Der Goldene Schnitt steht für harmonische Proportionen und Schönheit. Ein Mann im 19. Jahrhundert war geradezu besessen davon und zerlegte den gesamten Körper entsprechend dieses “ästhetischen Gesetzes”. Ich habe dann auch gleich mal bei mir nachgemessen und den Goldenen Schnitt gefunden, zumindest fast.

Auch wenn wir hier auf einem Wissenschaftsblogportal sind: Es hat schon fast etwas magisches, wenn man anfängt sich mit dem Goldenen Schnitt zu beschäftigen. Es ist immer wieder erstaunlich, wie oft und an welchen Stellen diese ganz besondere Proportion zu finden ist. Der Goldene Schnitt gilt als Inbegriff der harmonischen Proportion und Schönheit, daher trifft man überall auf ihn: in der Kunst, der Architektur, im Design, selbst in der Natur. Das brachte einige Personen dazu, zu vermuten, dass es sich um eine Art universelles Gesetz handeln muss. Man sollte allerdings aufpassen, dass man vor lauter „Göttlichkeit” und “Geheimnis” nicht zu sehr in esoterische Spähren abgleitet. Dafür ist der Goldene Schnitt nämlich bestens geeignet.

Im Kern ist ist das alles eine ganz trockene Angelegenheit. Wer sich vom mysthischen des Goldenen Schnitts befreien will, sollte einfach mal einen Blick auf die Formel werfen, in der das Verhältnis zweier Größen, also zum Beispiel zweier Linien zueinander, in einer Zahl ausgedrückt wird.

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(Das Zeichen links vom Gleichheitszeichen ist übrigens der grichische Buchstabe Phi)

Das Ganze kann man auch in Worten ausdrücken. Die Autorin Priya Hemenway beschreibt es in ihrem Buch „Der geheime Code” so:

„Das Ganze steht zum Größeren genau im selben Verhältnis wie das Größere zum Kleineren.”

Die Wikipedia beschreibt es so:

“Zwei Strecken stehen im Verhältnis des Goldenen Schnittes, wenn sich die größere zur kleineren Strecke verhält wie die Summe aus beiden zur größeren.”

Und weil wir Augentiere sind, ist die gezeichnete Variante wohl die anschaulichste.

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Es ist müßig in einem Blogbeitrag all die Orte und Dinge aufzuzählen, an denen man den „Goldenen Schnitt” wieder findet. Dafür sind zusammenfasende Artikel wie der Wikipedia-Eintrag viel besser geeignet. Oder auch Bücher wie das von Priya Hemenway (allerdings empfiehlt es sich dann anschließend noch dieses Buch zu besorgen (wenn es denn verfügbar ist), das vom Aufstieg und Fall des Goldenen Schnitts handelt).

Was mich aber interessiert ist eigentlich, ob es am menschlichen Körper Stellen gibt, die dieser Proportion folgen? Entsteht menschliche Schönheit (zumindest die Äußere), auch, weil bestimmte Proportionen dem Goldenen Schnitt folgen?

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Wenn es aber um Körperproportionen im Zusammenhang mit dem Goldenen Schnitt geht, dann kommt nicht an einem Mann vorbei, der diesem Thema ein über 400 Seiten dickes Buch widmete, dass 1854 herauskam, und das man dank Google Books sogar heute noch durchstöbern kann. Sein Titel: „Neue Lehre von den Proportionen des menschlichen Körpers

Adolf Zeising (von dem es keinen deutschen, sondern nur einen englischen Wikipedia-Eintrag gibt) war der Überzeugung, dass der Goldene Schnitt die Grundlage eines universellen ästhetisches Gesetzes war, was schließlich die zahllosen Beispiele in der Natur belegten. Er wollte dies schließlich auch durch empirische Untersuchungen am menschlichen Körper zeigen. Und so ist sein Buch auch eine gewaltige Sammlung seiner Proportionsmessungen am menschlichen Körper und an griechischen Statuen, die als idealtypische Abbildungen des menschlichen Körpers galten. Seine Studien belegten seiner Meinung nach, dass

„ (…) wirklich, wie das Gefühl schon längst geahnt, der menschliche Körper ein aus einer Uridee hervorgequollener, in allen seinen Teilen und Dimensionen nach einem und demselben Grundverhältniss gegliederter und inmitten der unendlichen Mannigfaltigkeit seiner einzelnen Formen und der Freiheit seiner Bewegungen ein von vollkommenster Harmonie und Eurythmie durchdrungener Organismus ist.”

