Durch die Interaktion zwischen Elektron und Photon werden Elektronen abgebremst, also gekühlt. Wenn der Klein-Nishina-Effekt auftritt ist die Kühlung allerdings etwas weniger stark – und da er erst bei Elektronen (oder Photonen) mit sehr hoher Energie auftritt, könnte dies die zusätzliche Anzahl bei höheren Energien erklären. Bei diesen ultrarelativistischen Elektronen ist – im Ruhesystem des Elektron betrachtet – die Masse des Photons höher als die invariante Masse des Elektrons (da, seht ihr, ich hab invariante Masse geschrieben, nicht Ruhemasse!).

Bei PAMELA funktionierte das “konservativ” parametrisierte Modell aber nicht. Unter zusätzlichen Annahmen aber kann man auch diese Ergebnisse reproduzieren. Die zusätzliche Annahme ist, dass die meisten Interaktionen der Elektronen/Positronen mit Photonen sehr kurz nach der Entstehung passieren. Das würde erforderlich machen, dass die Dichte des Gases in der Nähe z.B. von Supernovae, höher wäre als bislang gedacht.

Eine interessante Idee also, vor allem weil sie sparsamer ist als die Dunkle Materie-Annahme oder der Bedarf zusätzlicher Quellen. Ob jedoch das einfache Modell gegen die wesentlich komplexeren Modelle bestehen kann, weiß ich nicht zu beurteilen. Auch, dass man für die PAMELA-Ergebnisse dann doch zusätzliche Bedingungen reinstecken muss, muss genauer untersucht werden.
Was ich aber sehr hoffe, ist dass das Zitat Von V. Petrosian in Nature News etwas aus dem Kontext gerissen ist. Er sagt: “We have to put dark matter on the shelf”. Naja, ich hoffe das war nur auf diese Beobachtungen bezogen, denn sonst muss man fragen, und was ist hiermit?

i-ece137bc225d62ab98c6b92c38a2feac-bullet-cl-thumb-300x216.jpg

Stawarz, L., Petrosian, V., & Blandford, R. (2010). ON THE ENERGY SPECTRA OF GeV/TeV COSMIC RAY LEPTONS The Astrophysical Journal, 710 (1), 236-247 DOI: 10.1088/0004-637X/710/1/236

Kommentare (2)

  1. #1 Lars Fischer
    01/31/2010

    Versteh ich das richtig, dass die Hypothese bei allen Experimenten ohne Zusatzannahmen “passt”? Wie sieht’s denn bei denen mit der PAMELA-Zusatzannahme aus?

    Btw, kannst du hinter das Bild einen Link zur Abbildung in Originalgröße legen?

  2. #2 Jörg
    01/31/2010

    Das Bild hab ich aus meinem alten Artikel über FERMI genommen, wo ich es dooferweise nicht größer gespeichert habe. Es ist aber aus diesem Artikel:
    https://arxiv.org/abs/0905.0025

    Also es ja nicht nur eine Hypothese, sondern ein Modell das den Transport der Elektronen berechnet inklusive der Annahme von Klein-Nishina-Streuung. Da stecken schon Parameter drin, wie für das Potenzgesetz der Energieverteilung ausgesandter Elektronen. Aber diese Parameter liegen wohl in üblichen Grenzen, und dann berechnet das Modell dank Klein-Nishina-Effekt diesen “Buckel” im Energiespektrum.

    Boah, wie oft hab ich jetzt heute Nishina falsch geschrieben und korrigiert…