Er beginnt seine Messungen mit der Körpergröße und beginnt sich dann in immer kleineren Schritten bis zum kleinen Finger den gesamten Körper einzuteilen:

Gliederung des Körpers seiner Länge oder Höhe nach.
a. Gliederung der Totalhöhe.
„Construirt man eine gerade Linie AU, welche der Totalhöhe einer menschlichen Figur gleich ist, und theilt dieselbe im Punkt J nach der angegebenen Regel des goldenen Schnitts in zwei ungleiche Theile: so entspricht, wie aus Fig. 39 zu ersehen, der kürzere Abschnitt AJ der Länge des Oberkörpers vom Scheitel bis zum Nabel, der längere JU hingegen der Länge des Unterkörpers vom Nabel bis zur Sohle. Der Nabel erscheint also hiernach als der Kern- und Ausgangspunkt der beiden ungleichen, aber verhältniss- mässigen Theile, als der Mittelpunkt der proportionalen Gliederung, als der goldene Schnitt des menschlichen Körpers, und die ganze menschliche Gestalt zerfallt also ihrer Höhe nach in zwei Haupttheile, den Oberkörper und den Unterkörper, die dem ästhetischen Proportionalgesetz entsprechen, denn es verhält sich der kürzere Oberkörper (vom Scheitel bis zum Nabel) zum längern Unterkörper (vom Nabel bis zur Sohle), wie dieser zur ganzen Körperlänge.”

Das kann man ja ganz einfach mal nachprüfen. Habe ich auch gleich getan, in dem mich meine ganze Familie vermessen habe (mich, meine Frau, meine Tochter (5) und mein Sohn (3).

Ergebnis:

Körpergröße/Strecke Bauchnabel/Fußsohle (cm)
Papa: 179/106=1,69
Mama: 164/97=1,69
Tochter (5)=121/71,5=1,69
Sohn (3): 97/50=1,94

Es passt ganz gut, außer beim Kleinsten, aber wir sind ja auch keine griechischen Statuen.

Das könnte man jetzt natürlich so weiter treiben. Wer es genau wissen will, sollte sich Zeisings Buch als pdf herunterladen (auf der Google Books-Seite). Die Idee, dass der Goldene Schnitt etwas mit einem schönen Körper zu tun haben könnte, hält sich bis heute. Die Vermessung des Körpers hat dazu geführt, dass etwa in der Ästhethischen Chirurgie untersucht wird, ob die Proportionen des Goldenen Schnitts bei der Modellierung des Körpers in Betracht gezogen werde sollten. In der Zahnchirurgie vertreten einige die These, dass etwa die vorderen Schneidezähne in diesem Verhältnis ausgeprägt sein sollten, um schön zu wirken. Es gibt aber Studien, die zeigen dass man auch bei Menschen mit schönem Lächeln, bei den Frontzähnen den Goldene Schnitt eher selten findet.

Zeising glaubte an die Universalität seines ästhetischen Gesetzes auf Basis des Goldenen Schnitts. In den folgenden Jahrzenten unternahmen viele Gelehrte mehr oder weniger gelungene Experimente, die ihn bestätigten oder auch nicht (so zum Beispiel auch das Rechteck-Experiment von Fechner, das ich hier nachgestellt hatte).

Was die Schönheit des menschlichen Körpers angeht, schreibt aber selbst Zeising, dass die richtigen Proportionen nur ein Aspekt der Schönheit sind.

„Der Begriff der Proportionalität hängt auf das Innigste mit dem Begriff des Schönen zusammen; einen getrennt vom andern klar zu erkennen, ist unmöglich. Hiermit wird aber keineswegs behauptet, dass beide Begriffe identisch seien, noch auch, dass die Proportionalität in allen schönen Erscheinungen denselben Grad der Wichtigkeit besitze. Die Schönheit überhaupt ist ein durch den anschauenden Geist zur Einheit zusammengefasster Inbegriff von Qualitäten, die Proportionalität aber nur eine einzelne unter diesen neben anderen.”

Kommentare (5)

  1. #1 kommentarabo
    September 14, 2010

  2. #2 Geoman
    September 14, 2010

    @Markus Anhäuser

    Ich meine mich zu erinnern, dass ich in einem Buch gelesen habe, dass der “Goldene Schnitt” frühneuzeitlichen… Bildformaten sehr ähnlich ist, soll heißen: Ein Bildformat hat sich von seiner ursprünglichen praktisch-pragmatischen Herkunft gelöst und ist später ästhetisch oder auch magisch-esoterisch zum “Goldenen Schnitt” überhöht worden.

    Ich werde Buch und Stelle noch raussuchen und hier genauer wiedergeben.

  3. #3 Dierk
    September 14, 2010

    Ein paar ergänzende Anmerkungen:

    – Le Corbusiers Modulor-System basiert auf dem Goldenen Schnitt. Ebenso wie Zeising entwickelte er es entlang den Proportionen des menschlichen Körpers, wiederum angestoßen durch Leonardo da Vincis vitruvianischen Menschen.

    – Die Idee – zurückgehend auf den römischen Architekten Vitruvius Pollio – ist, dass Schönheit nicht aufs absoluten Maßen, sondern aus den Proportionen der Teile zueinander und zum Ganzen erwächst. Was wiederum bereits von den Griechen postuliert wurde [es lässt sich argumentieren, dass die gesamte Mathematik und Geometrie der Alten Griechen nur zur Beschreibung von Schönheit geschaffen wurde].

    – Ein anderer Leonardo, L. da Pisa, entwickelte die Fibonacci-Reihe, in der jede Folgezahl die Summe der beiden vorangegangenen Zahlen ist. Teilt man nun eine Zahl durch den direkten Vorgänger, ergibt sich mit weiter fortschreitender Reihe immer mehr die Zahl des Goldenen Schnittes.

    – Wirklich interessant wird es, sieht man Fibonacci-Zahlen in der Natur, wie bei der Anordnung von Ästen oder Farnen. Damit gibt es einen direkten Zusammenhang zwischen dem Golden Schnitt und natürlichen Phänomen, denen der Mensch in seiner Entwicklung ausgesetzt ist.

    – So wie wir womöglich bestimmte Motive besonders gerne sehen, weil sie einem evolutionär idealen Ort entsprechen – ein ruhiges Gewässer mit flachem, leicht bewachsenem Ufergelände, einige Einzelbäume dichter, ein offener Wald ferner -, reagieren wir auf Formen, die dem Goldenen Schnitt möglichst nah sind, positiv.

  4. #4 ali
    September 14, 2010

    In Our Time hatte einmal eine empfehlenswerte Sendung zur Fibonacci Folge, dabei diskutierten sie auch längers den Goldenen Schnitt. Hörenswert.

  5. #5 Geoman
    September 14, 2010

    @ Dierk schrieb:

    “Wirklich interessant wird es, sieht man Fibonacci-Zahlen in der Natur, wie bei der Anordnung von Ästen oder Farnen. Damit gibt es einen direkten Zusammenhang zwischen dem Golden Schnitt und natürlichen Phänomen, denen der Mensch in seiner Entwicklung ausgesetzt ist.”

    Zu dieser Anmerkung von Ihnen habe ich eine erhellende Passage in dem Buch “Der Leopard, der seine Flecken verliert – Evolution und Komplexität” des kandadisch-amerikansichen-englischen Biologen, Mathematikers und Kritikers des Neodarwinismus Brian Goodwin (1994,deutsch 1997) gefunden. Er schreibt:

    „Pflanzen mit spiraliger Blattstellung ordnen demnach aufeinanderfolgende Blätter vielfach in einem Winkel an, der den Kreisbogen des Meristems nach den Proportionen des Goldenen Schnitts teilt. Pflanzen wissen offenbar über harmonische Eigenschaften und architektonische Prinzipien (..)“

    Er resümiert wie folgt:

    „Über 80 % höherer Pflanzen weisen eine spiralige Blattstellung auf [natürlich nicht alle in den Proportionen des Goldenen Schnitts, Geoman]. (…) In den unterschiedlichen Häufigkeiten der einzelnen Blatteinstellungsmuster in der Natur spiegeln sich womöglich nur die relativen Wahrscheinlichkeiten der morphogenetischen Entwicklungsbahnen der verschiedenen Formen, so daß die natürliche Selektion hierbei kaum eine Rolle spielt. Dies bedeutet, daß sämtliche Blattstellungen eine ähnlich gute Lichtausnutzung durch Blätter erlauben, so daß sie selektionsneutral sind. Dann aber ist es die Größe der Bereiche im generativen Raum dieser Formentypen, die ihre unterschiedliche Häufigkeit erklärt. Damit soll nicht bestritten werden, dass die Formen von Organismen und deren Teilen zur Stabilität der Lebenszyklen in bestimmten Habitaten beitragen, was die Domäne der natürlichen Selektion ist. Es ist einfach festzuhalten, daß eine Analyse dieser dynamischen Stabilität von Lebenszyklen niemals vollständig sein kann ohne eine Erklärung der generativen Dynamik, die Organismen mit bestimmten Formen hervorbringt, weil diese inneren Stabilitätsmerkmale womöglich ihre Häufigkeit und Überlebensfähigkeit ganz nachhaltig beeinflussen. Es geht nicht darum, diese verschiedenen Aspekte des Lebenszyklus zu trennen, sondern darum sie in einer dynamischen Analyse zusammenzuführen, die der natürlichen Selektion den gebührenden Platz zuweist: Sie bringt die biologischen Formen nicht selbst hervor, ist aber möglicherweise an der Prüfung der Stabilität der Formen beteiligt.”

    Diese “dynamische Analyse” ist für mich äußerst fruchtbare evolutionäre Entwicklungsbiologie oder „evolutionary developmental Biology“ (Evo-Devo).

    Auf meinen ersten Kommentar komme ich später zurück, das angesprochene Buch habe ich gerade gefunden.